Martin Kayenburg: Mehr Wettbewerb unter den Bundesländern erforderlich
Nr. 141/04 10. März 2004 IM SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN LANDTAG PRESSEMITTEILUNG PRESSESPRECHER Torsten Haase Landeshaus, 24105 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 E-mail: info@cdu.ltsh.de Internet: http://www.cdu.ltsh.deInnenpolitik TOP 2 Martin Kayenburg: Mehr Wettbewerb unter den Bundesländern erforderlichWenn wir heute über den deutschen Föderalismus diskutieren, stellen wir damit die Frage nach der Zukunft und Kompetenz der Landesparlamente und offenbaren gleichzeitig unser Selbstverständnis als Parlamentarier.Die Väter des Grundgesetzes haben sich 1949 - nach der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus, die auch durch eine zentralistische Staatsform in Deutschland begünstigt wurde, - ganz bewusst für den bundesstaatlichen Föderalismus entschieden.Diese deutsche Form des Föderalismus ist einerseits gekennzeichnet von gemeinsamer Verantwortung für das Ganze und von Solidarität und andererseits von der Bewahrung der Vielfalt der Länder mit ihren unterschiedlichen geschichtlichen und kulturellen Wurzeln und einer durch Wettbewerb sowie politische Landesentscheidungen gewollten und bedingten unterschiedlichen Gebietsstruktur, wirtschaftlichen Entwicklung und Bevölkerungszahl.Diese ausgewogene Balance zwischen Einheit und Vielfalt, zwischen Subsidiarität und Solidarität hat sich viele Jahre, insbesondere in der schweren Zeit des Wiederaufbaus in Deutschland, bewährt. Diese kontrollierte Gestaltung unserer Republik hat unserem Land einen festen Platz in den Demokratien und rechtstaatlichen Ordnungen in Europa und der Welt gesichert. Sie führte zu allgemeiner Anerkennung bei unseren Nachbarn und über die Grenzen Westeuropas hinaus.Gleichwohl ist unser föderales System, unsere bundesstaatliche Ordnung, in die Jahre gekommen und reformbedürftig. Das ist gerade in den letzten Jahren und Monaten besonders deutlich geworden, in denen vor allem viele - auch sogenannte - Reformen in Deutschland auf der Agenda standen.Das im Grundgesetz angelegte, ausgewogene Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern hat sich doch im Laufe der Jahre mehr und mehr zugunsten des Bundes verschoben. Der Bund hat in erheblichem Umfang von seinem Recht aus der konkurrierenden Gesetzgebung und von seinem Rahmenrecht Gebrauch gemacht. Die Folge ist eine zunehmende Zentralisierung der politischen Entscheidungen. Berlin wurde überwiegend zum Zentrum aller politischen Entscheidungen in Deutschland - zum Teil durchaus gewollt und durch die Länder selbst verschuldet. Die Gesetzgebung der Länder, das heißt auch unseres Schleswig-Holsteinischen Landtages, hat sich weitgehend reduziert auf mehr oder weniger unbedeutende Ausführungs- und Ergänzungsgesetze zum Bundesrecht.Sie wissen es doch alle selbst und stellen mit Bedauern fest: Viele der Tagesordnungspunkte unserer Plenarsitzungen beschäftigen sich deswegen auch gar nicht mit landespolitischen Themen. Viel zu häufig fordern wir wegen dieser Verschiebung die Landesregierung auf, auf Bundesebene auf die Gestaltung eines Bundesgesetzes Einfluss zu nehmen. Damit erleben wir das gestörte Gleichgewicht, die Unausgewogenheit in der Kompetenzverteilung eigentlich in jeder Plenartagung. Wir sind immer mehr zu Zuschauern des Geschehens geworden und immer weniger die Entscheidenden.Der besonders aufwendige und komplizierte Mitwirkungsföderalismus hat sich auch zu einem Hemmschuh für Reformen und Veränderungen in Deutschland entwickelt. Lähmung und gegenseitige Blockade sind die Folge. Zentralistisch regierte Staaten in Europa sind heute in ihren Entscheidungen viel schneller.Ein besonders auffälliges Beispiel für Fehlsteuerungen durch den Föderalismus in seiner aktuellen Ausprägung war für mich das Vermittlungsverfahren zu den Reformgesetzen im Dezember vergangenen Jahres. Letztlich haben in diesem besonders zähen Verfahren die Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden entschieden, wo es lang geht. Der Bundestag hat die Entscheidungen nur noch abgenickt. Die Länderparlamente waren ohnehin nur Zuschauer. Das ist für mich reiner Exekutiv-Föderalismus, bei dem demokratische Legitimation sowie Transparenz und Effektivität politischen Handelns weitgehend verloren gehen. So kann es nicht weiter gehen!Wir haben nur eine Chance, den Reformstau in Deutschland aufzubrechen, wenn wir die Kompetenzen der deutschen Länderparlamente wieder stärken und dem Föderalismus eine neue, europagerechte, moderne Ausprägung geben. Wir müssen weg von einem Mitwirkungsföderalismus, bei dem alle staatlichen Ebenen, vom Bund bis zu den Kommunen, in der jeweils anderen Ebene nicht nur mitreden wollen, sondern auch mitbestimmen können. Wir müssen weg von einem Zustand, bei dem sich alle Ebenen gegenseitig blockieren und am Ende überhaupt nichts mehr entschieden wird. Eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung ist meines Erachtens deshalb dringend erforderlich, um den Wettbewerb zwischen den Ländern wieder möglich zu machen.Wir Schleswig-Holsteiner haben diese Situation bereits frühzeitig erkannt. Mit einem gemeinsamen Antrag aller im Schleswig-Holsteinischen Landtag vertretenen Parteien haben wir bereits im September 2001 einmütig einen Resolutionsantrag zur Stärkung des Föderalismus in Deutschland verabschiedet. Wir können zu Recht stolz darauf sein, dass auf unsere Initiative der Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente am 31. März 2003 in der Hansestadt Lübeck zustande kam. Mit der „Lübecker Erklärung der deutschen Landesparlamente“ haben wir die Initiative für eine Fortentwicklung des Föderalismus in Deutschland ergriffen. Dabei gebührt unserem Präsidenten, dem Kollegen Heinz-Werner Arens, ganz besonders Dank und Anerkennung. Mit unermüdlichem Engagement hat gerade er sich für die Länderparlamente - als vom Volk gewählte oberste Organe der politischen Willensbildung - stark gemacht.Ich habe seinerzeit in Lübeck drei Forderungen erhoben, die mir bei einer Reform und Stärkung des Föderalismus besonders wichtig erscheinen und die ich noch einmal in Erinnerung rufen will:• Wir wollen vor allem die Stärkung der Gesetzgebungskompetenz der Länder. • Wir wollen die Mitwirkung der Landesparlamente im Bundesrat. • Wir wollen eine Finanzreform, die eine Neugestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern vorsieht.Eine Reform, eine Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung, ist meines Erachtens nur dann ein Erfolg, wenn die Entscheidungskompetenz und Eigenverantwortung der Länder gestärkt wird. Der Bund als Gesamtstaat soll nur für die Dinge zuständig sein, die im Interesse des Volkes einheitlich geordnet werden müssen, aber auch wirklich nur für diese Dinge. Die Kompetenzzuordnung in der konkurrierenden Gesetzgebung muss deshalb erheblich zurückhaltender ausfallen und neu definiert werden, wenn sie schon nicht gänzlich wegfallen kann.Inzwischen hat die „Kommission zur Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung“ ihre Arbeit aufgenommen. Unter Leitung von Edmund Stoiber und Franz Müntefering wird in sehr enger Tagungsfolge und mit großem Engagement von Bundestagsabgeordneten aller Parteien, den Ministerpräsidenten der Länder und zahlreichen Sachverständigen erfreulich sachbezogen und ernsthaft an einer Reform gearbeitet. Unserem hartnäckigen Drängen, insbesondere auch dem unseres Präsidenten, ist es zu verdanken, dass auch die Länderparlamente in den Arbeitsgruppen vertreten sind. Und während Ministerpräsident Steinbrück aus Nordrhein-Westfalen sich zusammen mit den anderen Ministerpräsidenten-Kollegen sehr konstruktiv in die Diskussion mit einbringt, können wir Frau Ministerin Lütkes dankbar sein, dass sie Frau Simonis mit so großem Engagement vertritt.Die Diskussionen in der Kommission und ihren Arbeitsgruppen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen der Erhaltung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse in den Ländern und damit zentralistischen Tendenzen einerseits und einem reinen Wettbewerbsföderalismus andererseits.Sicher ist es leichter, aus der Sicht Bayerns, Baden-Württembergs oder Nordrhein- Westfalens dem Wettbewerbsföderalismus das Wort zu reden. Aber auch als Vertreter eines kleinen Landes möchte ich mich grundsätzlich für den Wettbewerbsföderalismus aussprechen, da seine Chancen, auch für kleine Länder, meines Erachtens größer sind als die Risiken. Zu einem eigenständigen Bundesland gehört eben mehr, als nur am Tropf der Bundesergänzungszuweisungen und des Länderfinanzausgleichs zu hängen.Auch ein kleines Land kann sich durch gezielte Förderung seiner natürlichen Stärken im Wettbewerb aller Länder durchaus behaupten. Ich denke dabei in Schleswig- Holstein ganz besonders an die maritimen Technologien, an die Medizintechnik und die Biotechnologie, aber auch an den Tourismus. Soll die Kommission Erfolg haben, ist es besonders wichtig, dass bei der künftigen Kompetenz- und Finanzverteilung pragmatische Lösungen gefunden werden, die den deutschen Föderalismus revitalisieren und zukunftsfähig machen. Dieses Ziel wird nach meiner Wahrnehmung von allen Teilnehmern der Föderalismuskommission ohne Vorfestlegungen diskutiert und intensiv verfolgt.Dabei stehen neben der konkurrierenden Gesetzgebung und der Rahmengesetzgebung des Bundes ganz besonders die Gemeinschaftsaufgaben nach Artikel 91 a und 91 b sowie die Finanzhilfen nach Artikel 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes auf dem Prüfstand.Wenn wir der Auffassung sind, dass Bildungspolitik und Hochschulpolitik ganz klar die wichtigsten Kompetenzen der Länder sind, dann gehört der Ausbau und Neubau von Hochschulen und Hochschulkliniken selbstverständlich auch in die alleinige Kompetenz der Länder. Zusammen mit den anderen CDU/CSU-regierten Bundesländern spreche ich mich deshalb dafür aus, diese Aufgabe allein den Ländern zuzuordnen. Dabei ist mir natürlich klar, dass die Finanzierung das größte zu lösende Problem ist. Allein eine Veränderung der Steuerverfassung, das heißt eine Änderung des Verteilungsschlüssels der Gemeinschaftssteuern, wird dabei nicht ausreichen. Auch bei einer bloßen Verteilung der Bundesmittel nach dem Königsteiner Schlüssel würde sich für Schleswig-Holstein eine Schlechterstellung ergeben. Das werden wir uns bei der derzeitigen Finanzlage nicht leisten können. Es wird also darauf ankommen, eine Lösung zu finden, die eine Dynamisierung der Mittel festschreibt. Als Basis soll der Durchschnitt der letzten Jahre gelten, um die von der Bundesregierung neuerdings vorgenommenen Kürzungen wenigstens teilweise zu kompensieren. Der Schlüssel soll sich zudem nach den bisherigen tatsächlichen Zuweisungen richten, um auch den finanzschwachen Ländern den Aus- und Neubau von Hochschulen zu ermöglichen. Zu den Fragen der Finanzierung sind die Sachverständigen in der Kommission ganz besonders gefordert. Ich hoffe, dass die morgen in Berlin stattfindende Anhörung auch hierzu Lösungen aufzeigt.Auch die Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ hat sich als insgesamt sehr starr und unbeweglich erwiesen. Auch diese Aufgabe sollte allein den Ländern zugeordnet werden. Erforderliche Finanztransfers könnten über Artikel 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes abgewickelt werden.Eine Gemeinschaftsaufgabe, die Schleswig-Holstein ganz besonders betrifft, ist die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“. Dabei habe ich den Vorschlag gemacht, die Komplexe „Agrarstruktur“ und „Küstenschutz“ - auch im Hinblick auf die von uns favorisierte einheitliche Küstenwache - grundsätzlich zu trennen. Sie haben außer einer gemeinsamen Zuständigkeit der Agrarminister nichts miteinander zu tun.Grundsätzlich sollte die Förderung der Agrarstruktur eine Landesaufgabe sein, wenngleich ich einräume, dass die enge Verflechtung mit der EU-Agrarpolitik auch eine Bundeszuständigkeit rechtfertigen könnte. Hierzu sind sicher noch vertiefende Diskussionen in der Kommission erforderlich.Der Küstenschutz hingegen, der ohnehin schon zu 70 Prozent aus Bundesmitteln finanziert wird, sollte ganz in die Bundeszuständigkeit übergehen. Das besonders starke finanzielle Engagement des Bundes macht doch deutlich, dass es sich überwiegend um eine nationale Aufgabe handelt. Das schließt allerdings nicht aus, dass die Aufgabenerledigung weiterhin als Auftragsverwaltung - ähnlich wie bei Bundesstraßen und Bundesautobahnen - durch Landesbehörden erfolgt.Die Bildungsplanung und Förderung der Forschung ist hingegen aus meiner Sicht etwas differenzierter zu betrachten. Die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung sollte generell aufgelöst werden. Bei der Forschungsförderung, vor allem der Förderung von Großforschungseinrichtungen, können einzelne Länder aber überfordert sein. Deswegen sollte die außeruniversitäre Großforschung weiterhin in die Kompetenz des Bundes fallen.Ein weiterer Bereich, in dem die Länder mehr Kompetenzen bekommen sollten, ist nach meiner Ansicht das öffentliche Dienstrecht. Denkbar wäre, dass das Statusrecht beim Bund verbleibt, die Ausführung, insbesondere aber das Besoldungsrecht, den Ländern übertragen wird.Last but not least ist eine Reform der Mitwirkung der Länderparlamente im Bundesrat dringend erforderlich. Die Landesregierungen haben verfassungsrechtlich das Mandat, die Interessen ihrer Länder über den Bundesrat auf der Bundesebene wahrzunehmen. Die Landtage werden als vom Volk gewählte oberste Organe der politischen Willensbildung dabei geradezu in eine Zuschauerrolle gedrängt. Auf den Gebieten, die die Länder unmittelbar betreffen, haben die Parlamente somit kein Mitspracherecht auf Bundesebene. Das Parlament erfährt oft erst im Nachhinein, welche Position die Landesregierung im Bundesrat vertreten hat. Das ist ein unbefriedigender Zustand und bedarf dringend der Änderung. Mit unserem gerade vorgelegten Parlamentsinformationsgesetz haben wir hier in Schleswig-Holstein einen Schritt in die richtige Richtung getan.Ich möchte mich abschließend noch einmal grundsätzlich für mehr Wettbewerbsföderalismus aussprechen. Dabei ist mir durchaus klar, dass die finanziellen Folgen gerade für finanzschwache Länder wie Schleswig-Holstein nicht übersehen werden dürfen.Auch dürfen wir die Wahrung der einheitlichen Lebensverhältnisse nicht aus den Augen verlieren. Es wird also darauf ankommen, eine gesunde Balance zwischen Wettbewerbsföderalismus und der Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse herzustellen. Das sollten wir miteinander diskutieren, auch unter dem Aspekt, welche Rolle Europa in diesem Zusammenhang übernehmen will und soll.Ich wünsche mir einen Wettbewerbsföderalismus mit so viel Land wie möglich und so viel Bund wie nötig! Ich hoffe, dass die Kommission zur Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung in diesem Sinne ihre Arbeit auch zum Wohle unseres Landes an Ende dieses Jahres erfolgreich abschließen kann.