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29.08.03
16:59 Uhr
SPD

Wolfgang Baasch zu TOP 19: CDU setzt ideologische Scheuklappen auf

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 29.08.2003 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! aktuell Sperrfrist: Redebeginn

TOP 19 – Ablehnung der Einführung einer Bürgerversicherung im Gesundheitswesen


Wolfgang Baasch

CDU setzt ideologische Scheuklappen auf

Der vorliegende Antrag der CDU-Fraktion ist wieder einmal ein typischer Antrag des Kollegen Kalinka. In Bausch und Bogen wird eine Bürgerversicherung im Gesund- heitswesen ausgeschlossen. Im Anschluss an diese kategorische Feststellung werden dann in sechs Punkten Ziele formuliert, die eine langfristig wirkende Veränderung un- seres Gesundheitssystems erreichen sollen.

Die CDU-Fraktion und der Kollege Kalinka machen es sich wieder einmal sehr, sehr einfach. Sie setzen ihre ideologischen Scheuklappen auf und hoffen, dass sie mit einer oberflächlichen Feststellung, Ablehnung einer Bürgerversicherung im Gesundheitswe- sen, eine Diskussion vermeiden können. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, so einfach wird es nicht gehen. Mit Ihrem Antrag werden Sie nicht hier die Dis- kussion um eine Bürgerversicherung unterbinden können, Sie werden sie nicht mal in Ihrer eigenen Partei unterbinden können.

Natürlich sind es für Sie vielleicht die üblichen Verdächtigen, wenn ich Heiner Geißler, Horst Seehofer oder den Vorsitzenden Ihrer CDU-Arbeitnehmervereinigung Hermann Josef Arentz zitiere. Drei Sozialpolitiker in der CDU, die sich offen für eine Bürgerver- sicherung ausgesprochen haben bzw. sehr deutlich sagen, dass unser Gesundheits- system einer breiteren, umfassenderen finanziellen Grundlage bedarf. Jener Hermann Josef Arentz, zum Beispiel, bat um eine offene Debatte in der Union zum Thema Bür- Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/13 07 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



gerversicherung. Er sagte: „Die Absicherung der sozialen Risiken auf der schrumpfe n- den Basis der Arbeitnehmerlöhne führt zu immer höheren Beiträgen der gesetzlichen Versicherungen oder zu immer mehr Löchern in der Versorgung der Menschen.“ Und wer sich dieser Herausforderung stellt, der muss einfach nach einer Verbreiterung der Grundlagen suchen, mit denen die soziale und solidarische Absicherung großer Risi- ken wie Krankheit und Pflege notwendig sind.

Eine solidarische Bürgerversicherung bedeutet nicht nur eine Reform der Finanzierung des Gesundheitswesens, sondern darüber hinaus ist sie auch eine Antwort auf gesell- schaftliche Herausforderungen an unseren Sozialstaat. Hinter allem, was die Zukunft unseres Sozialstaates anbelangt, steht die Kernfrage nach dem solidarischen Zusam- menhalt in unserer Gesellschaft. Wir wissen alle, auch Sie, Herr Kalinka, dass der jetzt ausgehandelte Kompromiss zur Gesundheitsreform Probleme auf Dauer nicht lösen wird. Auf Dauer heißt, dass wir gern über die Anzahl der Jahre, die uns die in Berlin ausgehandelte Gesundheitsreform an Zeit bringen wird, diskutieren können, aber wir wissen vor allem, dass wir spätestens in einigen Jahren grundlegende Reformen für die Finanzierung unseres Gesundheitssystems brauchen werden.

Wir brauchen notwendige Strukturreformen, mit denen unser Gesundheitssystem e f- fektiver und menschlicher gestaltet werden kann. Wir brauchen ein Finanzierungssys- tem, das den Faktor Arbeit entlastet und damit auch ökonomisch neuen Herausforde- rungen gerecht wird. Die notwendigen Strukturreformen müssen zu mehr Qualität, zu mehr Effizienz, zu weniger Verschwendung und zu mehr Prävention im Gesundheits- system führen. Mittelfristig brauchen wir im Gesundheitswesen einen Paradigmen- wechsel zu einer Medizin, die stärker am individuellen Patientenwohl und weniger am technisch Möglichen ausgerichtet ist. Statt dessen dreht sich die gesundheitspolitische Debatte seit Jahren vor allem um die Höhe des Beitragssatzes. Wir brauchen aber keine isolierte Diskussion über Beitragssätze, sondern grundsätzlich eine gerechte und dauerhafte Reform der Einnahmenseite der gesetzlichen Krankenversicherung. Und da kann eine solidarische Bürgerversicherung im Gesundheitswesen für den Krank- heits- und Pflegefall eine Möglichkeit sein. -3-



Ich sage dies sehr bewusst – eine Möglichkeit sein. Wir sollten uns die Diskussion darüber heute nicht durch einen ideologischen Schnellschuss verbauen. Die Ausdeh- nung des Versichertenkreises auf die Wohnbevölkerung, die Einbeziehung aller Ein- kommensarten sowie die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und der Versiche- rungspflichtgrenze wären wesentliche Faktoren der Weiterentwicklung der Finanzie- rung einer wettbewerbsorientierten gesetzlichen Krankenversicherung. Eine solidari- sche Bürgerversicherung könnte hierfür die Überschrift sein.

Nun zu den Punkten 1 bis 6 zum Antrag der CDU. Zu Punkt 1: Im Mittelpunkt des Gesundheitswesens stand und steht der Patient – ja, dies ist richtig und dies soll auch in Zukunft so sein. Worauf haben sich SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag geeinigt? Die Bela nge der Patientinnen und Patienten stehen im Zentrum der Reform, denn die gesetzliche Krankenversicherung dient den Menschen. Sie erwartet eine qualitativ hochwertige humane Versorgung in Medizin und Pflege, die allen Menschen ohne Ansehen des Alters oder der finanziellen Leistungsfähigkeit zugute kommt. Und es wird auf Bundesebene dem Anliegen der Pa- tientinnen und Patienten durch Bestellung eines Patientenbeauftragten Rechnung ge- tragen. Man höre und staune, die CDU auf Bundesebene in der Bundestagsfraktion stimmt der Einrichtung eines Patientenbeauftragten zu. Eine Diskussion, die sich in Schleswig-Holstein sicherlich ganz anders stellen würde. Womit wir wieder beim The- ma ideologische Scheuklappen wären!

Zu Punkt 2: Alle Versicherten haben den gleichen Anspruch auf die notwendige medi- zinische Versorgung unabhängig von Alter, Geschlecht und Einkommen. Auch dies hat man auf Bundesebene in den gesetzlichen Regelungen zur Umsetzung der Eckpunkte zur Gesundheitsreform vereinbart. Ich glaube sowieso, dass Ihr Punk t 2 eher dazu dient, eine Diskussion innerhalb der CDU zu führen, denn in dieser Frage scheint mir der größte Klärungsbedarf in der CDU selbst zu liegen – oder warum fordert Frau Klei- ner den Rücktritt des Bundesvorsitzenden der Jungen Union? -4-



Zu Punkt 3: Wettbewerb und Transparenz im Gesundheitssystem einfordern – eine sehr platte und wenig differenzierte Aussage. Welche Erfolge hat denn der Wettbe- werb der Krankenkassen z. B. bisher gebracht? Der Wettbewerb der Krankenkassen hat bereits in der Vergangenheit zu absurden Ergebnissen geführt. Nicht Wettbewerb um Qualität, sondern Wettbewerb um Versicherte ohne Risiko war eine Überschrift in vielen Diskussionen. Oder was ist mit Wettbewerb bei Ihnen gemeint? Bei Transpa- renz wird es doch eher darum gehen, Angebote, Leistungen, Kosten und Qualität ü- berprüfen zu können. Um all dies in Zukunft verbessert zu gewährleisten, soll die so- genannte intelligente Gesundheitskarte die bisherige Krankenversicherungskarte ablö- sen. Also auch in diesem Punkt ist der Antrag der CDU eher hilflos. Er bleibt unbe- stimmt und ist ein Hinweis darauf, dass sich im Rahmen der Eckpunkteumsetzung CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schon auf ein Verfahren geeinigt haben. Dies macht die Qualität Ihres Antrages auch an dieser Stelle deutlich.

Da die Zeit nicht mehr ausreicht, um auf alle einzelnen Punkte einzugehen, hier nur noch der Hinweis auf den Punkt 6, die Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger in die gesetzliche Krankenversicherung. Dies zu befürworten ist schön. In der Zukunft wird im Rahmen der Umsetzung der Eckpunkte im Gesundheitssystem festgestellt: Sozial- hilfeempfänger, die nicht in der gesetzlichen Krankenve rsicherung sind, werden künftig mit GKV-Versicherten gleich behandelt. Auch hier kommt der Antrag der CDU zu spät.

Ich will keinen Hehl daraus machen, dass ich das Ergebnis, den ausgehandelten Kompromiss zur Gesundheitsreform, wie er jetzt im Bundestag von den Fraktionen SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebracht wird, nicht für ausreichend halte. Ich glaube, die eigentlich notwendigen Strukturreformen sind noch nicht auf den Weg gebracht, die abhängig Beschäftigten werden stark belastet, und die paritätische Finanzierung des Gesundheitssystems wird immer mehr durchlöchert. Berechnet man die Gesundheitskosten, die zukünftig für die Versicherten entstehen, z. B. ab 2005 a l- lein den Zahnersatz und ab 2007 privat das Krankengeld zu versichern, führt das in der Konsequenz dazu, dass Versicherte nicht weniger Beiträge zahlen werden. Entlas- tet werden allein die Arbeitgeber. -5-



Das Positive, das dieser Gesundheitsreform abzugewinnen ist, ist der Zeitgewinn: Viel- leicht verschafft er uns die Luft, die Zeit für einige wenige Jahre, um für eine wirkliche Änderung bei einem wirklichen Paradigmenwechsel in der Finanzierung unseres Ge- sundheitssystems zu gewinnen. Wenn dann als Ergebnis eine solidarische Bürgerver- sicherung auf den Weg gebracht werden kann, war der jetzige Kompromiss vielleicht ein Schritt in die Richtung eines Gesundheitssystems, das solidarisch und zukunftsfä- hig ist und das Prinzip Solidarität zu Ende gedacht hat und mit Finanzierbarkeit verein- bart.

Ihren Antrag, meine Damen und Herren von der CDU, werden wir ablehnen.