Uwe Greve: Lesen erzeugt Phantasie Phantasie erzeugt Innovationskraft
Nr. 156/04 11. März 2004 IM SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN LANDTAG PRESSEMITTEILUNG PRESSESPRECHER Torsten Haase Landeshaus, 24105 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 E-mail: info@cdu.ltsh.de Internet: http://www.cdu.ltsh.deBildungspolitik TOP 13 Uwe Greve: Lesen erzeugt Phantasie – Phantasie erzeugt InnovationskraftWas man nicht aufschreibt, ist nie gewesen, lautet ein deutsches Sprichwort. Das Aufgeschriebene ist das kollektive Gedächtnis der Menschen. Lesen eröffnet uns das Wissen der Menschheit. Neben der Sprache ist es die zentrale Kulturtechnik.Im Stand der Pflege einer Sprache und der Lesekultur zeigt sich, ob eine Kultur aufsteigt oder verfällt. Unzureichende Sprachpflege in Deutschland und verfallende Lesekultur sind zwei Seiten derselben Medaille.Was auch in unserem Lande verkannt wird, ist die Tatsache, dass lesearme Zeiten immer auch phantasiearme Zeiten sind. Und wo die Phantasie verkümmert, verkümmert die Innovationskraft. Und wo die Innovationskraft verkümmert, ist wirtschaftliche Niedergang vorgezeichnet.Von den zahlreichen Ursachen, die zur heutigen Misere geführt haben, möchte ich nur die negative Besetzung des Begriffes Leistung durch die Bildungsreformer der siebziger und achtziger Jahre erwähnen. Lesen lernen ist eben auch Leistung. Das Gerede vom angeblich übertriebenen Leistungsdruck war ein bedeutendes Signal für die Reduzierung von Anforderungen an Schüler, nicht nur im Bereich von Sprache und Lesen, sondern auch in anderen Bildungsfeldern von der Mathematik bis zur Geschichte. Viele dieser Defizite sind bis heute nicht ausgeräumt.Erinnert sei an die berüchtigten hessischen Rahmenrichtlinien im Fach Deutsch in den siebziger Jahren. Dort hatten Literatur und Dichtung keinen besonderen Rang mehr. Asterix war gleich Hölderlin. Die Sprache war nur noch als Ausdrucksmöglichkeit angeblich unüberwindbarer gesellschaftlicher Konflikte wichtig. Der Besinnungsaufsatz wurde zur Strecke gebracht. Die Rezitation von Gedichten und Balladen auf ein Minimum eingeschränkt.Wer nicht liest, so sagt ein thailändisches Sprichwort, erfährt nichts über schlechte Erfahrungen vergangener Generationen und muss sie deshalb leidvoll wiederholen. Hätten die mittelalterlichen Bürgermeister das in den Bibliotheken der Klöster erhaltene Antike Wissen über Hygiene genutzt, hätte es das Drama von Pest- und Cholera-Epidemien In Europa nie gegeben, bei dem Millionen von Menschen elendiglich zugrunde gingen.Die Pflege der Lesekultur muss deshalb wieder eine zentrale Aufgabe unserer Bildungspolitik sein.Dieses Bildungsziel ist leichter erreichbar als andere. Denn Lesen dient nicht nur, wie schon Goethe formulierte „Erkenntnis und Belehrung“, sondern auch „Genuss und Belebung“.Wer die Lesekultur fördern will, kommt mit Lesewettbewerben an und zwischen Schulen nicht aus. Gleichwohl sind sie bedeutende Beiträge, das Lesen populärer zu machen.Besonders wichtig scheint es mir, dass im Deutschunterricht, nachdem Kinder die Technik des Lesens erlernt haben, das Lesen von Novellen, Erzählungen und Gedichten wieder eine größere Rolle spielt.Wer die Lesekultur fördern will, muss sich aber auch Fernsehsendungen am Nachmittag vorstellen können, in denen Märchen und Geschichten erzählt werden, in denen z. B. auch Jugendschriftstellerinnen und –schriftsteller aus ihren Büchern vorlesen. Das würde die Phantasie zuschauender Kinder und Jugendlicher fördern, ganz im Gegenteil zu den Zeichentrickfilmen, die in so großer Zahl Kinder- und Jugendsendungen prägen.Wer die Lesekultur fördern will, muss auch grundsätzlich unserer Sprache wieder einen höheren Wert geben. Einer der großen Aufgaben der deutschen Kulturpolitik ist die Gründung eines deutschen Sprachinstituts, das sich systematisch der Pflege unserer Sprache widmet. In Italien gibt es so etwas seit 1560, in Frankreich mit der Akademie Francaise seit 1635. Wir überlassen die Fortentwicklung unserer Sprache derzeit der Werbung und oft auch fragwürdigen Rittern des Zeitgeistes.Wer die Lesekultur fördern will, muss sich auch mit dem Elend der deutschen Jugendzeitschriften auseinandersetzen. Wer die drei auflagenstärksten in die Hand nimmt – „Bravo“, „Starflash“ und „Mädchen“ – findet ein Gemisch von Starkult, Konsumanimation und Frühsexualisierung in einer Sprache, die die englische Sprachwissenschaft ironisch als „denglish“ und nicht mehr als deutsch bezeichnet. Sachbuch und Literatur, aber auch Baukunst und Malerei oder populäre Wissenschaft kommen praktisch nicht vor. Wenn wir uns weiter nur resigniert abwenden, wird sich nichts ändern. Die Politik muss den Mut haben, sich mit den Verantwortlichen für diese Zeitschriftinhalte kritisch auseinanderzusetzen.Nicht zuletzt kann – spezifisch für Schleswig-Holstein – das von uns vorgeschlagene Literaturfestival sich positiv auf die Lesegewohnheiten von Kindern und Jugendlichen in unserem Landes auswirken. Denn angedacht ist, dass Schriftsteller, Dichter und Autoren vormittags in Schulen lesen und mit den Schülern diskutieren. Impulse solcher Art können allemal das Interesse am lesen stärken.