21. Landtagsforum "Türken in Schleswig-Holstein - türkische Schleswig-Holsteiner" (Rede von Landtagspräsident Heinz-Werner Arens)
D E R L A N D T A G A SCHLESWIG - HOLSTEIN a 147/2002 Kiel, 1. November 2002 Sperrfrist: 2. Nov. 2002, 10:30 Uhr Es gilt das gesprochene Wort!Landtagsforum „Türken in Schleswig-Holstein – türkische Schleswig-Holsteiner“KIEL (SHL) – In seiner Eröffnungsrede zum 21. Landtagsforum in der Stadthalle Neumünster sagte Landtagspräsident Heinz-Werner Arens unter anderem:„Es ist ziemlich genau 41 Jahre her, dass zwischen Deutschland und der Türkei das ‚Abkommen zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte’ unterschrieben wurde. Und es dürfte 40 Jahre her sein, dass die ers- ten türkischen Arbeitskräfte nach Schleswig-Holstein kamen. In diesen 40 Jahren haben sie Schleswig-Holstein verändert. Sie haben es des- halb verändert, weil die politischen Planungen, die mit dieser ‚Gastar- beiterpolitik’ verbunden waren, von der Wirklichkeit überrollt wurden.Gedacht war daran, dass die türkischen Arbeitskräfte für zwei oder drei Jahre anreisten und dann in ihre Heimat zurückkehrten. Aber die deutschen Arbeitgeber wünschten längere Arbeitsverträge; sie wollten nicht ständig neue Arbeitskräfte anlernen. Und schon bei der ersten leichten Wirtschaftskrise 1966/67 zeigte sich, dass man die Gäste nicht einfach nach Hause schicken konnte.Als 1973 sogar ein Anwerbestopp erlassen wurde, erreichte man ge- nau das Gegenteil. Arbeitnehmer aus der Türkei konnten sich aus- rechnen, dass sie bei einer Rückkehr in die Türkei keine neuen Ar- beitsmöglichkeiten in Deutschland finden würden. Also blieben sie. Sie blieben nicht nur, viele holten ihre Familien nach. 2 Die türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger stellen heute in Schles- wig-Holstein die größte Gruppe der Menschen, deren kulturelle Wur- zeln nicht in Deutschland liegen. Gleichzeitig ist diese Gruppe nicht einheitlich. Für den einen Türken und seine Familie ist es selbstver- ständlich, dass er nur eine Türkin heiraten wird. Andererseits heiraten immer mehr Türkinnen und Türken deutsche Männer und Frauen.Wir beobachten bei den türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sehr unterschiedliche, ja zum Teil gegensätzliche Tendenzen. Die Zei- chen schwanken zwischen Integration und Abschottung. Wir erleben junge Türkinnen und Türken, die hervorragend deutsch sprechen; an- dererseits gibt es Kinder, die hier geboren sind, und beim Eintritt in die Grundschule kaum deutsch können.Wir wollen uns heute auf diesem Forum mit der Situation der türki- schen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Schleswig-Holstein befassen. Wir wollen aber auch das Verhalten der deutschen Einwohner gegen- über ihren türkischen oder türkischstämmigen Schleswig-Holsteiner nicht aus dem Auge verlieren. Welche Emotionen der Artikel des Historikers Hans-Ulrich Wehler über das ‚Türkenproblem’ noch immer auslöst, zeigte in der Wochenzeitung ‚Die Zeit’ vom 12. September dieses Jahres: ‚Einen Schlag ins Gesicht jedes ehrbaren türkischen Reisebüroinhabers, Dönerverkäufers, Stu- denten, Ingenieurs oder Managers’ nannte ein deutscher Leserbrief- schreiber den Artikel.Ich möchte Bundespräsident Johannes Rau zitieren. Er hat in seiner Rede zum Historikertag am 10. September dieses Jahres auf die Not- wenigkeit verwiesen, die ganze deutsche Geschichte neu in den Blick zu nehmen. Dabei, so Johannes Rau, ‚stellt sich heute die Frage nach dem Subjekt, nach dem ‚Wir’ dieser Geschichte ganz anders als noch vor dreißig Jahren etwa. Inzwischen ist Deutschland nämlich ein Ein- wanderungsland geworden, inzwischen leben Millionen Menschen hier – zu einem immer größeren Teil auch als deutsche Staatsbürger – de- ren historische und kulturelle Wurzeln in ganz anderen Ländern und Kulturen liegen. Wir sind uns darüber einig, dass Integration, also das Finden eines ‚Wir’, das Gebot der Stunde ist. Dafür genügt das Lernen 3der deutschen Sprache allein nicht – so unverzichtbar es ist. Eine Gemeinschaft, auch eine Gesellschaft – und mag sie in sich noch so differenziert sein – konstituiert sich durch gemeinsame Erzählungen, durch eine Geschichte. An dieser Stelle wird deutlich, dass mit Integ- ration etwas viel Schwierigeres gemeint sein könnte, als nur das Er- lernen der deutschen Sprache und der Besitz eines deutschen Pas- ses.’Aus meiner Sicht beschreibt Rau hier etwas natürlich grundsätzlich Richtiges, wobei nicht verkannt werden soll und darf, dass Vorgenann- tes von zwei Seiten aus zu betrachten ist und dass beide Seiten – Deutsche und Türken – ihren Beitrag zu leisten haben, damit ein wei- teres Zusammenwachsen gelingen kann. Es verbietet auf allen Seiten kulturelle Arroganz und Ignoranz; es ge- bietet kulturelles Interesse. Und dies soll auch mit der heutigen Veran- staltung zum Ausdruck kommen.Ich freue mich, dass wir so hervorragende Referenten und Diskutan- tinnen und Diskutanten gefunden haben. Dies ist als Referent zu- nächst der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutsch- land, Professor Dr. Hakki Keskin aus Hamburg. Ihm folgt der Leiter der Ausländerabteilung des Innenministeriums in Kiel, Norbert Scharbach. An der anschließenden Diskussion nehmen teil: die junge Unterneh- merin Serpil Midyatli, der Vorsitzende des Fördervereins türkischer Rentner und Senioren, Mete Duyar – ‚Gastarbeiter’ der ersten Genera- tion – sowie die Landtagsabgeordneten Joachim Behm (FDP) und An- ke Spoorendonk vom SSW im Landtag sowie Björn Pistol für BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN. Im vergangenen Jahr traten Redner von SPD und CDU auf, in diesem Jahr sind es Vertreter von FDP, den Grünen und dem SSW. Die Moderation der Diskussion übernimmt Frank Politz, Journalist beim Deutschlandfunk.“Herausgeber: Pressestelle des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel, Postf. 7121, 24171 Kiel, Tel.: (0431) 988- Durchwahl -1163, -1121, -1120, -1117, -1116, Fax: (0431) 988-1119 V.i.S.d.P.: Dr. Joachim Köhler, Annette Wiese-Krukowska, E-Mail: Joachim.Koehler@landtag.ltsh.de Internet: www.sh-landtag.de – Presseinformationen per E-Mail abonnieren unter www.parlanet.de/presseticker