Uwe Greve: Europabericht kein kritischer Ansatz zur Brüsseler Politik
Nr. 28/05 26. Januar 2005 IM SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN LANDTAG PRESSEMITTEILUNG PRESSESPRECHER Torsten Haase Landeshaus, 24105 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 E-mail: info@cdu.ltsh.de Internet: http://www.cdu.ltsh.deEuropapolitik TOP 40 Uwe Greve: Europabericht – kein kritischer Ansatz zur Brüsseler Politik Was die Gestaltung der praktischen schleswig-holsteinischen Europapolitik angeht, gibt es wenig Unterschiede zwischen den Parteien. Auch die CDU sieht die europäische Komponen- te der schleswig-holsteinischen Politik insbesondere in der Erweiterung der Zusammenarbeit mit den Anrainerstaaten der Ostsee. Auch wir sind der Überzeugung, dass der maritimen Wirtschaft und Forschung Vorrangigkeit eingeräumt werden muss, dass Meeresschutz und Sicherheit der Seewege auf der Ostsee für uns Schleswig-Holsteiner von lebenswichtiger Bedeutung sind, dass die Verkehrswege im Ostseeraum verbessert werden müssen. Und ebenso halten wir die Nutzung des europäischen Forschungsnetzwerkes in vielen Sektoren für äußerst sinnvoll.Dass die Landesregierung diesem Bericht Volumen gegeben hat, durch eine Reihe von Aus- sagen, die nur wenig mit konkreter Europapolitik zu tun haben, wie zum Beispiel die Propa- gierung ihrer Vorstellung von Steuerpolitik, die von der Bundes-SPD vehement abgelehnt wird, ist in Wahlkampfzeiten verzeihlich.Unverständlich ist, dass dieser Europabericht nirgends einen kritischen Ansatz zur Brüsseler Europapolitik enthält. Die Europapolitik ist für die Landesregierung in ihrem Kern nichts anderes als Vollzug von Brüsseler Vorgaben. Wenn Landespolitik in den nächsten zehn Jahren noch Sinn haben soll, dann müssen auch aus unserem Parlament eigene Impulse und Vorstellungen kommen.Es ist nach wie vor nicht hinzunehmen, dass Deutsch nicht die dritte Amtssprache der Euro- päischen Union ist. Überaus wichtige Papiere, wie gerade jetzt wieder das Kommissionspa- pier zur Wirtschaftsmigration liegen viele Tage, manchmal erste Wochen später in deutscher Fassung vor. Die am meisten gesprochene Sprache Europas ist Deutsch. Deutschland ist der größte Nettozahler der EU und hat schon deshalb ein Recht auf die dritte Amtssprache.Ebenso kritisiert werden muss die Tendenz der Kommission zur Vereinheitlichung immer neuer Politikbereiche. Europas Aufstieg über Jahrhunderte, sog seine Impulse gerade aus unterschiedlichen Strukturen, aus der Möglichkeit des Vergleichs, welche Organisationsform, aber auch welche Ideen, welche Triebkräfte den besten Fortschritt garantieren. Vereinheitli- chung ist Stillstand. Wettbewerb von Ideen und Strukturen allein garantiert eine bessere Zu- kunft. Was da in Brüssel zum Beispiel über Arbeitsmarktpolitik oder Tourismus in Hunderten von Seiten zusammengeschrieben wird, ist zumeist für die lokale und regionale Politik in die- sen Sektoren eine Sammlung von Binsenwahrheiten oder theoretischen Palaver. Mit anderen Worten, die Brüsseler Kommission muss auf ihre Kernkompetenzen zurückge- stutzt werden. Von Subsidiarität darf nicht nur gesprochen, sondern sie muss praktiziert wer- den.Nicht zuletzt halten wir die geplante, im Bericht unterstützte Aufnahme der Türkei als Voll- mitglied der EU für einen Fehler unvergleichbaren Ausmaßes. Wenn die Tür für kleinasiati- sche Staaten geöffnet ist, wird es kein Halten mehr geben. Schon empfiehlt der führende Politikberater Europas, Prof. Weidenfeld, in der „Welt“ nachdrücklich die Aufnahme von Isra- el, Palästina und des Libanon. Armenien hat sich schon laut gemeldet. Die Überdehnung Europas, meine Damen und Herren von Rot/Grün, kann das Ende einer Vernunft getragenen europäischen Einigungspolitik bedeuten und jenen Chauvinismus von europäischen Nationen wieder beleben, den gerade Rot/Grün betont, überwinden zu wollen.Wer der Türkei auf dem Wege helfen will, Demokratie und Islam zu vereinbaren und glaubt, dass dies möglich ist, der kann diese Hilfe vielfältig anders gestalten als durch eine EU- Mitgliedschaft. Wie sagte doch der heutige Ministerpräsident der Türkei, Erdogan, als Bür- germeister von Istanbul: „Mit der Demokratie ist es wie mit einem Omnibus. Wenn man sein Ziel erreicht hat, steigt man aus.“Ich weiß, dass eine Reihe von Abgeordneten von Rot/Grün die kulturellen Unterschiede als hochwirksame historische und politische Kräfte nicht anerkennen. Die politische Wirklichkeit der nächsten Jahrzehnte wird Ihnen eine fatale Lehrstunde sein!Die Triebkräfte der Religion und Kultur sind von höchster politischer Wirkung, wie die Ge- schichte beweist. Das Nebeneinander von gegensätzlichen Kulturen führt zur Befruchtung, das Durcheinander zu Dauerkonflikten. Oberschichten empfinden das Leben in einer frem- den Kultur als Bereicherung, Unterschichten als Bedrohung. Die aus der Türkei zu erwartenden zusätzlichen Migrationsbewegungen, besonders in Rich- tung Deutschland, werden nach der Prognose aller seriösen Forscher weitere Glieder der Unterschichten nach Deutschland bringen. Noch stärkere Separation statt Integration wird die Folge sein. Wer Integration wirklich will, darf aus dieser Richtung keine weitere Zuwande- rung wollen.Auch sollten Zwischentöne türkischer Äußerungen bei uns nicht überhört werden. So sagte Vural Öger, größter türkischer Reiseunternehmer in Deutschland, mit deutschem Pass und auch als Europapolitiker uns nicht unbekannt, laut FAZ vom 25. Mai 2004: „Was Sultan Su- leiman nicht geschafft hat, schaffen heute unsere geburtenfreudigen Türkinnen in der Bun- desrepublik.“ Töne, die wir nicht überhören dürfen.Wie undurchdacht die Vorstellung ist, die Türkei zum Vollmitglied der Europäischen Union zu machen, zeigt ein weiteres Beispiel. Die EU fordert von der Türkei die überragende Stellung des Militäroberbefehlshabers abzubauen, das sogar Ministerpräsidenten absetzen kann und abgesetzt hat. Gerade das Militär ist es jedoch, dass mehrmals die Rückkehr der Türkei in einen politischen Islamismus verhindert hat.Ich hoffe für Deutschland und Europa, dass in dieser Frage noch ein Wechsel der Einsicht erfolgt, der am Ende sowohl Deutschland und Europa als auch der Türkei dienlich ist.