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30.05.02
13:56 Uhr
Landtag

Nordeuropäische Gespräche in Helsinki - Arens: Partnerschaft im Ostseeraum entwickeln

D E R L A N D T A G SCHLESWIG - HOLSTEIN 67/2002 Kiel, 30. Mai 2002 Sperrfrist: 31. Mai 2002, 14:30 Uhr



XXIV. Nordeuropäische Gespräche am 31. Mai 2002 in Helsinki: „Partnerschaft im Ostseeraum zum Bündnis von Demokratie und Toleranz entwickeln“
Kiel (SHL) –Landtagspräsident Heinz-Werner Arens spricht am morgi- gen Freitag zur Eröffnung der XXIV. Nordeuropäischen Gespräche in Helsinki. Organisatorin der Gespräche ist in diesem Jahr die Europäi- sche Bewegung in Finnland. Der Landtagspräsident nahm Stellung zur Rolle der Nichtregierungsorganisationen bei der Umsetzung der EU- Politik zur Nördlichen Dimension. Dazu sagte er unter anderem:
„Die Nordeuropäischen Gespräche sind mittlerweile zu einer festen Ein- richtung und guten Tradition im Ostseeraum geworden. Der große Erfolg dieser Gesprächsreihe ist auf die hervorragende Arbeit und das stete Engagement der Europäischen Bewegung zurückzuführen, die diese Tagung heute zum 24. Mal ausrichtet.

Damit wird einmal mehr unter Beweis gestellt, dass die Idee der Ostsee- zusammenarbeit auf den vielfältigen Aktivitäten von Nichtregierungsor- ganisationen basiert, sei es im kommunalen, kirchlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder europäischen Kontext. Wir bauen ganz bewusst auf die Kooperation von unten – in der Verkehrssprache des Ostseeraumes ist das der sogenannte ‘bottom-up approach’ –, zu dem die Europäische Bewegung mit der heutigen Veranstaltung einen entscheidenden Beitrag leistet. 2

Im Rahmen dieser Veranstaltung werden wir über die Nördliche Dimen- sion als Politik der EU diskutieren. Vergessen wir nicht: die EU ist nicht nur eine Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft, sie ist vor allem auch eine Sicherheitsgemeinschaft. Sie übernimmt Schritt für Schritt mehr außen- und verteidigungspolitische Aufgaben. Der bereits vollzogene Nato- Beitritt Polens ebenso wie der bevorstehende EU Beitritt Polens und der Baltischen Staaten werden zweifelsohne zu mehr Sicherheit im Ostsee- raum beitragen, wenn – und das ist entscheidend – zugleich die Vertie- fung der Zusammenarbeit mit Russland gelingt. Vor diesem Hintergrund halte ich die Nördliche Dimension für eine weg- weisende Politik.

Die Nördliche Dimension ist weit mehr als eine regionale Initiative. Sie ist zu einem originären Bestandteil der strategischen Überlegungen der Europäischen Union geworden. Dabei werden die Anstrengungen der EU mit denen der Ostseekooperation, der Barents-Region und der euro-arktischen Zusammenarbeit vernetzt. Es ist der Nördlichen Dimen- sion zu verdanken, dass die Ostseepolitik die ihr gemäße Aufmerksam- keit auf der europäischen Tagesordnung erlangt hat. Politisch sind wir damit einen großen Schritt vorangekommen. Mit der Erweiterung der EU nach Osten gewinnt ihre künftige gemeinsa- me Grenze mit der Russischen Föderation zunehmend an Bedeutung. Dem Kaliningrader Gebiet fällt dann aufgrund seiner geographischen Lage als russischer Exklave eine besondere Rolle zu – eine Rolle von politischer Bedeutung für die ganze Ostseeregion.

Für die russische Führung gilt Kaliningrad als Pilotregion für die Ent- wicklung einer regionalen Zusammenarbeit mit der EU. Die Europäische Union, die Russische Föderation und die Ostseeanrainerstaaten – ins- besondere Polen und Litauen – suchen nach geeigneten Maßnahmen, um die Konsequenzen der Enklavensituation aufzufangen und das er- hebliche sozioökonomische Gefälle zu überbrücken.

Das Stichwort vom Baltic Schengen, das Für und Wider von Freihandels- und Sonderwirtschaftszonen sowie die Bekämpfung der organisierten Kriminalität lassen erkennen, dass die Politik vor großen Herausforde- rungen steht. Gemeinsam sind Parlamente und Regierungen aufgefor- 3

dert, Lösungen zu erarbeiten und den uns auf der Ebene der jeweiligen Zuständigkeit möglichen Beitrag zu ihrer Realisierung zu leisten.

Das dies nicht immer einfach ist, hat die Diskussion auf dem EU- Russland-Gipfel vor zwei Tagen gezeigt. Anlässlich des Gipfeltreffens stand unter anderem das Thema ‘Einrichtung von Korridoren’ quer durch die Nachbarländer Kaliningrads auf der Tagesordnung. Die Kaliningra- der Regierung fordert entlang zweier festgelegter Autostraßen und einer Eisenbahnstrecke einen visafreien Transit durch Litauen und Polen ins russische Hinterland zu ermöglichen. Die EU fürchtet demgegenüber, dass solche Korridore die illegale Einwanderung aus Russland und Kali- ningrad in die EU begünstigen könnten. Noch ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit nicht gesprochen, aber der Gipfel hat einmal mehr ge- zeigt, dass in dieser Frage die Fronten zwischen der EU und Russland bedingt durch unterschiedliche Interessenlagen nur schwer überbrückbar sind.

Aus dem ursprünglichen Strategiepapier ‘Nördliche Dimension’ ist dank des Beschlusses des Europäischen Rates in Feira ein konkreter Akti- onsplan für den Zeitraum der Jahre 2000 - 2003 geworden. Darin sind als Handlungsschwerpunkte die Sektoren Umwelt, nukleare Sicherheit, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und die Situation des Oblast Kaliningrad ausgewiesen. Die dänische EU-Ratspräsidentschaft wird im zweiten Halbjahr 2002 eine Zwischenbilanz zu der Umsetzung des Aktionsplanes ziehen und Perspektiven für dessen Fortschreibung entwickeln. Den Ergebnissen dürfen wir gespannt entgegensehen.

Diese Entwicklung zeigt, die Diskussion hat Früchte getragen. Nichts wäre problematischer und für alle Beteiligten enttäuschender, wenn nur Worte gemacht würden, denen keine Taten folgten. Studien zur Entwick- lung von Kaliningrad gibt es genug, aber es wird zu Recht Klage geführt, dass diese bisher zumeist folgenlos geblieben sind.

Zur Umsetzung der Politik der Nördlichen Dimension stützt sich die EU auf die Strukturen der regionalen Zusammenarbeit. Damit vertraut sie auf das Europa der Regionen, denn nicht jedes Thema in Europa ist zugleich ein Thema für die Europäische Union. Es gilt, einen Kompro- miss zu finden zwischen dynamischer Entwicklung und klarer Konturie- 4

rung der Zuständigkeiten. Oberstes Gebot muss es sein, die Vielfalt der Regionen zu bewahren und sie verstärkt als sach- und aktionsorientierte Gestaltungsebene der europäischen Zusammenarbeit zu nutzen.

Je mehr Mitgliedstaaten die Europäische Union umfassen wird, um so notwendiger muss die Entwicklung in Richtung Regionalisierung gehen. Europa wird im globalen Wettbewerb nur bestehen, wenn seine regio- nalen Besonderheiten und seine durch die Vielfalt geprägte kulturelle I- dentität Bestand haben. Es sind gerade diese Faktoren, die den Regionen Kraft und Dynamik verleihen. Gerade in der Stärkung der regi- onalen Eigenständigkeit liegt ein ungeahntes Potential gesellschaftlicher und ökonomischer Dynamik, das durch die grenzüberschreitenden regi- onalen Kooperationen – bereits jetzt sichtbar – immer stärker zum Aus- druck kommen wird. So sind es vor allem auch die regionalen Part- nerschaften und die regionale Wirtschaftskooperation, die dazu beitragen, das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland ebenso wie die EU-Russland-Strategie mit Leben zu erfüllen.

Die Notwendigkeit zur regionalen Zusammenarbeit im Ostseeraum be- zeichnen wir in der Verkehrssprache des Ostseeraumes als ‘Region- building’. Dabei geht es darum, regionale Ungleichgewichte abzubauen, den inneren Zusammenhalt der Anrainerstaaten zu stärken und weder regionale noch soziale Gruppen von der weiteren Entwicklung auszu- schließen: eine Leitidee, die auch die Initiative der Nördlichen Dimension prägt.

Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat sich für einen aktiven Beitrag zu einer stärkeren Einbindung Kaliningrads in die Ostseekooperation eingesetzt. Als erstes und einziges Parlament ist der Schleswig- Holsteinische Landtag um die Aufnahme partnerschaftlicher Beziehun- gen mit der Gebietsduma von Kaliningrad gebeten worden. Die schnelle Einigung über die Inhalte des Memorandums war möglich, weil der ehe- malige Präsident der Kaliningrader Gebietsduma und aktuelle Vorsit- zende der Ostseeparlamentarierkonferenz, Herr Valerij Ustyugov, und ich bereits seit längerem im Standing Committee der 5

Ostseeparlamentarierkonferenz zusammenarbeiten. Das zwischen uns gewachsene Vertrauen hat den Weg für die Unterzeichnung des Memo- randums geebnet.

Das Memorandum beschränkt sich bewusst auf parlamentsspezifische Themen und somit auf das, was wir als Parlament zu leisten imstande sind. Im Vordergrund stehen die Konsolidierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Konkret heißt dies die Festigung der staatlichen Institutionen, insbesondere der Gesetzgebungs-, Exekutiv- und Rechts- pflegeorgane. Des weiteren wird besonderes Schwergewicht auf die Modernisierung der Verwaltung, auf Schulungsprogramme für junge Poli- tiker und die Entwicklung einer Zivilgesellschaft gelegt. Das parlamentarische Abkommen zwischen Schleswig-Holstein und Kaliningrad soll keine Sonderstellung und Sonderbeziehung mit Aus- schließlichkeitscharakter einleiten. Vielmehr verstehe ich es als einen Beitrag zu dem Prozess der Vertrauensbildung in der Ostseeregion. Dieser ist eingebettet in das Netzwerk der interparlamentarischen Beziehungen in Gestalt der Ostseeparlamentarierkonferenz.

Ich begrüße es, dass die Ostseeparlamentarierkonferenz mittlerweile zu einer gefestigten Institution im Rahmen der Ostseepolitik geworden ist. Auf der Grundlage von gegenseitigem Vertrauen, wechselseitigem Nutzen und verlässlichen Partnern arbeiten wir seit elf Jahren erfolgreich zusammen. Die dynamische Entwicklung gibt uns recht. So versteht sich die Ostseeparlamentarierkonferenz heute als eine Versammlung ge- wählter Repräsentanten, die dem Regierungshandeln im Ostseeraum durch Initiativen und Leitlinien zusätzliche demokratische Legitimation und Autorität verleiht.

Was aber wären die Kontakte auf internationaler, staatlicher und regio- naler Ebene ohne die eigentlichen Akteure, die Bürger. Ich erinnere an meine vorangegangenen Anmerkungen: Die Ostseekooperation wächst von unten. Dort, an der Basis, spielt die Musik. Nur wenn der Bürger über ein hohes Maß an Freiheit und Eigenverantwortung verfügt, und wenn die kleinen Lebenskreise – die Kommunen, die Vereine und Verbände – sich aktiv am Gesellschaftsgeschehen beteiligen, nur dann kann Demokratie als Volksherrschaft im eigentlichen Sinne gedeihen. 6

Damit sind Demokratie und das, was wir unter einer Bürgergesell- schaft verstehen, untrennbar miteinander verbunden. Nichtregierungs- organisationen an der Schnittstelle von Politik und Gesellschaft sind das tragende Element einer Bürgergesellschaft. Als Parlamentarier sind wir daran interessiert, die Zusammenarbeit mit den Nichtregie- rungsorganisationen zu intensivieren und deren Erfahrung und Wissen für den gesellschaftspolitischen Übergangsprozess in den neuen Demokra- tien nutzbar zu machen. Folglich ist die Entwicklung einer Zivilgesell- schaft ein Schwerpunkt des Memorandums über parlamentarische Zu- sammenarbeit zwischen der Kaliningrader Gebietsduma und dem Schleswig-Holsteinischen Landtag.

Der Schleswig-Holsteinische Landtag wird – soweit es unsere Möglich- keiten zulassen – die Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft in Kalinin- grad fördern. Hierzu habe ich einen Initiativkreis Kaliningrad, dem eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen aus Schleswig-Holstein an- gehören, gegründet und mich mit meiner Unterschrift unter das Memo- randum über parlamentarische Zusammenarbeit verpflichtet. Dieses Versprechen will ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Landtag gern einlösen. Erste Ergebnisse zeichnen sich bereits ab. So soll in diesem Jahr das mehrjährige Projekt ‘Präventive Jugendarbeit’ in Kaliningrad anlaufen. Hierbei handelt es sich um ein Modellprojekt für betreutes Wohnen und Arbeiten von be- nachteiligten Jugendlichen in Stadt und Land, das vor allem von der Ro- bert-Bosch-Stiftung, aber auch von dem Schleswig-Holsteinischen Landtag unterstützt wird.

Das Thema Partnerschaft prägt entscheidend die Zusammenarbeit al- ler Akteure im Ostseeraum, angefangen von den Parlamenten, über die Regierungen bis hin zu den Nichtregierungsorganisationen. So will ich auch meine Schlussbemerkung diesem Gedanken widmen: Partnerschaften können ganz unterschiedlicher Ausprägung sein. In ihrer einfachsten Form sind sie pragmatisch-realistisch, auf einer höheren Entwicklungsstufe werden sie strategisch, und im Idealfall entwickeln sie sich zu einem Bündnis von Demokratie und Toleranz, von Freund- schaft und Vertrauen.

Herausgeber: Pressestelle des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel, Postf. 7121, 24171 Kiel, Tel.: (0431) 988- Durchwahl -1163, -1121, -1120, -1117, -1116, Fax: (0431) 988-1119 7

V.i.S.d.P.: Dr. Joachim Köhler, Annette Wiese-Krukowska, E-Mail: Joachim.Koehler@landtag.ltsh.de Internet: www.sh-landtag.de – Presseinformationen per E-Mail abonnieren unter www.parlanet.de/presseticker