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29.04.02
11:34 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel : Offenheit ist die Grundlage der Demokratie

Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de

Nr. 108.02 / 29.04.2002

Offenheit ist die Grundlage der Demokratie Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
Wir reden heute hier erstens über den Fall Lohmann und das Vergabeverfahren SAP, und wir reden zweitens über den Fall Pröhl und den Verkauf des Kieler Schlosses. Wir reden über zwei Sachverhalte, die direkt vermutlich nichts miteinander zu tun haben. In beiden Fällen werden Menschen, die an wichtiger Stelle in dieser Landesregierung Ver- antwortung trugen, verdächtigt, ihr eigenes Interesse über das des Landes gestellt zu haben. In beiden Fällen ist die Staatsanwaltschaft tätig. Unklar ist noch, ob einzelne Menschen Fehler gemacht haben, oder ob mehr dahinter ge- steckt hat. Unklar ist noch, ob und in welchem Umfang dem Lande materieller Schaden zugefügt wurde und in welchem Umfang politischer Schaden entstanden ist.
Meine Damen und Herren, was den Vorgang SAP-Lohmann betrifft, so ist die Aufgabe des Untersuchungsausschusses noch nicht klar ersichtlich. Dass die Firma SAP ein kompetentes Softwareunternehmen ist, steht außer Frage. Eine Frage ist aber möglicherweise, ob Schleswig-Holstein gut beraten war, sich als Pilot-Kunde anzudienen. Bezüglich des Herrn Lohmann geht es erst mal darum, dass die Staatsanwaltschaft ermitteln muss. Die fachlichen Fragen sind Sache der Haushaltsprüfgruppe des Finanzausschusses. Politischer Aufklärungsbedarf für den Untersuchungsausschuss ergibt sich aus den Fragen, ob weitere Personen etwas gewusst haben. Deshalb stimmen wir auch für diesen Komplex der Einberufung des Untersuchungsaus- schusses zu. Denn es ist das Recht und dann auch die Pflicht des Parlamentes, die Regie- rung zu kontrollieren und Fragen zu stellen. Und wir werden mit allen Kräften dazu beitragen, wenn es gilt, Klarheit zu schaffen. Was den Sachverhalt um Herrn Pröhl und das Kieler Schloss betrifft, so stellt sich dieser an- ders da. Was der Ausschuss auch hier nicht leisten kann, ist die Arbeit der Staatsanwaltschaft. Also zu klären, ob es Absprachen und Vorteilnahme bei der Vergabe von Landesaufträgen gege- ben hat. Hier geht es aber unabhängig von juristischen Fragen auch um die politische Verantwortung und die Rolle von MitarbeiterInnen der Staatskanzlei. Hier sind Kernfragen der Demokratie und der politischen Kultur berührt. Es geht darum, wie weit politische Aufsicht und Kontrolle reichen muss, wieweit Mitarbeite- rInnen selbständig und kreativ operieren dürfen, was von führenden Beamten ja auch in ge- wissem Umfang erwartet wird. Es geht darum, wie es geschehen konnte, dass ein Mitarbeiter vermutlich seine Dienstge- schäfte systematisch mit eigenen Geschäften zu verbinden begann. Deshalb muss dieser Fall aufgeklärt werden und deshalb stimmen wir dem PUA zu. Ich begrüße, dass die Ministerpräsidentin nach dem Rücktritt des Staatssekretärs mit der Be- rufung einer neuen Staatssekretärin von Außen eine gute Vorraussetzung geschaffen hat, dass nun vorbehaltlos die Vorgänge aufgeklärt werden können. Herr Gärtner seinerseits muss jetzt offen erklären, ob er mehr weiß, und wenn ja, was er weiß. Das ist ein Dienst an der Demokratie, den ich von ihm erwarte. Und was die EXPO-Beteiligung Schleswig-Holsteins betrifft: Wir gehen davon aus, dass die Landesregierung ein hohes Eigeninteresse daran hat, alles aufzuklären und transparent zu machen. Und das gilt insbesondere für die Schlussabrechnung.

Meine Damen und Herren, immer wieder wurden diese Vorgänge auch in Zusammenhang mit den großen Spendenaffä- ren der Union und jetzt der Kölner SPD gebracht. Diesen Zusammenhang kann ich allerdings nicht erkennen. Es geht hier nicht um Parteispenden und nicht um die Organisation von Geld für eine Partei. Es gibt aber einen anderen Zusammenhang. Es geht hier um ein Grundübel von menschli- chem Staatswesen: Um die Vermischung von privaten Eigeninteressen mit den Aufgaben für das Gemeinwohl, die sich aus dem Amt ergeben. Diesen Sachverhalt bezeichnet man ge- wöhnlich als Korruption. Korruption ist ein Übel, dass in den letzten Jahren zugenommen hat. Der Generalstaatsan- walt Rex hat neulich in erfrischender Klarheit diese Entwicklung dargestellt und die Ent- schlossenheit der schleswig-holsteinischen Ermittlungsbehörden, dagegen vorzugehen, deutlich gemacht. Das ist auch notwendig. Denn die öffentliche Debatte hat in Folge der Par- teispendenskandale einen Umfang angenommen, der an den Nerv der Demokratie geht. Jede Affäre beschädigt nicht nur die Partei, die betroffen ist, sondern beschädigt auch die Politik überhaupt und damit die Demokratie insgesamt. Es gibt genügend Menschen, die mit Politik nichts mehr zu tun haben wollen. Ich denke, deshalb ist es richtig, gerade in dieser Stunde darauf hinzuweisen, dass es in un- serer Demokratie - und zwar in allen Parteien - viele Menschen gibt, die sich unermüdlich und auch uneigennützig für die Interessen der Menschen, die sie gewählt haben, und für die Demokratie als Solche einsetzen.
Diejenigen, die korrupt sind und sich nicht an die Regeln halten, müssen bestraft wer- den. Aber die vielen Tausenden von ehrenamtlichen und hauptamtlichen PolitikerIn- nen in allen Parteien, die sich für das Allgemeinwohl engagieren, deren Arbeit muss wieder anerkannt und gewürdigt werden.
Meine Damen und Herren, gerade deshalb müssen wir uns auch in Erinnerung rufen: Es ist keine Besonderheit der De- mokratie, dass es viele Skandale gibt. Menschen machen immer Mist. Das Besondere an der Demokratie ist nicht, dass es Korrup- tion gibt, sondern dass sie aufgedeckt wird. Deshalb sind Demokratien allen anderen Syste- men überlegen! Diktaturen jeglicher Art mögen oberflächlich betrachtet effizienter sein und Skandale kommen scheinbar kaum vor. Aber in Wirklichkeit hat sich die Demokratie in hochkomplexen Gesell- schaften immer wieder als viel effizienter herausgestellt, weil es keine oder nur zeitweise ei- ne Nomenklatura, eine geschlossene Herrschaftsschicht gibt. Gewaltenteilung und Presse- freiheit machen das Regieren sicher komplizierter, aber sie sind der Grund dafür, dass in der Demokratie Amtsmissbrauch, Bestechung, Kungelei und Bereicherung eben nicht selbstver- ständlich, sondern Ausnahmen sind, die immer wieder aufgedeckt werden. Es ist gerade das Besondere der Demokratie, dass jeder Schritt und Tritt öffentlich beobach- tet und kritisiert wird - und jede Aufdeckung eines Skandals ist immer auch ein Beweis dafür, dass diese Demokratie lebt und funktioniert.
Meine Damen und Herren, es gibt einen weiteren Aspekt bei diesem Thema, über den wir reden müssen: Die Zunahme der Korruption hat auch etwas mit dem veränderten Verständnis von den Auf- gaben der öffentlichen Hand zu tun. Denn ein Großteil der umtriebigen Aktivitäten, mit denen in den Kommunen und Ländern Ge- schäfte mit Grundstücken, Müllverbrennungsanlagen, Bauaufträgen und Sparkassen ge- macht werden, hat auch etwas damit zu tun, dass den Akteuren der Unterschied zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst nicht mehr bewusst ist. In der Privatwirtschaft gelten nun mal andere Gesetze. Auch dort müssen Regeln eingehal- ten werden, Steuern müssen ehrlich bezahlt werden, und Betrug ist strafbar. Aber die Regeln unterscheiden sich erheblich von denen im öffentlichen Sektor. Dort ist nie- mand an Vergaberecht, faire Ausschreibung usw. gebunden. Dort verhandelt man mit den Geschäftspartnern nach eigenen Spielregeln, bei denen vor allem das ökonomische Ergeb- nis zählt. Und wir alle, die Parteien wie auch die Presse, haben in den vergangenen Jahren mehr Fle- xibilität, mehr privatwirtschaftliche Verhaltensweisen, weniger Beamtentum und Bürokratis- mus gefordert und haben öffentliche Einrichtungen in Aktiengesellschaften und GmbHs ver- wandelt. Mancher Bürgermeister und mancher höhere Beamte betrachtet die Kontrolle durch das Par- lament als Hindernis für effizientes Verwaltungshandeln. Wir müssen uns selbstkritisch fragen, ob wir die unterschiedlichen Aufgaben und Regeln im- mer genügend beachtet und betont haben? Haben wir die politischen Kontrollmechanismen auch entsprechend weiterentwickelt?
Geht es möglicherweise dem öffentlichen Sektor und der Politik so, wie dem olympischen Komitee, das den olympischen Eid, ein Amateur zu sein, abschaffen musste? Dieser Eid war angesichts des millionenschweren Ansturms von Werbegeldern irgendwann zusammen- gebrochen und musste dann der Realität angepasst werden. Müssen wir also unsere Ansprüche korrigieren und der Wirklichkeit anpassen? Hat Stefan Zweig Recht, wenn er sagt: „Wahrhaftigkeit und Politik wohnen selten unter einem Dach“?
Ich glaube, an dieser Stelle sind wir an einem Punkt, an dem wir die Ethik und die Prinzipien unseres Tuns grundlegend überprüfen müssen. Theoretiker der Demokratie wie Max Weber haben die öffentliche politische Sphäre bewusst den anderen Sphären wie der wirtschaftlichen Sphäre und der kulturellen Sphäre gegen- übergestellt. In der kulturellen Sphäre war seit ihrer Emanzipation von den Despoten schon immer alles erlaubt. Künstler und Sportler dürfen Millionen verdienen, indem sie die mächtigen auf die Schippe nehmen, und Satire darf Dinge sagen, die für andere strafbar wären. In der wirtschaftlichen Sphäre wird es als selbstverständlich angesehen, dass der Erfolg zu- nächst in Gewinnen und Marktanteilen gemessen wird. Das schließt nicht aus, dass Firmen sich auch um ethische und moralische Maßstäbe bemühen, aber es muss sich auch rech- nen. Dagegen ist die politische Sphäre zu Recht als eigene Sphäre gegenüber den anderen ab- gesetzt worden. Eine Sphäre, in der mit gesellschaftlichem Gemeineigentum und nicht mit Privateigentum gearbeitet wird. Auch wenn der Bürger von der Politik immer mehr wirtschaftliche Effizienz und Unterhaltung erwartet: Ich vertrete den Standpunkt: Wir müssen uns bewusst sein, dass Schauspieler, En- tertainer und Wirtschaftsbosse in dieser Gesellschaft nun mal eine andere Rolle spielen als Politiker. Sie verwalten nicht öffentliches Eigentum. Sie haben die Pflicht, sich an die von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen zu halten, und die Freiheit, sich in diesem Rahmen frei zu bewegen. Es gibt gute Gründe, warum für die Politik ganz andere Regeln gelten. Denn die Politik setzt den Rahmen, damit soziale Gerechtigkeit, Erhaltung der Natur und Rechtssicherheit für Firmen und Individuen gewährleistet sind. Jedes Handeln der Regierung muss im Zweifelsfall rechtlich überprüfbar sein. Der Staat verwaltet öffentliches Eigentum, dass allen Bürgern gehört. Wie oft klagen wir über bürokratische Vorschriften, wie umständlich sind für jemanden, der in der Privatwirtschaft frei verhandeln kann, die öffentlichen Ausschreibungsverfahren. Wie kleinlich sind die Vorschriften für die Annahme von Geschenken durch Beamte.
Aber gerade in der Stunde der Skandale müssen wir uns darauf besinnen, dass dies alles wichtig ist. Wir alle haben uns dem Dienst an der Demokratie und dem Dienst an den Bürge- rInnen verpflichtet. Darauf können wir stolz sein. Wir haben uns wie die Brüder in der Zauber- flöte verpflichtet, dem Allgemeinwohl zu dienen. Und – meine KollegInnen, das bedeutet auch: Wir dürfen als PolitikerInnen die Politik nicht ständig selbst denunzieren und uns gegenseitig als Menschen diskreditieren. An dieser Stelle sei mir auch eine Anmerkung zur Opposition erlaubt: Gerade wenn man Fehlverhalten in der Regierung anprangert, dann sollte man sich in Wortwahl, Stil und Inhalt an diese Regeln halten.
Wenn eine Oppositionpartei bereits täglich und provisorisch den Rücktritt der Ministerpräsi- dentin fordert, sozusagen auf Verdacht, ohne dass irgendeine Tatsache vorliegt und bevor sie den Untersuchungsausschuss, der doch wohl erst klären soll, was vorliegt, überhaupt be- antragt hat, dann trägt sie nicht dazu bei, dass Menschen Vertrauen in Politik fassen. Und wenn der Fraktionsvorsitzende einer kleinen Partei ununterbrochen herum erzählt, was er alles noch wüsste, ohne seine Informationen der Regierung oder dem Parlament zur Ver- fügung zu stellen, dann macht das nicht den Eindruck, als ginge es ihm darum, Klarheit her- zustellen. Werden Sie nicht übermütig, nur weil sie in Sachsen-Anhalt ein gutes Ergebnis erzielt haben !. Ich erinnere hier nur an die unsägliche Rolle Ihrer Partei bei dem Spendenskandal in Hes- sen, wo ihre Parteikollegin mit allen Mitteln politische Konsequenzen aus der Spendenaffäre verhindert hat. Und dass ausgerechnet die FDP dazu beigetragen hat, einen Herrn Schill in Hamburg hoffähig zu machen, ist auch kein liberales Ruhmesblatt! Meine Damen und Herren, wir sind vom Volk gewählt. Wir sind nicht vorrangig hier, um Unterhaltung zu liefern. Wir sind hier, um im Interesse des Bürgers fachliche gute Sacharbeit zu machen, und die ist manch- mal eben auch trocken und unspektakulär. Dabei ist leidenschaftlicher Streit um die Sache notwendiger als je zuvor, damit die Bürger erkennen, welche Alternativen es gibt. Aber zugleich ist Respekt vor den Personen gefordert. Meine Damen und Herren, deswegen gilt es in dieser Situation drei Konsequenzen zu ziehen: Erstens: Es ist richtig und notwendig, dass diejenigen, die gegen die Regeln verstoßen, seien es Politiker oder Beamte, bestraft werden. Es ist richtig und notwendig, dass in einer Situation, wie wir sie vorliegen haben, die Staats- anwälte ohne Ansehen von Person die Wahrheit erforschen. Und es ist das gute Recht der Opposition, dass in einer solchen Stunde ein Untersuchungs- ausschuss eingefordert wird und das ganze Parlament ihn trägt. Zweitens: Wir alle sind aufgerufen, in unseren eigenen Parteien und in der Verantwortung als Parlamentarier, Regierungsmitglieder oder Beamte alles zu tun, damit solche Vorfälle nicht vorkommen. Und drittens: Es ist genauso wichtig, dass die Arbeit derjenigen Parteien, Beamten, Politike- rInnen und MinisterInnen, die sich an die strengen ethischen Regeln der öffentlichen Sphäre halten, gewürdigt wird. Das erhoffe ich eben nicht nur von den Medien, sondern ich erwarte auch von uns selbst, dass der gegenseitige Respekt gewahrt bleibt. Die politischen Entwicklungen in Österreich, Italien, Dänemark, Frankreich und in unserem Nachbarland Hamburg machen sehr deutlich, wohin die Reise geht, wenn wir diese Regeln nicht einhalten.
Meine Damen und Herren, auch in dieser Situation bleibe ich ein Optimist. Ich bin davon überzeugt, dass die Schuldigen bestraft werden, und dass den Ehrlichen zuletzt Gerechtigkeit widerfährt. Denn – meine Damen und Herren – und diesen letzten hoffnungsvollen Gedanken möchte ich mit den Worten von Oscar Wilde ausdrücken: Auch „wer die Wahrheit sagt, wird früher oder später dabei ertappt.“
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