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10.10.02
12:04 Uhr
CDU

Ursula Sassen: Sauerstoffmangel - chronisches Leiden der Ostsee

LANDTAGSFRAKTION S C H L E S WI G - H O L S T E I N

Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.cdu.ltsh.de e-mail:info@cdu.ltsh.de
PRESSEMITTEILUNG Nr. 421/02 vom 10. Oktober 2002 Umweltpolitik TOP 19 Ursula Sassen: Sauerstoffmangel – chronisches Leiden der Ostsee Sauerstoffmangel in einem Gewässer entsteht, wenn die Sauerstoffzehrung größer ist als die Zulieferung durch Sauerstoffproduktion oder durch Herantransport von Sauerstoff. Das Auftreten von Sauerstoffmangel und Schwefelwasserstoff scheint heute eines der gravierendsten Umweltprobleme in der Ostsee zu sein.

Einfluss auf die Sauerstoffmangelsituation hat auch die erhöhte Nährstoffzufuhr, so dass große Mengen von Nährstoffen für das pflanzliche und tierische Wachstum zur Verfügung stehen. Ein Teil der Organismen sinkt nach dem Absterben in die tieferen Wasserschichten und wird dort unter Sauerstoffverbrauch abgebaut. Sauerstoff gelangt in diese Bereiche nur während der sogenannten Salzwassereinbrüche, die immer seltener beobachtet werden. Bei weiter abnehmender Häufigkeit der Salzwassereinbrüche könnte Schwefelwasserstoff typisch für das Tiefwasser der Ostsee werden – ein Zustand, in dem sich das Schwarze Meer seit Jahrtausenden befindet.

Historische Daten belegen, dass es Sauerstoffmangel am Boden der Kieler Bucht vermutlich schon zur Bronzezeit vor 7.000 Jahren und auch während des hochmittelalterlichen Klimaoptimums vor 900 Jahren gegeben hat, und zwar über viele Jahrzehnte hinweg.

Sauerstoffmangel ist ein chronisches Leiden der Ostsee.

Schon seit langem ist den Meeresbiologen bekannt, dass in den Förden und in der Eckernförder Bucht regelmäßig Sauerstoffmangel im Spätsommer auftritt. Im September 1981 gab es jedoch erstmalig eine weiträumige Katastrophe. In allen Gebieten der Kieler Bucht - tiefer als 20 m - herrschte nicht nur völliger Sauerstoffmangel, es trat auch Schwefelwasserstoff in so hohen Konzentrationen auf, dass nur die Muscheln Arctica und Astarte überlebten, die etwa 90 % der Makrofauna-Biomasse stellen. Von der übrigen Makrofauna blieben nur 1,4% (42 t Biomasse als organische Substanz) übrig, während 3.076 t Biomasse abstarb. Höhere Tiere können Sauerstoffmangel nur kurze Zeit tolerieren und sterben ab oder wandern aus, was bei Bodenfischen zu beobachten war.


Der Mensch greift heute in die Prozesse ein, die die Sauerstoffversorgung des Tiefenwassers regeln – aber es ist schwierig, zwischen den Folgen natürlicher Fluktuationen und denen menschlicher Aktivitäten zu unterscheiden. Sauerstoffmangel in der Ostsee einzig und allein menschlichem Eingreifen zuzuschreiben, wäre nicht korrekt.

Die natürliche Umwelt der Ostsee ist gegenwärtig sicher als gestört anzusehen. Aus den Einzugsgebieten der Flüsse - also von über 70 Mio. Menschen, die dort leben - gelangen Schadstoffe, abbaubare organische Substanzen und Nährsalze, in die Ostsee. Woher auch immer die Winde wehen, sie transportieren Ammoniak, Stickstoffoxyde, Schwermetalle und organische Schadstoffe in die Ostsee, auch von weit her. Aus geographischen Gründen ist also die Ostsee mehr belastet als andere Meeresgebiete.

Aufgrund der Belastung durch Nähr- und Schadstoffe sowie Umweltgifte ist in der Ostsee die Menge des Phytoplanktons im Laufe der Jahre erheblich größer geworden. Damit ist auch die Produktion der pflanzlichen Biomasse jetzt höher als früher. Diese Tatsache beunruhigt mit Recht viele Menschen.

Seit mehr als 10 Jahren gab es kein Jahr mit guten Sauerstoffverhältnissen im Sommer. Dennoch kam es - selbst bei knapper Versorgung - alljährlich zu einer schnellen Wiederbelebung der Meeresfauna.

Dies darf uns aber nicht müde werden lassen, alle möglichen Anstrengungen zu unternehmen, sowohl die Nährstoffzufuhr als auch den Schadstoffeintrag zu reduzieren. Die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie trägt sicher dazu bei, in diesem Sinne eine Verbesserung des jetzigen Zustandes zu erreichen, kann aber das immer wiederkehrende, naturbedingte Problem des Sauerstoffmangels nicht vollends lösen.

Am besten wäre es für das ökologische System der Ostsee, wenn alljährlich mit dem Salzwassereinstrom etwas mehr Sauerstoff geliefert als im Laufe des Jahres verbraucht würde. Niemand kann allerdings vorhersagen, wie sich langfristig die Wetterbedingungen entwickeln werden und mit welcher Häufigkeit es in Zukunft Salzwassereinbrüche geben wird. Die tieferen Becken der Ostsee bleiben dann ohne Sauerstoffzufuhr, trotz aller möglichen Anstrengungen zur Nährstoffreduzierung.

Wenn also klimatologische Prozesse in eine bestimmte Richtung laufen und die Natur gegen die Ostsee als Brackwasserlebensraum ist, kann der Mensch am „Ersticken“ der tiefen Zonen der Ostsee nichts ändern.

Um zu einer fundierten Analyse des Krankenbildes der Ostsee zu kommen, sind viele Wissenschaftsbereiche aufgefordert, Datenerhebungen vorzunehmen. 1990 begann die Arbeitsgruppe der Helsinki-Commission (HELCOM) 132 Quellen der Ostseeverschmutzung zu lokalisieren. Deren Sanierung dürfte bis zum Jahre 2010 dauern, vorausgesetzt, die finanziellen Mittel können weiterhin aufgebracht werden. Über den aktuellen Stand dieser Arbeit hätte ich gern mehr erfahren.

Es bleibt eine Wunschvorstellung, dem „Patienten Ostsee“ eine schadstoffarme und sauerstoffreiche Kur zu verordnen und ihn danach als geheilt entlassen zu können.