Auf das Arbeitsleben vorbereiten - Stellv. Landtagspräsident Stritzl zum Kongress des Schulleiterverbandes
D E R L A N D T A G A SCHLESWIG - HOLSTEIN a 132/2002 Kiel, 8. Oktober 2002 Es gilt das gesprochene Wort!Auf das Arbeitsleben vorbereiten – Stellvertretender Landtags- präsident Stritzl zum Kongress des SchulleiterverbandesKIEL (SHL) – In seinem Grußwort zum Kongress des Schulleiterver- bandes Schleswig-Holstein am 8. Oktober in Lübeck sagte der stell- vertretende Landtagspräsident Thomas Stritzl unter anderem:„Ich begrüße, dass der Kongress in Zusammenarbeit mit der Arbeits- gemeinschaft Bildung & Medien norddeutscher Industrie- und Han- delskammern stattfindet. Es ist wichtig, dass Schule und Wirtschaft in engem Kontakt miteinander stehen. Die Schule möchte die jungen Leute gut auf das Leben vorbereiten und dazu gehören Ausbildung, Studium, Beruf. Die wirkliche Arbeitswelt ist – im Unterschied zur Fernsehserienwelt – in höchstem Grade komplex. Komplex heißt in diesem Fall, in nahezu jeder Situation mehrere Handlungsmöglichkeiten zu haben und selber zu entscheiden, was richtig ist. Deshalb haben nicht nur Jugendliche, sondern auch viele Erwachsene Angst, sich auf unsere heutige kom- plexe Realität einzulassen. War die Welt früher nicht komplex? War sie sicher auch, nur nicht so offensichtlich. Aber früher – sagen wir mal so bis in die Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein – gab es zumindest Utopien, Zielvorstellungen, die einen einfachen Weg ge- wiesen haben, dem man folgen konnte, so wie Kommunismus, Kapita- lismus, Religion. Allerdings hat die Glaubwürdigkeit von diesen Ziel- vorstellungen allerspätestens mit dem Zusammenbruch des Sozialis- mus doch sehr gelitten. 2Die Feststellung, dass unserer Gesellschaft die allgemein gültigen Zie- le abhanden gekommen sind, trifft auf den zweiten Teil des Kongress- Themas. Meiner Ansicht nach ist die Frage, wohin sich die PISA- Generation entwickelt, eigentlich nicht zu beantworten.Erlauben Sie mir, noch auf einen anderen Aspekt der Medienrealität hinzuweisen, der neben der Vereinfachung steht: die zahlreichen Ge- waltdarstellungen. Dass Gewaltdarstellungen zu konkreten Handlun- gen führen, ist sicher die Ausnahme. Empirisch belegbar ist aber, dass durch die Häufung von Gewaltdarstellungen in Medien das Aggressi- onspotenzial von Zuschauern erhöht werden kann. Dem Zuschauer werden gewalttätige Verhaltensmuster statt friedlicher Formen der Konfliktlösung vorgeführt. Und auch diese Verhaltensmuster können anziehend wirken, weil sie einfach sind.Von den Medien komme ich nun zu den Mediennutzern, der hier so genannten ‚PISA-Generation’, und möchte auf die jüngste Shell-Studie hinweisen: Für viele der Jugendlichen ist ihr Erfolg in einer leistungs- orientierten Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Und dafür wollen sie gerne fleißig und ehrgeizig sein. Übergreifende gesellschaftliche Ziele stehen dabei immer seltener im Mittelpunkt ihres Interesses. Ich möchte damit nicht sagen, dass gesellschaftliches Engagement nicht stattfände, aber das Engagement muss zur jeweiligen Lebenssituation passen. Deshalb treten immer weniger Jugendliche bei herkömmli- chen Institutionen wie Parteien und Gewerkschaften oder Hilfsorgani- sationen ein, die auf langfristigen Bindungen aufbauen. Insbesondere der Politik und den Parteien wird immer mehr misstraut, was mir als Politiker Sorgen bereitet, weil Demokratie nun mal auf der möglichst großen Beteiligung der Bevölkerung beruht. Wir müssen einen Pro- zess in Gang setzen, der alle mit einbezieht, der schulisches wie au- ßerschulisches Leben gleichermaßen erfasst und damit ein gesell- schaftliches Umdenken anstößt. In der Gesellschaft hat sich die Er- kenntnis durchgesetzt, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Dass gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht funktionieren kann, wenn nicht alle dazu beitragen. Dass jeder sich mehr engagieren muss. Je mehr Menschen sich einbringen für die Gesellschaft, desto höher wird das gesellschaftliche Selbstverständnis sein, sich in Verantwortung dem anderen gegenüber am Gemeinwohl zu beteiligen. Die Voraus- 3setzung ist jedoch eine ganze Palette von intellektuellen und sozialen Fähigkeiten. Wir müssen also zusehen, dass wir unsere spezielle Zielgruppe, die Jugendlichen, mit diesen Fähigkeiten ausstatten.Der Schulleiterverband Schleswig-Holstein hat ja im Mai diesen Jah- res seine Vorschläge als wohl überlegte Antwort auf die Ergebnisse der PISA-Studie zu Papier gebracht. Ebenso hat dies der Bildungs- ausschuss der DIHK getan. Auch wenn Bildung eine gesamtgesell- schaftliche Aufgabe ist, so muss doch einer der bedeutenden Akteure eine Kurskorrektur vornehmen bzw. auf eine Korrektur hinwirken. Eine Veränderung ist notwendig, weil sich die Ausgangssituation verändert hat: 1970 hieß es noch, dass sich das Wissen der Menschheit alle 50 Jah- re verdoppelt, heute verdoppelt es sich alle 5 Jahre. Es kann also in der Schule allenfalls ein allgemeines Basiswissen vermittelt werden. Viel wichtiger wird darüber hinaus die Vermittlung von Lerntechniken, also von Methoden und Vorgehensweisen, wie man sich Wissen an- eignen kann. Hinzu kommt die zunehmende Bedeutung von kommu- nikativen Kompetenzen. Wie die Schule diese Aufgaben erfüllen kann: Darüber muss die post-PISA-Diskussion geführt werden. Durch Ver- änderungen nur organisatorischer Natur wird kein nachhaltiger Um- schwung in unserem Bildungssystem stattfinden. Deshalb darf sich die Diskussion darin nicht erschöpfen und ich bin sicher, dass der heutige Kongress deutlich darüber hinausweisen wird.“Herausgeber: Pressestelle des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel, Postf. 7121, 24171 Kiel, Tel.: (0431) 988- Durchwahl -1163, -1121, -1120, -1117, -1116, Fax: (0431) 988-1119 V.i.S.d.P.: Dr. Joachim Köhler, Annette Wiese-Krukowska, E-Mail: Joachim.Koehler@landtag.ltsh.de Internet: www.sh-landtag.de – Presseinformationen per E-Mail abonnieren unter www.parlanet.de/presseticker