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09.09.04
11:34 Uhr
FDP

Dr. Ekkehard KLug - Grundsatzrede des bildungspolitischen Spreche rs der FDP-Fraktion SH auf dem Vertretertag des Philologenverbandes SH in Rendsburg

FDP Landtagsfraktion Schleswig-Holstein 1



Presseinformation Wolfgang Kubicki, MdL Vorsitzender Dr. Heiner Garg, MdL Nr. 300/2004 Stellvertretender Vorsitzender Dr. Ekkehard Klug, MdL Kiel, Donnerstag, 9. September 2004 Parlamentarischer Geschäftsführer Christel Aschmoneit-Lücke, MdL Sperrfrist: Redebeginn Joachim Behm , MdL Günther Hildebrand, MdL Es gilt das gesprochene Wort! Veronika Kolb, MdL
Bildung/Schule



www.fdp-sh.de Dr. Ekkehard Klug, MdL Bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag
Rede auf dem „Kleinen Vertretertag“ des Philologen- verbandes Schleswig-Holstein, Rendsburg, Hotel Conventgarten „Kürzlich veröffentlichten die „Kieler Nachrichten“ einen Artikel unter der Überschrift: „Rürup: Unser Schulsystem ist ‚ein Witz’ – SPD-Berater fordert eine andere Bildungspolitik“ 1.
Welch eine Arroganz und Borniertheit spricht doch aus einer solchen öffentlichen Abqualifizierung so vieler Schulen, an denen kompetente und engagierte Bildungsarbeit geleistet wird!
Dem Herrn Professor und Universal-Regierungsberater für Rente, Gesundheit und neuerdings auch Bildung wären die Worte wohl im Halse steckengeblieben, hätte er drei Tage zuvor das „Hamburger Abendblatt“ gelesen. „Die Wahrheit über ‚PISA’“ nannte die Hamburger Zeitung ihren Bericht über eine erstaunliche Feststellung am Eutiner Johann-Heinrich-Voß- Gymnasium. Der Mathematiklehrer Henning Legell hatte dort seinen Fünftklässlern die Abituraufgaben eines finnischen Mathematik-Grundkurses vorgelegt. Und siehe da: 23 von 26 Schülern lösten die Aufgaben vollständig2.
Was erleben deutsche Schüler im Allgemeinen während eines Auslandsschuljahres? Kommen sie etwa nicht generell mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten an den Gastschulen ordentlich zurecht?
1 KIELER NACHRICHTEN, 17. August 2004. 2 „Die Wahrheit über ‚PISA’“. HAMBURGER ABENDBLATT, 14./15. August 2004.
Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ 2
Politik und Öffentlichkeit sollten die vorzeigbaren Leistungen unserer Schulen also zunächst einmal anerkennen, statt die Motivation für weitere Anstrengungen durch allgemeines Miesmachen in den Keller zu reden.
Natürlich kann Gutes noch besser werden. Das weiß jeder. Und es gibt sicher auch noch manche Schwachstellen, die wir ausräumen müssen.
Nach meiner Überzeugung liegen die Probleme weniger in den Gymnasien, denen ja auch die PISA-Studie gute Erfolge bescheinigt, als vielmehr in anderen Bereichen des Schulwesens - und auch schon vor der Schule, vor allem dort, wo sich in manchen Familien im Vorschulalter sehr früh Defizite aufbauen, die später kaum noch im überforderten Reparaturbetrieb „Schule“ ausgeglichen werden können.
Da Sie heute von mir mit Recht vor allem Aussagen zur gymnasialen Bildung erwarten, will ich nur kurz im Telegrammstil einige aus meiner Sicht wesentliche Punkte streifen:
• Bereits im Vorschulalter muss Bildung einen höheren Stellenwert erhalten. Eltern und Kindertagesstätten haben hier eine zentrale Aufgabe, für deren Erfüllung sie bessere Rahmenbedingungen brauchen.
• Die Integration vieler Kinder aus Einwandererfamilien in unser Bildungssystem – und damit in unsere Gesellschaft – ist bislang in weiten Teilen misslungen. Neben anderen Faktoren ist dafür vor allem die unzulängliche Vermittlung der Unterrichtssprache Deutsch verantwortlich. Vom Kindergartenalter bis zu den weiterführenden Schulen bedarf es hierfür besserer - und verbindlicher – Förderinstrumente. Sofern bei Fünfjährigen mangelnde Kenntnisse der künftigen Unterrichtssprache festgestellt werden, sollte nach einem entsprechenden Sprachtest deshalb ein obligatorisches Vorschuljahr zum Erlernen der deutschen Sprache absolviert werden.
• Wir brauchen eine bessere inhaltliche Verzahnung zwischen der vierjährigen Grundschule und den weiterführenden Schulen3. Wir wollen deshalb die pädagogische Arbeit der Grundschulen stärker auf jene Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten ausrichten, die sich die Schüler beim Übergang auf die 5. Klasse einer weiterführenden Schule angeeignet haben sollten.
• Keine Schulart ist in diesem Land in den letzten 16 Jahren so schäbig behandelt worden wie die Hauptschulen. Gemessen am Bundesdurchschnitt der Stundentafeln fehlen dort 342 Lehrerstellen4. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die im internationalen Vergleich unbefriedigenden deutschen PISA-Ergebnisse vor allem durch die mangelnde schulische
3 Beispielgebend ist hier etwa das Papier eines Arbeitskreises von Lehrkräften und Eltern verschiedener Schularten in Reinbek (Kreis Stormarn): „Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Grundschulzeit beherrschen sollen“. In: VBE-Mitteilungen Heft 147/2002, S. 8 – 10. 4 Zahlen der schleswig-holsteinischen Landesregierung aus: Schleswig-Holsteinischer Landtag, Umdruck 15/4221 vom 12. Februar 2004; Anlage 2 (Stellungnahme des Bildungsministeriums zum Antrag der Volksinitiative zur Einführung einer verbindlichen Stundentafel). - Die Personalzuweisung an Hauptschulen bzw. an Hauptschulteile von Schulen blieb in den Schuljahren 2003/04 und 2004/05 trotz steigender Schülerzahlen konstant bei 2.291 Planstellen. Siehe dazu: Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 15/3623 vom 31. August 2004.
Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ 3 Förderung und Forderung der schwächeren Schüler (und durch die Probleme der Ausländerintegration) bedingt sind, gilt es vor allem hier nachzubessern. Insbesondere an sozialen und pädagogischen Brennpunkten brauchen Hauptschulen auch eine dauerhafte Zuweisung von Speziallehrkräften - wie z.B. Sonderpädagogen.
Mittlerweile werden in Schleswig-Holstein 12% der Hauptschüler alljährlich ohne Schulabschluss entlassen5. Diesen unerträglich hohen Anteil gilt es zu senken - und zwar sowohl aus bildungs- wie auch aus gesellschaftspolitischen Gründen.
In Anbetracht der zur Verfügung stehenden Zeit will ich es mit diesen vier Hinweisen bewenden lassen.
Wie Sie aus dem Gesagten bereits erschließen konnten, tritt die FDP für das gegliederte Schulwesen ein.
Das Bildungsverständnis der FDP ist – dem liberalen Menschenbild entsprechend – geprägt von dem Ziel uneingeschränkter Förderung individueller und sozialer Personalität durch leistungsorientierte Forderung auf den verschiedenen Erkenntnis- und Erfahrungsfeldern.
Bestmögliche individuelle Handlungskompetenz ist dabei zugleich die wirksamste soziale Sicherung jedes Einzelnen. Zudem verbindet sich damit – und nur damit - auch die Möglichkeit zur Solidarität mit Schwächeren.
Leistungsorientierte Forderung und individuelle Förderung der Schüler sind in sehr heterogenen Lerngruppen jedoch kaum erreichbar. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen hat in seiner Analyse der deutschen PISA-Daten festgestellt, „dass eine starke Leistungsheterogenität innerhalb einer Klasse/Schule sich sehr stark negativ auf den individuellen Schulerfolg auswirkt“6.
All dies spricht für ein gegliedertes Schulwesen, in dem allerdings eine größtmögliche Durchlässigkeit für all jene bestehen muss, die die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Gymnasien und Fachgymnasien eröffnen ja in diesem Sinne auch vielen Realschulabsolventen den Weg zum Abitur.
Die Entscheidung, die die Schlewig-Holsteiner am 20. Februar 2005 treffen werden, wird vor allem auch in der Bildungspolitik Weichen stellen - für oder gegen das gegliederte Schulwesen.
Nachdem sich die bisherigen Regierungsparteien und der SSW für die Einheitsschule ausgesprochen haben, sind die Alternativen in der Schulpolitik klarer als je zuvor.
Ich will dabei nicht verhehlen, dass ich die erneut aufgebrochene Schulartdebatte für schädlich halte. Sie bindet Kräfte, die wir besser für andere Zwecke einsetzen sollten.
Das eigentliche Kernproblem, das es heute zu lösen gilt, ist die inhaltliche Weiterentwicklung jener Erkenntnis- und Erfahrungsfelder, die 5 Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 15/3358 vom 08. April 2004 (Zahlen zum Entlassjahr 2002). 6 Christoph M. Schmidt/Michael Fertig, Genaues Hinsehen lohnt. Die Determinanten des Abschneidens deutscher Schüler in der PISA 2000-Studie. In: Forschung & Lehre 6/2003, S. 313 – 315, Zitat S. 314.
Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ 4 - komplementär – zu Bildung beitragen.
In der Bildungspolitik verlaufen die Frontlinien aber keineswegs nur zwischen links rund rechts. Quer zu den altbekannten Gegensätzen besteht vielfach ein nicht weniger bedeutsamer Konflikt: nämlich zwischen einem technokratischen Zugang zum Thema Bildung und einem Denkansatz, der von den Bildungsinhalten ausgeht.
Soweit Schulen auf den Bildungserfolg ihrer Schüler Einfluss haben, liegt die Antwort nach meiner Überzeugung vor allem in der „3-W-Frage“: Was unterrichtet wird, wie unterrichtet wird, und wie viel Unterricht stattfindet - das ist entscheidend.
Unterrichtsinhalte, Fachdidaktik, Lehr- und Lernmethoden und die Breite des Unterrichtsangebots - um diese Themen müssen wir uns vorrangig kümmern.
Hier wird sich entscheiden, ob und wie man den ‚Erkenntnisort’ Schule weiter voranbringen kann - im Sinne einer Steigerung des Bildungsniveaus.
Das Verordnungs-, Erlass- und Organisations-Hyperaktivitätssyndrom der letzten Jahre, mit EVIT - vulgo Schul-TÜV -, Lernplänen, IQSH- Deformation, Personalentwicklungsgesprächen …und … und … und - all das lenkt in der Häufung all dieser „Segnungen“ von den zentralen Problemen ab und bindet auch unnötig Kräfte. Dieses Dickicht wollen wir deshalb lichten. Die Entsorgung des angehäuften Verordnungsmülls wird deshalb nach dem 20. Februar dazu beitragen, den Blick wieder auf das Wesentliche zu lenken.
Im Übrigen können Sie darauf bauen, dass auch kein neuer Unsinn diesen Weg versperren wird. Wie die Union auf die Idee gekommen, Lehrern eine Präsenzpflicht an Nachmittagen verordnen zu wollen, bleibt mir ein Rätsel. Erst kürzlich hat der Landesrechnungshof den Finanzbedarf für die Schaffung entsprechender räumlicher und sächlicher Rahmenbedingungen auf mindestens 300 Millionen € beziffert7. Darüber hinaus meine ich: Wer wertvolle Lehrerarbeitszeit für Betreuungsaufgaben in Anspruch nehmen will, der fährt wirklich auf dem falschen Dampfer. Wir werden ihn da schon von Bord holen.
Eine inhaltliche Weiterentwicklung des Unterrichts im Sekundarbereich – und insbesondere auch an den Gymnasien - ist meines Erachtens vor allem in den Naturwissenschaften überfällig. Ich greife dieses Thema hier im Zusammenhang mit dem Stichwort „Bildungsinhalte“ exemplarisch heraus, weil es mir besonders wichtig erscheint.
Die Fächer Physik und Chemie werden an den schleswig-holsteinischen Gymnasien bislang erst vom 7. bzw. vom 9. Jahrgang an unterrichtet. Das ist zu spät. Initiativen wie jene des Flensburger Förde-Gymnasiums, wo man mit diesen Fächern schon in der 6. Klasse beginnt, weisen hier den richtigen Weg. Will man künftig mehr Schüler - und auch Schülerinnen – für die Naturwissenschaften gewinnen, auch bei der Kurswahl in der Oberstufe, so muss die Schule ihnen die Chance geben, hier bereits möglichst früh eigene Kompetenz zu erfahren und schulische Erfolge zu erzielen. Dazu sind neben entsprechenden fachdidaktischen Konzepten natürlich vor allem genügend Fachlehrer erforderlich. Gleiches gilt für das Vorhaben, einen zweiten naturwissenschaftlichen Grundkurs bis zum Abiturjahrgang einzuführen. 7 Sonderbericht des Landesrechnungshofes Schleswig-Holstein vom 4. Juni 2004, S. 99. Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ 5
Auch deshalb wird es nötig sein, in den kommenden Jahren Einstellungskorridore für solche Mangelfächer zu schaffen.
Der Weg zu einer Stärkung der Naturwissenschaften wird angesichts der Personalsituation sicher nicht einfach sein. Das Ziel ist jedoch alle Anstrengungen wert.
Die Gymnasien haben von jeher, aus eigenem Selbstverständnis wie auch nach ihrem Bild in der Öffentlichkeit, einen besonderen Leistungsanspruch. Diesen Anspruch haben die Schulen in den letzten 16 Jahren in diesem Land bisweilen auch gegen ein bildungspolitisches Klima eingelöst, das nicht immer besonders leistungsfreundlich war.
Aber dies ist durchaus ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wenn man hierzulande von Olympiateilnehmern, zumindest im Einzelfall, nach einem wenig überzeugenden Einsatz in Athen hört, man habe „morgens noch nie richtig laufen“ gekonnt8, dann rauscht immerhin bereits der Blätterwald.
Es hat sich in Deutschland nämlich herumgesprochen: Ohne Leistungsorientierung, auch ohne Förderung von Spitzenleistungen in allen Bereichen, steigt dieses Land langsam aber sicher aus der ersten Liga ab. Noch sind wir ein reiches Land, jedoch ein Land, das von der Substanz lebt, die in früheren Jahrzehnten erarbeitet wurde.
Heute geht es deshalb darum, für den Wohlstand unseres Landes neue Fundamente zu errichten. Im Klartext gesprochen: Nicht zuletzt dafür brauchen wir auch die Gymnasien. Gäbe es sie nicht bereits, so müssten wir sie jetzt dringend neu erfinden. Auch das ist übrigens ein gutes Argument gegen die rot-grünen Pläne zur Abschaffung der Gymnasien. Auf das Heilsversprechen eines am Reißbrett entworfenen neuen Schulsystems würden vernünftige Menschen keinen Cent setzen!
Regionale Fördernetzwerke für hochbegabte Schüler, verankert an einzelnen Schulstandorten, sind hier und da bereits vorhanden oder jetzt im Entstehen. Daraus wollen wir Liberale eine landesweite Förderstruktur entwickeln. (In den Haushaltsberatungen Ende 2003 haben wir dafür übrigens 1 Million € beantragt).
Der gymnasiale Bildungsanspruch soll künftig aber auch in der Breite besser abgesichert werden.
Wir wollen deshalb die Lehrpläne bereits von der Orientierungsstufe an stärker auf das jeweilige Schulartprofil ausrichten. Abgesehen von unzulässigen Doppelabweichungen von der Grundschulempfehlung soll nach unserer Auffassung die Schulartwahl zwar weiter in der Entscheidung, aber zugleich auch in der Verantwortung der Eltern liegen. Die Schule muss andererseits die Möglichkeit haben, gegebenenfalls einen Schulartwechsel zu erwirken. Die Zahl der Abiturprüfungsfächer wollen wir von vier auf fünf erhöhen, wie es in einigen Bundesländern bereits üblich ist.


8 „Die Guten-Abend-Athleten“. DER TAGESSPIEGEL 30. August 2004, S. 21.
Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ 6 Eine Anmerkung zum Thema Schulvergleiche und Qualitätssicherung: Ich halte landesweite Leistungsvergleiche, sprich Vergleichsarbeiten, in einigen Kernfächern für hilfreich: und zwar gegen Ende der Grundschule und dann an zwei oder drei Zeitpunkten in der Sekundarstufe I. Mit anderen Worten: Keine Dauer-Test-Aktionen wie in England, sondern ein auf wenige Leistungsvergleiche beschränktes Instrumentarium. Es handelt sich dabei auch gewissermaßen um einen Ausgleich dafür, dass die Schulen in Zukunft über ihre Unterrichts- und Schulgestaltung selber entscheiden.
Die FDP befürwortet das gymnasiale Abitur nach 12 Jahren. Wir sehen darin vor allem eine Chance für das Leistungsprofil der Gymnasien. Gleichwohl darf man die Erfahrungen, die andere Länder – wie Bayern – jüngst „durchlitten“ haben – nicht ignorieren. Der Umstieg auf das G8-Modell ist nicht zum Nulltarif zu haben. Er kostet zunächst einmal Personal. Von sukzessive 300 Stellen spricht der Landesrechnungshof9. „G8“ darf aber auch später nicht als Sparmodell herhalten. Nur mit einer guten Unterrichtsversorgung, die endlich auch wieder die Stundentafeln sichert, kann die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit zum Erfolg geführt werden10.
Das Thema „G8“ bietet eine gute Gelegenheit, eine allgemeine Bemerkung einzuflechten:
In der deutschen Politik hat sich, weit über den Bildungsbereich hinaus, in den letzten Jahren eine ziemlich fatale Unsitte breit gemacht: die Neigung, mehr oder weniger richtige „Ideen“ oder „Konzepte“ (Hartz IV lässt grüßen!) auf grottenschlechte Art und Weise umzusetzen. Ich weiß nicht, ob dies mit dem Zeit- und Erfolgsdruck zusammenhängt, unter dem die Politik heute steht, oder mit anderen Gründen11. Die Erfolgschance jeder politischen Initiative ist aber um so größer, je eher man bereit ist, bei der Umsetzung auch auf den Rat derjenigen zu hören, die „vor Ort“ Erfahrung und Sachverstand haben. Und das sind im Schulbereich nun einmal Sie, die Lehrerinnen und Lehrer!
Die professionelle Kompetenz aus den Schulen wird deshalb in Zukunft, und zwar schon aus dem Eigeninteresse der neuen Landespolitik heraus, bei der Umsetzung bildungspolitischer Ziele mehr gehört und ‚dialogbereiter’ einbezogen werden, als das bisher der Fall gewesen ist.
In der Vergangenheit hat es daran oft gefehlt, zuletzt bei der Neuregelung der Referendarausbildung.

9 Sonderbericht des Landesrechnungshofes Schleswig-Holstein vom 4. Juni 2004, S. 73.
10 Angesichts des Stellenbedarfs für einen Umstieg auf G8 wäre es vielleicht am besten, diesen Weg in mehreren Schritten für jeweils einen Teil der Gymnasien zu gehen - mit einem entsprechenden Stellenbonus als Anreiz. Das würde zum einen – bei Lehrern, Eltern und Schülern – die notwendige Vertrauensbasis sichern, zum anderen könnte man auf diese Weise die sonst eines Tages ins Haus stehende Verdoppelung eines Abiturjahrganges vermeiden.
11 Ein renommierter Ingenieurwissenschaftler hat kürzlich in einem Essay - Hintergrund war das bekannte Toll-Collect-Desaster - für das „KISS-Prinzip“ plädiert. KISS steht für „Keep ist simple and stupid“. Sprich: Vermeide all zu komplizierte Lösungen.



Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ 7 Die Zweite Phase der Lehrerbildung wurde nicht reformiert, sondern deformiert. Ohne systematische Vermittlung fachdidaktischer Kompetenz in den Ausbildungsgruppen der Regionalseminare ist die Lehrerbildung nicht besser, sondern schlechter organisiert als bisher. Wenn heute die ‚Ausbildung der Ausbildungslehrkräfte’ neue Löcher in die Unterrichtsversorgung reißt, weil Mentoren zum Erwerb ihrer Fortbildungszertifikate freigestellt werden müssen, so ist das nur eines von vielen Ärgernissen. Weil aber eine gute Lehrerbildung eine der besten Qualitätssicherungsmaßnahmen für die Schulen ist, wird das, was jetzt angelaufen ist, nach unseren Vorstellungen keinen Bestand haben.
Eine ähnliche Fehlentwicklung ist jetzt auch bei der Ersten Phase der Lehrerbildung bereits ‚in der politischen Pipeline’. Dazu sage ich sage klipp und klar: Das Bachelor-Master-Modell ist für die Lehrämter ungeeignet. Die Zweistufigkeit des Studienaufbaus macht bei den Lehrämtern aus mehreren Gründen keinen Sinn.
1. Durch eine Trennung in fachwissenschaftliche Bachelor- und pädagisch-fachdidaktisch ausgerichtete Master-Studiengänge würde man den für eine gute Lehrerbildung wesentlichen Zusammenhang der Studienteile Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Pädagogik und Lehr- und Lernmethoden auflösen. 2. Wer für den Lehrerberuf zwei Abschlüsse braucht, der studiert eher länger als kürzer. 3. Die bisher in Deutschland installierten Studienkonzepte nach dem BA/MA-Modell sind so unterschiedlich, dass man nicht einmal mehr von Bielefeld nach Bochum wechseln kann: Hier wird ein integriertes Konzept angeboten, dort jedoch gilt die Trennung zwischen Fachwissenschaften (Bachelor) und Pädagogik/Didaktik (Master). Statt eines „europäischen Hochschulraumes’ entstehen also de facto neue hochschulpolitische Kleingärten. Das ist totaler Unfug.
Alles in allem ist das ein unausgegorenes Projekt. Schleswig-Holstein ist gut beraten, wie Baden-Württemberg, Bayern und Hessen beim Staatsexamens- Modell für die Lehrämter zu bleiben. Das wäre im Übrigen auch die beste Sicherung für eine schulartbezogene Lehrerbildung.
Zum Schluß noch einige kurze Anmerkungen zum Thema „Ganztagsangebote“. Die FDP setzt sich für offene Ganztagsschulen im Sinne eines komplementären Bildungsverständnisses ein. Der Vormittag soll dabei grundsätzlich dem Unterricht zugeordnet , also erkenntnisorientiert sein. Der Nachmittag soll hingegen (von Ausnahmen abgesehen) durch erfahrungsorientierte Aktivitäten ausgefüllt werden. Dieses Modell beruht auf der Überlegung, dass jenen Schülern, die Ganztagsangebote nachfragen, in ihrem sozialen Umfeld meist solche Erfahrungsfelder fehlen. [Vielleicht hat der eine oder andere im Auditorium früher bereits einen Vortrag des Kieler Pädagogik-Professors Hans-Carl Jongebloed gehört, an dessen Überlegungen zur Komplementarität als Bildungsprinzip unser liberales Ganztagsmodell anknüpft12.]
12 Vgl. dazu Hans-Carl Jongebloed, Bildung zwischen Tradition und Moderne. Festrede zum 25. Jubiläum der Außenstelle Bad Schwartau der Beruflichen Schule des Kreises Ostholstein in Eutin, 6. November 2003; ders., Das Prinzip „Komplementarität“ – oder: Zur argumentativen Rekonstruktion dualer Bildung: In: VLW Akzente. Berufsbildung in Schleswig-Holstein, Heft 1/2003, S. 26 – 42.
Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ 8
Entscheidend ist dabei 1. das Prinzip der Freiwilligkeit (Ganztagsangebot als Option, nicht als Pflicht), und 2. die Ausgestaltung dieses Ganztagsmodells nicht durch lehrplan- oder prüfungsrelevante Inhalte, sondern durch vielfältige Möglichkeiten, gemeinschaftlich in einer Gruppe neue Erfahrungsfelder zu erschließen. Dies kann gerne auch schulartübergreifend erfolgen, möglichst unter Einbeziehung von Vereinen, Jugendverbänden und ähnlichen vor Ort bestehenden Aktivitäten. Arbeitsgemeinschaften der Schule haben hier selbstverständlich ebenfalls ihren Platz.
Die vor uns liegende Arbeit wird sicher nicht einfach sein. Viele notwendige Schritte zur Verbesserung des Bildungsangebots – wie ich sie hier umrissen habe – sind auch mit mehr oder weniger hohen Kosten verbunden. Wir werden nicht alles auf einmal schaffen, und auch nicht alles sofort. Wir wollen aber die letzten verfügbaren Finanzmittel für eine gute Bildungspolitik mobilisieren und damit eine echte landespolitische Schwerpunktsetzung vornehmen. Gleichwohl sind die Möglichkeiten, zumal in der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise, begrenzt.
Ich setze aber darauf, dass wir gemeinsam mit vielen engagierten Lehrer, Schülern und Eltern in der Lage sein werden, die Schulen mit Vernunft und Tatkraft weiterzuentwickeln. Von einer guten Bildungspolitik wird mehr denn je die Zukunft unseres Landes bestimmt.
Auf diesem Weg sollten uns die Worte eines großen deutschen Liberalen, Gustav Stresemann, begleiten, der 1925 - in einer weitaus schwierigen Zeit - folgendes gesagt hat:
„Gerade in einer solchen Zeit, in der die Zukunft dunkel vor uns liegt, brauchen wir Lebensbejahung und Zukunftsglauben. Der nörgelnde Pessimismus, der überall nur mit Misstrauen der Entwicklung der Dinge gegenübersteht, der das Vertrauen auf die Menschen und die Völker verloren hat, die Schritte, die vorwärts getan werden, nicht anerkennt, leistet nichts Positives für die Zukunft. Wenn aus ihm vorwärtsstrebende Gedanken geboren würden, aus eigener Kraft dieses und jenes zu tun, wäre das anders.“13



13 Gustav Stresemann, Europäische Götterdämmerung [1925]. In: „liberal“ 45 (2003), Heft 2, S. 2. Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/