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03.05.04
13:59 Uhr
B 90/Grüne

Angelika Birk und Karl-Martin Hentschel schlagen eine Öffnungsklausel für kommunale autonome Schulen vor

Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Vorschlag für eine Öffnungsklausel Mobil: 0172/541 83 53
für kommunale autonome Schulen E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de

Türen auf für die neue Schule! Nr. 166.04 / 03.05.2004

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat einen Vorschlag für eine Öffnungsklausel für kommunale autonome Schulen erarbeitet. Dazu erklären Angelika Birk, bildungspoliti- sche Sprecherin und Karl-Martin Hentschel, Fraktionsvorsitzender:

Die Situation:
PISA hat uns bescheinigt, dass wir unser Schulsystem verändern müssen. Die skandina- vischen Länder machen uns vor, wie leistungsstarke Schulen aussehen können. Nicht durch ein mehr an Regulierungen und Prüfungen, sondern durch die Befreiung der Schu- len von staatlicher Regulation, durch einen Qualitätswettbewerb von autonomen Schu- len, die von ihren Kommunen getragen werden. Schulen die ganztätig geöffnet sind, in der alle, auch lernstarke und -schwache Kinder, 9 Jahre gemeinsam unterrichtet werden, in der individuell gefördert wird, weil Jugendarbeit, Jugendhilfe, Sport- und Kulturarbeit in der Schule integriert sind.
Eines der Hauptargumente in der Diskussion ist immer wieder, dass das alles viel mehr Geld kostet. Eine Studie der deutschen Bundesbank „Zur Entwicklung und Bedeutung der Bildungsausgaben in Deutschland“ vom Oktober 2003 hat das genaue Gegenteil er- geben: „Über alle Bildungsstufen hinweg gilt, dass in Deutschland – mit 6.850 gegenüber 5750 US-Dollar (internationaler Durchschnitt) pro Jahr – mehr für die Bildung eines ein- zelnen Schülers oder Studenten aufgewendet wird als im internationalen Vergleich. ... Wenn das deutsche Bildungssystem dennoch gravierende Schwächen hat, siehe PISA, dann greift es folglich zu kurz, wenn lediglich nach mehr Geld für die Bildung gerufen wird.“ Nur im Primarbereich wird in Deutschland weniger investiert als in anderen Staa- ten.
Die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das finnische System für Schleswig- Holstein umgerechnet und nachgewiesen, dass die Umstellung machbar ist und es sogar ermöglichen würde, das letzte Kindergartenjahr als kostenloses Pflichtjahr einzuführen, wenn die Oberstufen der Gymnasien zu Oberstufenzentren zusammengefasst werden und die Dreigliedrigkeit abgeschafft wird.
1/5 Leider sind die Beharrungskräfte immer noch größer als die Einsicht. Die CDU und FDP versuchen Arm in Arm mit unbeweglichen Interessensverbänden jede Diskussion über einen grundlegenden Systemwechsel mit der Drohung vom „Schulkampf“ zu tabuisieren.

Einen Anfang machen!
In dieser Situation hilft nicht die Brechstange, aber vielleicht ein biegsames Florett. Zum Glück gibt es in allen politischen Lagern viele, die zur Vernunft rufen. Wenn die Hand- werkerkammern von Hamburg und von Baden-Württemberg eine neunjährige Einheits- schule fordert, wenn der Unternehmerverband von Bayern in einer Studie dem dreiglied- rigen System keine Zukunft mehr bescheinigt, wenn der allgemeine Schulleitungsver- band die Forderung nach Selbständigkeit der Schulen und mehr Verantwortung der Rek- toren auf die erste Stelle seiner Agenda setzt, wenn der schleswig-holsteinische Ge- meindetag begeistert die Kommunalisierung von Schulen diskutiert, dann ist muss es doch möglich sein, das Eis zum Schmelzen zu bringen.
In Hessen hat sich eine Initiative für sogenannte Club-of-Rome-Schulen gebildet, in Kiel gibt es die Bildungsstiftung Schleswig-Holstein, die ebenfalls die Gründung einer ent- sprechenden Schule plant. Die Bildungsministerin Erdsiek-Rave hat dazu aufgerufen, ein soziales Netz um jede Schule zu bilden.
Schon jetzt zeigen uns in Schleswig-Holstein eine Reihe von Schulen in staatlicher oder freier Trägerschaft, wie eine Schule der Zukunft aussehen könnte. Allerdings müssen sich diese engagierten Pädagogen und Eltern noch häufig an den Gesetzen oder Ver- ordnungen abarbeiten, um überhaupt etwas anders machen zu dürfen.
Deshalb schlagen wir vor: Lasst die, die bereit dazu sind – sei es Schulen, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen, Kommunen, Eltern, Unternehmen usw. – es doch einfach ausprobie- ren. Schaffen wir im Schulgesetz die Möglichkeit, Schulen nach skandinavischem Vorbild zu gestalten – dann können wir ja sehen, wie diese Schulen bei Vergleichstests ab- schneiden. Und wenn sie erfolgreich ist, dann wird sie vielleicht die Zugkraft entwickeln, die nötig ist, um die anderen hinterher zu ziehen.

Wie also anfangen?
Zunächst sind die Rahmenbedingungen für einen solchen Schulversuch zu klären. Wie sollte eine solche Schule aussehen, wie ist sie angebunden, welche Ressourcen braucht sie?
1. Die Modelle sollen so gestaltet werden, dass sie einen Vorbildcharakter für das künf- tige öffentliche Schulwesen haben.
2. Es sollen keine neuen Schulgebäude gebaut werden – das wäre in Zeiten rückge- hender Schülerzahlen nicht zu rechtfertigen. Also muss eine bestehende Schule um- gewandelt werden. Sie muss aber als Ganztagsschule mit Kantine und Aufenthalts- räumen ausgebaut werden. Es bietet sich an, möglichst viele kommunale Einrichtun- gen wie Jugendzentrum, Bibliothek usw. in die Schule zu integrieren. Dafür ist der Zeitpunkt günstig, da ja die Bundesmittel für Ganztagsschulen als Investitionsmittel zusätzlich zum Schulbaufonds beantragt werden können. 3. Die Trägerschaft soll in kommunaler Hand liegen – denn nur dann ist sichergestellt, dass die Schule zum Bildungs- und Kulturzentrum im Ort bzw. im Stadtteil werden kann. Die neue Schule soll ganztätig geöffnet sein, für Unterricht, Betreuung, Ju- gendarbeit, Jugendhilfe, Bibliothek, Volkshochschule, Sport, Tanz, Kulturveranstal- tungen etc. – alles Aufgaben, die heute überwiegend in der Hand der Kommunen lie- gen.
4. Die Schule sollte völlig frei sein in der Organisation, in der Personalpolitik, in der Ges- taltung der Lehrpläne und der Verwendung ihrer Finanzen. Sie erhält eine bestimmte Durchschnittsumme pro SchülerIn pro Jahr und kann dann damit wirtschaften. Aller- dings kann die Kommune ihr Verwaltungsaufgaben, wie Personalverwaltung, Buch- führung usw. abnehmen.
5. Die Abschlüsse orientieren sich an bundesweit gültigen Standards. Nur so ist sicher- gestellt, dass die Abschlüsse auch bundesweit anerkannt werden. Prüfungen müssen vom Land abgenommen werden, so wie dies bei den freien Schulen heute schon ge- schieht.
6. Schulen in freier Trägerschaft dürfen sich mit Zustimmung der Kommunen an diesem Schulversuch beteiligen.
7. Die Schulen sollen wissenschaftlich begleitet und regelmäßig im Vergleich mit ande- ren Schulen evaluiert werden. Die Schulen brauchten auch gerade in der Anfangszeit erhebliche wissenschaftliche Unterstützung, um eine neue Didaktik und Pädagogik zu entwickeln. Dazu müssen temporär zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Diese sollten aber nicht Bestandteil des normalen Schuletats sein, sondern gesondert bereitgestellt werden.
8. Die Ergebnisse dieser Schulversuche werden kontinuierlich durch das Land überprüft und fließen in die Aus- und Fortbildung für alle pädagogischen Kräfte ein.

Was für eine Art von Schule soll es werden?
Das skandinavische Modell kennt vier Arten von Schulen: Grundschulen, Sekundar-I- Schulen und zwei Arten von Sekundar-II-Schulen, das Gymnasium (nur die Oberstufe) und die Berufsschule. Teilweise wird auch 9 Jahre durchgehend in einer Schule unter- richtet, teilweise dauert die Grundschule 6 Jahre und die Sekundar-I-Schule dann nur 3 Jahre.
All dies ist nicht entscheidend. Allein aus pragmatischen Gründen macht es Sinn, an der 4-jährigen Grundschule mit kurzen Wegen festzuhalten, da die Kinder nachher ohnehin zusammen bleiben. Es spricht aber einiges dafür, in der Sekundar-I-Schule gleich auf ei- ne 5-jährige Schulzeit zu gehen (insgesamt also 9 Jahre gemeinsamer Unterricht – und damit eine Verkürzung der Schulzeit um ein Jahr), da der Trend bundesweit in Richtung auf eine 12-jährige Gesamtschulzeit geht.
Nimmt man einmal die Berufsschulen raus, da diese mit dem Projekt „Regionale Berufs- bildungszentren“ sowieso schon auf einem neuen Weg sind, und ebenso die Förder- schulzentren, da diese einer gesonderten Diskussion bedürfen, so bleiben als mögliche Schultypen drei: a) Die Grundschule: Hier sollten nach skandinavischen Vorbild schrittweise zusätzliche Ressourcen bereit gestellt werden. Die wesentliche Veränderung wird die Ganztägig- keit sein, und die Ergänzung des Kollegiums um AssistentInnen (ErzieherInnen). Da- zu kommt die stärkere Individualisierung des Unterrichts (Lernmaterialien grundsätz- lich in mehreren Schwierigkeitsstufen). Da es schon eine Reihe von Grundschulen gibt, die neue offene Unterrichtsformen sehr erfolgreich praktizieren, kann an diese angeknüpft werden.
b) Die Mittelschule (Sekundar-I-Schule): Hier sind die größten Veränderungen erforder- lich. Die Binnendifferenzierung durch unterschiedliche Materialien und die Umstellung auf überwiegende Gruppen- und Selbstarbeit erfordern völlig neue Lehrpläne und neue didaktische Methoden. Die Lehrpläne sollten sich an Kompetenzmodellen auf Basis der bundesweit gültigen Standards orientieren. Diese zu erarbeiten, ist ohne Hilfe von außen (Hochschule, wissenschaftliche Berater) nicht zu leisten. Die Mittel- schule sollte mit dem Hauptschulabschluss, dem Realschulabschluss oder dem quali- fizierten Realschulabschluss enden. Der letztere berechtigt zum Besuch einer gym- nasialen Oberstufe.
c) Das Gymnasium (Oberstufenzentren): Mit der bereits von der Landesregierung ange- strebten Verlagerung von Ressourcen aus den Oberstufen in die Grundschulen - Die Bundesrepublik Deutschland gibt im internationalen Vergleich am meisten Geld für die kleinen Kurse in den Oberstufen aus, dagegen am wenigsten für die Grundschu- len - ergibt sich sowieso der Zwang zu verstärkter Kooperation der Oberstufen. Da bietet sich die Bildung von Oberstufenzentren geradezu an. Für die SchülerInnen ist es attraktiv - mehr Kursangebote, interessante College-Atmosphäre, mehr „außerschulische“ Angebote – die dann nicht mehr außerschulisch sind usw.. Ob das Gymnasium ein reines Kurssystem installiert, ob es eine feste Durchlaufzeit (3 Jahre) oder wie in Finnland eine variable Besuchsdauer - 2-4 Jahre je nach Leistungsfähig- keit der Jugendlichen - sollte dem Schulversuch überlassen werden.
Mehr als die grundsätzliche Festlegung dieser drei Schultypen ist nicht erforderlich – da soviel Autonomie wie möglich gewährt werden soll.

Was ist im Schulgesetz zu regeln?
1. Kommunen können Schulen in ihrem Gebiet vollständig in ihre Trägerschaft über- nehmen.
2. Die Schule erhält vom Land einen Betrag pro Kind, der 100 Prozent der durchschnitt- lichen Zuwendungen des Landes pro Kind für eine bestehende Schule beträgt. Die übrigen Kosten werden wie bisher von der Kommune getragen. Über die Verwendung der Mittel kann der Schulvorstand bzw. die RektorIn frei entscheiden. Entscheidungen über größere Investitionen sowie Neubau, Schließung, Zusammenschluss von Schu- len werden von der Kommune getroffen.
3. Die RektorIn einer solchen Einrichtung wird kommunale BeamtIn/Angestellte.
4. Die Schulkonferenz beschließt eine Schulverfassung, die von der Kommune geneh- migt werden muss. Darin wird Profil und Organisationsstruktur der Schule festgelegt. Der Rektor wird bei der Leitung der Schule von einem Schulvorstand begleitet, der sich aus Vertretern der LehrerInnen, der Eltern, der Kommune und gegebenenfalls von SchülerInnen zusammensetzt. Dieser fungiert auch als Schulleiterwahlaus- schuss.
5. Die neue Schule kann die Besetzung ihrer freien Stellen selbst bestimmen. Sie kann LehrerInnen aus dem Landesdienst übernehmen, aber auch eigene LehrerInnen, Betreuungskräfte, Lehrbeauftragte, PsychologInnen, Verwaltungskräfte, Hausmeiste- rIn usw. einstellen. Kommt eine LehrerIn aus dem Landesdienst, dann wird sie vom Land für diese Tätigkeit an die Schule abgestellt. Dafür wird ein fester Betrag, der dem Gehalt der LehrerIn entspricht, zwischen Schule und Land verrechnet. Die Leh- rerInnen, die sich an der Schule befinden und übernommen werden, sollen das Opti- onsrecht haben, an der Schule zu bleiben oder sich wegzubewerben. Die Bezahlung der angestellten LehrerInnen erfolgt nach Tarifvertrag.
6. Die staatliche Aufsicht erfolgt allein durch regelmäßige Evaluation der Schule und durch Abnahme der Abschlussprüfungen.
7. Alle sonstigen Bestimmungen in Gesetzen, Verordnungen und Erlassen werden für diese Schule außer Kraft gesetzt. Sie können durch eigene Regelungen auf Be- schluss der Schulkonferenz ersetzt werden.
8. Schulen in freier Trägerschaft können sich dem Modellversuch anschließen, indem sie einen Kooperationsvertrag mit der Kommune abschließen, in dem die Bereitstel- lung von kommunalen Ressourcen und die Beteiligung der Schule am kommunalen Leben geregelt wird.

Zusätzliche Unterstützung und Anreize für kommunale autonome Schulen
Die Schule schließt einen Kooperationsvertrag mit einer Universität (Flensburg, Kiel, evtl. auch Hamburg oder andere, die Interesse haben). Die Schule erhält für einen Über- gangszeitraum fest vereinbarte zusätzliche Ressourcen durch wissenschaftliche BeraterInnen, die vom Land finanziert werden. Diese arbeiten mit bei der Entwicklung von neuen Methoden und Lehrplänen und übernehmen selbst Teile des Unterrichts. Damit wird gewährleistet, dass die LehrerInnen die anfangs erforderliche zusätzlich Zeit für die Unterrichtsvorbereitung und für die Weiterbildung haben.

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