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17.09.04
17:47 Uhr
Landtag

Arens: „Wir brauchen Einigkeit über die Verteilung der Finanzmittel in Europa“

118/2004 Kiel, 17. September 2004 Sperrfrist: 20. Sept., 10:00 Uhr Es gilt das gesprochene Wort!


Arens: „Wir brauchen Einigkeit über die Verteilung der Finanz- mittel in Europa“
Kiel (SHL) – Auf der 2. Konferenz des Parlamentsforums Südliche Ost- see am 20. und 21. September 2004 Międzyzdroje/Misdroy zum Thema: „Die reformierte europäische Kohäsionspolitik für den Zeitraum 2007 bis 2013“ erklärte Landtagspräsident Heinz-Werner Arens unter anderem:
„‚Europa ist’ – so hat es Jacques Delors einst formuliert – ‚wie ein Fahrrad. Hält man es an, kippt es um.’ Wer die letzten Monate Revue passieren lässt, kann diesem Bild nur beipflichten. Das Jahr 2004 zeugt wie kein anderes Jahr in der gut fünfzigjährigen Geschichte der Europäischen Gemeinschaft von dynami- scher Bewegung in der Europäischen Integration: Anfang des Jahres legte die Europäische Kommission den dritten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt vor. Dieser wurde ergänzt durch die Vorschläge für die mittelfristige Finanzplanung der Union in dem Zeit- raum 2007 - 2013. Am 1. Mai traten zehn mittel- und osteuropäische Länder der Europäischen Union bei. Im Juni wurde der Entwurf für den Verfassungsvertrag von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Mitgliedstaaten einstimmig und mit weni- gen Änderungen angenommen. Der Verfassungsentwurf macht deutlich, auf welchen Werten die erweiterte Union beruht: Die Achtung der Menschenwürde und Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit. Werte, die die Mitgliedstaaten verbinden und dem europäischen Haus eine tragfähige Grundlage verleihen. Mitte Juni wurde dann das Europäische Parlament neu gewählt. Die Abgeord- neten werden entscheidenden Einfluss auf die mittelfristige Finanzplanung der Union und die vorliegenden Verordnungsvorschläge zur Europäischen Struk- turpolitik nach 2006 nehmen. Sie sind unsere direkten Ansprechpartner und Verbündeten, wirken als Bindeglied nach Straßburg und Brüssel und können uns unterstützen, um die Ziele des Parlamentsforums Südliche Ostsee umzu- setzen. 2


In wenigen Tagen – vom 27. September bis zum 8. Oktober – wird das Europä- ische Parlament die Anhörungen der designierten Mitglieder der Europäischen Kommission durchführen. Für die Regionalpolitik ist Danuta Hübner als künfti- ge Ressortchefin in Brüssel vorgeschlagen. Es dürfte eine große Chance für unseren Regionalverbund ebenso wie für die gesamte Ostseeregion darin lie- gen, dass eine Politikerin aus diesem Raum, eine Politikerin aus Polen, künftig diese wichtigen Aufgaben wahrnehmen wird. Es geht bei der Neuausrichtung der europäischen Strukturpolitik nach 2006 in erster Linie darum, das wirtschaftliche und soziale Gefälle in der EU aufgrund der Erweiterung abzubauen. Verteilungskämpfe zwischen alten und neuen Mit- gliedstaaten, zwischen armen und reichen Regionen sind vorprogrammiert. Ich warne vor diesem Streit! Wenn es nicht gelingt, Einigkeit über die Verteilung der Finanzmittel herbeizuführen und den Europäischen Verfassungsvertrag zu ratifizieren, dann werden alle Bürgerinnen und Bürger der EU, dann werden wir alle die Verlierer sein. Europa steht vor der Herausforderung, dem weltweiten Wettbewerb als Folge der Globalisierung zu begegnen. Gleichzeitig werden wir in Europa durch die zunehmende Alterung der Gesellschaft und den technologischen Fortschritt mit schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen konfrontiert. Es gilt, einen Weg zu finden zwischen Haushaltskonsolidierung auf der einen Sei- te und notwendiger Strukturförderung auf der anderen Seite. Dabei sollten wir Folgendes bedenken: Die Verteilung der Regionalfördermittel ist in der jetzigen Form nicht immer effizient. Angefangen bei der Subvention des Tabakanbaus bis hin zu der Förderung der Kampfstierzucht in Spanien gibt es verschie- dene Ansätze, wo das Dickicht des Brüsseler Förderungsdschungels gelichtet werden könnte. Die Kommission sollte zunächst eine Aufga- benanalyse erstellen und Sparmöglichkeiten ausloten, um eine solide Ausgangsbasis für den EU-Haushalt zu schaffen. Bei einem engen Finanzrahmen werden zwangsläufig einige Regionen aus der Förderung herausfallen. Umso wichtiger ist es, für eine Über- gangszeit besondere beihilferechtliche Spielräume für alle hiervon be- troffenen Regionen zu eröffnen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu si- chern.

Machen wir uns nichts vor: Die im nächsten Jahr anstehenden Entscheidungen über die mittelfristige Finanzplanung und die reformierte Kohäsionspolitik wer- den äußerst schwierig sein. Dabei dürfen die EU-Mitgliedstaaten jedoch nicht vergessen, dass es um mehr als nur um die Verteilung von Geld geht. Es geht um die Europäische Integration, es geht um europäische Solidarität und Identi- tät und letztlich um die Zukunft Europas in einer globalisierten Welt. Als Regionen in der südlichen Ostsee sind wir heute zu der zweiten Konferenz zusammengekommen, um unsere gemeinsamen strukturpolitischen Interessen zu formulieren. Aufbauend auf den Erfahrungen mit der derzeitigen Initiative INTERREG schlägt die Kommission vor, ein neues Ziel 3 „Europäische territoriale Zusam- menarbeit“ zu schaffen. Sie will damit die grenzüberschreitende, interregionale und transnationale Zusammenarbeit fördern. Dieses Ziel sollten wir für unsere Zusammenarbeit in der südlichen Ostsee nutzbar machen: So sollen die Regionen gemäß dem Vorschlag der Kommission künftig Maß- nahmen der interregionalen Zusammenarbeit in ihre Regionalprogramme ein- beziehen. Zu diesem Zweck müssten die Regionalprogramme einen bestimm- 3


ten Ressourcenanteil auf den Austausch, die Kooperation und die Bildung von Netzwerken mit Regionen in anderen Mitgliedstaaten verwenden. Unser Forum Südliche Ostsee kann sich zu einem idealen Vorläufer für ein solches Netzwerk entwickeln. Wir müssen unseren Verbund jetzt bekannt machen, um unsere Ideen und Initiativen in die im Jahr 2006 anstehende Programmplanungsphase einzuspeisen. Es war für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Schleswig-Holstein, Meck- lenburg-Vorpommern und gewiss ebenso aus Polen eine große Genugtuung – aber, das räume ich ein – auch eine Überraschung, dass der Präsident des Norwegischen Storting, des norwegischen Nationalparlaments also, Jørgen Kosmo, am 29. August anlässlich der Eröffnung der 13. Ostseeparlamentarier- konferenz in Bergen ausführte: ‚Ich weiß, dass die regionalen Parlamente in Norddeutschland und Polen ein Muster für eine parlamentarische Partnerschaft geformt haben. Wir haben et- was Ähnliches im Norden mit dem Rat der Barentssee-Region. Ich bin sicher, dass zwischen solchen Einrichtungen und Parlamentarierzusammenkünften Verbindungen herzustellen sind. Wir brauchen solche parlamentarische Zu- sammenarbeit in Nordeuropa.’ Das ist viel Anerkennung, viel Erwartung an uns. Aber wir sind auf dem richti- gen Weg: Die fortschreitende Integration Europas wird nur dann erfolgreich sein, wenn wir es schaffen, den europäischen Mehrwert der grenzüberschreitenden und interregionalen Zusammenarbeit nutzbar zu machen. Ob politisch, wirtschaft- lich, institutionell oder soziokulturell, wir alle werden von den Reformen der Europäischen Kohäsionspolitik für den Zeitraum 2007 - 2013 profitieren. Es ist unsere Aufgabe, den Bürgerinnen und Bürgern das notwendige Vertrauen in die Zukunft Europas zu vermitteln. Der frühere polnische Außenminister und heutige EU-Parlamentarier Bronislaw Geremek hat es auf den Punkt gebracht: ‚Wir haben Europa. Nun brauchen wir Europäer’. Lassen Sie uns mit gutem Beispiel und vor allem am konkreten Beispiel, mit konkreten Projekten voran- gehen!“