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29.08.03
16:57 Uhr
SSW

SSW unterstützt Forderung nach Bürgerversicherung

Südschleswigscher Wählerverband Schleswig-Holsteinischer Landtag im Schleswig-Holsteinischen Landtag Düsternbrooker Weg 70 D - 24105 Kiel Tel. (0431) 988 13 80 Fax (0431) 988 13 82

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Kiel, den 29.08.2003 Silke Hinrichsen Es gilt das gesprochene Wort
Nicht zuletzt durch das Zutun der Berliner Opposition - lautet die Maxime in der Gesundheitspolitik zunehmend: jeder ist sich selbst am nächsten.


TOP 8 Bürgerversicherung im Gesundheitswesen (Drs. 15/2835)

Wer sich Hoffnungen gemacht hat, dass die Krise der Gesetzlichen Krankenversicherung jetzt
endlich den Druck zu wirklichen Reformen des Gesundheitswesens bringen würde, sieht sich
wieder einmal enttäuscht. Spätestens seit den Konsensgesprächen in Berlin ist klar, dass - wie
bei den letzten Gesundheitsreformen - einmal mehr die Patienten die Verlierer sind. Innovati-
ve Ansätze in der Gesundheitspolitik wurden beerdigt. Statt dessen dürfen die Patientinnen
und Patienten die Suppe auslöffeln. Deshalb mutet Punkt 1 des CDU-Antrages auch wie Hohn
an. „Im Mittelpunkt des Gesundheitswesens stand und steht der Patient“, schreibt der Kollege
Kalinka. Richtiger wäre es, hinzuzufügen: Im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Interesses des
Gesundheitswesens steht der Patient.

Denn was hat die CDU in der Reformdebatte erreicht? - Die Leistungsanbieter und die Phar-
maindustrie können weiter machen wie bisher. Dabei spielen gerade sie eine nicht unbeträcht-
liche Rolle bei den Kostensteigerungen, weil sie die Nachfrage nach ihren eigenen Dienstleis-
tungen zum Teil selbst steuern können. Wichtige Reformen wie die Einführung einer Positiv-
liste für Arzneimittel oder der Einstieg in ein primärärztliches Versorgungssystem, von Ex-
perten seit langem gefordert, bleiben wieder auf der Strecke. Die CDU hat es einmal mehr ge-
schafft, eine anständige Modernisierung der Versorgungsstrukturen zu verhindern; die kosten-
treibende Rolle der Kassenärztlichen Vereinigungen bleibt offensichtlich unangetastet. Ver- 2



gessen scheint die Erkenntnis des Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion im Ge-
sundheitswesen, dass den im internationalen Vergleich hohen Ausgaben in Deutschland nur
mittelmäßige Leistungen gegenüberstehen. Die festgestellten Über- Unter- und Fehlversor-
gungen werden durch eine einseitige Belastung der Versicherten nicht wesentlich angetastet.

Dabei gibt es schon viele Ansätze für eine grundlegende Strukturreform im Gesundheitswe-
sen. Sie scheitern nur seit Jahren in den Reformverhandlungen, weil die Gesundheitspolitik
dem Einfluss der Beteiligten zu wenig entgegen zu setzen hat. Seit Jahren wird von politi-
scher Seite mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen gefordert, besonders weit gekommen
sind wir nicht.

Die Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente im Gesundheitswesen hat ganz bestimmt
ihren Charme und muss sein. Man sollte sich aber nicht der Illusion hingeben, dass der Wett-
bewerb allein die Kosten im Gesundheitswesen senken wird. Denn wir haben es letztlich nur
mit einem Quasi-Markt zu tun. Die Nachfrage nach konkreten Leistungen wird nicht zuerst
durch die Kunden, den Patientinnen und Patienten, bestimmt, sondern durch ihre Ärzte. Daher
ist eine gesundheitspolitische Steuerung der Rahmenbedingungen notwendig. Eben deshalb
sind auch Instrumente wie die Positivliste, die Lotsen-Funktion der Hausärzte usw. entwickelt
worden. Sie wurden aber – sofern sie in der Diskussion überhaupt eine Rolle spielten - , bis-
her immer zu Fall gebracht. Im ambulanten Bereich hat die Lobby der niedergelassenen Ärzte
es erfolgreich verstanden, neue Strukturen wie die fachärztliche Versorgung in Ambulatorien
zu verhindern, obwohl diese volkswirtschaftlich sinnvoll wäre und keine schlechtere Qualität
für die Patienten bringt. Man hat im Gegenteil dafür gesorgt, dass entsprechende Strukturen in
der DDR nach der Wiedervereinigung schnell zerschlagen wurden, um keine unliebsame
Konkurrenz durch die Polikliniken zu bekommen.

In dem, was von der aktuellen Gesundheitsreform übrig geblieben ist, ist wenig von sinnvol-
ler politischer Steuerung übrig geblieben. Was noch da ist, zielt bezeichnenderweise wieder
einmal auf die Patienten ab. Selbstverständlich macht es Sinn, beim Verbraucher das Be-
wusstsein dafür zu schärfen, welche Kosten er durch die Inanspruchnahme des Gesundheits-
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wesens verursacht. Es ist altbekannt, dass die Deutschen durch besonders häufige Arztbesu-
che auffallen. Durch die Praxisgebühr lassen sich aber nicht unbedingt jene abschrecken, die
regelmäßig unnötigerweise zum Arzt laufen. Die obligatorische Gebühr von 10 Euro pro
Quartal ist falsch; sie könnte leicht einen unbeabsichtigten Effekt bekommen: Menschen mit
niedrigem Einkommen werden trotz Krankheit durch die Gebühr abgeschreckt, was eher zu
höheren Ausgaben führt. Wir hätten es statt dessen begrüßt, wenn die Gebühr zur Steuerung
im Sinne einer primären hausärztlichen Versorgung genutzt worden wäre, so wie die Bundes-
gesundheitsministerin es ursprünglich angedacht hatte– eine Gebühr als Anstoß dazu, als ers-
tes den Hausarzt zu konsultieren, statt aufgrund einer eigenen Diagnose gleich den Facharzt
aufzusuchen. So hätten die Patienten einen Anreiz bekommen, durch kostensparendes Verhal- ten die Praxisgebühr zu vermeiden.

Der SSW ist gegen die Privatisierung von Gesundheitskosten. Die Absicherung von grundle-
genden Lebenslagen und Risiken wie Krankheit, Alter, Behinderung und Unfällen muss Auf-
gabe der Solidargemeinschaft bleiben. Es geht in der Gesundheitspolitik nicht nur um die
Frage, was wir mit unserem heutigen Gesundheitswesen leisten können, oder wie wir die
Lohnnebenkosten senken. Dieses sind zwar zentrale Anliegen, aber die große Herausforde-
rung der Gesundheitspolitik ist vor allem die Antwort auf Frage, wie das Gesundheitswesen eingerichtet sein muss, um die Solidarität zu erhalten. Kaum jemand stellt noch offen die Fra-
ge, wie viel uns allen die solidarische Verantwortung für die Gesundheit und das Schicksal
anderer wert ist. Über die Jahre hinweg - und nicht zuletzt durch das Zutun der Berliner Op-
position - lautet die Maxime in der Gesundheitspolitik zunehmend: jeder ist sich selbst am
nächsten.

Wenn man sich den bisherigen Verlauf der aktuellen Gesundheitsreform Revue passieren
lässt, dann fällt eines besonders auf: Die Rolle der CDU ist verheerend gewesen. Demgegen-
über ist der heutige Antrag direkt harmlos. Fast schon könnten wir dem Unionsantrag zu-
stimmen, weil er überwiegend unschädliche Allgemeinplätze beinhaltet - wäre da nicht die
Überschrift und der erste Satz. Denn der SSW lehnt eine Einführung einer Bürgerversiche-

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rung im Gesundheitswesen mit Sicherheit NICHT ab. Wir meinen, dass eine Bürgerversiche-
rung, in der alle in Deutschland solidarisch die Gesundheitsversorgung finanzieren, die richti-
ge Perspektive ist. Die gesetzliche Krankenversicherung leidet - wie alle anderen Systeme der
sozialen Sicherung in Deutschland - unter den hoffnungslos zersplitterten Strukturen, die die
Kosten unnötig in die Höhe treiben. Wir geben der CDU recht, dass Sozialhilfeempfänger
auch in der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen werden sollten. Wir meinen nur,
dass dieses auch für Beamte, Selbständige und Abgeordnete gelten muss und dass die Beiträ-
ge auf alle Einkommensarten erhoben werden müssen – also auch für Mieten, Zinsen und Ka-
pitaleinkünfte. Die Bürgerversicherung könnte dazu beitragen, die Lohnnebenkosten zu sen-
ken, die Beitragssätze herabzusetzen und die Einnahmen der Krankenversicherung besser ge- gen negative Konjunktureinflüsse - wie der hohen Arbeitslosigkeit - zu sichern. Aus diesem
Grund lehnen wir die Bürgerversicherung nicht ab, sondern fordern ganz im Gegenteil eine
solche Reform der gesetzlichen Krankenversicherung. Was wir dagegen mit Sicherheit ableh-
nen, ist die Einführung von Kopfpauschalen, die die Bürger zur Kasse bittet, unabhängig da-
von, wie hoch ihr Einkommen ist.

Die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung ist heute ungewisser denn je. Niemand
von uns kann sagen, wohin die Reise geht. Sicher ist, dass die bisher beschlossenen Reformen –auch die aktuelle, noch nicht beschlossene – nicht die Zukunftsprobleme lösen. Es mag sein,
dass wir irgendwann einmal die Frage stellen müssen, ob diese oder jene Leistung wirklich
noch durch die solidarische Krankenversicherung finanzierbar ist. Wobei ich ausdrücklich sa-
gen möchte, dass ich da bestimmt nicht an die Lösungen eines Herrn Missfelder von der Jun-
gen Union denke, der Menschen über 70 schon für abgängig hält. Wir kommen aber irgend-
wann nicht um die Frage herum, wieweit die Krankenversicherung alle Leistungen finanzie-
ren kann, die auch medizinisch möglich sind. Ich weigere mich aber, mich auf diese Diskus-
sion einzulassen, bevor nicht die Wirtschaftlichkeitsreserven ausgeschöpft sind, die durch
vernünftige strukturelle Reformen der Krankenversorgung in Deutschland zu erzielen wären.
Denn im Mittelpunkt der Gesundheitspolitik sollte der Patient stehen und nicht die Leistungs-
erbringer.
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