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23.01.03
11:11 Uhr
SPD

Jürgen Weber zu TOP 16: Ein Schuss Bildungspolitikk von vorgestern

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 23.01.2003 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell TOP 16 – Verzahnung von Vorschul- und Grundschulbereich, Neuordnung der Grundschule und Über- arbeitung der Orientierungsstufenverordnung

Jürgen Weber:

Ein Schuss Bildungspolitik von vorgestern

Der öffentliche PISA-Schock des letzten Jahres hat eine ganze Reihe von Prozessen ausgelöst: Prozesse des Nachdenkens über unsere Schulen, Prozesse der selbstkriti- schen Bestandsaufnahme und Prozesse des Handeln und Gestaltens. Bei allem habe ich noch sehr genau im Ohr, dass überall in der Republik betont und beteuert wurde, die Ergebnisse der PISA-Studie ernst zu nehmen, sie ohne Hast auszuwerten und oh- ne ideologische Scheuklappen daraus Handlungsanleitungen herauszuarbeiten.

Auch wenn die Kultur der bildungspolitischen Diskussionen diesen Anforderungen in abnehmendem Maße folgen, so bleibe ich dabei: Im Interesse der Entwicklung unserer Schulen, im Interesse der Entwicklung unserer Bildungsstruktur und unserer Bildungs- angebote, vor allem aber im Interesse unserer Kinder müssen alle Verbesserungsvor- schläge sorgfältig geprüft, sorgfältig gewogen und bewertet werden.

Unter diesem Gesichtspunkt gilt es auch, die Vorschläge und Forderungen unter die Lupe zu nehmen, die die CDU-Fraktion mit ihrem Antrag zur Verzahnung von Vor- und Grundschulbereich, Neuordnung der Grundschule und die Überarbeitung der Orientie- rungsstufenverordnung vorgelegt hat.

Mir ist es wichtig, noch einmal in Erinnerung zu rufen, was eigentlich common sense unter Bildungsfachleuten nach Auswertung der PISA-Studie im letzten Jahr war und Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



was damit auch Grundlage der Überlegungen war, welche dieser Erkenntnisse in un- serem gewachsenen deutschen Bildungssystem zu Veränderungen führen können und zu Veränderungen führen sollten.

Und da trifft es sich gut, dass vor 14 Tagen die Unternehmensberatung McKinsey aus der Analyse der PISA-Daten konkrete Empfehlungen für eine Schulreform formuliert hat. Dabei sind die Leute von McKinsey sicherlich unverdächtig, in den ausgetretenen Gräben der ideologischen Bildungsdebatten der letzten 20 Jahre zu stecken. Umso mehr gilt es als bemerkenswert festzuhalten, dass die Stellungnahme von McKinsey vier große Bereiche benennt, die man für reformbedürftig hält: die individuelle Förde- rung, die Primarstufe, das Qualitätsmanagement und die Autonomie der Schulen. Da- mit werden die Punkte unterstrichen, die auch die Landesregierung und die Koalitions- parteien in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen.

Die vier Überschriften bei Kinsey lauten: 1. individuelle Schülerförderung und späte institutionelle Trennung von Schultypen, 2. größeres Gewicht auf frühe Bildungsphasen, 3. konsequentes Qualitätsmanagement, 4. Eigenverantwortung und Leistungsorientierung der Schulen.

Gerade die stärkere individuelle Schülerförderung, die Beachtung der Bedeutung indi- viduellen Lernerfolgs, ist die zentrale Botschaft, die dem deutschen Schulsystem ins Stammbuch geschrieben worden ist.

Wir haben deswegen im letzten Sommer hier im Landtag auf Antrag der Fraktion von SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Konsequenzen aus den Ergebnissen der PISA- Studie beschlossen, die zur Stärkung der Grundschule, zur Verbesserung der Orientie- rungsstufe, der Hauptschule, der Vermittlung von Grundkompetenzen, des Einstiegs und der Ausweitung von Ganztagsangeboten und der Eigenverantwortung von Schule -3-



klare Zielrichtungen formuliert hat. Vieles von dem ist mittlerweile in Vorbereitung bzw. am Beginn der Umsetzungsphase.

Es ist schön, wenn auch eigentlich überflüssig, wenn der CDU-Antrag fordert, was längst auf dem Weg ist: - wie die verlässliche Grundschule, die jetzt stufenweise eingeführt wird, - wie die Einführung verbindlicher Deutsch-Kurse vor Eintritt in die Grundschule, die die Landesregierung fest in der Planung hat. In zwei Regionen werden be- kanntlich schon Konzepte erprobt, die dann flächendeckend eingesetzt werden sollen, - wie die Beschreibung von Mindeststandards und das Erarbeiten von Beispiel- aufgaben, um die Leistungen in der Grundschule vergleichbarer und für alle Be- teiligten transparenter zu machen. Das IPTS arbeitet bereits an dieser Aufgabe, und für das Fach Deutsch zum Beispiel in der Klassenstufe 4 haben die Grund- schulen bereits Arbeitsunterlagen erhalten. Und, auch das sollte Ihnen bekannt sein, Schleswig-Holstein und Bayern haben für die Kultusministerkonferenz die Federführung für die Erarbeitung von Musteraufgaben auf Bundesebene.

Ein weiteres Beispiel: Sie fordern die Elternbesuche von Lehrkräften. Dieses gehört schon jetzt zu den Aufgaben der Lehrkräfte. Die Forderung, die schulartbezogene Ori- entierungsstufe zu erhalten, ist eine weitere Eule, die Sie nach Athen tragen. Auch hier ist klar, dass eine Veränderung der Schulsysteme nicht beabsichtigt ist. Aber gegen eine enge Kooperation der Schulen wird nicht einmal die Opposition etwas einzuwen- den haben.

Soweit, so gut, wenn auch nicht neu und schon längst beschlossen. Allerdings wäre unsere CDU nicht unsere CDU, wenn nicht noch ein gehöriger Schuss Bildungspolitik von vorgestern hinzu käme. Es macht immer wieder Freude, wenn von konservativer Seite das hohe Lied des ideo- logisch unbelasteten, an der Sache orientierten Pragmatismus gesungen wird und -4-



zugleich Papiere vorgelegt werden, in denen der bildungspolitische Salto mortale Ur- ständ feiert. Und daher kann man der CDU vielleicht sogar dankbar sein, dass sie mit dem heute zu diskutierenden Antrag ein weiteres Mal unterstreicht, dass das Grund- prinzip der Auslese für sie Vorrang vor dem Grundprinzip der Chancengleichheit hat.

Wir nehmen zur Kenntnis, dass Sie nach der PISA-Studie eben nicht pädagogisch auf die viel zu frühe Trennung zehnjähriger Kinder auf unterschiedliche Bildungswege rea- gieren wollen. Sie knüpfen zum einen zwar an das Maßnahmenpaket an, das der Landtag im letzten Sommer beschlossen und die Bildungsministerin daraufhin konkret vorgestellt hat, zum anderen fügen Sie Ihren bekannten Auffassungen zur frühen Se- lektion der Schülerinnen und Schüler neue Akzente hinzu.

Ihr Mix an Vorschlägen zur Orientierungsstufe macht das deutlich: Sie wollen Doppel- abweichungen von der Grundschulempfehlung ausschließen – das ist längst vorge- schlagen und, wie Sie wissen, in der Anhörung zur entsprechenden Verordnung. Sie wollen ein Beratungsgespräch, wenn Elternwille und Empfehlung abweichen - längst vorgeschlagen und in der Anhörung.

Aber dann wird’s abenteuerlich: Sie wollen allen Ernstes die Aufnahme an einer weiterführenden Schule abhängig machen von einem standardisierten Test oder von einer Aufnahmeprüfung der weiterführenden Schule. Dazu kann man unter dem Gesichtspunkt des Gewichts Elternwillens sicher einiges sagen, was ich hier einmal bei Seite lasse. Gravierender ist: Wer die weitere Schullaufbahn, die weitere Bildungskarriere einer Schülerin oder eines Schülers von einem einzigen Test abhängig machen will, ist nun wirklich von allen guten Geistern verlassen.

Zeigen Sie mir mal ein erfolgreiches Schulsystem auf diesem Globus, wo individuelle Leistungsprognosen, Lernberichte, Lernpläne und Gutachten über den Haufen gewor- fen werden zugunsten des Ergebnisses eines einmaligen standardisierten Tests. Die Landespresse hat dieses zurecht als eine “Rolle rückwärts” beschrieben. -5-



Nun muss man sich mit schulpolitischen Vorschlägen nicht immer im mainstream öf- fentlicher Meinung bewegen. Das würde ich Ihnen konzedieren. Der Kern des Problems ist: Sie wollen nicht verstehen, dass bei allen Erfordernissen von Leistungsvergleichen die individuellen Lernfortschritte von Kindern nicht nur im Förderunterricht eine Rolle spie- len müssen. Sie sind ein Bewertungsprinzip, auf das sich die Organisation von Schule und Unterricht zu bewegen muss. Ihre Vorschläge zur Frühestbenotung und zu den sogenannten Kopfnoten unterstreichen Ihre Ignoranz in dieser Frage gleichermaßen.

Und auch wenn Sie klarere Regeln für die Querversetzung nach oben schaffen wollen (über die man im Detail ja reden kann), wird sich dadurch nichts daran ändern, dass die Querversetzung nach unten die Regel ist, auf die wir reagieren müssen. Über die Orientierungsstufen-Verordnung mag man im Detail diskutieren. Sie weist auf jeden Fall in die richtige Richtung.

Es ist nicht die Zeit, auf alle Punkte im Detail einzugehen. Längst Beschlossenes wechselt in dem CDU Antrag mit mehrfach hier diskutierten und verworfenen Forde- rungen. Jüngstes Beispiel sind die Stundentafeln. Das, was nun wirklich neu ist, ist be- sonders misslungen. Eine Rolle rückwärts wollen und werden wir nicht zulassen. Der Antrag ist für die SPD-Fraktion in der Summe nicht zustimmungsfähig.