Wilhelm Malerius zu TOP 9: Markt für neue Stromerzeuger und -verteiler öffnen
Sozialdemokratischer Informationsbrief Kiel, 11.10.2002 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell TOP 9 – Wettbewerb in der StromwirtschaftWilhelm Malerius:Markt für neue Stromerzeuger undEnergiepolitik kann man nicht auf das Thema Wettbewerb und Preisdebatten reduzie- ren. Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit der Stromversorgung in einer hochin- dustrialisierten Volkswirtschaft wie Deutschland sind ebenfalls nicht zu vernachlässi- gende Größen. So ist eine Informationsgesellschaft ohne ve rlässliche und jederzeit verfügbare Stromversorgung nicht vorstellbar.Angesichts der Überschwemmungen und Niederschläge der letzten Monate, die eine Spur der Verwüstung hinterlassen haben, sind wir alle hier in diesem hohen Haue für den Start bzw. die Entwicklung neuer Formen der Energieversorgung verantwortlich. Nicht energiepolitische Geisterfahrt, nicht energiepolitische Vorstellungen aus den 60er Jahren des vorherigen Jahrhunderts – wie kürzlich vom energiepolitischen Spre- cher der CDU-Fraktion in Meldorf dargestellt – sind gefragt, sondern Vernunft und Sachlichkeit. Es geht um die Mobilisierung aller tragfähigen Potenziale rationeller E- nergieverwendung, es geht um Energiesparen und Effizienzsteigerung, um das tech- nisch nachgewiesene, aber bisher wenig genutzte Einsparpotenzial von 40 % des he u- tigen Energieeinsatzes.Es geht um den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, um den Ausbau und die stärkere Nutzung der erneuerbaren Energie. Schritt für Schritt müssen die weitgehend umwelt- harmonischen und klimaneutralen Energien wirtschaftlich stärker genutzt werden. Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/13 07 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-Denn ohne einen Erfolg an dieser Front scheint eine gute Entwicklung von Mensch und Natur für die nächsten Generationen stark gefährdet.Für alle, die mit Energiewirtschaft etwas zu tun haben, sind die Zeiten spannend wie nie. Durch die Öffnung der Strommärkte ist viel in Bewegung geraten in Deutschland und in Europa. Der Energiepolitik ist heute eine europäische Dimension zugewachsen. -Kommission neue Vorschläge für den Energiebinnenmarkt verabschiedet. Diese zielen auf eine beschleunigte Marktöffnung in allen Mitgliedstaa- ten ab. Die Schaffung eines einheitlichen europäischen Energiebinnenmarktes ist un- strittig und muss von uns allen unterstützt werden.Zum Thema Energieaufsicht im liberalisierten Energiemarkt, der eine immer entschei- dendere Rolle zukommt, sind aktuell zwei Auffassungen in der Debatte. Die erste nimmt für sich in Anspruch, wettbewerbliche Aspekte in den Vordergrund zu stellen. Wettbewerb in der Bereitstellung der leistungsgebundenen Energie ist volkswirtschaft- lich notwendig und bedarf der staatlichen Rahmensetzung und Begleitung, damit das natürliche Monopol Netz nicht als Marktzutrittsbarriere missbraucht wird. Aus diesem Grunde schlägt die EU-Kommission in ihrem Liberalisierungspaket vor, einen regulier- ten Netzzugang mit zwingender exakter Preiskontrolle, einen nationalen Regulator und auf EU-Ebene einen Koordinator aller nationalen Regulatoren einzurichten.Eine Regulierung muss den Strukturen des Systems, in das sie eingreift, angepasst sein, also muss sie in Deutschland Eigentumsstrukturen von Netzen ebenso berück- sichtigen wie die Tatsache, dass Deutschland föderal verfasst ist und energierechtliche Kompetenzen auf Landes- wie auf Bundesebene gegeben sind. Die Regulierung muss Investitionen und Reinvestitionen ermöglichen und entsprechend ökonomische Anrei- ze setzen, um die Sicherheit und Zuve rlässigkeit der Infrastruktur auf Dauer zu garan- tieren. Die Regulierung muss optimale Ressourcensteuerung über das Instrument er- möglichen, ohne aber Umwelt- und Versorgungssicherheit zu tangieren. Die ökonomi- schen Daten, die mit der Festlegung von Prinzipien der Kostenberechnung, der Kos- -3-tenverteilung und von Kostenvergleichen gesetzt wurden, sind deshalb sehr sorgfältig zu analysieren.Die zweite Auffassung setzt auf das von der damaligen CDU/FDP- und der je tzigen rot-grünen Bundesregierung eingeführte System der Regulierung mit den Kompone n- ten energie- und wettbewerbsrechtlich verankerte Netzzugangsansprüche für Dritte, zwischen Anbietern und Verbrauchern ausgehandelte Spielregeln für den Netzzugang in Form von Verbändevereinbarungen und der nachträglichen Missbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörden.Hier ist aber die Frage zu stellen, ob die Festlegung von Branchentarifen, wie in den Verbändevereinbarungen vollzogen, zu einer wettbewerbskonformen L Die jeweils an den Verhandlungen beteiligten Verbände haben einen Anreiz, sich zu Lasten Dritter, d. h. nicht verbandszugehöriger Unterne hmen und der Kleinkunden, zu einigen. Der deregulierte Strommarkt Skandinaviens hat es in diesen Tagen vorge- macht. Skandinavische Stromkunden sind möglicherweise von hren Stromlieferanten um mehrere Millionen Euro betrogen worden. Firmen in Norwegen, Schweden und Finnland stehen in Verdacht, an der gemeinsamen nordischen Strombörse „Nordpool“ die Preise nach oben manipuliert zu haben, indem sie dem Spotmarkt vorhandene Stromangebote bewusst erst verspätet gemeldet haben. Verbändevereinbarungen tendieren dazu, an zentralen Stellen unvollständig zu sein, auch wenn der Staat mode- rierend eingreift. Außerdem ist festzuhalten, dass bei einer nachträglichen Miss- brauchsaufsicht im Ergebnis mit vergleichsweise zu hohen Zugangspreisen zu rech- nen ist.Ohne explizite sorgfältige Kostenstudien der Kartellbehörde ist nicht zu erwarten, dass der Netzzugang zu tatsächlich angemessenen Kosten erfolgen wird. Hierzu wieder das Beispiel Skandinavien. Die schwedische Wettbewerbsbehörde hat gegen mehr als die Hälfte aller Stromnetzgesellschaften Verfahren wegen unzulässiger Preiserhöhung eingeleitet. Zwischen Herbst 1998 und Herbst 2001 ist nach Meinung der Behörde in 134 von 260 Netzgebieten der Preis für die Durchleitung von Strom ohne sachlichen -4-Grund erhöht worden, obwohl laut Statistik die faktischen Kosten für den Betrieb der Netze in dem Zeitraum von 2,6 % gesunken waren.Trotz der Marktöffnung und trotz der Verbändevereinbarung sind die Netzdurchlei- tungsgebühren übermäßig hoch, ist die Marktmacht der ehemaligen Gebietsmonopo- listen zu groß und die Entflechtung der Konzerne unzureichend. Somit müssen diese Wettbewerbshindernisse noch aufgebrochen werden, und es ist sehr zweifelhaft, ob der deutsche Sonderweg dazu geeignet ist.Grundsätzlich ist ein Wechsel des Stromve rsorgers seit rund vier Jahren möglich. Während Gewerbebetriebe und die Industrie die Möglichkeit zum Wechsel des Ver- sorgers stärker nutzen, bleiben Privatverbraucher trotz aller Werbeschlachten, ob mit Arnold Schwarzenegger oder Veronica Ferres, zurückhaltender. Nur 3,7 % der 39 Mil- lionen Haushalte sind sich mit einem neuen Stromlieferanten einig geworden. Woran liegt das?Der Regionalversorger hat vor Ort ein Gesicht. Da stehen nicht mehr Strommasten und Umspannstationen im Vordergrund. Es werden Kunden und Mitarbeiter sichtbar. Die Regionalversorger machen sich in der Region als Teil der Region zum Beispiel über eine Bonuscard sichtbar und erlebbar. Bei der Teilnahme an der Bonuscard müs- sen aber Strom und Gas vom Regionalversorger bezogen werden. Hier we rden wieder die kleinen Daumenschrauben angezogen. Trotz der Bonuscard müssen aber Preis und Leistung der Regionalversorger stimmen. Darum haben 28 % aller Stromkunden seit 1998 den Vertrag mit ihrem Versorger geändert.Die Transparenz der Netznutzungsbedingungen muss sehr viel weiter verbessert wer- den. Die Netznutzungsentgelte müssen verringert und kontrollierbar sein. Die Vertr ge, mit denen sich Kunden beim Lieferanten auseinandersetzen sollen, müssen kun- denfreundlicher standardisiert werden. -5-Auch in Schleswig-Holstein wird sich die Energiewirtschaft den bestehenden Tatsa- chen anpassen müssen. Von den 40 Stadtwerken mit kommunaler Beteiligung werden zurzeit noch elf als kommunale Eigenbetriebe geführt, 27 aber in Form einer GmbH. Durch Fusionen und Fremdbeteiligungen verstärkt sich der größte Regionalversorger vor Ort, die SCHLESWAG. Machen wir uns nichts vor, die SCHLESWAG und somit E.ON sind in Schleswig-Holstein der größte Anbieter für Strom und Gas. Und auch ei- ne Kooperation der Stadtwerke Mölln, Ratzeburg und Bad Oldesloe wird nicht ändern, dass bis jetzt keine weiteren Partner in Sicht sind. Die augenblickliche Situation in Schleswig-Holstein spricht nicht gerade für Wettbewerb.Zu den Rahmenbedingungen, die eine vollständige Marktöffnung flankieren müssen, gehören eine stärkere Trennung von Elektrizitätserzeugern und Netzbetreibern, die Transparenz der Netznutzungsbedingungen, der nichtdiskriminierende Zugang neuer Erzeuger und Verteilerunternehmen zum Netz, die generelle Einsetzung eines unab- hängigen nationalen Regulierers.Wir haben noch einen langen Weg zu einem funktionsfähigen Wettbewerb, das zeigen die eingeleiteten Missbrauchsverfahren. Diesen Weg müssen wir alle intensiv und kri- tisch begleiten.