Arens: Wir Europäer, wir Deutsche müssen uns den Konflikten in der einen Welt stellen, wo sie anstehen
44/2003 Kiel, 3. April 2003 Sperrfrist: 5. April 2003, 10:00 Uhr Redebeginn Es gilt das gesprochene WortLandtagspräsident Arens: „Wir Europäer, wir Deutsche müssen uns den Konflikten in der einen Welt stellen, wo sie anstehen.“Kiel (SHL) – In seiner Rede anlässlich der DGB-Veranstaltung „Vielfalt statt Einfalt für Frieden und Wahrhaftigkeit“ in Neumünster sagte Land- tagspräsident Heinz-Werner Arens unter anderem:„Seit gestern ist hier in Neumünster eine Ausstellung zu sehen, die zu den wichtigsten der Nachkriegsgeschichte gehört: ‚Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 bis 1944’. Ich halte diese Ausstellung deshalb für so wichtig, weil sie uns alle zwingt, uns erneut mit unserer Geschichte auseinander zu setzen. Dies ist nun ganz und gar nichts, was nur der älteren Generation vorbehalten bleibt. Ganz im Gegenteil. Es gilt nach wie vor der Grundsatz des Friedensno- belpreisträgers Eli Wiesel, der einmal zu Recht gesagt hat, dass die Ge- neration, die nach den Schrecken des Nationalsozialismus geboren wurde, natürlich nicht verantwortlich ist für die Verbrechen des National- sozialismus. Aber sie ist verantwortlich dafür, wie mit der Erinnerung an diese Verbrechen umgegangen wird.Als im Januar 1999 die damals noch nicht überarbeitete Ausstellung im Landtag in Kiel gezeigt wurde, war einer der Redner bei der Ausstel- lungseröffnung Bent Melchior, Oberrabbiner aus Kopenhagen. Ich möch- te aus seiner Rede eine kurze Passage zitieren: ‚Die Verbrechen des Nationalsozialismus bleiben Verbrechen des Nationalsozialismus. Und 2wenn wir das wegnehmen, vergessen, ist das allein ein Verbrechen. Ich will keinem Deutschen wehtun, glauben Sie mir. Aber manchmal kann man ja aus den schlechten Teilen seiner Geschichte etwas Gutes ler- nen. Und das ist meine Absicht, darum will ich erinnern. Das Erinnern muss einen Zweck haben. Der Zweck ‚Never again! Niemals wieder!’ ist doch wichtig für unsere Kinder. Und darum ist unsere Erinnerung an den Nationalsozialismus nicht heute vorbei und nicht in dreißig Jahren und nicht in hundert Jahren.’Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des eigenen Volkes, und dabei auch mit den dunklen Seiten dieser Vergangenheit, ist ja nichts spezifisch Deutsches. Spezifisch Deutsch ist die Dimension des Verbre- chens, das in deutschem Namen an Millionen von Menschen begangen wurde. Und diese Dimension verpflichtet uns in besonderem Maße. Auch deshalb, weil die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ja auch immer eine Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen, rechts- radikalen Kräften in der Gegenwart unserer Gesellschaft ist.Wer einen Blick auf die Dimensionen des nationalsozialistischen Verbre- chens wirft, kann eigentlich nicht verstehen, dass es heute noch Men- schen gibt, die diese Verbrechen nicht nur schönreden wollen, sondern sie sogar rechtfertigen, verteidigen, loben. Wir hatten ja einige Zeit lang die Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht die NPD verbieten würde. Seit einigen Wochen hat sich diese Hoffnung erledigt. Der Pro- zess ist eingestellt. Aber wir wissen ja auch, dass nicht nur die offiziellen Figuren des Rechtsextremismus – ich nenne hier nur Horst Mahler – gefährlich für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft sind.Wir wissen heute vielmehr sehr genau, dass wir vor allem den Bereich der rechtsextremistisch geprägten Subkultur im Auge halten müssen. Subkulturen sind weitaus schwerer zu kontrollieren als Organisationen, und damit eben auch Parteien. Handy und Internet ersetzen in der rechtsradikalen Szene die Parteiversammlungen. Die offiziellen Organi- sationen dienen lediglich als Vehikel, um den rechtsstaatlichen Schein zu wahren.Wenn wir dann noch die in Umfragen zutage geförderten Erkenntnisse hinzunehmen, dass seit Jahren konstant 10 bis 15 Prozent der deut- schen Bevölkerung über ein rechtsextremes Weltbild verfügen, dann erst können wir die Größe der politischen Aufgabe richtig einschätzen. Rechtsextremismus ist schon lange kein Problem mehr von so genann- ten Randgruppen, sondern es ist auch in der Mitte der Gesellschaft an- 3gesiedelt. In einigen Bereichen der neuen Bundesländer kann man be- reits beobachten, dass dort der Rechtsextremismus zu einer Art neuen sozialen Bewegung geworden ist.Hier gegen zu steuern ist eine demokratische Aufgabe allerersten Ran- ges. Insbesondere die Erkenntnis, dass die rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Straftaten fast ausschließlich von Jugendlichen und jungen Männern begangen werden, ist wichtig für die Konzeption von Gegenmaßnahmen und/oder von vorbeugenden Maßnahmen. Es gibt ja durchaus eine Reihe pädagogischer Konzepte. Allerdings beklagen die- jenigen, die in diesem Feld der Jugendarbeit tätig sind, vielfach man- gelnde finanzielle und personelle Unterstützung. Das müssen wir ernst nehmen.Auch in Zeiten einer unbestritten schwierigen oder auch kritischen Haushaltslage der öffentlichen Hände müssen wir politische Prioritäten setzen. Die präventive Arbeit gegen den Rechtsextremismus muss aus- gebaut werden. Dies will ich ausdrücklich unterstreichen. Wichtig ist auch, dass wir immer wieder die Auseinandersetzung mit unserer Ge- schichte suchen und führen. Allerdings reicht das nicht. Menschlichkeit und Toleranz müssen als Werte gelebt und vermittelt werden. Von je- dem Einzelnen und jeder Einzelnen von uns. Wir können diese Aufgabe nicht auf Institutionen abschieben. Wir alle als Bürgerinnen und Bürger haben unseren Teil dazu zu tun.Die Veranstaltung heute steht unter dem Motto: Vielfalt statt Einfalt für Frieden und Wahrhaftigkeit. Dahinter verbirgt sich eine große Aufgabe. Wir wollen und müssen unsere Gesellschaft erhalten und ausbauen als eine vielfältige Gesellschaft, in der viele verschiedene Kulturen friedlich nebeneinander existieren können. Dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, heißt ja nicht, dass sie alle gleich sind oder gleich sein sol- len. Wer diesen Satz so versteht, verkörpert in der Tat die Einfalt, die wir uns nicht leisten können.In diesen Tagen für den Frieden demonstrieren, heißt gegen den Krieg der Amerikaner und Briten im Irak zu demonstrieren. Es heißt nicht, für Saddam zu demonstrieren. Denn dieser Mann ist ein Verbrecher, der daran gehindert werden muss, sein Volk in menschenrechtsverachten- der Weise zu knebeln. Aber dies rechtfertigt nach Auffassung vieler Völ- kerrechtler und Politiker nicht das Vorgehen der Amerikaner und Briten. Wir Europäer, wir Deutsche müssen uns den Konflikten in der einen Welt stellen, wo sie anstehen und handeln. Aber Krieg steht uns als poli- 4tisches Instrument nicht zur Verfügung. Die UNO hat bewiesen, dass die Entmachtung des Menschenrechtsverletzers Saddam Hussein auch oh- ne Krieg möglich ist. Wir müssen aber nicht nur demonstrieren und for- dern sondern auch überzeugen.Die Forderung nach Wahrhaftigkeit ist vor allem eine Forderung an den Gebrauch der Sprache. In einem Artikel in der Landeszeitung entlarvt der ehemalige Leiter des Hamburger Amerikahauses und der Akademie für Publizistik, Dr. Friederich Mielke, die Sprache der Kriegsberichterstat- ter als eine beschönigende Sprache der Propaganda – wenn zum Bei- spiel vom ‚Kollateralschaden’ oder einem ‚chirurgischen Luftschlag’ ge- sprochen wird. Dies erkannte ja schon der kalifornische Politiker Hiram Johnson in seiner Rede vor dem U.S.-Senat im Jahre 1917: ‚Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.’In seiner Sitzung am vergangenen Mittwoch hat sich der Schleswig- Holsteinische Landtag mehrheitlich gegen den Krieg im Irak ausgespro- chen und auf die Gefahr einer Destabilisierung des gesamten Nahen Ostens hingewiesen. Wir rufen auch hier auf zu einer baldigen Beendi- gung dieses Krieges. Dieser Krieg muss im Interesse der vielen un- schuldigen Opfer beendet werden. Allerdings muss die internationale Gemeinschaft gemeinsam an dem Ziel weiterarbeiten, die Situation für die Menschen im Irak zu verbessern.“