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20.06.03
14:59 Uhr
SSW

Europäischer Verfassungskonvent

Südschleswigscher Wählerverband Schleswig-Holsteinischer Landtag im Schleswig-Holsteinischen Landtag Düsternbrooker Weg 70 D - 24105 Kiel Tel. (0431) 988 13 80 Fax (0431) 988 13 82

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Kiel, den 20.06.2003 Anke Spoorendonk Es gilt das gesprochene Wort
„Das Ziel der Transparenz der europäischen Politik wurde sowohl bei der Entscheidungsfindung wie bei den Beschlussvorschlägen des Konvents verfehlt.“
TOP 46 Europäischer Verfassungskonvent
Die EU braucht eine Reform. Das ist schon lange klar. Zum einen müssen die Mängel der al-
ten EU der 15 ausgeräumt werden. Zum anderen muss der Rahmen an die neue EU der 25 an-
gepasst werden. Schon der erste Punkt ist angesichts der über Jahrzehnte verfestigten Struktu-
ren in Brüssel eine Herkulesaufgabe. Den meisten Bürgerinnen und Bürgern verbleibt immer
noch verborgen, was in der europäischen Politik geschieht. Kaum jemand kann sehen, wie die
Entscheidungen gefällt werden und wovon sie beeinflusst werden.
Leider hat der Konvent in dieser Hinsicht nur bedingt Erfolge vorzuweisen. Der Konvent soll-
te die Fenster aufreißen, um Licht und Durchzug in das europäische Haus hereinzulassen.
Letztlich hat er aber den Eindruck vermittelt, dass die Fenster zwar geöffnet aber gleichzeitig
die Gardinen zugezogen wurden. Der Konvent war für die Normalbürgerin und den Normal-
bürger nicht durchschaubar und seine öffentliches Bild wurde von einer Präsidentschaft ge-
prägt, die offensichtlich die Diskussion, die Inhalte und die Empfehlungen stark dominiert
hat. Das Ziel der Transparenz europäischer Politik wurde sowohl bei der Entscheidungsfin-
dung wie bei den Beschlussvorschlägen des Konvents verfehlt. Es ist nicht ganz einfach, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was nun beschlossen
wurde, was doch im letzten Moment gekippt wurde und was erst später entschieden wird. Zu
meiner Ehrenrettung kann ich aber sagen, dass selbst der Luxemburger Regierungschef Jean-
Claude Juncker dem „Spiegel“ berichtet, er habe in Telefonaten mit seinen europäischen Kol-
legen vergebens darum gekämpft, herauszubekommen, was nun eigentlich in Thessaloniki 2



Sache ist. Deshalb komme ich heute nur kurz auf einige Schlaglichter zu sprechen, die in der
öffentlichen Debatte der vergangenen Tage und Wochen eine herausragende Rolle gespielt
haben.
Jenseits aller Kritik an dem Kompromiss lässt sich feststellen, dass die Institutionen auf eu-
ropäischer Ebene gestärkt werden. Es soll einen neuen Präsidenten des Europäischen Rates
und einen Außenminister geben. Sie sind gemeinsam mit dem Kommissionspräsidenten für
die Außenpolitik zuständig, was – sieht man von den daraus entstehenden Koordinationsprob-
lemen ab - diesen Bereich auf europäischer Ebene aufwertet. Das Europarlament erhält die
volle Mitentscheidung im Bereich der Gesetzgebung und des Haushalts und wählt zukünftig
den Kommissionspräsidenten. Zukünftig gibt es bis zu 27 Kommissare aber nur 15 haben
Stimmrecht und Ressorts. Damit werden die kleinen Länder geschwächt. Auch die Reform der Entscheidungsabläufe stärkt die europäische Ebene. Die Gesetzgebung
wird vereinfacht. Zukünftig ist das Mitentscheidungsverfahren von Rat, Parlament und Kom-
mission die Regel. Die Einführung von Mehrheitsentscheidungen im Europäischen Rat er-
leichtert die Entscheidungsfindung. Die Regelung einer doppelten Mehrheit [Staatenmehrheit
und 3/5 der Bevölkerung] stärkt aber die bevölkerungsreichen Länder auf Kosten der Kleinen.
Die Kompetenzabgrenzung zwischen Staaten und EU wird aus unserer Sicht nicht bedin- gungslos besser - aber zumindest anders strukturiert. Eine klare Aufgabenteilung, wie wir sie
uns seit langem wünschen, findet nicht statt. Andererseits verfügt die EU aber zukünftig nur
über Zuständigkeiten, die ihr explizit übertragen wurden; der Rest obliegt den Mitgliedsstaa-
ten. Die Subsidiaritätsprüfung soll in Zukunft auch die regionale und lokale Ebene umfassen,
das begrüßen wir. Weitere Kriterien für die Prüfung konnten aber leider nicht verankert wer-
den. In einigen Bereichen wird die Zuständigkeit der EU ausgeweitet. So werden zum Bei-
spiel in der Innen- und Justizpolitik zusätzliche Kompetenzen und Instrumente geschaffen.
Wir sehen mit großer Sorge, dass die Kompetenzen von Europol und Eurojust ausgeweitet
werden sollen und dass die Rechtsgrundlage für die Harmonisierung strafrechtlicher Normen
weiter geht. Das Vetorecht bei Kultur und Bildung wird aufgehoben, es gilt aber weiterhin ein
Harmonisierungsverbot für die entsprechenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Auch
hier möchte ich nicht eine gewisse Skepsis verhehlen. 3



Der größte Streitpunkt wird noch die Außen- und Sicherheitspolitik sein, für die der Kon-
vent bislang kein abschließendes Votum vorgelegt hat. Die Staats- und Regierungschefs bera-
ten heute offensichtlich nur auf der Grundlage eines Entwurfs des Präsidiums - was nochmals
die zweifelhafte Dominanz der Spitzenleute um Giscard D’Estaing in diesem Gremium be-
legt. Der Streit um den Irak-Krieg hat verdeutlicht, dass wir eine gemeinsam abgestimmte
Außen- und Sicherheitspolitik brauchen. Anderseits hat er aber auch deutlich gemacht, dass es
Grenzen der Gemeinsamkeiten gibt. Deshalb bin ich sehr skeptisch, ob es wirklich sinnvoll
wäre, hier durch überqualifizierte Mehrheitsentscheidungen eine einheitliche europäische Li-
nie zu erzwingen. Solche Mehrheitsbeschlüsse könnten auch zur großen Spaltung führen.
Die neuen Mehrheitsbeschlüsse werden ergänzt durch die Ermöglichung eines sogenannten
„Kerneuropas“ - einer EU der verschiedenen Geschwindigkeiten, bei der einige Länder sich
entschließen können, gemeinsam weiter zu gehen als die Gesamtunion. Dieses Instrument ist
ein zweischneidiges Schwert. Einerseits erlaubt es Ländern, nicht der Mehrheit zu folgen und
eigene Wege zu gehen, was wir befürworten. Andererseits ist es nicht ungefährlich. Denn
wenn sich einige von der Gruppen entfernen, dann bleibt den anderen später nur, sich dem
konkret gewählten Weg der vorpreschenden Länder bedingungslos anzuschließen, im Abseits
zu bleiben oder aus der EU auszutreten (auch diese neue Möglichkeit soll es immerhin ge-
ben). Schon in Verbindung mit dem Konvent hat sich wieder beispielhaft gezeigt, dass die
Vertreter großer Länder nicht unbedingt von sich aus den Weg des Kompromisses mit den
Kleinen suchen. Wenn der Einigungszwang entfällt, dann könnte das zu einer Spaltung füh-
ren, statt zu einem Ausleben von Gemeinsamkeiten. Wir begrüßen grundsätzlich die Übernahme der Grundrechtecharta in die Verfassung, weil
so verbindliche, einklagbare Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der EU ge-
schaffen werden. Eine Frage, die uns natürlich besonders am Herzen gelegen hat ist die Absi-
cherung der Rechte und der Vertretung der Minderheiten auf europäischer Ebene. Der Land-
tag hat in einer Resolution an das Europäische Konvent und die Bundesregierung gefordert,
den Schutz und die Förderung von Minderheiten in der EU-Verfassung explizit zu berück-
sichtigen. Weder das Konvents-Präsidium noch die Bundesregierung haben diesen Wunsch
berücksichtigt. Im Entwurf steht jetzt lediglich, dass die EU die sprachliche Vielfalt ‚wahrt’. 4



Das ist viel zu wenig. Wir brauchen einen eigenen Artikel, der Schutz und Förderung von
Minderheiten garantiert. Es ist sehr enttäuschend, dass die Bundesregierung - mit Blick auf
Frankreich, Spanien und Griechenland - davon abgesehen hat, einen eigenen Vorschlag ein-
zubringen, obwohl der Bundeskanzler und der Außenminister den Minderheiten entsprechen-
de Zusagen gemacht haben. Die Minderheitenpolitik der EU ist aber unglaubwürdig, wenn sie
einerseits von den Beitrittsländern die strenge Einhaltung des Minderheitenschutzes fordert,
während einige „alte“ EU-Staaten weiterhin die Existenz nationaler Minderheiten im eigenen
Land leugnen und eine gemeinsame Minderheitenpolitik blockieren dürfen.
Der SSW hat auch Vorschläge von Konventsmitgliedern unterstützt, wenigstens einen Beirat
für nationale und ethnische Minderheiten in der Europäischen Union einzurichten. Das wäre
ein gutes Signal zu einem Zeitpunkt gewesen, an dem Länder mit einer Vielzahl von Minder-
heiten in die EU aufgenommen werden. Aber auch dieser Vorschlag bekam nie eine realisti-
sche Chance. Bei einer europäischen Verfassung geht es nicht darum, etwas zu schaffen, das über den nati-
onalen Verfassungen steht. Es geht um Spielregeln für die Zusammenarbeit auf europäischer
Ebene. Das begrüßen wir. Ich warne allerdings vor überzogenen Erwartungen. Denn letztlich
geht es nicht um einen Selbstzweck, sondern um die Menschen in Europa. Wer es ernst meint damit, dass die Bevölkerung sich mehr mit der Demokratie auf Europaebene identifizieren
soll, der muss nicht nur Entscheidungswege transparent machen. Er muss die Menschen auch
mitreden lassen. Und das bedeutet eben nicht nur die Ermöglichung von Bürgerbegehren auf
Europäische Ebene, wie sie der Konvent anstrebt. Das bedeutet auch, dass die Bürgerinnen
und Bürger in Deutschland endlich die Chance bekommen müssen, über einen so wichtigen
Meilenstein der Europäischen Integration direkt mit zu entscheiden. So lange ihnen diese
Möglichkeit verwehr wird, darf es niemanden verwundern, dass das ehrgeizige „Projekt Eu-
ropa“ der Politiker nicht bei den Menschen ankommt.