Karl-Martin Hentschel zum Fahrradverkehr
Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Fahrradverkehr als System Internet: www.gruene-landtag-sh.demit Entwicklungschancen Nr. 007.03 / 17.01.2003Zur Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage zu „Fahrradverkehr- und Tou- rismus in Schleswig-Holstein“ erklärt der Vorsitzende der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Karl-Martin Hentschel:Schleswig-Holstein ist seit Jahren führend bei den Fahrradwegen an überörtlichen Stra- ßen. Der Anteil liegt bei 37 Prozent, nur Niedersachsen schneidet besser ab, alle ande- ren Flächenländer liegen deutlich hinter uns. Auf grüne Initiative hat die Landesregierung 1998 das Programm „Fahrradfreundliches Schleswig-Holstein“ aufgelegt, damit wurde ein für uns Grüne wichtiger Punkt aus dem Koalitionsvertrag erfüllt. Aus dem Programm folgte eine grundlegende Veränderung der Förderpolitik. Dadurch erhielt die Fahrradpoli- tik in den Städten eine neue Dynamik.Generelle Unterstützung aller Radverkehrsanlagen seit 1998Gab es bis 1998 nur die Förderung des Baus von Radwegen an Hauptverkehrsstraßen in den Städten, ermöglichte die neue Förderrichtlinie vom November 1998 eine generelle Unterstützung aller Radverkehrsanlagen. Gefördert werden konnten nun auch innerörtli- che Radverkehrsanlagen, die nicht im Zusammenhang mit verkehrswichtigen Straßen stehen, öffentliche Fahrradabstellanlagen, einfache Anlagen wie Radfahrstreifen, Ange- botstreifen oder Führungshilfen an Knotenpunkten. In Kiel und Lübeck konnten unter an- derem Velo-Routen oder sogar Fahrradstraßen angelegt werden.Leider gibt es keine flächendeckenden Daten der Verkehrsmittelanteile, jedoch ist der Fahrradverkehrsanteil beispielsweise in Kiel von 7 Prozent Anfang der Achtziger Jahre auf jetzt 16 Prozent gestiegen. Neu eingerichtet wurde das Landesfahrradforum. Es dient dem Know-how-Austausch zwischen den HandlungsträgerInnen in Fahrradfragen und es soll dafür sorgen, dass die Programmpunkte auch umgesetzt werden.Der touristische Fahrradverkehr hat ein hohes Niveau erreicht. Die Fernradwege und die Radtourennetze der Kreise sind attraktive Ziele. Eine einheitliche Ausschilderung dieser wichtigen Verbindungen ist schon verwirklicht.Das größte Potenzial liegt in den BallungsräumenMit der Antwort auf unsere Große Anfrage liegt eine umfassende Darstellung des Fahr- radverkehrs als Gesamtsystem in Schleswig-Holstein vor. Das größte Potenzial für den Radverkehr liegt in den Ballungsräumen, in unseren Städten. Hier gibt es die Chance für spürbare Verkehrsverlagerungen vom PKW zum Fahrrad. Ein hoher Anteil der PKW- Fahrten in der Stadt ist kürzer als 3 bis 4 km - das ist die ideale Entfernung für die Rad- nutzung.Dazu muss es aber vor Ort attraktive Anreize zum Umsteigen geben. Wenn das Fahrrad- fahren unbequem und gefährlich ist, dann wird darauf verzichtet und der einfache Weg gewählt: Die Fahrt im bereitstehenden eigenen PKW, dessen tatsächliche Kosten regel- mäßig unterschätzt werden.In der Stadt sind Fahrradstraßen und Velo-Routen am attraktivsten für FahrradnutzerIn- nen auf den wichtigsten und meist frequentierten Routen. Ein hoher Anteil des Fahrrad- verkehrs führt zu Entlastungen der BewohnerInnen von Verkehrslärm und Schadstoffen. Das Wohnumfeld verbessert sich und damit kann dies gleichzeitig eine Maßnahme ge- gen die Stadtflucht sein. Umfragen, wie zuletzt in Kiel, ergeben regelmäßig als einen wichtigen Grund für einen Wegzug das Bedürfnis nach mehr Ruhe.30 Prozent des Autoverkehrs könnte auf den Fahrradverkehr verlagert werdenSeit 2002 liegt ein nationaler Radverkehrsplan 2002-2012 vor, den die grüne Bundes- tagsfraktion initiiert hat. Bundesweit wird der Verkehrsanteil des Fahrrades auf 12 Pro- zent beziffert. Das Ziel ist, den Anteil weiter zu steigern. Nach Schätzungen des Bundes- radverkehrsplans lassen sich in Ballungsgebieten bis zu 30 Prozent der PKW-Fahrten auf den Radverkehr verlagern.Nehmen wir hier als Beispiel wieder die Landeshauptstadt Kiel: Der jetzige Anteil des Radverkehrs von 16 Prozent könnte auf zirka 37 Prozent steigen. (21 Prozent Steigerung = 30 Prozent von derzeitigen 70 Prozent PKW-Anteil). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der PKW-Verkehrsanteil auf 49 Prozent sinken würde. Und dies bedeutet, dass we- niger Straßen neu gebaut oder saniert werden müssen. Die Städte Freiburg und Münster haben gezeigt, dass das Realität werden kann.Dies hätte erhebliche Auswirkungen für die Infrastruktur, den Verkehrslärm, das Unfall- geschehen und die Lebensqualität. Die Ausgaben und Flächen für Straßenbau und Parkplätze würden sinken, die Städte würden Flächen zurückerhalten für andere Nut- zungen mit einer Wertsteigerung.Fahrradförderung ist effizientFahrradstationen machen Sinn an den Bahnhöfen. Das sind bewachte und wetterge- schützte Fahrrad-Parkplätze mit einer zusätzlichen Leistungspalette wie Reparatur, Er- satzteilverkauf, Handel und Informationsaspekten. Einen eigenwirtschaftlichen Betrieb von Fahrradstationen sieht die Landesregierung nur bei wirklich großen Kundenpotenzia- len, also in Kiel und Lübeck. Hier darf der Hinweis nicht fehlen, dass seit der Reform der Entfernungspauschale, die Radnutzung im Berufsverkehr mit dem PKW gleichgestellt ist.Fahrrad-Schutzstreifen haben sich bewährt, sie sind deutlich kostengünstiger als stra- ßenbegleitende gebaute Radwege. Fahrradförderung ist ungeheuer effizient. Ein mit dem Fahrrad zurückgelegter Kilometer kostet die öffentliche Hand einen guten Cent, während ein Personenkilometer im Auto oder in Bus und Bahn die Kommunen das 10 bis 20fache kostet. Das Fahrrad ist das stadtverträglichste Verkehrsmittel, es ist ein echtes Null- Emissionsfahrzeug und sein Flächenbedarf ist gering. Ein Fahrrad braucht abgestellt weniger als ein Fünftel des Platzes eines Autos, beim fließenden Verkehr ist der Flä- chenbedarf des Autos zehnmal so hoch.Wir wollen den Umweltverbund aus Fahrradverkehr und ÖPNV fördern, die Transportket- te aus Rad und Zug. Die oft hochwertigen Fahrräder müssen sicher abgestellt werden oder eine Fahrrad-Mitnahme ermöglicht werden. Das Land zahlt jährlich 300.000 Euro an die Bahnbetriebe für eine kostenlose Fahrradmitnahme, unter der Woche von 9 Uhr bis 16 Uhr und von 18 Uhr bis 6 Uhr sowie in den Extrazügen an Wochenenden nach Wes- terland und Travemünde. Die Fördeschifffahrt in Kiel nimmt Fahrräder mit, die Fahrrad- mitnahme in Bussen ist dagegen in der Regel sehr eingeschränkt.Im ländlichen Raum muss es ein verkehrssicheres Grundangebot gebenIm ländlichen Raum brauchen wir eine verkehrssicheres Grundangebot für den Radver- kehr, gerade im Schülerverkehr und natürlich für den Fahrradtourismus. Das letztere ist die beste Werbung für das Urlaubsland Schleswig-Holstein: Umweltbewusst, naturnah und gesundheitsfördernd. Nicht zu vergessen, dass die Fahrradtouristen in der Regel gut situierte UrlauberInnen sind, die ganz gezielt das Rad als Fortbewegungsmittel ausge- sucht haben.Für die touristische Vermarktung unseres Urlaubslandes setzen wir auf die vorhandenen Fernradwanderwege und auf ausgebaute Radtourennetze in den Kreisen. Der Nordsee- küstenradweg, der Ostseeküstenradweg, der Ochsenweg, der Elberadweg, der Rad- fernweg „Alte Salzstraße“, der Eider-Treene-Sorge-Weg sowie die Holstein-Fünen-Route sind bereits durchgängig beschildert und werden touristisch vermarktet. Der Nord- Ostsee-Kanal-Fernradweg und die Wikingroute von Maasholm nach St. Peter-Ording sind in der Planung. Die einheitliche und übersichtliche Beschilderung der touristischen Radwege ist dabei von großer Bedeutung.Die Realisierung eines landesweiten Radwegenetzes hat begonnen, wobei straßenbe- gleitende Radwege, touristische Routen, Wirtschafts- und Waldwege eingebunden wer- den.Namhafte Veranstalter von Radreisen haben zweistellige Zuwächse zu verzeichnen. Hier muss noch mehr getan werden, denn es gibt Zuwächse aus einem wachsenden Markt zu verteilen. In Schleswig-Holstein sind 40 Bett & Bike-Beherbergungsbetriebe vorhanden, ein eigenes Verzeichnis gibt es jedoch noch nicht.Der Radwegebestand an Bundesstraßen beträgt 80 Prozent und an Landesstraßen 50 Prozent – hier haben wir schon ein hohes Niveau erreicht.Verkehrsunfälle mit dem Fahrrad sind rückläufigDie Anzahl der Verkehrsunfälle mit RadfahrerInnen ist in Schleswig-Holstein rückläufig, bei allen NutzerInnen, aber auch bei den Kindern. Das ist sehr erfreulich und hat auch mit den Sicherheitstrainings zu tun.Die Zahl der gemeldeten Fahrraddiebstähle ist mit 21.138 im Jahr 2001 sehr hoch, ver- glichen mit 1992 aber um 22,5 Prozent geringer. Dazu beigetragen haben verbesserte Sicherungsmaßnahmen der EigentümerInnen und die Präsenzerhöhung der Polizei an besonderen Brennpunkte und an den Bahnhöfen. Die Aufklärungsquote betrug in 2002 nur 7 Prozent - ein sehr geringer Wert. Es müssten deshalb mehr Fahrradstationen und Fahrradboxen bereit gestellt werden. Die Codierung zum Zwecke der Zuordnung von Rädern wird nur bei wenigen Fahrrädern durchgeführt, so dass keine Erfahrungen be- züglich der Diebstahleinschränkungen vorliegen.Was sind die nächsten Schritte?Bei den knappen Haushaltsmitteln des Landes ist ein effizienter Mitteleinsatz geboten. Deswegen müssen schon vorhandene Wirtschaftswege genutzt werden. In den Städten haben auch die Radfahrstreifen zu einer Erleichterung des Fahrradverkehrs geführt.Wichtig sind die laufenden Unterhaltungsmaßnahmen. Es muss selbstverständlich sein, dass nicht nur die Straßen einer Streckenkontrolle unterliegen, sondern auch die Rad- verkehrsanlagen. Unsere Forderung lautet deshalb, dass einmal pro Jahr jeder Fahrrad- weg per Rad abgefahren werden muss, um den Zustand der Fahrbahn, das Lichtraum- profil und die Beschilderung zu überprüfen. Ein Ärgernis ist der Winterräumdienst. Er be- ginnt bei den Straßen und führt oft dazu, dass der geräumte Schnee auf den Radwegen deponiert wird.Das Fahrradforum ist mit der Verabschiedung des Programms „Fahrradfreundliches Schleswig-Holstein“ installiert worden. Es dient als Plattform des Meinungsaustausches zum Radverkehr. Die Verbände wünschen sich eine fest benannte und dauerhaft agie- rende AnsprechpartnerIn im Wirtschaftsministerium - für die Verbände und die Beauftrag- ten der Städte und Gemeinden für den Radverkehr.Die Ergebnisse der Großen Anfrage müssen in das Landesverkehrsprogramm eingear- beitet werden. Wir schlagen vor, dass der Verkehrsausschuss zu den neuen Daten zum Fahrradverkehr eine Anhörung durchführt. Danach sollte das Landesprogramm „Fahrrad- freundliches Schleswig-Holstein“ fortgeschrieben werden.Wir wollen eine Aufwertung des Fahrradforums, um die Akteure im Fahrradverkehr enger zu vernetzen. Die kommunale Ebene muss mehr eingebunden werden, denn dort gibt es die Umsteigepotenziale. Wir denken an einen Wettbewerb um den Titel „Fahrradfreund- lichste Stadt in Schleswig-Holstein“. Neben den kreisfreien Städten sollten auch die klei- neren Städte Zuständige für den Fahrradverkehr benennen, denn die Bedeutung des Radverkehrs wird noch immer unterschätzt.Wir fordern, dass das Konzept eines landesweiten Radverkehrsnetzes bis 2005 umge- setzt wird. Die Radfernwege müssen da verbessert werden, wo die Breite der Wege und schlechte Oberflächen die Nutzung beschwerlich machen. Der Zustand der Radwander- routen der Kreise soll Durchschnittsgeschwindigkeiten von 20 kmh ermöglichen. Für Schleswig-Holstein muss ein eigenes Verzeichnis „Bett & Bike-Hotels“ erstellt werden. ***