Lothar Hay zu TOP 2: Starke Länderparlamente stärken die Demokratie
Sozialdemokratischer Informationsbrief Kiel, 10.03.2004 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell TOP 2 – Regierungserklärung zur Modernisierung der bundesstaatlichen OrdnungLothar Hay:Starke Länderparlamente stärken die Demokratie„Der Föderalismus in Deutschland ist gekennzeichnet von gemeinsamer Verantwor- tung für das Ganze, von Solidarität und der Vielfalt der Länder mit ihrer unterschiedli- chen Geschichte, Kultur, Gebietsstruktur und Bevölkerungszahl. Föderalismus ermög- licht den Ländern, eigene Wege der Aufgabenerfüllung zu entwickeln. Er gewährt zu- sätzliche Möglichkeiten demokratischer Teilhabe in Wahlen und Abstimmungen und fördert regionale Identität und Bürgernähe.“ Vor fast genau einem Jahr, am 31. März 2003, wurden diese Worte Inhalt und Be- schluss der „Lübecker Erklärung“ der deutschen Landesparlamente. Sie haben an Ak- tualität und grundsätzlicher Bedeutung nichts eingebüßt, und es ist den Länderparla- menten und deren Präsidenten zu verdanken, dass die so genannte Föderalismusde- batte in Gang gebracht wurde, und zu der „Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ führte, die jetzt in zwei Arbeits- gruppen die Diskussion führt.Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat mit seinem sehr frühzeitigen interfraktionel- len Beschluss dazu beigetragen, das Bewusstsein für das Thema bundesweit zu schärfen. An dieser Stelle sei der treibenden Kraft in der Anfangsdiskussion und dem weiteren Verfahren, unserem Landtagspräsidenten Heinz-Werner Arens, für sein ho- hes Engagement gedankt. Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-Die Debatte zu führen, ist wichtig und notwendig. Wir sollten uns jedoch keine Illusio- nen darüber machen, dass die Menschen im Lande bisher an dieser Debatte in keiner Weise interessiert sind. Dies kann man den Menschen auch solange nicht verdenken, solange wir nicht zu konkreten Forderungen kommen, die mittelbar oder unmittelbar in die Lebenswirklichkeit eingreifen. Abläufe müssen beschleunigt, die Beteiligung der Länderparlamente verstärkt, und ein neues Verhältnis von Bundesrat und Bundestag entwickelt werden.Menschen, die konkrete Probleme haben – und die Zahl derer ist bedauerlicherweise nicht kleiner geworden, – interessieren sich für Entscheidungen, interessieren sich für Politik, die etwas bewegt. Davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. Ziel muss sein, auch im Interesse der Politik insgesamt zu konkreten, klar vermittelbaren Ergeb- nissen zu kommen. Und dies in einem akzeptablen Zeitraum. So viel vorweg.Im Artikel 30 des Grundgesetzes heißt es: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine anderen Regelungen trifft oder zulässt.“ Daran orientieren wir uns als Landesparlament gern. Sicher sind wir an den zu kritisierenden bestehenden Ver- hältnissen nicht unschuldig, wenn wir als Parlamentarier einen zu geringen Informati- onsfluss von Seiten der Regierungen hingenommen haben.Unbestritten Recht hat die Ministerpräsidentin mit der Aussage, dass Parlament und Regierung aufeinander angewiesen sind, wenn es um Zukunftsfragen unserer bun- desstaatlichen Ordnung geht. Deshalb sind wir froh, dass Gedankenspiele, die Län- derparlamente aus der Debatte vollkommen heraus zu halten, letztlich nicht umgesetzt worden sind.Was die Menschen interessiert, ist die konkrete Beschleunigung von Entscheidungs- abläufen durch die Politik. Nehmen wir die hoch komplizierten Vermittlungsverfahren aus den letzten Monaten, die in ihren Abläufen den Bürgerinnen und Bürgern nicht vermittelbar waren. Der Vermittlungsausschuss ist zu einem Gremium geworden, das -3-– demokratisch nicht legitimiert – Diskussionen unter Ausschluss der Öffentlichkeit führt und Beschlüsse fasst, bei denen die Menschen nicht mehr nachvollziehen kön- nen, wer sich wie verhalten hat und welche inhaltliche Position vertreten worden ist. Es wird in diesem Zusammenhang von „Blockade“ gesprochen, wenn die Bundesrats- mehrheit nicht mehr der Mehrheit im Bundestag entspricht und die Ländervertretung quasi zum „Gegenparlament“ wird, was sie nicht sein soll.Wenn ich dies für die SPD sage, dann weiß ich, dass auch wir in der Vergangenheit der Neigung erlegen sind, die Chancen zur Blockade an der einen oder anderen Stelle zu nutzen, wie es heute CDU und CSU tun.Auch in diesem für jeden spürbaren Bereich müssen wir zu Regelungen kommen, die die Verantwortlichkeit stärken und notwendige politische Entscheidungswege be- schleunigen. Unsere internationale Konkurrenzfähigkeit im wirtschaftlichen Bereich und bei vielen anderen Fragen wird auch von der Fähigkeit zur Veränderung unserer politischen Strukturen abhängig sein.Im gemeinsamen Papier der Fraktionsvorsitzenden, das auch Herr Kayenburg mitfor- muliert hat, heißt es: „Das verkrustete System koordinierenden Föderalismus hemmt Innovationen im öffentlichen und privaten Bereich. Nur wenn es gelingt, die verschie- denen Formen von Mischverantwortungen, Gemeinschaftsaufgaben und horizontalen Ausgleichmechanismen zu lösen, erhalten alle Ebenen endlich wieder Gestaltungs- möglichkeiten. Jede Einheit braucht eine ausreichende Leistungskraft, die sie in die Lage versetzt, vorhandenen Raum nutzen zu können.“ Dem stimme ich im Kern natür- lich zu, mache aber gleichzeitig deutlich, dass ich in der Frage der Gemeinschaftsauf- gaben eine abweichende Position schon aus den Interessen unseres Landes deutlich machen muss. Es ist aus Sicht eines Landes zwischen den Meeren nicht denkbar, dass der Küstenschutz beispielsweise als Gemeinschaftsaufgabe aufgegeben werden kann. -4-Und als Gegenposition zur Interessenlage anderer Beteiligter stimme ich folgender Formulierung ohne wenn und aber zu: „Der ursprüngliche Gestaltungsföderalismus hat sich zu einem bloßen Beteiligungsföderalismus reduziert. Wer die fortschreitende Schwächung der Landesparlamente stoppt, stärkt die Demokratie.“Wenn die südlichen Länder mehr Wettbewerb zwischen den Ländern fordern, so darf man diejenigen, die aus der Solidarität über Jahrzehnte ihre Vorteile gezogen haben, darauf hinweisen, dass die Herstellung annähernd gleicher Lebensverhältnisse in ganz Deutschland in der Tat zu unserem Selbstverständnis als föderale Republik gehört. Ich teile die Position der Ministerpräsidentin, dass die Solidarität zwischen den Ländern erheblich wichtiger ist als der Wettbewerb. Wenn nach Art. 30 Grundgesetz die Aus- übung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben grund- sätzlich Sache der Länder ist, dann müssen die Länder selbst in die Lage versetzt werden, ihre Angelegenheiten eigenständig zu regeln.Dies setzt natürlich eine ausreichende Finanzausstattung der Länder voraus. Der Grundsatz der Konnexität, wie er bei uns in Schleswig-Holstein zwischen Land und Kommunen bereits festgeschrieben ist, muss nach unserer Überzeugung im Grundge- setz verankert werden. Werden also Länder und/oder Gemeinden durch Vorschriften des Bundes finanziell belastet, dann muss der Bund hierfür einen finanziellen Aus- gleich schaffen.Wir müssen über die Neuerungen der Finanzbeziehungen sprechen, wir müssen über die Gemeinschaftsaufgaben sprechen, wir müssen über das System der Finanzhilfen des Bundes sprechen und wir müssen über eine Veränderung der Gesetzgebungs- kompetenz der Länder im Steuerrecht sprechen. Es muss gelten, dass jede Ebene au- tonom über die Aufgaben, ihre Einnahmen und Ausgaben entscheiden kann. Wenn Aufgaben wieder in die Länder zurückgeführt werden, brauchen diese zur Kompensa- tion der Ausgabenlast eine Verbesserung der Einnahmen. Die Landtage müssen da- her eine originäre Gesetzgebungskompetenz der Länder im Steuerrecht einfordern. Dies gilt vor allem bei Steuern, deren Ertrag ohnehin den Ländern zugute kommt. Hier -5-gibt es einen überparteilichen Konsens in den Länderparlamenten, den die SPD- Fraktion unterstützt.Ein bedeutendes weiteres Manko für die Länderparlamente besteht im Fehlen einer unmittelbaren Mitwirkung auf bundes- und europäischer Ebene. Selbst auf verfas- sungspolitische Grundentscheidungen im föderalen System der Bundesrepublik und in der europäischen Union können sie keinen mitentscheidenden Einfluss nehmen. Nicht einmal dort, wo eigene Kompetenzen berührt sind. Die Forderungen der Lübecker Er- klärung: „Die Landesregierungen haben zum frühest möglichen Zeitpunkt die Landes- parlamente über alle Bundesratsangelegenheiten zu unterrichten, die für das Land von herausragender politischer Bedeutung sind und wesentliche Belange des Landes be- rühren. Die Landesregierungen haben den Landesparlamenten Gelegenheit zur Stel- lungnahme zu geben und diese zu berücksichtigen.“ Dies hört sich wie eine Selbstver- ständlichkeit an. Aber es ist noch nicht überall selbstverständlich. Die Länderparlamen- te müssen dies mit Nachdruck einfordern.Um es noch einmal deutlich zu machen, wie im gemeinsamen Papier der Fraktions- vorsitzenden aller Parteien gefordert, wird es um eine kritische Bestandsaufnahme bei der Frage gehen, welche Bereiche wirklich einer bundeseinheitlichen Regelung bedür- fen. Wir wollen als Länder und als Länderparlamente wieder substantielle Regelungs- befugnisse. Dies darf nicht beim Jagdwesen und der lokalen Freizeitlärmbekämpfung enden, sondern es muss erheblich weiter gehen.Die Ministerpräsidenten und der Konvent der Länderparlamente schlagen für das Ver- hältnis von Bund und Ländern eine neben die konkurrierende Gesetzgebung tretende Vorranggesetzgebung vor. Der Bund soll in diesem Bereich sein Regelungsrecht be- halten, die Länder aber können von der Regelung des Bundes abweichende Gesetze beschließen, die auch dann in Kraft bleiben, wenn der Bund seinerseits novelliert. Die Bundesregierung schlägt stattdessen vor, den Spielraum des Bundesgesetzgebers für Öffnungs- und Experimentierklauseln zugunsten der Länder zu vergrößern. Dieser Vorschlag trifft sich mit der Forderung der Länderparlamente. Allerdings möchte die -6-Bundesregierung, dass bei Einfügung von Öffnungsklauseln in Bundesgesetze im Ge- genzug die etwaige Zustimmungsbedürftigkeit des jeweiligen Gesetzes entfällt.Einige Beteiligte sind für die vollkommene Abschaffung der Rahmengesetzgebung. Die Länderparlamente sind aber grundsätzlich für die Beibehaltung als Mittel der Stärkung der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder. Ich persönlich kann mich auch mit der For- derung anfreunden, dass Bundesrecht zukünftig mit einer von vornherein beschränk- ten Geltungsdauer erlassen werden soll. Darüber sollten wir allerdings auch auf Län- derebene nachdenken.Deutlich wird aus unserer Debatte, wie vielschichtig und kompliziert die aktuelle Situa- tion ist. Gleichwohl sollte Politik darum bemüht sein, möglichst schnell zu einem Er- gebnis zu kommen.Es bleibt ein weiterer Punkt, der dringend geregelt werden muss. Die Regelung fast al- ler europäischer Angelegenheiten durch die Länder geschieht heute als reines Regie- rungshandeln. Die Länder sind nur über die Landesregierungen im Bundesrat vertre- ten. Dort geben die Regierungen völlig autark ihre Voten ab. Die Länderparlamente bleiben Zaungäste und am Ende in einer reinen Akklamationsrolle. Wenn im europäi- schen Verfassungsentwurf mehrfach der Begriff Subsidiarität verwendet wird, dann kann sich dieser nicht nur auf das Verhältnis Europa und Nationalstaaten beziehen, sondern muss auch Bedeutung bekommen im Verhältnis von Bund und Ländern. Im Klartext: Entscheidungen sollen dort getroffen werden, wo sie bürgernah und praktisch durchgeführt werden können. Auch dies muss bei einer Neuordnung des föderalen Prinzips beachtet werden.Es kommt darauf an, dass am Ende der Diskussion eine Entscheidung zur Stärkung der Länderparlamente steht, eine Entscheidung für mehr Demokratie, eine Entschei- dung für klare und nachvollziehbare Strukturen im Interesse der Menschen. In diesem Sinne lassen Sie uns in den nächsten Monaten gemeinsam für eine durchgreifende Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung streiten.