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18.06.03
12:02 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel - Zehn Schritte für die Zukunft Schleswig-Holsteins

Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Stellvertr. Pressesprecherin Anja Koch Es gilt das gesprochene Wort! Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel TOP 2 – Regierungserklärung zur politischen und wirtschaftlichen Lage Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Dazu sagt der Fraktionsvorsitzende Mobil: 0172/541 83 53 von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Karl-Martin Hentschel: Internet: www.gruene-landtag-sh.de

Nr. 151.03 / 18.06.2003


„Was Du für einen Gipfel hältst, ist nur eine Stufe“ Lucius Annaeus Seneca, römischer Philosoph und Staatsmann



Zehn Schritte für die Zukunft Schleswig-Holsteins
„Diese neue Regierung ist notwendig geworden, weil sich die alte ... als unfähig bewies, ... die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, das Netz sozialer Sicherheit zu gewährleisten und die zer- rütteten Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen.“
Dieses Zitat stammt nicht von Gerhard Schröder 1998, auch nicht von Heide Simonis 1988, es stammt von Helmut Kohl aus dem Jahre 1982 - vor 21 Jahren. Seitdem hat sich die Ar- beitslosigkeit verdoppelt, die Sozialabgaben sind um ein Drittel gewachsen und die Staats- verschuldung hat sich fast vervierfacht. Das ist kein Ruhmesblatt, weder für 16 Jahre Schwarz-Gelb noch für fünf Jahre Rot-Grün.
Es gibt eine politische Regel: Eine Regierung kann im letzten Jahr vor der Wahl nicht mehr viel machen, vor allem nichts Unpopuläres. Wir werden uns an diese Regel nicht halten. Ich sage das auch, damit die Opposition ihre Wahlkampfplanung schon mal darauf einstellen kann.
Deswegen werde ich jetzt nicht lobend wiederholen, was wir alles geleistet haben, sondern 10 Punkte nennen, die von der Bundespolitik und der Landespolitik gemeinsam angepackt werden müssen. 1. Um die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, müssen wir die Belastung der unte- ren Einkommen radikal senken und den Arbeitsmarkt öffnen. Die Agenda 2010 ist dazu ein erster Schritt. Das wird aber nicht reichen. Wir brauchen eine drastische Senkung der Sozialabgaben. Dazu müssen wir, das ist meine Überzeugung, in Zukunft wesentliche Teile unseres Sozialsystems über Verbrauchssteuern finanzieren. Ich freue mich, dass diese Linie von der Landesregierung unterstützt wird und dass wir dazu ei- nen gemeinsamen Antrag haben, über den wir morgen ausführlich reden können.
2. Wir müssen ernst machen mit dem Subventionsabbau. Meine Partei hat dazu zahlreiche Vorschläge vorgelegt: Entfernungspauschale: Wert 3 - 4 Mrd. €; Eigenheimzulage nur für Familien mit Kindern und keine Sonderförderung für Neu- bauten: 5 Mrd. €; Steinkohlesubvention: 2,8 Mrd. €; Ausnahmeregelungen bei der ökologi- schen Steuerreform: 4,6 Mrd. €; Steuerbefreiungen im Flug- und Schiffsverkehr: 1,5 Mrd. €; Mineralölsteuerprivileg für die chemische Industrie: ca. 1Mrd. €; Agrardiesel: 300 Mio. €.
Nicht erwähnt habe ich Werftenhilfe, Landwirtschaft und den Verkehrssektor – aber auch darüber muss geredet werden. Auffällig ist, dass sehr viele dieser Subventionen auch ökolo- gisch höchst negative Auswirkungen haben.
Wir kommen nur weiter, wenn Bund und Länder gemeinsam handeln. Denn das, was gerade im Bundesrat geschehen ist – die Blockade eines großen Teils der Subventionsstreichungen durch die Union mit der verqueren Behauptung, es handele sich um Steuererhöhungen – das war ein Trauerspiel. So etwas darf sich nicht wiederholen.
3. Wir brauchen eine grundlegende Reform des Bildungssystems. PISA und IGLU haben deutlich gemacht, was getan werden muss. Wenn im gesamten ersten Drittel der PISA-Rangliste kein einziges Land vorkommt, das sich ein so teures und ineffi- zientes dreigliedriges Schulsystem leistet wie wir, dann ist mir unbegreiflich, wenn hier im Lande immer noch die Bereitschaft fehlt, über ein anderes System zu reden.
Herr de Jager, bringen Sie bitte den Landrat Sager in Ostholstein zur Vernunft. Wo sind wir denn, wenn Kinder in Schleswig-Holstein in Containern sitzen müssen, weil ein verbohrter Landrat gegen den Elternwillen Schulkampf auf dem Rücken der Kinder austrägt!
Alle Experten sagen uns, dass Autonomie der Schulen, Förderung der Kinder statt sitzen bleiben, aber auch die konsequente externe Evaluierung der Schulen der Schlüssel für eine gute Schule sind. Deshalb frage ich mich, warum gibt es hier noch so viele Widerstände?
Am Geld liegt es nicht! Ein gutes Schulsystem ist zu haben ohne zusätzliche Kosten – Finn- land hat es uns vorgemacht.
Deshalb eine Bitte an Sie, Frau Eisenberg: Hören Sie auf, im Lande herumzulaufen und zu erzählen, das Vier-Milliarden-Programm des Bundes für Ganztagsschulen sei nur ein „Trop- fen auf den heißen Stein“ und wir bräuchten dafür 20% mehr LehrerInnen. So kriegen Sie je- de Reform kaputt.
Wir brauchen nur eins zu tun: Die Fakten ernst nehmen, die eigenen Positionen kritisch überprüfen und bereit sein, das Schulsystem der Zukunft gemeinsam durchzufechten. 4. Meine Fraktion ist bereit zu einer grundlegenden Novellierung des KiTa-Gesetzes. Das jetzige System ist aus dem Ruder gelaufen. Fachleute sagen mir, dass in den Kreisen niemand mehr prüft, was abgerechnet wird. Unsere große Anfrage zeigt extreme Unterschie- de in den Angeboten im Lande.
Wir wollen das System auf eine transparente kindbezogene Förderung mit Anreizen für fami- liengerechte Öffnungszeiten umstellen. Dafür sind wir bereit, die vorhandenen Mittel und ei- nen Aufwuchs, der die nötige Flexibilität sichert, in den kommunalen Finanzausgleich zu ge- ben und mit den Kommunen Vereinbarungen über die Qualität der pädagogischen Arbeit und Betreuung abzuschließen.
Natürlich haben wir in der Koalition darüber geredet, ob es nicht einfacher wäre, eine solche Strukturänderung nach der Wahl zu machen. Aber wir haben entschieden, es jetzt zu ma- chen – denn wir sind überzeugt, dass Handeln von den WählerInnen letztlich belohnt wird.
5. Wir wollen die Reform der Hochschullandschaft auf Basis des Erichsen-Gutachtens schnell umsetzen. Das führt schon jetzt vor Ort zu heftigen Protesten. Die heftigsten Kämpfe um Besitzstände sind an den Universitätsklinika und den medizinischen Fakultäten zu erwarten, wo drastisch abgebaut werden soll. Ich habe deshalb mit Neugier gelesen, dass Herr Carstensen am 28. März sagte: „Wir müssen die Ergebnisse der Erichsen-Kommission ergebnisoffen und ohne Vorbehalte prüfen.“
Und was dann, Herr Kayenburg?! Stimmt es, dass der geplante Landtagsantrag Ihrer Frakti- on am Lokalpatriotismus einzelner Abgeordneter gescheitert ist? Sind Sie bereit, auch unan- genehme Punkte mitzutragen? Oder werden Sie vor Ort allen versprechen, nach der Wahl wird alles besser und zur Blockade der Strukturreform ermuntern. Da kann ich nur hoffen, dass Herr Driftmann Ihnen parteiintern die Leviten liest. Wir jedenfalls werden das genau be- obachten und fordern Sie auf, die Reformen mitzutragen.
6. Wir brauchen eine Fokussierung der Wirtschafts- und Strukturförderung auf Maß- nahmen, die geeignet sind, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen.
Ihr ewiges Gejammer, Herr Kayenburg, hilft uns nichts. Ihr ehemaliger Parteifreund Ludwig Erhard sagte einmal: „Ich glaube, es ist immer noch besser, die Wirtschaft gesund zu beten, als sie tot zu reden.“
In der Nummer 2 des CDU-Kuriers ist Herr Carstensen abgebildet, wie er in Husum in eine Windmühle kriecht und von 6.000 neuen Arbeitsplätzen schwärmt. Sie hier dagegen agitieren lautstark gegen die Windkraft. Ich rate Ihnen: Lassen Sie das sein! Das ist doch unglaubwür- dig!
Und an dieser Stelle kann ich es mir nicht verkneifen: Lieber Kollege Plüschau – glaubst du wirklich, dass du mit dieser populistischen Truppe die Probleme des Landes löst? Ich nicht.
Tatsache ist, dass Schleswig-Holstein viele Standortvorteile hat: Gut ausgebildete Fachleute, geringe Arbeitskosten, ein hoher Freizeitwert, die niedrigste Gewerbesteuer, die meisten In- ternetnutzer, einen Spitzenplatz bei Existenzgründungen und zwei kreative, innovative Minis- ter im Wirtschafts- und im Umwelt- und Landwirtschaftsministerium, die beide Wert darauf le- gen, der Wirtschaft den besten Service der Republik zu bieten.
Trotzdem müssen wir die Instrumente überprüfen. Vieles wird ohne Effekte für die Wirtschaft gemacht, weil man die Fördermittel gerne kassiert.
Ich begrüße, dass im Rahmen der Föderalismusdebatte darüber geredet wird, die Mischfi- nanzierung zurückzufahren und damit den Ländern mehr Freiheit beim Einsatz der Mittel zu geben.
Dazu gehört auch, dass wir ernst machen mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Landesregie- rung. Umweltpolitik ist effiziente Wirtschaftspolitik – nicht nur weil sie enorme Kosten spart. Nur effiziente, ressourcensparende und umweltfreundliche Produkte und Technologien wer- den in Zukunft eine Chance auf den Märkten haben.
7. Wir brauchen eine Neuausrichtung der Agrarpolitik.
Am 29. April forderte Herr Carstensen in den KN weniger Bürokratie. Recht hat er, auf 15 Bauern kommt ein Angestellter in der Agrarverwaltung.
Aber wo war die CDU als wir die Bürokratie abgebaut haben, z. B. bei der Reduzierung der Kammerzuschüsse oder bei der Zusammenlegung des Ministeriums. Haben Sie da nicht landesweit Protestgeheul angestimmt?
Zugleich kritisierte Herr Carstensen die Pläne von EU-Kommissar Fischler, Subventionen mehr an Qualitätskriterien zu messen. Meister Harry, wer im Jahre Zwei nach BSE immer noch nicht begriffen hat, dass Qualität und Naturverträglichkeit die Zukunftsgarantie der Landwirtschaft sind, wer immer noch denen nach dem Mund redet, deren Schlachtruf „Masse statt Klasse“ ist, der hat nichts begriffen. Bei soviel Gestrigkeit fällt mir Karl-Valentin ein – der sagte: „Die Zukunft war früher auch viel besser.“
So nicht, Herr Carstensen! Wir brauchen eine konsequente Neuausrichtung der Agrarpolitik – hin zu Effizienz, hin zu Qualität, hin zu Ökologie – damit die Zukunft unseres ländlichen Raumes gesichert wird.
8. Egal wie man zum Nordstaat steht, wir müssen die Zusammenarbeit der norddeut- schen Länder in der Praxis weiter ausbauen, mit Hamburg – aber natürlich auch mit den anderen Norddeutschen. Die Fusion der Landesbanken, die Integration der Datenzentralen, die einheitlichen Fahrkar- ten für Bus und Bahn – das sind erfolgreiche Schritte. Wir werden auch in Zukunft weiter drängen: Unsere Forderungen nach Zusammenlegung der Eichämter, der statistischen Lan- desämter und der Verfassungsschutzbehörden sowie nach Abstimmung der Studienangebo- te an den Hochschulen liegen auf dem Tisch.
9. Wir wollen die Verwaltungsreform zügig vorantreiben. Ich begrüße den Aufruf von Klaus Buß letzte Woche, Kommunale Leistungszentren in der Fläche zu bilden. Unser Ziel ist es, bereits die Kommunalwahlen 2008 in neuen Strukturen durchzuführen. Daran werden wir die anderen Parteien messen. Beim Standard-Abbau sind wir offen für konkrete Vorschläge, aber nicht für Generalklauseln wie jetzt im Standardabbaugesetz der CDU. Selbst der Landesrechnungshof hat Ihnen be- scheinigt, dass Ihr Gesetzentwurf nichts bewirken wird. Wenn Sie Standards abbauen wol- len, dann müssen Sie konkrete Vorschläge machen. Denn auch für die Opposition gilt:
Wer die Lippen spitzt, der muss auch pfeifen – virtuelle Töne gelten nicht!
10. Das A und O jeglichen Sparens ist die Personalpolitik. Seitdem Rot-Grün regiert, haben wir über 10.000 Stellen ausgelagert und 2.000 Stellen in Ministerien und Landesämtern echt abgebaut – das sind fast 20%.
Nach einer Berechnung des IfW in Köln hatte Schleswig-Holstein 2002 von allen Westlän- dern die geringsten Personalausgaben mit 1.053 € je Einwohner.
Am 5. Juni 2003 forderte Kollege Wiegard von der Union einen Abbau der reinen Verwal- tungsstellen von 22.000 um 4.400 Stellen. Leider haben Sie sich dabei um 100% verrechnet. Bei der Reduzierung des Weihnachtsgeldes kriegen Sie hingegen kalte Füße. Auch hier rate ich der Opposition: Große Töne spucken, bei den Zahlen völlig verrechnen und wenn es kon- kret wird, passen. So nicht, Herr Wiegard!
Es stehen uns spannende Zeiten bevor. Liebe Opposition, beteiligen Sie sich konstruktiv an den Reformen und hören Sie auf, ununterbrochen finanziell haltlose Versprechungen zu ma- chen. Ob in Niedersachsen, in Hamburg oder in Hessen – jedes Mal hat der Regierungs- wechsel für die Staatskasse Mehrausgaben in dreistelliger Millionenhöhe gebracht, um die Wahlversprechen zu finanzieren. Ich werde darum kämpfen, dass dies hier nicht passiert.
Und hören Sie endlich auf mit dem Zirkus um den Untersuchungsausschuss. Sie glauben doch selbst nicht, dass Heide Simonis der Typ ist, der geheime Verschwörungen auf Ge- burtstagsfeiern plant. Setzen Sie ihre Energien lieber produktiv für das Land ein.
Max Frisch sagte einmal: „Die Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“
Ich spüre diesen produktiven Zustand in der Bevölkerung und in meiner Partei. Die Ent- schlossenheit, die Probleme anzugehen, auch wenn es schwierig ist, war noch nie so groß. Deshalb – im Sinne der Ruckrede von Roman Herzog – lassen Sie uns rucken.