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25.05.05
15:13 Uhr
SPD

Rolf Fischer zu TOP 27: Gemeinsame Werte, mehr Demokratie und Teilhabe

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 25.05.2005 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell
TOP 27 – Resolution zur Ratifizierung des Vertrages über eine Verfassung für Europa

Rolf Fischer:

Gemeinsame Werte, mehr Demokratie und Teilhabe

Die alte Welt erschafft sich neu: Die Staaten streben nach einer gemeinsamen Verfassung und verwandeln damit die Wirtschaftsunion buchstäblich in eine eu- ropäische Wertegemeinschaft. Diese gemeinsamen Werte bedürfen der Fest- schreibung, denn es gilt der Satz: So wie eine Sprache eine Grammatik braucht, um lebendig zu sein und zu bleiben, so benötigen Werte eine Verfassung.

Deshalb ist dieser Vertrag über eine Verfassung für Europa von so enormer poli- tischer Bedeutung. Er schafft ein demokratisches Europa, das nicht nur jeden einzelnen von uns zum mündigen Unionsbürger macht, der mitreden und mitent- scheiden kann, sondern dieses verfasste Europa wird international eine bedeu- tende Rolle übernehmen können, wenn es darum geht, Menschen- und Bürger- echte einzufordern und durchzusetzen, oder wenn es darum geht, Solidarität, Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent, aber eben auch weltweit, zu schaf- fen – 60 Jahre nach Kriegsende eine gar nicht hoch genug einzuschätzende Perspektive.

Und der im europäischen Kontext ein wenig vergessene und viel zu selten zitier- te Carlo Schmid traf den politischen Punkt, als er schon 1952 schrieb: „Die Auf-

Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



teilung der Macht in Europa ist noch nicht die Einigung Europas; sie entsteht nur aus einer gemeinsamen Anstrengung, einer gemeinsamen Verfassung.“

Und weil der Verfassungsvertrag diesem Anspruch gerecht wird, ist es richtig ihm zuzustimmen, ja ihn auch in Schleswig-Holstein mit Leben zu erfüllen. Denn wir sind ja durchaus gefragt: Regionale und lokale Selbstverwaltung sind ge- währleistet, und das Prinzip der Subsidiarität muss realisiert werden. Das „Früh- warnsystem“, das die Beteiligung der nationalen Parlamente und auch des Bun- desrates festschreibt, ist neu und sicher nicht leicht zu handhaben.

Da werden wir die Praxis abwarten und kritisch analysieren müssen. Es gilt aber trotzdem: „Frühwarnsystem“ und die Klagemöglichkeit gegen zu weit gehende EU-Vorhaben sind mehr Mitwirkungsmöglichkeiten bei europäischen Entschei- dungen und nicht weniger und das ist durchaus fortschrittlich und sinnvoll, wenn es um den Aufbau europäischer Identität geht – einem zentralen Anliegen dieser Verfassung. In diesen Zusammenhang gehört auch das europäische Bürgerbe- gehren; die Menschen können damit europäische Politik aktiv mitgestalten.

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang die Anmerkung: Da das Grundge- setz keine Möglichkeit des Volksentscheides vorsieht, können die Bürger nicht abstimmen. Wer dieses plebiszitäre Instrument will, der soll die Volksentscheid- Debatte grundsätzlich führen, eine besondere „Lex Europa“ aber nach dem Mot- to: über die europäische Verfassung abstimmen und dann nie wieder, ist verfas- sungsrechtlich und politisch ausgesprochen zwiespältig und schadet letztlich dem Instrument und dem Thema Europa.

Ein entscheidender Beitrag des Verfassungsvertrages zu mehr Demokratie ist die Kompetenzordnung; die Bürger können erkennen, wer die Verantwortung für Entscheidungen trifft und wer nicht. Dieser Katalog mindert vielleicht die Lust, -3-



des einen oder anderen Staates, der seine Sonderregelung zuhause als Erfolg feiert, die Sonderregelungen der anderen aber als ausschweifende Bürokratie Brüssels anklagt – oder kürzer gesagt: die europäische Schalenform des Tre- ckersitzes hat durchaus nationale Ursachen.

Die Verfassung stärkt das europäische Parlament in der Gesetzgebung und durch die Möglichkeit, den Kommissionspräsidenten wählen zu können, es ist damit noch nicht unseren Parlamenten vergleichbar, aber es ist ein immenser Schritt zu mehr Demokratie und Legitimation.

Wir können auf Fortschritte in der europäischen Justiz- und Innenpolitik verwei- sen und schaffen mit dieser Verfassung einen Raum des Rechts. Die gemein- same Außen- und Sicherheitspolitik lässt die EU in Zukunft geschlossener und damit stärker auftreten; der Binnenmarkt ist Realität und wir debattieren ja auch in diesem Haus über seine Konsequenzen, wenn es um die Daseinsvorsorge oder die Entsenderichtlinien geht.

Und weil diese Punkte zu den ganz schwierigen gehören, die oftmals zu Enttäu- schungen über oder gar Ängsten vor Europa führen, möchte ich betonen: Wir setzen auf das soziale Europa; mit dieser Verfassung werden die Förderung so- zialer Gerechtigkeit, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Generatio- nengerechtigkeit und der Kampf gegen soziale Ausgrenzung und Diskriminie- rung, das Streikrecht und die Gründung von Gewerkschaften zu erklärten Zielen europäischer Politik.

Das Sozialstaatsmodel Europa, auf der Basis von Gerechtigkeit und Solidarität, kann deshalb eine Chance sein, der Globalisierung und den internationalen Märkten Grenzen zu setzen. Hier bleibt noch viel zu tun, aber diese Verfassung ist unstrittig ein notwendiger Anfang; sie ist der Beginn der Debatte über die Zu- -4-



kunft Europas, nicht das Ende! Sollte der Verfassungsentwurf nicht in allen Staa- ten eine Mehrheit finden, gilt der status quo – das wäre ein Rückschritt, aber kein politisches Ende.

Wir bleiben aufgefordert, die Ideen, die Inhalte und die Werte dieses Verfas- sungsvertrages umzusetzen. Sie werden mit Sicherheit Basis zukünftiger euro- päischer Politik bleiben. Nicht alle unsere Ziele sind verwirklicht worden, nicht al- les wurde erreicht: Dies gilt für die Stärkung der Rechte für Minderheiten ebenso wie für den Gottesbezug, für eine Erweiterung von Parlamentsrechten ebenso wie für die Verankerung von komplizierten Systemen wie der „doppelten Mehr- heiten“. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns!

Trotzdem gilt: Diese Verfassung steht am Beginn eines Weges zu mehr Demo- kratie, zu mehr Bürgerrechten und Bürgerteilhabe; denn europäische Institutio- nen allein reichen nicht aus, sie werden schnell zu Kartenhäusern, wenn ihnen die innere Stabilität fehlt. Die aber garantieren die demokratischen Werte einer europäischen Verfassung; deshalb ist Europa nur in guter Verfassung mit einer guten Verfassung!