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18.11.03
14:11 Uhr
SPD

Rolf Fischer und Ulrike Rodust: Neue Nachbarn - Ansätze einer neuen europapolitischen Konzeption für Schleswig-Holstein

Sozialdemokratischer Informationsbrief
Kiel, 18.11.2003, Nr.: 175/2003


Rolf Fischer und Ulrike Rodust:
Neue Nachbarn
Ansätze einer neuen europapolitischen Konzeption für Schleswig-Holstein
Der Arbeitskreis Europa der SPD-Landtagsfraktion hat ein europapolitisches Konzept für Schleswig-Holstein erarbeitet, das die Arbeitskreisvorsitzende Ulrike Rodust und der Europolitiker und Vorsitzende des Europa-Ausschusses des Schleswig- Holsteinischen Landtages, Rolf Fischer heute der Presse vorgestellt haben.

I. Handlungsbedarf
Die anstehende EU-Erweiterung, die Neugestaltung des europäischen Mehrebenen- systems (Konvent, Kompetenzen, Zuständigkeiten, Förderpraxis usw.) sowie auch die bundesdeutsche Föderalismusdebatte werden Konsequenzen unterschiedlicher Art für Schleswig-Holstein haben; sie sind an sich schon Anlässe genug, um die Konzeption schleswig-holsteinischer Europapolitik neu zu diskutieren. Über zehn Jahre nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ ist es ohnehin Zeit für eine Neubestimmung.
Dazu kommt: Der Europa-Bericht 2001 belegt, dass Schleswig-Holstein – Land und Gesellschaft - über ein sehr hohes Maß an europapolitischer Kompetenz und an Bereitschaft zum entsprechenden Engagement verfügt. Allein der Umfang des Berichtes lässt die Potentiale unseres Landes in diesem Politikfeld deutlich erkennen; die Themenvielfalt – repräsentiert durch die Arbeit der politischen Institutionen und der gesellschaftlichen Akteure – ist eindrucksvoll und beweist, dass unser Land europapolitisch gut erschlossen ist. Die Liste der genutzten Förderprogramme ist äußerst positiv. Und doch gibt es für mich wichtige Punkte, die nicht oder nur z.T. dargestellt werden: Dazu gehören analytische und konzeptionelle Ansätze, tatsächliche Profilbildung und perspektivische Vorschläge. Diese Punkte sind aber für die Arbeit in diesem Feld Vor- aussetzung, weil sie die eigentliche Basis für Planung und Umsetzung von Europapoli- tik abgeben.
Europapolitik verlangt – wie jedes Politikfeld – konkrete Zielorientierung und verfah- rensleitende Schritte, dieses Ziel zu erreichen. Dazu gehören sowohl eine strategische als auch eine konzeptionelle Ebene und die Entscheidungsbereitschaft, Politikfelder zu bewerten und ggf. neu zu bestimmen. Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



Ich plädiere deshalb für eine neue, zweite Phase unserer Europapolitik, die neue Nachbarn für unser Land gewinnt.
II. Ansätze
Die zutreffende und im Bericht als erster Satz herausgehobene Feststellung „Europa- politik ist in Deutschland auch Länderpolitik“ ist ein Ansatz dafür. Dieser Satz ge- winnt seine programmatische Stärke noch deutlicher durch die Umkehrung: „Auch Länderpolitik ist in Deutschland Europapolitik“; d.h. die Länder sind gefordert ihre europapolitischen Vorstellungen festzulegen und umzusetzen.
Sie verpflichten sich dieses Politikfeld zu definieren und auszugestalten. Dieser Ansatz geht weit über die Beteiligung an europäischen Prozessen und Vermittlung von För- derprogrammen hinaus. Der Umstand, dass es sich bei der Europapolitik zunehmend um eine „Innenpolitik“ und nicht mehr um einen Teil der „Außenpolitik“ handelt, sei hier nur erwähnt.

Sie könnte sich zuerst an folgenden Fragen orientieren:
• Welches ist unser spezifisches europapolitisches Leitbild? Und wie verhin- dern wir durch die Querschnittsqualität der Europapolitik den Eindruck von Beliebigkeit? • Wie können wir regionale und europäische Identität verbinden und somit Eu- ropapolitik erfolgreich politisch, ökonomisch, kulturell und sozial im Bewusst- sein der Menschen verankern? • Müssen wir uns nicht profilbildend von den Europapolitiken anderer Bundes- länder unterscheiden? Wenn ja, wie? • Welches sind in diesem Feld unsere Stärken und Schwächen und welche Konsequenzen ziehen wir daraus? • Gibt es eine europapolitische Öffentlichkeit in Schleswig-Holstein? Benöti- gen wir sie nicht, um den Menschen Ängste zu nehmen?
Aus diesen analytischen Fragen kann man politische Schwerpunkte bilden, die es dann anhand von konkreten Projekten durch die entsprechenden Instrumente umzu- setzen gilt.
III. Die konzentrischen Kreise
Am Anfang muss eine von eine Regierung und Parlament geführte Initiative zur Neu- bestimmung der schleswig-holsteinischen Europapolitik stehen. Die Politik würde somit auch stärker als Akteur denn als Dienstleister wahrgenommen. Anstoß für eine solche Diskussion könnte folgender Ansatz sein:
Die neue Konzeption einer Europapolitik für Schleswig-Holstein orientiert sich an einer -3-



„Politik der konzentrischen Kreise“ und findet ihre Begründung in der geopoliti- schen Situation des Landes. Sie ist das „Dach“ für die im Bericht genannten Aktivitä- ten.
1. Im Zentrum: Schleswig-Holstein.
Wir geben den Anstoß und begreifen unser Land als eine aktive Region für und in Eu- ropa. Wir wissen, dass in Zukunft die europäische Dimension auch für die Menschen in Schleswig-Holstein an Bedeutung gewinnen wird. Diesen Prozess gestalten wir zum Vorteil unseres Landes:
• Konzeptionell, indem wir unsere Ziele beschreiben und mit den Bürgerinnen und Bürgern abstimmen, Identität schaffen und Ängste vor dem fernen Europa abbauen; • organisatorisch, indem wir unser know how und unsere Erfahrung anbieten, indem wir weiter Strukturen ausbauen oder schaffen, um erfolgreich auch alle finanziellen Chancen zu nutzen; • psychologisch, indem wir den Menschen vermitteln, dass wir in SH von einer gewachsenen politischen und administrativen Infrastruktur profitieren.
Dazu gehört auch das Angebot einer „europatauglichen“ Verwaltung; d.h. obligato- rische Kenntnisse über europäischen Strukturen und Anforderungen in unserer Ver- waltung, um die Chancen Europas für die Menschen in SH optimal zu nutzen.
2. Erster Kreis: Schleswig-Holstein und seine unmittelbaren Nachbarn.
Europapolitik wird umso konkreter empfunden, je direkter der unmittelbare Kontakt ist. In geopolitischer Betrachtung ist es richtig, nach Osten an der Entwicklung der Öre- sund-Region teilzuhaben. Hier ist der Anfang gemacht. Die Kontakte nach Norden, zum dänischen Nachbarn sind in Teilen ausgeprägt (Interreg etc.), zum Teil in der Entwicklung begrif- fen (z.B. Umsetzung des Abkommen mit Sonderjylland noch ohne Kontur), als westli- che Partner bieten sich Großbritannien und Niederlande an. Sie sind bisher als Schul/Städtepartnerschaften und ökonomisch von (allerdings großer) Bedeutung; hier wäre ein neuer strategischer Ansatz zu finden, um diese Kontakte zu optimieren. Mit Hamburg als südlichem Nachbarn ist ein gutes Konzept der Zusammenarbeit auf dem Weg, ohne allerdings als Teil europapolitischer Aktivität deutlich zu werden (Ausnah- me Hanse Office ).
Zusammengefasst: Orientierung Osten gut, Süden und Norden entwicklungsfähig, Westen sehr entwicklungsfähig. Wir sind in Teilen aktiv, es fehlt aber ein umfassendes Konzept der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, dass vorbildhaft wirken kann; Schwerpunkte könnten sein: Verstärkung grenzüberschreitender Arbeitsmarkt, Ausbau wissenschaftlicher Aktivitäten, Identitätsbildung der Region usw. In diesen Zu- sammenhang sei erinnert, dass mit der voraussichtlichen Veränderung der Fördermit- -4-



tel ohnehin eine Phase der Konzentration der Aktivitäten einzuleiten wäre. Dies leitet über zum nächsten Kreis.
3. Zweiter Kreis: Schleswig-Holstein in der NordOstseeregion
Der Bericht führt in seinen Abschnitten vielfältige Beispiele auf, die unter folgenden Punkten europapolitisch eingeordnet werden könnten: Die Notwendigkeit der grenzüberschreitenden Kooperation verbindet SH (DK) mit Niedersachen(NL) und Mecklenburg-Vorpommern(PL). Es besteht in dieser Frage eine norddeutsche „Triangel“, die es auszubauen und vielleicht abzugleichen gilt. Koopera- tion der drei Grenzregionen (Themen siehe oben, Kompetenzen SH?): Dies ist bisher in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit kein Ansatz.
Dieser Aspekt betont den Aufbaus einer umfassenden Norddeutschen Zusammen- arbeit der Länder. Die kulturelle Identität der norddeutschen Länder ist für das zukünftige Europa der Regionen von entscheidender Bedeutung. Die norddeutschen Länder müssen sich auf eine Arbeitsteilung in Richtung Europa einigen, damit die Re- gion Norddeutschland nicht abgehängt wird; nicht in Europa und nicht in Deutschland. Bereits bestehende gute Aktivitäten verschwinden – zusammenhanglos - im Bericht in den Präsentationen der einzelnen Ministerien.
Wir sollten alle Partnerschaften auf ihre tatsächliche politische Werthaltigkeit für SH überprüfen. Sinnvoll wäre es ein System regionaler Zusammenarbeit nach konkre- ten politischen Bezügen aufzubauen; d.h. hochentwickelte Partnerregionen in Europa anhand von konkreten ökonomischen, ökologischen, sozialen oder kulturellen Projek- ten festzulegen. Diese Partnerschaften könnten zeitlich begrenzt sein und sollten sich nicht nur auf die Ostseeregion beziehen. Oder anders gesagt: Wir suchen neue Nach- barn – nicht nur geographisch, sondern politisch!
Welches könnten in diesem zweiten Kreis unsere spezifischen Schwerpunkte sein? Schleswig-Holstein muss seinen Schwerpunkt Ostseekooperation fortsetzen. Das ist eine Stärke, die uns noch von den anderen Bundesländern unterscheidet und uns einen politischen Vorsprung gibt. Allerdings bedarf auch die zehn Jahre alte Ostsee- kooperation einer Neubestimmung; im Ostseeraum ist nationalstaatliche Konkurrenz gewachsen, andere Bundesländer – nicht nur aus Norddeutschland – haben die Regi- on entdeckt und bei uns ist die Phase der Netzwerkbildung m.E. in großen Teilen ab- geschlossen. Hier müssen wir festlegen, welche Themen – möglichst mit positiven kulturellen und ökonomischen Folgen – für SH zukünftig wichtig werden. Generell lässt sich sagen, dass wir uns konzentrieren müssen auf regionale Schwerpunkte; nicht alle Koopera- tionsvereinbarungen/Partnerschaften können auf gleichem Standart geführt werden.
Schleswig-Holstein muss das norddeutsche Interesse an gemeinsamer Kooperation auch nutzen, um den „Nordseeraum“ intensiver als bisher zu betrachten. Hier liegen große ökonomische Potentiale ( siehe Außenwirtschaftsbericht 2001, Gesundheitsko- operation mit Norwegen) und kulturell-politische Ansätze von Minderheitenfragen über -5-



Tourismus hin zur Grundsatz-Politik von Regionen. Die Zahl der Schul/Hochschulpartnerschaften ist sehr groß, ohne von uns politisch genutzt zu wer- den (s. Kl.Anfrag „Nordseekooperation“ Fischer) Dies wäre ein neuer programmati- scher Ansatz in SH und könnte die bisherigen wenigen Projekte (verantwortlich Min.länd.R.) ergänzen.
Mit diesem doppelten Ansatz verbindet Schleswig-Holstein als „Land zwischen den Meeren“ die Ostseeregion mit der Nordseeregion. Im Rahmen der Politik des „region building“ könnte unser Land bei der Entwicklung der Großregion „NordOstsee“ ho- hen Anteil haben. Die im Europa-Bericht administrativ nach Ministerien geordneten Ak- tivitäten müssten dann diesem Schema eingepasst werden.
4. Dritter Kreis: Schleswig-Holstein und Europa.
Die Einbindung unseres Landes in die Aktivitäten und Debatten der „großen“ Euro- papolitik wie z.B. Erweiterung, Konvent, Föderalismus, AdR usw. ist im Bericht um- fassend dargestellt. Sie betreffen SH wie alle anderen europapolitischen Akteure und wir müssen uns dazu verhalten. Hier wäre zu prüfen, ob SH ein aktivere Rolle im Bundesrat (Europakammer, Aus- schuss für Fragen der Europäischen Union) zu Europathemen übernehmen könnte. Bisher gehen auf dieser Ebene nur wenige Impulse von uns aus und es entwickelt sich keine europapolitische Öffentlichkeit in SH, die Vorstöße positiv bewerten könnte. Zu sehr werden einzelne Aspekte als Fachpolitik gewertet.
IV. Profile
Abschließend soll kurz auf die Frage der europapolitischen Besonderheiten unseres Landes eingegangen werden. Ich nenne mehrere Bereiche, die uns von den anderen norddeutschen Ländern unterscheiden bzw. in Kooperation mit ihnen realisiert werden und die profilbildend sein könnten (ohne andere Bereiche aus den Augen zu verlie- ren):
• Wir sind das nördlichste Bundesland. Und dementsprechend verfügen wir über eine hohe nordeuropäische Kompetenz. Gerade Bereiche wie Windener- gie oder Küstenschutz sind beispielhaft.
• Wir sind in der Ostseepolitik vorn. Und dementsprechend können wir unser Wissen und unsere Erfahrung in die norddeutsche und bundesweite Debatte einbringen. Ohne Kopie zu sein, kann auch die Nordseekooperation davon pro- fitieren.
• Wir sind „Minderheitenland“. Die Entwicklung europaweiter Minderheitenpolitik kann – bei Weiterentwicklung unserer Minderheitenpolitik - von uns beeinflusst werden zum wechselseitigen Nutzen. -6-



• Wir sind „Kulturland“. SH hat frühzeitig diesen Aspekt europapolitisch themati- siert und im norddeutschen Raum auch politisch besetzt. Diesen bisher unter- schätzten Ansatz gilt es fortzuführen.
• Wir sind „Gesundheitsland“. SH kann sich auf diesem Gebiet von der Medizin- technik über Wellnessangebote bis zur wissenschaftlichen Forschung weiter e- tablieren.
• Und wir sind „ Maritimes Zentrum“. SH verfügt über große Ressourcen in der maritimen Industrie – vom Schiffbau über die maritime Wissenschaft bis zur High-Tech-Industrie. Ein Schwerpunkt mit Tradition und Zukunft.
Es wäre anzuraten, eine Zeitplanung zur Umsetzung dieser Konzeption zu entwi- ckeln. Es ist anzumerken, dass mit dem Jahr der Europa-Wahl 2004 und mit den EU- Beitritten eine neue „Zeitrechnung“ beginnt. Bis 2006 laufen die Antragstellungen der Förderprogramme, so dass auch dieses Datum berücksichtigt werden muss. Daraus ist zu folgern, dass wir im mit Beginn des kommenden Jahres, als Beitrag zum Europa- Wahlkampf, mit der Ausarbeitung dieses Vorschlages beginnen könnten.
Unsere Europa-Politik kann in der Fortsetzung der erfolgreichen Ostseepolitik auch ein Politikfeld mit Zukunft sein, wenn wir neue regionale Nachbarn entdecken. Europapoli- tik hat längst die Dimension der Außenpolitik verloren; sie ist Teil eine Binnenstrategie, in der sich die Bundesländer positionieren müssen.