Karl-Martin Hentschel zur Kommunalreform
Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 30 – Förderung der interkommunalen Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Zusammenarbeit Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt der Fraktionsvorsitzende Telefax: 0431/988-1501 von Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Karl-Martin Hentschel: Internet: www.gruene-landtag-sh.de
Nr. 143.04 / 28.04.2004
30 Jahre Stillstand sind genug
Sehr geehrter Herr Präsident , sehr geehrte Damen und Herren,
wenn ein Land, das finanziell seit langem mit dem Rücken an der Wand steht, sich die teuersten Kommunen in ganz Deutschland leistet, dann wird es Zeit, dass sich das än- dert.
Es ist schon bezeichnend, dass ein basisdemokratisch organisiertes Land wie Dänemark darüber diskutiert, ob in Zukunft zwanzig- oder dreißigtausend EinwohnerInnen die Min- destgröße einer selbständigen Gemeinde sein soll, und sich in Schleswig-Holstein in 30 Jahren sogenannter freiwilliger Reform fast nichts bewegt hat.
Es ist auch bezeichnend, was der Gemeindetag dazu sagt: Die Kommunen wären des- halb so teuer, weil sie in Schleswig-Holstein mehr Aufgaben haben als anderswo. Daraus schließe ich, dass es konsequent wäre, Aufgaben zusammen zu fassen.
Aber was fordern die Kreise? Sie wollen noch mehr Aufgaben. Ich befürchte deshalb, wenn wir die Umwelt-, die Agrar- die Straßenverwaltung und die Katasterämter in den jetzigen Strukturen an die Kommunen geben würden, dann brauchen wir noch ein paar tausend Staatsdienerinnen und –diener mehr.
Immer wieder wird argumentiert, unsere kleinen Kommunen seien besonders bürgernah und demokratisch. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Strukturen sind undemokratisch, weil in den kleinen Gemeinden immer weniger entschieden wird. Dort aber, wo die Ent- scheidungen fallen, in den Ämtern, in den Zweckverbänden und in den ausgelagerten Gesellschaften, gibt es keine direkt gewählten Vertreter.
1/4 In den Kreisen gilt das gleiche. 80 bis 90 Prozent der Aufgaben sind staatlicher Natur – da dürfen die gewählten VertreterInnen nicht mitentscheiden, und der Rest ist meistens überkreislich organisiert oder ausgelagert, wie der Verkehr, der Abfall, die Wirtschaftsför- derung usw.
Unsere Strukturen sind auch nicht bürgerfreundlich. Wer in einer amtsangehörigen Ge- meinde lebt, hat es mal mit der BürgermeisterIn, mal mit dem Schulzweckverband, mal mit dem Amt, mal mit dem Kreis zu tun. Das ist nicht bürgerfreundlich, sondern verwir- rend.
Und die Zuordnung der staatlichen Behörden ist noch beliebiger – jede Verwaltung hat beinahe ihre eigene Gebietszuordnung – die Polizei, die Gerichte, die Finanzämter usw.
Meine Fraktion hat sich ein Jahr lang mit Kommunalpolitikern aus fast allen Kreisen Schleswig-Holstein zusammengesetzt und ein Konzept für eine Verwaltungsstrukturre- form vorgelegt.
Wir schlagen vor, die Ämter und kleineren selbständigen Gemeinden zu Amtsgemeinden zusammenzufassen, die mindestens ungefähr 20.000 Einwohner umfassen sollen mit ei- nem direkt gewählten Bürgermeister an der Spitze.
Diese Gemeinden können dann alle Aufgaben der jetzigen Kommunen und einen großen Teil der Aufgaben der Kreise und Zweckverbände übernehmen – von der Kfz-Anmeldung über das Bauamt, vom Jugendamt bis hin zur Schulträgerschaft – also ein Amt für alle Aufgaben, die den Bürger betreffen. Das schlagen wir vor. Denn das ist wirklich bürger- freundlich.
Wir schlagen weiter vor, innerhalb der Amtsgemeinden die kleinen Gemeinden beizube- halten – sie heißen dann Ortsgemeinden. Sie sollen für die Aufgaben zuständig sein, die vor Ort gelöst werden können: Die Kindergärten, die Feuerwehr, das Dorfgemeinschafts- haus usw.
Denn das ehrenamtliche Engagement ist uns wichtig und soll erhalten bleiben.
Dieses Modell haben wir uns nicht am grünen Tisch ausgedacht, das gibt es bereits in Rheinland-Pfalz – und wird dort mit großem Erfolg gelebt.
Wir schlagen weiterhin vor, die Kreise und kreisfreien Städte zu vier bis fünf Regionen zusammenzufassen. Eine dieser Regionen könnte die KERN-Region sein, eine andere der Landesteil Schleswig, eine Dritte die Region Unterelbe usw.
In der Region sollen für die Selbstverwaltungsaufgaben gewählte Regionalversammlun- gen und Ländräte zuständig sein. Zu deren Aufgaben gehören dann beispielsweise die Wirtschaftsförderung, der ÖPNV und die Regionalstraßen, Abfall, Gesundheitswesen, überörtliche kulturelle und soziale Einrichtungen und die kommunale Unweltverwaltung.
Als Krönung schlagen wir vor, die Regionalplanung – also die Aufstellung der Regionalentwicklungspläne - an diese Regionen zu übergeben. In diesen Regionen hätten die gewählten Kreistagsabgeordneten endlich wieder über alle Aufgaben der Regionalverwaltung und des Landrates zu entscheiden.
Auch dieses Regionalmodell haben wir nicht neu erfunden. Vor drei Jahren wurde die Region Hannover per Gesetz zu einer Region mit 1,1 Mio. Einwohnern zusammenge- fasst. Hannover – eine Stadt mit 600.000 EinwohnerInnen, ist seitdem keine kreisfreie Stadt mehr, sondern ein Stadt in der gemeinsamen Region.
Wir schlagen weiter vor, alle unteren Landesverwaltungen einheitlich entsprechend die- sen Regionen zu gliedern. Also pro Region eine Polizeidirektion, ein Landgericht, ein Amt für Umwelt und Landwirtschaft, ein Straßenbauamt, ein Amt für Arbeit und Gesundheit, ein Katasteramt usw.. Damit hätten wir eine einheitliche Verwaltungsstruktur und klare Ansprechpartner im ganzen Land.
Wir verstehen unseren Vorschlag nicht als fertiges Konzept, das wir den Bürgern Schleswig-Holsteins überstülpen wollen, sondern als einen Vorschlag an die BürgerIn- nen, Kommunen und Verbände, um gemeinsam über eine sinnvolle Struktur zu diskutie- ren.
Meine Erfahrung aus zahlreichen Diskussionen mit Kommunalpolitikern, Vertretern der Verwaltungen und BürgerInnen ist überraschend positiv.
In Fehmarn haben sich über 60 Prozent der BürgerInnen für einen Zusammenschluss ausgesprochen, obwohl dadurch die Eigenständigkeit der Kommunen verloren ging. Ich bin sicher, dass sich für eine Amtsgemeinde mit Erhalt der Ortsgemeinden noch viel mehr BürgerInnen ausgesprochen hätten.
In Sylt haben sich 75 Prozent der BürgerInnen für einen Zusammenschluss ausgespro- chen. Davon 50 Prozent für eine einheitliche Kommune. Und weitere 25 Prozent für den Zusammenschluss in einem Amt.
Ich vermute, dass sich für das Modell einer Amtsgemeinde mit einer einheitlichen Ver- waltung und einem gewählten Bürgermeister unter Beibehaltung der Ortsvertretungen mindestens diese 75 Prozent ausgesprochen hätten.
Auch beim Zusammenschluss meiner Heimatgemeinde Heikendorf mit Schönkirchen und Mönkeberg stellt sich dieses Problem. Das neue Amt hat zwar eine gemeinsame Verwal- tung, aber keine demokratisch gewählte Vertretung und keinen gewählten Bürgermeister. Deswegen unterstützen wir den gemeinsam mit der SPD eingebrachten Antrag, neue Formen von freiwilligen Zusammenschlüssen von Gemeinden in die Kommunalverfas- sung einzubringen.
Die vom SSW vorgeschlagene Übertragung des Eutiner Großgemeindemodells auf das ganze Land halte ich nicht für eine gute Lösung, da dann die sogenannten Dorfschaften nur noch den Status von Ortsbeiräten hätten.
Ich begrüße aber den Vorschlag, die Reform zügig bis zur Kommunalwahl 2008 durchzu- führen. Ich würde mich freuen, wenn sich die großen Fraktionen auch für eine zügiges Reformtempo entscheiden könnten.
Als ersten Schritt zur Regionenbildung schlagen wir vor, dass eine Region wie die KERN-Region einen Regionalverband bilden kann. Dieser soll eine Regionalversamm- lung haben, die der politischen Zusammensetzung der Kreistage entspricht und einen Vorstand, in den die Landräte und OberbürgermeisterInnen vertreten sind.
Wir schlagen weiterhin vor, dass im Rahmen der geplanten Novelle des Landespla- nungsgesetzes solchen Regionalverbänden die Regionalplanung übertragen werden kann.
Klaus Schlie hat angesichts der Ankündigung der Ministerpräsidentin, den Zusammen- schluss von Gemeinden finanziell zu unterstützen, von der Zerstörung der Ehrenamtlich- keit in den Gemeinden gesprochen.
Es ist schon bemerkenswert: Nach 30 Jahren gescheiterter Kommunalreform, nach jah- relangen Diskussionen im Landtag und einem glasklaren Bericht des nun wirklich nicht rot-grünen Landesrechnungshofes schreit Herr Schlie Zeter und Mordio, weil ein freiwilli- ges Angebot gemacht wird.
Herr Schlie: Wem nach 30 Jahren Stillstand beim ersten Schritt bereits vor Angst die Ho- se runterrutscht, von dem ist nicht zu erwarten, dass er die Probleme dieses Landes lö- sen kann.
Eine Partei, deren KommunalvertreterInnen aus Angst vor Veränderung sogar die Mehr- heit von 75 Prozent der BürgerInnen auf Sylt ignorieren, die hat nicht begriffen, in wel- cher Lage sich dieses Land befindet.
Ich bin jedenfalls froh, dass diese Regierungskoalition den Mut hat, auch ein Jahr vor der Landtagswahl unbequeme Themen anzupacken.
***