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12.09.02
15:25 Uhr
SSW

Land hat Verantwortung für Kinderbetreuung in der Fläche

Südschleswigscher Wählerverband Schleswig-Holsteinischer Landtag im Schleswig-Holsteinischen Landtag Düsternbrooker Weg 70 D - 24105 Kiel Tel. (0431) 988 13 80 Fax (0431) 988 13 82
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Kiel, d. 12.09.2002 Silke Hinrichsen Es gilt das gesprochene Wort


„Die neue Kindergartenfinanzierung der Landesregierung ist wie wenn man in öffentlichen Bussen den Fahrscheinpreis davon abhängig macht, wie viele Leute gerade im Bus sitzen.“

TOP 16 Kinderbetreuung in Schleswig-Holstein (Drs. 15/2075)
Die Familienpolitik, die Bildung und die Einwanderer-Integration haben Hochkonjunktur. Gegen-
wärtig können wir uns über die politische Aufmerksamkeit für Kinder und Jugendliche nicht beklagen.
Ob es um Familien, Gesundheit, Kriminalität, Drogenkonsum oder soziale Ausgrenzung geht - immer
wieder wird der Ursprung der Probleme im Kindesalter deutlich. Deshalb wird es glücklicher Weise
allmählich zum Allgemeingut, dass eine gesellschaftlich und ökonomisch weitsichtige Politik schon
bei den Kindern ansetzt.

Sozusagen das Minimum ist, dass ihnen eine vernünftige Betreuung zur Verfügung steht. Kinderbe-
treuung fördert die Entwicklung der Kinder, bietet ihnen Chancengleichheit und ermöglicht die Er-
werbstätigkeit der Eltern. Selbst diese grundlegenden Voraussetzungen waren lange nicht gewährleis-
tet. Aber in diesem Punkt hat sich unsere Gesellschaft im vergangenen Jahrzehnt gewaltig weiter ent-
wickelt. Wir haben den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz bekommen und umgesetzt. Trotz
zunehmend schwieriger öffentlicher Finanzen in den neunziger Jahren wurde die Betreuung kontinu-
ierlich ausgebaut. Die Personalkostenförderung des Landes Schleswig-Holstein wurde von 1988 bis
2001 mehr als verdoppelt - von 20,5 Millionen € auf 53,2 Mio. Diese Zahlen zeigen eindrucksvoll,
welche erhebliche Kraftanstrengung stattgefunden hat – und welche Defizite vorher bestanden.
Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Wer die Antwort der Landesregierung auf die große Anfrage liest kann nicht im Zweifel sein, dass im
letzten Jahrzehnt viel erreicht worden ist bei der Kinderbetreuung. Allerdings bleibt wenig Zeit um
sich auf der Lorbeeren auszuruhen. Die Daten im vorliegenden Bericht machen sehr deutlich, dass die
meisten Eltern – vor allem die Mütter – immer noch kaum die Chance auf eine Vollzeitbeschäftigung
haben. Deshalb ist es für die zukünftige Entwicklung vor allem notwendig, die Betreuungszeiten aus-
zuweiten. Die geplante Förderung der Landesregierung setzt auch an diesem Punkt an, längere
Betreuungszeiten werden zusätzlich gefördert.

Grund zum Rasten gibt nicht, denn unsere Ziele haben sich weiterentwickelt: Es geht heute nicht mehr
nur darum, einen Halbtagsplatz vorzuhalten, damit die Kinder dort geparkt werden können. Es geht
um Förderung und Prävention. Dadurch gewinnen auch die Inhalte und die Qualität der Betreuung an
Bedeutung. Gerade die Qualität gerät aber angesichts der ohnehin enormen Investitionen unter finanz-
politischen Druck. Das haben wir ja in der Diskussion um Standardsenkungen bei den Kindertagesstät-
ten erlebt. Mit dem neuen Fördermodell der Landesregierung wird jetzt versucht, die Defizite in der
Versorgung zu beheben, ohne mehr auszugeben. Die vorgeschlagenen strukturellen Änderungen wer-
den aber nicht ohne Einschnitte bei der Qualität umgesetzt werden können.

Wir halten vor allem eine reine Pro-Kopf-Förderung für falsch. Die neue Finanzierung der Landesre-
gierung ist das gleiche, wie wenn man in öffentlichen Bussen den Fahrscheinpreis davon abhängig
macht, wie viele Leute gerade im Bus sitzen. Unrentable Linien auf dem Land werden gleich ganz ge-
schlossen. Wie im Busverkehr hat die öffentliche Hand aber auch bei den Kindergärten eine Verant-
wortung für die Grundversorgung in der Fläche. Auch ein Mensch, der in den unendlichen Weiten
Nordfrieslands wohnt, kann für sich in Anspruch nehmen, dass sein Kind in vertretbarer Entfernung
pädagogisch ordentlich betreut wird. Deshalb können nicht Effizienzkriterien allein der Maßstab für
die Förderung sein.

Es ist richtig, dass die Finanzierung pro Kind heute erheblichen Schwankungen unterliegt. Ein Kind in
einer nicht ganz „gefüllten“ Einrichtung auf dem Land kostet uns mehr, als ein Kind in einer zum
Bersten vollen Kita im Hamburger Randgebiet. Ich kann nachvollziehen, dass die größeren Häuser
Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de und Träger dieses als ungerecht empfinden. Aber es ist nun einmal so, dass es wesentlich teurer ist, ei-
ne Einrichtung mit wenigen Kindern auf einem Dorf in Nordfriesland zu betreiben als mehrere Grup-
pen oder sogar mehrere Einrichtungen mitten in Kiel. Wir sind entschieden dagegen, dass die Kinder-
gartenlandschaft – wie früher bei den Dorfschulen – zentralisiert wird. Wir können es den Kleinsten
nämlich nicht zumuten, dass sie im ländlichen Raum jeden Tag lange Strecken in Bussen zurücklegen
müssen, damit 20 oder 22 Kinder für eine Gruppe zusammen kommen. Die Erhaltung kleiner Einrich-
tungen wäre bei der neuen Finanzierung aber nur durch eine höhere Kostenbeteiligung der örtlichen
Jugendhilfeträger oder der Eltern möglich. Das ist keine Alternative.

Ein anderes Problem in Verbindung mit der Pro-Kopf-Finanzierung besteht darin, dass hiermit ja auch
Anreize dafür gesetzt werden, dass vor allem große Träger die Gruppengrößen maximal ausreizen.
Das mag wirtschaftlicher sein. Ob es qualitativ oder pädagogisch sinnvoller ist, ist aber fraglich. Wir
haben uns ja bereits mehrfach in diesem Hause mit Standards für Kindertagesstätten auseinanderge-
setzt. Unsere Haltung ist dabei klar: Wir wollen keine weitere Verschlechterung des Parameters Grup-
pengröße. Gerade angesichts der vielen Anforderungen, die wir heute an Kindertagesstätten stellen,
können wir dieses nicht vertreten. Eine reine Pro-Kopf-Förderung wird manche großen Träger befrie-
digen, sie wird aber auch Strukturen zerschlagen. Die Kindergartenförderung muss auch weiterhin be-
rücksichtigen, dass die Personalkosten der Kitas weitgehend unabhängig von der Kinderzahl sind.

Wir lehnen die Reform der Landesförderung nicht in Bausch und Bogen ab. Wir meinen aber, dass ei-
ne Neuordnung einen Sockel an Förderung für alle Einrichtungen gewährleisten muss. Wir begrüßen
ausdrücklich, dass längere Öffnungszeiten und besondere Leistungen der Einrichtungen auch honoriert
werden sollen. Das gilt für die Integration von Behinderten ebenso wie für Zuschläge für besondere
sprachliche Leistungen für Migrantenkinder oder andere Minderheiten. Die Grundzüge der Reform
bleiben aber problematisch.

Aber trotz allem: Insgesamt gesehen sind wir aber bei der Grundversorgung für die 3- bis 6jährigen
schon weit gekommen. Unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen deshalb Betreuungsangebote für
Kinder vor und nach dem Kindergartenalter.
Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Zum einen reden wir über die Altersgruppe der Unter-3jährigen. Hier gibt es noch ein erhebliches Un-
terangebot. Das lässt sich bereits daran ablesen, dass in manchen Kreisen und Städten gar kein solches
Angebot vorgehalten wird.

Zum anderen geht es zukünftig auch um eine ordentliche Betreuung für die Schulkinder. Spätestens
seit der Diskussion um die Ausländerintegration und um die PISA-Bildungsstudie ist die Nachmittags-
beschäftigung der Schulkinder ja wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Wir sind dagegen
die Schule einfach in den Nachmittag zu verlängern. Die Angebote am Nachmittag sollen etwas ande-
res sein als eine Verlängerung der Wissensvermittlung. Die beste Lösung liegt zwischen Schule und
Betreuung: Sie ist ein pädagogisch wertvolles Angebot, das den Kindern eine sinnvolle Freizeitgestal-
tung gestattet und den Eltern die Berufstätigkeit ermöglicht. Sie fördert die Entwicklung auf Gebieten
jenseits der schulischen Wissensvermittlung und bietet den Kindern andere Chancen.
Hier sind Einrichtungen wie die betreute Grundschule oder die geplanten Ganztagsangebote ein erster
Schritt. Allerdings wirklich nur ein erster. Ich kann verstehen, dass man aus finanziellen Gründen auf
Quantität setzt – dass man die deutlich billigeren Angebote vorzieht. Wer es aber ernst meint mit der
Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe, mit der Vorbeugung von sozialen Problemen und PISA-
Pleiten, darf die Qualität nicht aus dem Auge verlieren. Deshalb müssen auch pädagogisch hochwerti-
ge, präventiv angelegte Angebote der Jugendhilfe - wie Horte, Häuser der offenen Tür, dänische Frei-
zeitheime und Freizeitclubs - weiterhin gefördert werden. Wir sind dagegen, durch die Einrichtung
von reinen Betreuungsveranstaltungen bei den qualifizierten - und damit teureren - Angeboten der Ju-
gendhilfe zu sparen, was gerade auf kommunaler Ebene sehr beliebt werden dürfte.

Die Anstrengungen der letzten Jahre waren vor allem darauf ausgelegt, den Familien so die Tagespla-
nung zu erleichtern. Diese Möglichkeit der Betreuung für alle Kinder ist aber nur das absolute Mini-
mum. Schleswig-Holstein hat in den letzten Jahrzehnten erhebliche Anstrengungen unternommen um
die Zahl der Betreuung im Land stark zu erhöhen. Jetzt ist es Zeit darauf zu achten, dass die Qualität
nicht weggespart wird. Damit würden wir nämlich kaum den politischen Herausforderungen gerecht
werden, vor denen wir gegenwärtig stehen. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de