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12.06.03
11:30 Uhr
Landtag

Bundesländer müssen in Europa stärkere Rechte haben

76/2003 Kiel, 12. Juni 2003



Bundesländer müssen in Europa stärkere Rechte haben
Kiel (SHL) – Gemeinsame Konferenz der Präsidentinnen und Präsi- denten der Landesparlamente der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich mit Beteiligung von Südtirol am 11. Juni 2003 in Kiel
Die Präsidentinnen und Präsidenten der Landesparlamente Deutsch- lands, Österreichs und Südtirols sind sich einig: Die Länderrechte und die Parlamente sollen ein größeres Gewicht in Europa erhalten. Konkre- tisiert wird diese Forderung in der durch alle Präsidentinnen und Präsi- denten einstimmig verabschiedeten „Kieler Erklärung“.

Nach 16 Jahren ist Schleswig-Holstein turnusgemäß Gastgeber der Konferenz der Landtagspräsidentinnen und -präsidenten. Weitere Teil- nehmer waren die Präsidentinnen und Präsidenten der Länder Öster- reichs und Südtirols. Dabei stand unter anderem der anstehende Ent- wurf des Europäischen Konvents für eine europäische Verfassung im Vordergrund der Konferenz.

Über die Einigkeit der Stärkung der Länder in Europa mit der „Kieler Er- klärung“ gab es einen intensiven Erfahrungsaustausch im Bereich der Modernisierung des Föderalismus in Deutschland und Österreich. Wei- tergehende Kompetenzen, die Entflechtung von Kompetenzen sowie die stringente Anwendung der Subsidiarität sind dabei einhellig als grundle- gend für eine Reform des Föderalismus angesehen worden. 2


Ein weiterer Aspekt der Konferenz war die Zusammenarbeit der Bundes- länder mit den US-Bundesstaaten und Provinzen Kanadas. Nach einem Vortrag des Präsidenten für Parlamentspartnerschaften, Steve Lakis, wurde durch den Vorsitzenden der Konferenz, Landtagspräsident Heinz- Werner Arens, betont, dass die atmosphärischen Störungen zwischen den USA und Deutschland lediglich die Handelnden auf Nationaler Ebe- ne betreffe. Umso mehr seien die Bundesländer und Bundesstaaten aufgefordert, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten zu fördern.

Das Treffen der Konferenzteilnehmer diente neben den inhaltlichen Themenschwerpunkten auch der Vorstellung des Landes Schleswig- Holstein. Hier hatten die Konferenzteilnehmer die Gelegenheit, das Schloss Gottorf in Schleswig und die Hansestadt Lübeck kennen zu ler- nen. Besonders gefreut haben sich die Präsidentinnen und Präsidenten über die Einladung zu einem kurzen „Törn“ auf der „Gorch Fock“.

Arens: „Die Gemeinsame Konferenz der Präsidentinnen und Präsiden- ten war ebenso ergebnis- wie erfolgreich. Die Schnittpunkte der österrei- chischen und deutschen Landesparlamente sind beträchtlich, und mit der ‚Kieler Erklärung’ wurde eine gute Grundlage für die weitere inhaltli- che Zusammenarbeit gelegt.“ 3


Bekenntnis zu Föderalismus und Subsidiarität Landtage als Vertreter der Bürgerinteressen
Kieler Erklärung der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen und österreichi- schen Landesparlamente mit Beteiligung Südtirols vom 12. Juni 2003

I.
Das bewährte Modell des Föderalismus fortentwickeln
Die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für den Föderalismus in Deutschland und Österreich hat nichts von ihrer zukunftsweisenden Bedeutung eingebüßt. Die deutschen und österreichischen Landesparlamente setzen sich für eine Stärkung des Föderalismus ein, weil er sich als politisches Modell bewährt hat.
Der Föderalismus ist gekennzeichnet von gemeinsamer Verantwortung für das Gan- ze, von Solidarität und der Vielfalt der Länder mit ihrer unterschiedlichen Geschichte, Kultur, Gebietsstruktur und Bevölkerungszahl. Föderalismus ermöglicht den Ländern, eigene Wege der Aufgabenerfüllung zu entwickeln. Er gewährt zusätzliche Möglich- keiten demokratischer Teilhabe in Wahlen und Abstimmungen und fördert regionale Identität.
Föderalistische Strukturen entsprechen dem Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach örtlicher und sachlicher Nähe sowie inhaltlicher Verständlichkeit und wirken zentralistischen Tendenzen entgegen. Für den Föderalismus ist die autonome Ge- setzgebung der Länder ein unabdingbares Wesenselement. Leistungsfähige Länder mit einem Kernbestand eigener, durch die Verfassung gewährleisteter Kompetenzen fördern die Kreativität und den innovativen Wettbewerb bei der Lösung von Sach- problemen.
Gleichwohl ist der Föderalismus sowohl in Deutschland als auch in Österreich re- formbedürftig. Das Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern hat sich im Lau- fe der letzten Jahrzehnte zu Ungunsten der Länder verschoben. Die zunehmende Zentralisierung und Verflechtung politischer Entscheidungen sowie die Entwicklung zum Exekutivföderalismus gefährden Vielfalt und Bürgernähe, demokratische Legiti- mation, Transparenz und Effektivität politischen Handelns.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, treten die Landesparlamente für eine Re- form des Föderalismus ein. Dabei sind die Landesparlamente als die vom Volk ge- wählten obersten Organe der politischen Willensbildung auf Landesebene zu stär- ken. Dies gilt insbesondere für ihre Kompetenzen im Bereich der Gesetzgebung. Re- formbedarf besteht ferner bei den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. 4


Mehr Mitwirkung der Landesparlamente in den Angelegenheiten der Europäischen Union.
Die Landesparlamente haben wiederholt die überragende Bedeutung der Europäi- schen Einigung für Sicherheit, Frieden und Wohlstand in Europa betont. Sie weisen aber darauf hin, dass die Kompetenzverluste der Länder durch den Übergang von Hoheitsrechten der Länder auf die Europäische Union ein bedenkliches Ausmaß er- reicht haben. Auch gehen Rechtsetzungsakte der Europäischen Union im Umfang und Regelungstiefe nicht selten über das erforderliche Maß hinaus. Dies hat zu einer Aushöhlung der eigenstaatlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Länder und ihrer Par- lamente beigetragen.
Die Interessen der Landesparlamente sind in Angelegenheiten der Europäischen Union durch eigene und gestärkte Mitwirkungsbefugnisse zur Geltung zu bringen.
Wirksame Vorkehrungen zum Schutz der Rechte der Länder sind auch auf Ebene der Europäischen Union zu treffen. Dies gilt nicht allein für die deutschen und öster- reichischen Länder. Auch in anderen europäischen Staaten vollziehen sich föderale oder dezentrale Entwicklungen. Dem Subsidiaritätsprinzip im Artikel 5 EGV, das die Bedeutung der regionalen Ebene für die Europäische Union anerkennt, muss durch geeignete rechtliche Regelungen mehr Geltung verschafft werden.

II.
Mitwirkung der Landesparlamente an der Neugestaltung des Föderalismus
Sowohl das deutsche Grundgesetz als auch das österreichische Bundes- Verfassungsgesetz versagen den Landesparlamenten eine unmittelbare Mitwirkung auf Bundes- und europäischer Ebene. Selbst auf verfassungspolitische Grundent- scheidungen zur Kompetenzverteilung im föderativen System der genannten Staaten oder in der Europäischen Union können sie keinen mitentscheidenden Einfluss neh- men – nicht einmal dort, wo ihre eigenen Kompetenzen berührt sind.
Die Landesparlamente müssen jetzt das Wort ergreifen: der Europäische Konvent tagt, um die Grundlagen für eine Europäische Verfassung zu erarbeiten. Gleichzeitig berät in der Bundesrepublik Deutschland die von der Bundesregierung und den Lan- desregierungen eingesetzte Bund-Länder-Kommission zur Modernisierung der bun- desstaatlichen Ordnung, die die Weichen für eine Reform des Föderalismus in Deutschland stellen soll. In Österreich tagt ein Verfassungs-Konvent mit ähnlicher Zielsetzung.
Die gemeinsame Konferenz der Landtagspräsidentinnen und Landtagspräsidenten der deutschen und österreichischen Länder will ein notwendiges Signal setzen und die Position der Länder in engem Schulterschluss von Landesparlamenten und Lan- desregierungen in den weiteren Beratungen über künftige Strukturen und Entschei- dungsprozesse sowohl in Deutschland als auch in Österreich und in einer erweiterten Europäischen Union mit Nachdruck vertreten. 5


III.
Die Länder und ihre Parlamente stärken
In der Bundesrepublik Deutschland hat der Föderalismuskonvent der deutschen Lan- desparlamente am 31. März 2003 in der Hansestadt Lübeck Forderungen zur Stärkung der Länder und ihrer Parlamente verabschiedet.
Für Österreich hat die Konferenz der Landtagspräsidentinnen und Land- tagspräsidenten ihre Vorstellungen in einer Erklärung vom 7. Februar 2003 für die neue Gesetzgebungsperiode des Nationalrates zur Bundesstaatsreform konkretisiert.

IV.
Die Länder und ihre Parlamente in der Europäischen Union stärken
Die auf 25 Staaten erweiterte Europäische Union muss sich auf die europäischen Kernaufgaben beschränken, wenn sie handlungsfähig bleiben will.
In einem Verfassungsvertrag ist eine europäische Kompetenzordnung zu verankern, in der die Zuständigkeiten der Europäischen Union eindeutig festgelegt werden. Richtschnur für die Zuordnung der Kompetenzen müssen die Grundsätze der Subsi- diarität und der Verhältnismäßigkeit, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung der Europäischen Union sowie die Verpflichtung sein, die nationale Identität und den innerstaatlichen Aufbau ihrer Mitgliedsstaaten zu respektieren.
Die Präsidentinnen und Präsidenten anerkennen, dass der vom Europäischen Kon- vent vorgelegte Entwurf eines Verfassungsvertrages insofern in die richtige Richtung weist, als dort versucht wird, durch die Einführung von Kompetenzkategorien die Kompetenzen der EU transparenter und klarer zu definieren. Die Präsidentinnen und Präsidenten sehen jedoch mit Sorge, dass im Entwurf, ohne dass dies von der Sa- che her geboten ist, weitere Kompetenzen auf die EU übertragen werden. Die Fort- schritte, die bei den für die Zuordnung der Kompetenzen maßgeblichen Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit erzielt worden sind, werden dadurch wieder relativiert.
Zur Sicherung der künftigen Kompetenzordnung der Europäischen Union ebenso wie zum Schutz der Gesetzgebungszuständigkeiten der Mitgliedstaaten und der Länder bedarf es einer wirksamen politischen ex-ante-Kontrolle. Ihr Ziel muss es sein, be- reits in der Entstehungsphase von Rechtsakten der Europäischen Union die Einhal- tung der Kompetenzordnung und des Subsidiaritätsprinzips zu überwachen. Gefor- dert wird – wie im Schlussbericht der Arbeitsgruppe „Subsidiarität“ des Europäischen Konvents vorgeschlagen – ein Mechanismus zur vorbeugenden Subsidiaritäts- und Kompetenzkontrolle. An einem solchen „Frühwarnsystem“ sind neben den nationalen Parlamenten auch die regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen – in Deutschland und Österreich die Landesparlamente – zu beteiligen. Die nachträgliche gerichtliche Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof bleibt unberührt.
Die Präsidentinnen und Präsidenten bedauern, dass nach dem Entwurf des Verfas- sungsvertrages des Europäischen Konvents entgegen der vorstehenden Forderung 6


die regionalen und Landesparlamente nicht am Frühwarnsystem zur Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips beteiligt werden sollen. Die vom Europäischen Konvent emp- fohlene Einbeziehung in den innerstaatlichen Konsultationsprozess reicht nicht aus, da die regionalen und Landesparlamente damit nicht unmittelbar am Frühwarnsys- tem beteiligt sind. Daher wird an der Forderung festgehalten.
Die Länder und die Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen sowie der Ausschuss der Regionen sollten zur Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und ihrer verfassungs- mäßigen Rechte und Zuständigkeiten ein Klagerecht vor dem Europäischen Ge- richtshof erhalten.
Die Präsidentinnen und Präsidenten begrüßen, dass dem Ausschuss der Regionen im Entwurf des Verfassungsvertrages des Europäischen Konvents ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof zur Wahrung des Subsidiaritätsprinzips eingeräumt wird. Sie halten gleichwohl an ihrer Forderung fest, dass auch die Länder und Regio- nen mit Gesetzgebungsbefugnissen ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichts- hof zur Wahrung des Subsidiaritätsprinzips wie auch zum Schutz ihrer verfassungs- mäßigen Rechte und Zuständigkeiten erhalten müssen.
Die Landesregierungen haben zum frühest möglichen Zeitpunkt die Landesparla- mente über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union zu unterrichten, die für das Land von herausragender politischer Bedeutung sind und wesentliche Inte- ressen des Landes unmittelbar berühren. Die Landesregierungen haben den Lan- desparlamenten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und diese zu berücksich- tigen.
Bei Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union, die Gesetzgebungszu- ständigkeiten der Länder wesentlich berühren, haben die Landesregierungen die Stellungnahmen der Landesparlamente maßgeblich zu berücksichtigen.

V.
Zusammenarbeit der Landesparlamente
Zur gemeinsamen Vertretung und Koordination dieser Positionen werden die deut- schen und österreichischen Landesparlamente in Zukunft verstärkt zusammenarbei- ten und die Zusammenarbeit auch mit den Regionalparlamenten anderer Staaten intensivieren.