Monika Heinold: "Mut zu Reformen: Drastische Reduzierung der Lohnnebenkosten"
Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel TOP 17 – Soziale Sicherungssysteme Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt die finanzpolitische Sprecherin Telefax: 0431/988-1501 von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Mobil: 0172/541 83 53 Monika Heinold: E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de Nr. 158.03 / 19.06.2003Mut zu Reformen: Drastische Reduzierung der LohnnebenkostenEs ist nicht selbstverständlich, dass sich der Schleswig-Holsteinische Landtag quer zu allen Bundesparteitagsbeschlüssen mit einer eigenen Reformidee positioniert. Deshalb danken wir der SPD, dass sie gemeinsam mit uns diesen Antrag vorbereitet hat.Noch besser wäre es natürlich gewesen, wenn auch CDU und FDP den Mut gefunden hät- ten, ihre offizielle Parteilinie zu verlassen, um mit einem gemeinsamen Antrag aller Fraktio- nen den Reformdruck auf Berlin zu verstärken.Über die Notwendigkeit der Senkung der Lohnnebenkosten haben wir im Landtag schon oft miteinander diskutiert und auch von Vertretern der Opposition wurde die Notwendigkeit aner- kannt, dass wir eine massive Umschichtung bei der Finanzierung der Sozialsysteme brau- chen.Bei dem heutigen Antrag geht es nicht – und das ist von entscheidender Bedeutung – um ei- ne isolierte Erhöhung der Verbrauchssteuern, sondern um eine grundsätzliche Umfinanzie- rung der Kosten für die Altersversorgung und für Krankheit.Im Jahre 1957 betrugen die Lohnnebenkosten noch 23,8%. 1970 waren es bereits 27%. Im letzten Jahr, also 2002, waren es erschreckende 41,3%. Zu dieser drastischen Entwicklung hat natürlich auch die deutsche Einheit, die zum Teil über die Sozialkassen finanziert wurde, beigetragen. Die bisherige Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme hat sich aber auch unabhängig davon überholt: Weniger Geburten, immer älter werdende Menschen und mehr medizinische Möglichkeiten führen dazu, dass die demografische Entwicklung und ein immer teurer wer- dendes Gesundheitssystem in den letzten Jahrzehnten zu einer dramatischen Entwicklung der Lohnnebenkosten geführt haben.Faktisch belasten diese hohen Lohnnebenkosten den Arbeitsmarkt erheblich. Und sie führen dazu, dass Dienstleistungen für Verbraucherinnen und Verbraucher kaum noch bezahlbar sind.Die Tendenz der Lohnnebenkosten ist steigend. Der Altersquotient zeigt anschaulich die Konsequenzen unserer wandelnden Gesellschaftsstruktur: Aktuelle Prognosen belegen, dass im Jahr 2050 eine ArbeitnehmerIn vier Rentner ernähren muss. Es wird nicht weiter so funktionieren wie bisher.Deshalb brauchen wir zum einen dringend Reformen innerhalb der Sozialversicherungen. Zum anderen müssen die hohen Kosten verstärkt steuerfinanziert werden, da Arbeitsplätze immer unbezahlbarer werden und im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nicht mehr konkurrenzfähig sind.Zur Zeit gleichen die Lohnnebenkosten von über 40% einer „Strafsteuer“ für ArbeitgeberIn- nen und ArbeitnehmerInnen: ArbeitgeberInnen, die Arbeitsplätze schaffen, finanzieren auch versicherungsfremde Leistungen der Sozialkassen – also Aufgaben der gesamten Gesell- schaft. ArbeitnehmerInnen, die einen regulären Arbeitsplatz annehmen, beteiligen sich über- proportional an der Finanzierung unseres Sozialstaates.Andere Gruppen in der Gesellschaft, wie z. B. Freiberufler, Beamte und Selbständige, zahlen hingegen gar nicht in die Sozialkassen. Gerät aber eineR von Ihnen in eine Notsituation, grei- fen selbstverständlich unsere sozialen Sicherungssysteme.Unser jetziges System wird den Anforderungen einer sich so gravierend ändernden Gesell- schaft nicht mehr gerecht.Deshalb tritt die GRÜNE Landtagsfraktion für eine grundlegende Reform der sozialen Sicherungssysteme ein, bei der die Lohnnebenkosten drastisch reduziert und im Ge- genzug die Verbrauchssteuern erhöht werden. Diese deutliche Entlastung des Faktors Arbeit ist erfolgversprechender als der Versuch, scheibchenweise am bestehenden System herumzubasteln.Grundlage für eine solche Reform können die positiven Erfahrungen aus Skandinavien sein. So hat Dänemark mit seinem hohen Mehrwertsteuersatz (25%) und mit seiner geringen Be- lastung für die Arbeitsplätze eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten im europäischen Ver- gleich.Das Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) hat im Auftrag des „Spiegels“ ein weiteres interessantes Modell „Arbeit für viele“ erarbeitet, das sich an Ländern wie der Schweiz und Dänemark orientiert. Der Faktor Arbeit wird dort nur noch mit jenen Sozialbei- trägen belastet, die direkt mit dem Arbeitsplatz zu tun haben, weil sie der Absicherung für Be- rufsunfälle, längere Krankheit und Arbeitslosigkeit dienen. Alle anderen Vorsorgeaufwendun- gen – von der Rente bis zur Gesundheit – werden in diesem Modell durch private Versiche- rungsprämien und Steuern finanziert.Die finanzielle Grundlage dafür wird unter anderem durch eine stärkere Beteiligung von Bes- serverdienern und Kapitalbesitzern, durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, aber auch durch Änderungen in der Steuergesetzgebung finanziert. Die Lohnnebenkosten würden bei diesem System von 42% auf sagenhafte 5,5% sinken.Meine Fraktion hält es für zwingend notwendig, dass sich alle Bundestagsfraktionen darüber einigen, dass wir eine derart große Reform brauchen.Dieses wird nur gemeinsam und konsensorientiert gehen. Wenn CDU und FDP aus dieser Reformdebatte eine Angst- und eine Steuererhöhungsdebatte machen, werden wir die not- wendige Umsteuerung nicht schaffen.Bundeskanzler Kohl prägte das Wort Reformstau. Bundeskanzler Schröder probiert das Mo- dell „learning by doing“ und stößt mit seinem Ansinnen auf heftige Kritik, obwohl es sich nur um vergleichsweise kleine Reformen handelt.Was uns fehlt, ist ein mutiges Gesamtkonzept, welches das Image Deutschlands, reformun- fähig zu sein und Arbeitsplätze unbezahlbar zu machen, durchbricht.Das Handwerk beginnt schon umzudenken: Auf einer Veranstaltung der Handwerkskammer Flensburg wurde mit Zahlen dafür geworben, die Steuern zu erhöhen um Arbeitsplätze billi- ger zu machen: „Nicht die Steuerbelastung, bei der Deutschland im unteren Drittel im euro- päischen Vergleich liegen, ist unser Problem, sondern es sind die Lohnnebenkosten, welche die Arbeitsplätze derart teuer machen. Deshalb plädiert das Handwerk für höhere Steuern und sinkende Sozialabgaben“, so die Botschaft der Veranstaltung.Wenn der Segeberger Kreisvorsitzende Joachim Behm aus diesem Gesamtkonzept folgende Kurzmeldung für die Zeitung produziert: „Mehrwertsteuer nicht erhöhen“, denn es wäre ein „fatales Signal für die Wirtschaft“, zeigt dies nur um so krasser die Wirtschaftsferne der FDP.Ich rate Herrn Behm daher, einmal zur Wirtschaft zu gehen und dort zu fragen, wie sie zu ei- ner drastischen Senkung der Lohnnebenkosten steht – auch, wenn diese durch Verbrauchs- steuern gegenfinanziert werden müsste.Das Modell der FDP ist betörend: Steuern runter, Lohnnebenkosten runter, Ausgaben für Bil- dung und innere Sicherheit hoch, und dann bekommt jeder Bürger noch 500 € geschenkt, um die Konjunktur anzukurbeln. Ein schönes gelbes Märchen. Vielleicht überzeugen wir ja zumindest die CDU, die immer wieder betont, dass Arbeitsplätze in Deutschland für die Betriebe zu teuer sind. Stimmen Sie unserem Antrag zu, denn eine drastische Senkung der Lohnnebenkosen entlastet die Wirtschaft erheblich.Ihr Fraktionsvorsitzender Martin Kayenburg hatte unlängst angedeutet (KN vom 17.Mai 03), dass angesichts der finanziellen Not für die CDU Fraktion selbst die Mehrwertsteuer nicht mehr tabu ist. Es sei zu fragen, so Kayenburg, ob sie im europäischen Kontext noch ange- messen ist. Da ist es doch überzeugender, die Mehrwertsteuer zur Senkung der Lohnneben- kosten zu erhöhen als damit den Haushalt zu stopfen.Also, meine Damen und Herren von der Opposition, heulen Sie nicht mit den Berliner Wölfen, sondern kämpfen Sie gemeinsam mit uns für mutige Reformen.Trauen Sie sich – genauso wie wir – gegen den parteipolitischen Trend zu schwimmen. Stimmen Sie unserem Antrag zu und senden Sie gemeinsam mit uns das deutliche Signal an den Bundestag, dass es zumindest hier im Norden ein einstimmiges Votum für eine Umsteu- erung gibt. ***