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01.08.03
13:27 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel: Höhenflug der Windenergie fortsetzen

Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Stellvertr. Pressesprecherin Anja Koch Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de

Nr. 189.03 / 01.08.2003

Windenergie: Höhenflug fortsetzen
Die Windenergie in Schleswig-Holstein hat im letzten Jahrzehnt eine fulminante Entwicklung erlebt. Damit der Höhenflug der Windmühlen nicht gebremst wird, müssen neue Rahmenbe- dingungen gesetzt werden. Dazu erklären der energiepolitische Sprecher, Detlef Matthies- sen, und der Vorsitzende der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Karl-Martin Hentschel:
Schleswig-Holstein ist Weltmeister in Sachen Windenergie, und die Entwicklung der Wind- energie mit ihren absehbaren quantitativen und technischen Entwicklungen schreitet weiter voran. Daraus erwachsen gleichermaßen Chancen für die Umwelt und für die Wirtschaft. Damit das Potenzial, das für Schleswig-Holstein in der Windenergie liegt, ausgeschöpft wer- den kann, müssen die richtigen politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Immer noch ist die Windenergie eine junge Technik, die erst seit ca. 15 Jahren mit großer Dynamik voranschreitet. Die wirtschaftliche Förderung durch politische Rahmensetzung –das Stromeinspeisegesetz aus dem Jahr 1992 und das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) aus dem Jahr 2000 – und eine ungeahnte technische Entwicklung sind die wesentlichen Ursa- chen dieses Wachstums, das selbst von den Unterstützern der erneuerbaren Energien so nicht vorausgesehen wurde.
Durch die Nähe zu Dänemark, wo die Windenergie ihren Anfang nahm, begann auch in Schleswig-Holstein die Nutzung, die Servicebetreuung und die industrielle Produktion von Windenergieanlagen sehr frühzeitig. Heute gibt es an drei Standorten Fertigung, an mehre- ren Standorten technische Entwicklung – Rendsburg z.B. gilt als Silicon Valley der Wind- energie –, es gibt Komponentenfertigung, Planer, Betreiber, O&M-Fachfirmen, Gutachter, Versicherungsspezialisten, Fachverlage, Patentanwälte usw. Auf unserer größten Messe, der „Husumwind“, werden vom 23. bis zum 27. September 435 Aussteller erwartet. Ohne GRÜNES Wirken wäre dies nicht möglich gewesen. So wurde im Koalitionsvertrag 1996 von GRÜNER Seite durchgesetzt, die bis dahin geltende Zielbestimmung von 1200 Megawatt (MW) in Schleswig-Holstein auf „mindestens 1400 MW“ auszuweiten. Bis 2010 sollten 25% Windenergie erzeugt werden. Tatsächlich wurde diese Zielmarke bereits im letz- ten Jahr fast erreicht. Für das laufende Jahr 2003 ist mit einem Windstromanteil von 27% an dem im Lande verbrauchten Strom (alle Verbrauchsarten = Gesamtverbrauch) zu rechnen, und das bei ca. 1800 MW installierter Leistung. Bis 2005 ist bei zwei Gigawatt (GW) installier- ten Leistung mit einer erzeugten elektrischen Arbeit von 30% zu rechnen. Dieser Vorsprung einer Branche in unserem Land muss erhalten und ausgebaut werden.


Repowering Unter Repowering versteht man den Rückbau von kleineren Windenergieanlagen (WEA), die dann durch modernere größere WEA ersetzt werden. Dabei kann auf gleicher Fläche mit ei- ner deutlich reduzierten Anlagenzahl mehr Strom erzeugt werden. Die langsame Drehzahl der modernen WEA ist für den Betrachter ruhiger. Diese Entwicklung unterstützen wir.
Zusätzlich zu der „normalen“ Entwicklung, d.h. die Errichtung von Windmühlen auf den aus- gewiesenen Eignungsflächen, kann so die Windstromproduktion maßgeblich gesteigert wer- den. Dabei sind zwei Situationen zu unterscheiden: 1) Repowering in nicht als Eignungsraum ausgewiesenen Gebieten (Bestandsschutz): Die in der Regel älteren Anlagen werden durch leistungsfähigere Anlagen ersetzt, wobei die insgesamt installierte Leistung (in MW) nicht wesentlich steigen darf. Das bedeutet ei- ne erhebliche Reduzierung der Anlagenzahl im Bestand. Beispiel: 10 WEA WTN 200 ent- sprechen der Leistung einer modernen REpower MM70. 2) Repowering in ausgewiesenen Eignungsgebieten: Anlagen mittlerer Leistungsstärke werden durch leistungsfähigere Anlagen ersetzt, wodurch die Anlagenzahl bei einer gleichzeitigen erheblichen Steigerung der installierten Leistung auf derselben Fläche i.d.R. um 30 bis 50% reduziert wird.
Die bisherige Höhenbegrenzung von 100 m entspricht nicht mehr der technischen Entwick- lung der modernen großen Windenergieanlagen. In dem Runderlass der Landesplanung soll- te deshalb die Empfehlung auf 150 m erhöht werden.
In beiden Fällen – Bestandsschutz und Eignungsraum – sollte eine differenzierte Abstands- regelung Anwendung finden, die den Emissionen (hauptsächlich Schall) größerer Windanla- gen Rechnung trägt. Größere Anlagen erfordern größere Abstände.
Wir schlagen vor, die bisher gültigen fixen Abstände zu Einzelbauten im Außenbereich (300 m), zu ländlichen Siedlungen (500 m) und zu städtischen Siedlungen (1000 m) durch variable Abstände in Abhängigkeit von der Anlagenhöhe zu ersetzen: Faktor 3 für Einzelbauten im Außenbereich, Faktor 5 für ländliche Siedlungen und Faktor 10 für städtischen Siedlungen. Das bedeutet z. B. dass eine Anlage mit einer Höhe von 130 m in einem Mindestabstand von 1300 m zu einer städtischen Siedlung gebaut werden muss. Aus Gründen der Technologieförderung sollten die Flächen für Prototypen und technische Erprobungen ebenfalls Gegenstand kluger Standortpolitik sein. Es darf nicht wieder passie- ren, dass Hersteller bzw. Entwickler Neuentwicklungen in Frankreich, Spanien oder Bremen testen müssen. Für Prototypen sollten Sondergenehmigungen erteilt werden.
Eine einheitliche Bebauung mit Anlagen einer Größenklasse in einem Windpark sollte durch entsprechende Bebauungspläne sichergestellt werden. Hierzu sind bauleitplanerische Emp- fehlungen zu erarbeiten.
Das Repowering wird mittelfristig insgesamt zu 3 GW Leistung Windenergie in Schleswig- Holstein führen, womit 45% der elektrischen Arbeit abgedeckt werden können.


Flächenbedarf Die oben skizzierte Entwicklung kann innerhalb der planerisch vorgesehenen Flächenkontin- gente erreicht werden. Das bedeutet für uns die Beibehaltung des „historischen Kompromis- ses“, nämlich nicht mehr als 1% der Landesfläche sollen der Windenergienutzung zur Ver- fügung stehen. Wirtschaftlich ist der Flächenverbrauch der Windenergie gering, weil Zuwe- gung und Turmfuß mit Fundament nur wenig Platz brauchen, und die landwirtschaftliche Nutzung kann weiter stattfinden.
Die wichtigsten Vogelfluglinien in Europa sowohl für Wasser- als auch für Landvögel führen durch Schleswig-Holstein. Eine Begrenzung auf den „historischen Kompromiss“ ist daher auch erforderlich, um den Belangen des Naturschutzes, insbesondere des Vogelzuges, Rechnung zu tragen. Dazu gehört die weitgehende Freihaltung der Vogelflugkorridore, der Nahrungs- und Rastgebiete und die Vermeidung von Sperrriegeleffekte (Anordnung der Windmühlen in Vogelzugrichtung). Darüber hinaus muss es weiterhin Umweltverträglich- keitsprüfungen für die einzelnen Projekte geben.
Der Kompromiss hat zu einer hohen Akzeptanz für die Windenergie geführt. Daher soll an der Flächenausweisung grundsätzlich nicht gerührt werden.
Eine Arrondierung von Eignungsräumen bzw. eine Ausnutzung von Reservegebieten (bis- lang sind die 1% Landesfläche noch nicht ausgeschöpft) sollte vor allem der Reduzierung von bestandsgeschützten Anlagen in nicht als Eignungsraum ausgewiesenen Gebieten die- nen - einschließlich der Ersatzflächen für Repowering, um die landesplanerischen Zielset- zungen zügiger erreichen zu können. Unser Ziel ist es, dass am Ende des Repowering- Prozesses möglichst alle Anlagen in Eignungsgebiete integriert sind.


Offshore Offshore-Windenergieanlagen werden im Meer errichtet, und die gewonnene Energie mit Seekabeln an Land geführt. Innerhalb der 12 Seemeilengrenze in den Küstengewässern Schleswig-Holsteins liegende Windparks (WP) werden vom Land genehmigt, außerhalb die- ser in der ausschließlichen Wirtschaftszone liegende WP werden vom Bundesamt für See- schifffahrt und Hydrographie (BSH) genehmigt.
Auf dem Meer weht der Wind steter und kräftiger. Der höhere bauliche Aufwand für die WP lohnt sich wegen der zu erwartenden größeren erzielbaren Energiemenge. Diese Entwick- lung wird von uns unterstützt.
Schon jetzt gehen von der ambitionierten Offshore-Technik wichtige wirtschaftliche und tech- nologische Impulse aus. So hat das Ingenieurbüro Aerodyn aus Rendsburg eine 5 MW- Maschine – Multibrid – entwickelt. REpower Systems, ebenfalls aus Rendsburg, stellt dem- nächst den Prototyp der M5 in Brunsbüttel auf. VESTAS, in Husum, liefert Technik für den Windpark Horns Rev. NORDEX, Norderstedt, entwickelt ebenfalls eine 5 MW-Maschine.
Im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer sollten Windanlagen nicht gebaut werden. Bei den genehmigten und beantragten Windparks gehen wir von einem formal und inhaltlich korrekten Genehmigungsverfahren aus.
Wenn die bisherigen Planungen im Offshore-Bereich umgesetzt werden, ist eine mittelfristige Stromerzeugung aus Windenergie von bis zu 75% des Stromverbrauchs in Schleswig- Holstein möglich!


Netztechnik Um die Ausbauziele für Windenergie in Schleswig-Holstein zu erreichen, sind ein Netzaus- bau und eine Netzverstärkung notwendig. Die zügige Umsetzung der netzbaulichen – zum Teil bereits beantragten – Maßnahmen wird von uns angestrebt. Die Leistungsabführung und die Netzregelung erfordern in der Zukunft verstärkte Aufmerksamkeit. Das wird zum Einen durch die unstete Leistung der Winderzeugung unerlässlich, zum Anderen aber vor allem durch die absehbare allgemeine Tendenz zur dezentralen Erzeugung durch Brennstoffzellen, Mini-Blockheizkraftwerke etc.
Anstrengungen sind jedoch nicht nur auf Seiten der Netzbetreiber als Regelverantwortliche vonnöten, sondern auch auf der Erzeugerseite. Auch hier müssen Beiträge zur Systemstabili- tät gefordert werden. Daher unterstützen wir die Forderungen der Netzbetreiber, dass Wind- anlagen sich in Zukunft mehr wie Kraftwerke verhalten sollen, was sich in neuen Netzan- schlussregeln niederschlagen und zügig umgesetzt werden sollte. Dazu gehören auch Netz- engpassmanagementsysteme.
Die Leistungsabführung im Offshore-Bereich sollte auf mittlere Sicht als Teil des öffentlichen Verbundnetzes organisiert werden. Kosten der Netzverstärkung und Regelkosten sollten um- lagefähig im nationalen Netz werden.
Die Kosten für den Ausbau der Netze bis zum Einspeisungsknoten sind Sache des Netz- betreibers. Auch in der Vergangenheit, z. B. beim Ausbau der Atomenergie, war der erforder- liche erhebliche Ausbau der 380 KV-Leitungen Sache des Netzbetreibers. Vergütung für Windstrom Windenergie weist gleichzeitig die höchste Wachstumsrate, aber auch die höchste Kosten- degression aller Stromerzeugungsarten auf. Das EEG sieht eine jährliche Minderung der Vergütung vor.
Jahr EURO ct/kWh Reduktion 1991 18,43 1995 11,70 1991 - 2003: 2000 8,93 55 % 2003 8,33 2005 7,81 2003-2010: 2010 6,63 20 % Tabelle: Vergütung für Strom aus Windenergie (Kaufkraftbasis 2003), Quelle: Deutsche Windguard GmbH

Die Erzeugungskosten von Windstrom in Deutschland sind seit 1991 um 55% gesunken und werden in den nächsten sieben Jahren noch einmal um weitere 20% fallen.
Subvention? Windenergie sieht sich immer wieder dem Vorwurf der Subvention bzw. Beihilfe ausgesetzt, was zu verschiedenen Prozessen geführt hat und von Friedrich Merz (MdB, CDU) sogar zur Streichung als Sparmaßnahme für die Bundeskasse vorgeschlagen wurde.
Subventionen sind Transferleistungen aus öffentlichen Kassen entweder durch Ausgaben (Zahlungen an Begünstigte) oder Einnahmeverzicht (Steuerprivilegien). Beides trifft bei der Windenergie aber nicht zu.
Für die Windenergie gibt es lediglich eine Preisregelung, die der Stromwirtschaft gesetzlich auferlegt, Strom aus erneuerbaren Energien erstens im Netz aufzunehmen und zweitens in bestimmter Höhe zu vergüten. Damit wird eine verursachergerechte Anlastung der externen Kosten (Umweltschäden) der Stromerzeugung teilweise erreicht (würde man der konventio- nellen Stromproduktion die Folgekosten für Umweltschäden voll anlasten, wäre sie schon heute erheblich teurer als Windenergie).
Im März 2001 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass das Stromeinspeisegesetz (Vorläufer des EEG) nicht unter die Beihilferegelung der EU fällt. Wir halten die Regelungen des EEG für sehr gut und unterstützen daher dieses Gesetz weiterhin voll und ganz. Wir hal- ten die derzeitige Vergütungsregelung für angemessen.


Technologiepolitik Die Windenergie bietet zahlreiche interessante Ansätze: Wie kann die Windenergie optimiert zur Entsalzung von Wasser eingesetzt werden? Wann rechnet sich eine Wasserstofferzeu- gung durch Windenergie? Wie kann eine von großen Netzen unabhängige Windenergieanla- ge konzipiert werden (sogenannter Inselbetrieb)? Diesen und anderen Fragestellungen ge- hen schleswig-holsteinische Firmen und Institute zur Zeit nach.
Eine Reihe dieser Projekte werden durch die Technologiestiftung und die Energiestiftung be- reits unterstützt. Damit die Erfolgsgeschichte Windenergie in Schleswig-Holstein fortgesetzt werden kann, wollen wir, dass die Technologiepolitik des Landes auf solche zukunftsfähige Technik ausgerichtet wird.


CDU: Keine Linie Der energiepolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion lässt keine Gelegenheit aus, ge- gen die Windenergie zu polemisieren. Sein Vorgänger, heute Landrat in Ostholstein, warnt vor 200 Meter-Ungetümen und den Gefahren für den Tourismus. Es gibt seit Jahren und bis heute fortdauernd keine irgendwie geartete Unterstützung für Windenergie durch die Land- tagsfraktion der CDU. Das ist bedauerlich und vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Be- deutung für unser Land verantwortungslos und ideologisch geprägt.
Im Gegensatz dazu fordern CDU-Bundestagsabgeordnete eine Aufhebung jeglicher Höhen- begrenzung und sonstiger Hindernisse durch den Naturschutz. Die Krönung erreicht die CDU-Politik in Person ihres Vorsitzenden Carstensen, der ausgerechnet den notorischen Windkraftbehinderer, Landrat Bastian, anlässlich einer Besteigung einer WEA in Nordfries- land dazu gratulierte, dass seine positive Haltung zur Windkraft demnächst 6000 neue Ar- beitsplätze bringen würde (so in der Frühjahrsausgabe des CDU Schleswig-Holstein-Kuriers von 2003).
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