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23.06.03
14:56 Uhr
Landtag

Kieler-Woche-Gespräch: Die Rolle des Europarates in einer erweiterten Europäischen Union - Rede von Botschafter Mats Aberg/Schweden

86/2003 Kiel, 23: Juni 2003 Es gilt das gesprochene Wort!



Kieler-Woche-Gespräch: Die Rolle des Europarates in einer erweiterten Europäischen Union – Rede von Botschafter Mats Åberg/Schweden
Kiel (SHL) – In seinem Beitrag zum diesjährigen Kieler-Woche-Gespräch des Schleswig-Holsteinischen Landtags im Kieler Landeshaus sagte Botschafter Mats Åberg, Leiter der schwedischen Delegation beim Euro- parat, am heutigen 23. Juni 2003 unter anderem:
„Das Thema meiner Rede möchte ich ein wenig abweichend formulie- ren: ‚Die Rolle des Europarats – zusammen mit der Europäischen Uni- on – in einem erweiterten Europa ohne Trennlinien’. Das wird auch das Thema des dritten Gipfeltreffens des Europarats sein, das im Herbst 2004 oder Frühjahr 2005 durchgeführt werden soll.
Ich bin überzeugt, dass wir jetzt mit der Erweiterung der EU und dem notwendigen Bau von Brücken zwischen Mitgliedern und Nichtmitglie- dern der Union vor einer Herausforderung stehen, die nie größer war und deren Bewältigung von allerhöchster Bedeutung ist.
Wir dürfen keine neuen Trennlinien einrichten – geografisch oder poli- tisch. Das heißt: Keine schwer zu überschreitenden Trennlinien zwi- schen Staaten und keine Trennlinien zwischen den Bürgern und den politischen Beschlüssen. Die Bürger müssen sich als politisch Mitschaf- fende fühlen. Sie müssen sich in die Entscheidungen eingebunden füh- len. Anderenfalls sind die Trennlinien da.
Wenn wir uns die Frage stellen, welche Rolle der Europarat in einem erweiterten Europa spielen kann, müssen wir zurück zu den Anfängen gehen. 2



Den Ursprung vor Augen, gelangen wir unweigerlich zu der Annahme, dass der Europarat ein Kind des kalten Krieges sei. Die Organisation wurde im Jahre 1949 ins Leben gerufen. Aber das Konzept ist eigentlich früher vorgelegt worden. Schon am 21. März 1943 hat Winston Churchill zum ersten Mal die Idee von einem Europarat erwähnt. In einer Rede sprach er dann von der Notwendigkeit, eine Vereinigung von euro- päischen demokratischen Staaten zu schaffen, die die grundlegenden Menschenrechte respektieren. In der berühmten Züricher Rede im Sep- tember 1946, die als Beginn des kalten Krieges bezeichnet worden ist, ist Churchill auf die Idee eines Europarats zurückgekommen. Die wah- ren Demokratien Europas sollten sich verbünden, um ihre Gesell- schaftsordnungen besser schützen zu können.
Es kam aber erst nach der endgültigen kommunistischen Machtüber- nahme in Prag im Februar 1948 dazu, dass richtige Verhandlungen über einen Europarat eingeleitet worden sind. Am 5. Mai 1949 konnten dann die Vertreter von zehn Staaten die Gründungsakte des Europarates un- terschreiben.
Die Gründungsmitglieder waren das Vereinigte Königreich, Irland, Bel- gien, Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Italien, Dänemark, Schwe- den und Norwegen. Eine Vereinigung der guten Schüler sozusagen, ‚the good guys’ club’. Im Herbst 1949 sind Griechenland und die Türkei da- zugekommen. Hier ist also das Element vom kalten Kriege deutlicher. Die Bundesrepublik Deutschland ist im Jahre 1950 beigetreten und die Schweiz im Jahre 1963.
Nach dem Putsch der Obersten Patakos und Papadopoulos und ande- ren in Athen im April 1967 ist Griechenland die Mitgliedschaft aufgekün- digt worden. Nur nach der Wiedereinführung der Demokratie im Jahre 1974 durfte Griechenland erneut Europaratsmitglied sein. Das galt auch für die früheren Diktaturen Portugal und Spanien, die 1976 bzw. 1977 beigetreten sind.
Die politischen Debatten, die während der ersten Jahre im Europarat – und besonders in der Parlamentarischen Versammlung – geführt worden sind, waren lebendig und ungeheuer interessant. Alle die großen Namen der europäischen Nachkriegszeit waren dabei – Winston Churchill, Paul- Henri Spaak, Alcide de Gasperi, Robert Schuman usw. Hier wurden die Möglichkeiten und Aussichten der Integration Europas diskutiert. Ziem- lich kurz nach der Gründung des Europarats wurde eine Spannung deut- lich zwischen den demokratischen und menschenrechtlichen Idealen auf der einen und Hoffnungen und Wünschen von praktischer politischer 3


Zusammenarbeit und engerer europäischer Integration auf der anderen Seite. Schon nach zwei Jahren war offensichtlich, dass einige Länder die Zusammenarbeit schneller vorantreiben wollten, während andere auf diesem Weg langsamer vorangingen. Die Erwartungen des Integrations- enthusiasten Spaak, der Präsident der Parlamentarischen Versammlung war, wurden enttäuscht. Im Jahre 1952 verließ er im Zorn seinen Pos- ten. Zusammen mit Robert Schuman und anderen gründete er die Kohle- und Stahlunion. Später war er auch in die Verhandlungen eingebunden, die zu den Römischen Verträgen der EWG führten. Damit wurde der Europarat ein Gremium, in dem politische Sachfragen diskutiert werden konnten zwischen Vertretern von Ländern, die verschiedene Geschwin- digkeiten der europäischen Integrationsarbeit wünschten.
Durch die Wende, die Wiedervereinigung Deutschlands und die Auflö- sung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes gelangte der Europa- rat an einen kritischen Punkt. Wie sollte man sich gegenüber den neuen oder wieder auferstandenen Demokratien verhalten? Sollte man sie war- ten lassen, bis sie das hohe demokratische und rechtsstaatliche Niveau erreicht hätten? Sollte man den Europarat auf eine Eliteorganisation be- schränken?
Glücklicherweise wurde das Gegenteil beschlossen. Die neuen und wie- der etablierten Demokratien in Mittel- und Osteuropa hatten mehr als vierzig Jahre Diktatur erlebt und waren sehr empfindlich. Es war offen- sichtlich, dass sie Hilfe für den Aufbau der Institutionen eines Rechts- staates benötigten. Ein umfangreiches Programm von Beistandsaktivitä- ten wurde für jeden neuen Mitgliedsstaat organisiert. Die Rechtssysteme und die demokratischen Institutionen wurden entwickelt. Neue Medien- gesetze sollten eine freie Meinungsbildung sicherstellen. Veränderte Beschreibungen der Nachbarländer und der gemeinsamen Geschichte in den Schulbüchern sollten altes nationalistisches Gedankengut mit Toleranz und Verständnis für unser gemeinsames europäisches Kulturerbe ersetzen.
Ein wichtiger Begriff kam dazu: das englische Wort ‚Monitoring’ – Über- wachung. Die Entwicklung der Demokratie und der Menschenrechte wurde sorgfältig überwacht. Es war ein wahres Wunder, in postkommu- nistischen Hauptstädten wie Kiew und Tirana während der neunziger Jahren ganz neue Behauptungen zu hören: ‚Das können wir nicht tun. Dann wird sich der Europarat kritisch äußern!’. Eine neue Ära war einge- treten. 4


Der Beschluss, die neuen Demokratien als Mitglieder des Europarats zu akzeptieren, war der Anfang eines neuen, demokratischen Europas, die Geburt der einzigen paneuropäischen politischen Organisation auf unse- rem Kontinent. Heute hat sie 45 Mitgliedsstaaten. Die zuletzt beigetrete- nen Länder sind Bosnien-Herzegowina vor einem Jahr und Serbien und Montenegro in diesem Jahr. Zwei Staaten sind noch nicht beigetreten: Monaco und Weißrussland.
Das bedeutet, dass mehr als 800 Millionen Menschen von den Zielen des Europarates berührt werden. Es geht um Schutz der Menschenrech- te, der pluralistischen Demokratie und der Rechtstaatlichkeit. Es geht um Förderung und Entwicklung einer europäischen Identität und der kultu- rellen Vielfalt, Es geht um Suche nach Lösungen für die gesellschaftli- chen Probleme unserer Zeit, z.B. Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Schutz von Minderheiten, Umweltschutz, Klonen von Menschen, Aids, Drogen, Korruption und organisierte Kriminalität, Es geht um Festigung der demokratischen Stabilität Europas durch Unterstützung von Refor- men in Politik, Gesetzgebung und Verfassungsrecht.
Es zeigt sich, dass die Ziele des Europarates und der Europäischen U- nion einander ähneln. Deshalb wurde der Europarat immer als das Vor- zimmer der EU angesehen (obwohl keine Automatik für eine EU- Mitgliedschaft darin steckt). Dieses Verhältnis und die Tatsache, dass der Europarat schon seit den fünfziger Jahren als Brücke zwischen Län- dern innerhalb und außerhalb der damaligen EWG gedient hat, ermög- licht es dem Europarat, nützliche Beiträge im Rahmen der so genannten neuen Nachbarschaftspolitik der EU zu erbringen. Die Politik des Euro- parates kann zweifelsohne dazu beitragen, die Grenzen zwischen EU- Ländern und anderen europäischen Ländern weniger spürbar werden zu lassen.
Durch die Arbeit zum Beispiel der Tochterorganisation des Europarats, des ‚Nord-Süd-Zentrums’, werden die Werte und Ideale des Europarats auch über die äußeren Grenzen Europas hinaus verbreitet. Das bedeu- tet, dass der Europarat praktisch und aktiv gegen Ideen wie die einer ‚Festung Europa’ arbeitet. Eine andere Tochterorganisation – die ‚Euro- päische Kommission für Demokratie durch Recht’, besser als ‚Venedig- Kommission’ bekannt – unterstützt auch Nichtmitgliedsstaaten bei der Ausgestaltung moderner Verfassungen und der Erarbeitung grundle- gender Gesetzgebungsvorhaben.
Schon bei seiner Gründung war der Europarat eine interessante, mo- derne und innovative politische Organisation, die als erste internationale Institution eine parlamentarische Versammlung erhielt. Es gab zwar seit 5


1889 die Interparlamentarische Union für die internationale Zusammen- arbeit zwischen Parlamentariern. Die IPU hatte aber mehr den Charakter eines allgemeinen Gesprächsforums, da in der Praxis von den Mitglie- dern keine demokratische Haltung verlangt wurde. In der IPU meinte man, dass die Begegnungen zwischen demokratischen Parlamentariern und Abgeordneten zum Beispiel der kommunistischen parlamentsähnli- chen Versammlungen einen Wert an sich hatten.
Im Europarat wurde eine dem Aufbau eines Nationalstaates vergleichba- re Struktur geschaffen. Gewählte Abgeordnete von den nationalen Par- lamenten, das heißt mit einem klaren politischen Mandat ihrer demokra- tischen Wähler, können wichtige und aktuelle politische Fragen nicht nur in den Ausschüssen und in der Plenarversammlung debattieren, son- dern diese auch an die Regierungen weiterleiten. Mit Empfehlungen, Fragen, Entschließungen und Stellungnahmen kann die Parlamentari- sche Versammlung Reaktionen von den Mitgliedsregierungen über das Ministerkomitee einfordern. Das bedeutet, dass die Parlamentarische Versammlung tatsächlich der politische Motor des Europarats ist. Die Regierungen, die von diplomatisch rücksichtsvollen Außenministern im Ministerkomitee oder von den noch behutsameren Botschaftern in dem so genannten Stellvertreterkomitee vertreten werden, erhalten dann poli- tische Signale, Impulse und einen nützlichen, sogar notwendigen Antrieb für ihre politische Arbeit.
Außer der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt in einem Rechtsstaat gibt es auch ein System, das die grundlegenden Rechte der Bürger sicherstellen soll. Das gilt nicht nur für die nationale Ebene son- dern auch für den Europarat.
Am 4. November 1950 wurde in Rom die Europäische Menschenrechts- konvention unterzeichnet. Diese Konvention und ihre Zusatzprotokolle garantieren eine Reihe von Rechten und Freiheiten, zum Beispiel das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Ver- fahren in Zivil- und Strafsachen, das aktive und passive Wahlrecht, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Achtung des Privatlebens.
Sie untersagen unter anderem Folter und unmenschliche oder erniedri- gende Behandlung oder Strafe, die Todesstrafe, Diskriminierung in der Ausübung der durch die Konvention garantierten Rechte und Freiheiten, Ausweisung von eigenen Staatsangehörigen oder deren Zurückweisung bei der Einreise, Kollektivausweisung von Ausländern. 6


Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte soll dafür sorgen, dass die Mitgliedsstaaten den Verpflichtungen der Konvention und ihrer Protokolle nachkommen. Alle Vertragsstaaten müssen dafür sorgen, dass alle Personen, die ihrer Gerichtsbarkeit unterstellt sind, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Staatsangehörigkeit, ethnischer Abstammung usw., in den Genuss der durch die Europäische Menschenrechtskonven- tion garantierten Menschenrechte und Freiheiten gelangen. Mit anderen Worten: Jeder einzelne von den mehr als 800 Millionen Bürgern soll die Möglichkeit haben, dass er oder sie sein oder ihr Recht einfordern kann. Wenn dieses Recht nicht vorhanden ist, kann der Bürger sich an den Gerichtshof in Strassburg wenden. Anträge können auch von einem o- der mehreren Staaten gegen andere Staaten eingebracht werden. Es gibt dabei auch einen sehr interessanten politischen Aspekt. Die Durch- führung der vom Gerichtshof erlassenen Urteile wird vom Ministerkomi- tee des Europarates überprüft. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Staaten durch entsprechende Maßnahmen neue Verletzungen ver- hindern.
Wenn die EU der Europäischen Menschenrechtskonvention beitritt, wür- den auch politische Diskussionen im Ministerkomitee des Europarats geführt werden, und zwar auch mit Vertretern von Staaten, die nicht Mit- glieder der EU sind. Das sollte aber kein besonderes Problem darstellen, da sich alle Vertragsstaaten hierbei auf die gleiche Rechtsgrundlage stützen.
Im Jahre 1999 wurde noch eine Menschenrechtsinstitution im Europarat geschaffen: Das Büro des Menschenrechtskommissars wurde eingerich- tet. Der Kommissar hat allgemeine Aufgaben im Bereich des Schutzes der Menschenrechte. Er kann eigene Untersuchungen veranlassen und Empfehlungen aussprechen, aber hat keine rechtlichen Befugnisse. Ei- ne seiner wichtigen Aufgaben ist es, Interesse und Verständnis für die Menschenrechte in der Bevölkerung zu wecken.
Wir haben jetzt feststellen können, dass der Europarat von Anfang an drei Pfeiler für seine Politik hatte: Das Ministerkomitee, die Parlamenta- rische Versammlung und den Gerichtshof für Menschenrechte. Es gibt noch einen vierten. Hier dreht es sich um den Kongress der Gemeinden und Regionen Europas. Seit den Anfängen legte der Europarat einen speziellen Wert auf die Basisdemokratie. Die kommunale Selbstverwal- tung und die lokale Demokratie haben die Bedürfnisse aller Europäer zu berücksichtigen, ob in Stadt oder Land, ob in zentralen oder Randgebie- ten und, was besonders wichtig ist, auch über die Grenzen hinweg. Der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas wurde im Jahre 1994 ins Leben gerufen. Er leistet praktische Hilfe bei den Bemühungen der 7


neuen Mitgliedsstaaten um die Einführung einer effektiven kommunalen und regionalen Selbstverwaltung. Er ist auch die Stimme der Regionen und Gemeinden, die sowohl das Ministerkomitee als auch die Parlamen- tarische Versammlung in allen Fragen der lokalen und regionalen De- mokratie beraten kann.
Diese Tätigkeit wird immer wichtiger, je mehr wir von einem Europa der Regionen sprechen. Und das gilt auch für die Zusammenarbeit im Ost- seeraum. Es gibt noch gewisse formelle Probleme mit dieser grenzüber- schreitenden Zusammenarbeit. Diese hängen mit den Ebenen der jewei- ligen Zuständigkeit zusammen und müssen in einem breiteren Rahmen gelöst werden. Wir wünschen ja alle, dass die Staatsgrenzen durchläs- siger werden und dass die Zusammenarbeit erleichtert werden kann.
Eine Neuheit in den Aktivitäten des Europarats ist die Zielsetzung, eine Koordinierungsrolle für Regionale Zusammenarbeitsgremien wie den Ostseerat zu spielen. Die Initiative wurde im Jahr 2002 von der damali- gen litauischen Präsidentschaft des Ministerkomitees ergriffen. Mit die- sem Bild von einem Europarat, der sich mit allen politischen Fragen au- ßer Verteidigungsfragen beschäftigen kann, aber den Kernfragen des Rechtsstaats Priorität einräumt –nicht nur Menschenrechte und gesetzli- che Grundlagen, sondern auch Ausbildung und Kultur – habe ich ver- sucht, die mögliche Rolle des Europarats anzudeuten.
Die Aktivitäten des Europarates in der Gestaltung der Demokratie und des Rechtsstaates in den neuen Mitgliedsländern – was man besonders deutlich im Rahmen des Stabilitätspaktes im Süd-Osten Europas sehen kann – deuten darauf hin, dass die Arbeit an der Entwicklung von gleichwertigen demokratischen und rechtsstaatlichen Maßstäben und Normen überaus wichtig ist. Die Tradition des Europarats als Brücke zwischen Ländern mit unterschiedlicher Bereitschaft zur europäischen Integration ist eine weitere wichtige Aufgabe, insbesondere im Rahmen der neuen Nachbarschaftspolitik der EU. In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass die mögli- che Rolle des Europarats eng mit den Tätigkeiten anderer Organisatio- nen verbunden ist. Ich denke an Organisationen wie die Organisation der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und die Pariser Wirtschaftsorganisation OECD. Um Doppelarbeit zu vermeiden und Synergie zu schaffen, muss eine tiefgehende Diskussion auch mit die- sen Organisationen aufgenommen werden.
Lassen Sie mich zum Abschluss eine Bemerkung machen, die als Randnotiz erscheinen mag, aber doch von gewisser Bedeutung ist. Was auch immer mit politischen Beschlüssen auf verschiedenen Ebenen ge- 8


macht wird, so werden die Ergebnisse nur dann befriedigend sein, wenn die Bürger sich mitverantwortlich oder einbezogen fühlen. Viele Fragen werden heute von niedrigeren auf höhere Ebenen verla- gert. Was früher als eine Frage der nationalen Innenpolitik verstanden wurde, wird nunmehr häufig als ein inter-nationales Verhandlungsthema angesehen. Diese europäischen oder sogar globalen Fragen müssen besser demokratisch verankert werden. Hier können und müssen die demokratisch gewählten Vertreter lokaler, regionaler und nationaler Par- lamente aktiver sein. Die Abgeordneten dieser Gremien müssen zuerst die parlamentarische Kontrolle über die Beschlüsse ausüben und dann als Botschafter der Beschlüsse im Umgang mit den Bürgern agieren. Herr Schultze in Kiel-Holtenau hat keine Lust, seine Lebensweise zu ändern, um einer prognostizierten Klimaveränderung entgegenzutreten, wenn er nicht über den Hintergrund der relevanten politischen Beschlüs- se informiert ist. Um diesen notwendigen Dialog zu erleichtern und um den Abgeordneten bessere Informationsmöglichkeiten zu geben, muss die Basis für die interparlamentarische Arbeit grundsätzlich verändert werden.
Heute sehen wir zum Beispiel, wie die nationalen Abgeordneten in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats wichtige Stellungnah- men abgeben. Sie sind Berichterstatter oder Schlüsselakteure in be- deutsamen politischen Fragen, die die Grundlage für wichtige Resolutio- nen oder Empfehlungen darstellen. Aber im Heimatparlament gibt es überhaupt keine Struktur für die Weiterleitung dieser Fragen an die Re- gierung oder deren Erörterung im Rahmen einer breiten nationalen, re- gionalen oder lokalen Debatte. Im schwedischen Reichstag wird ein jährlicher Bericht über die Tätigkeit des Europarates und dessen Parlamentarischer Versammlung abgege- ben. Der Bericht dient dann als Ausgangspunkt einer ‚Europaratsdebat- te’. Diese eineinhalb Stunden pro Jahr, die der Europaratspolitik gewid- met sind, sind aber in der Tat ein formelles Begräbnis. Die einzelnen Fragen tauchen nie mehr in der Arbeit des Reichstages auf. Würden dagegen Strukturen geschaffen, durch die die Fragen, die im Europarat und in anderen interparlamentarischen Gremien aktuell sind, in die tägliche politische Arbeit eingebunden werden könnten, dann wür- de ein konstruktiver, ergebnisorientierter Prozess eingeleitet. Es gilt, alle Kräfte der Parlamente zu mobilisieren – die Abgeordneten und die Ver- waltung, die Plenarversammlungen und die Ausschüsse. Wenn das ge- länge – dann hätten wir die Voraussetzungen für einen tieferen und durchgreifenderen politischen Dialog geschaffen und die Aussichten für eine aktivere Rolle des Europarats in einem erweiterten Europa ohne Trennlinien verbessert.“