Lage der Justiz: Aufgaben müssen realistisch bewältigt werden können
Südschleswigscher Wählerverband Schleswig-Holsteinischer Landtag im Schleswig-Holsteinischen Landtag Düsternbrooker Weg 70 D - 24105 Kiel Tel. (0431) 988 13 80 Fax (0431) 988 13 82 SSW-LandtagsvertretungPRESSEINFORMATION Norderstr. 74 D – 24939 Flensburg Tel. (0461) 14 40 83 00 Fax (0461) 14 40 83 05 Kiel, d. 20.03.2002 Silke Hinrichsen Es gilt das gesprochene WortTOP 7 Große Anfrage zur Situation der Justiz (Drs. 15/1581)Bei der Vorbereitung für unseren heutigen Meinungsaustausch habe ich mir auch die Debattezur letzten Großen Anfrage im Jahre 1995 angesehen. Damals mussten die Parlamentarier umviele der wichtigsten Zahlen kämpfen. Die standen nämlich nicht in der Antwort der Landes-regierung und mussten dem Justizminister auch erst langwierig aus der Nase gezogen werden.Das ist heute glücklicherweise anders. Ich danke allen Beteiligten für die Arbeit, die sie sichmit diesem Bericht gemacht haben, und für die umfangreiche Stellungnahme.Die Kernfrage in der Frage nach der Situation der Justiz ist natürlich weiterhin die Arbeits-belastung der Justiz und die daraus folgenden Konsequenzen für die Bevölkerung. Es gehtbesonders um die Frage, on die Bürgerinnen und Bürger mit einer zügigen Bearbeitung ihrerAnliegen rechnen dürfen. Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage zeigt, dassdie durchschnittliche Dauer eines gerichtlichen Verfahrens in Schleswig-Holstein länger istals im Bundesvergleich - mit Ausnahme des Finanzgerichts und des Verwaltungsgerichts.Beim genaueren Hinsehen offenbart sich aber auch, dass dieses seine Ursache in örtlichenGegebenheiten hat. Im Prinzip kann man jedoch davon ausgehen, dass der Unterschied sehrgering ist im Bundesvergleich. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Wichtig ist, dass der Personalstamm der „nichtrichterlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“gehalten bzw. verbessert wird, um die etwas längeren Verfahrensdauern zu verkürzen. Dennwenn in diesem Bereich ein Ausfall zum Beispiel aufgrund von Krankheit erfolgt, kann dieArbeitsbürde nicht weiter verteilt werden. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bereitsmehr als voll ausgelastet.Während es im Jahr 1995 noch so aussah, als würde die Streitlust der Menschen stetigsteigen, zeigt die vorliegende Statistik, dass dieses sich nicht in den letzten Jahren fortgesetzthat. Die Eingangszahlen bei den Amtsgerichten gehen zurück, wenn man einmal von denMahnverfahren absieht. Auch beim Landgericht sind die Eingangszahlen nicht im selbenMaße gestiegen wie die Eingänge bei den Amtsgerichten zurückgingen. Die Streitlust ist alsowirklich gebremst. Wir erwarten jetzt mit Spannung, wie die Entwicklung hier angesichts desneu eingeführten Schlichtungsverfahrens weitergeht. Dieses dürfte ja zu einer weiteren Entla-stung in diesem Bereich führen. Zu dieser Entwicklung kommt hinzu, dass gerade bei denAmtsgerichten die Anzahl der Erledigungen durch Vergleiche gestiegen ist. Auf diese Weisekönnen Streitigkeiten beim Amtsgericht auf eine für alle Beteiligten befriedigende Weisebeigelegt werden.Weniger erfreulich stellt sich die Entwicklung der Fälle bei den Familiengerichten dar. DieEingangszahlen sind in den letzten fünf Jahren um 19 % gestiegen. Allerdings hat auch dieZahl der erledigten Verfahren um 17 % zugenommen. Unabhängig davon ist es ein Signal,das von der Familienpolitik näher beobachtet werden sollte. Im Rechtsausschuss müssen wiruns vor allem auch der Frage widmen, ob die Zunahme nicht auch im Zusammenhang mitUnterhalts- und Sorgerechtstreitigkeiten als Auswirkungen des neuen Eltern- und Kind-schaftsrechts mit der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge steht. Erfreulich ist imFamilienrechtsbereich die durchschnittliche Verfahrensdauer beim Amtsgericht Niebüll. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Die Verfahrensdauern bei Gerichtsverfahren sind aber nur die eine Seite der Medaille. Siesagen etwas darüber aus, ob die Justiz dem Interesse der Beteiligten an einer Gewissheitdurch eine möglichst zügige gerichtliche Entscheidung gerecht wird. Neben dem Gedanken ermöglichst guten „Dienstleistung“ für die „Kunden“ ist die Qualität der Arbeit aber natürlichebenso wichtig, weil nur so die Rechtssicherheit gewährleistet ist. Die Qualität kann man zumTeil aus den Eingangszahlen bei den Berufungen erkennen, und diese nehmen erfreulicherWeise ab. Der Erhöhung der Eingangszahlen bei den Landgerichten von 8 % steht nur einerErhöhung von 3 % bei den Berufungen gegenüber. Damit zeigt sich, dass unsere Gerichteauch in schwierigen Zeiten gute Qualität liefern können. Das verdient unseren Respekt.Der Bericht der Landesregierung zeigt, dass Die Zahl der Zwangsversteigerungen und -ver-waltungen im Berichtszeitraum um 19 % zunahm, während die Vollstreckungsaufträge beiden Amtsgerichten um 27 % abnahmen. Das deutet eigentlich auf eine zunehmende Verschul-dung der Menschen hin. Aber der Rückgang bei den Vollstreckungen, auch bei den Zwangs-vollstreckungsaufträgen, kann nicht nur auf die Gesetzesänderung 1999 zurückzuführen sein.Der Service für die Bürgerinnen und Bürger ist aber natürlich nur die eine Seite der Justiz-politik. Auf der anderen Seite haben wir die Verantwortung dafür, dass die Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter der Justiz die Aufgaben unter zufriedenstellenden Bedingungen erledigenkönnen. Hier wird viel über eine zu hohe Arbeitsbelastung gesprochen, und auch wir sind derAnsicht, dass die Pensenschlüssel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf keinen Fall mehrsteigen dürfen. EDV spart nicht einfach nur Arbeitskraft ein. Sie hat auch die Arbeitsfelderdes Einzelnen erweitert, ermöglicht eine bessere Qualität für die Rechtssuchenden, und diesemuss beibehalten werden.Wir können diese Qualität auch in außergewöhnlichen Situationen liefern – zum Beispielangesichts der Ankündigung von MobilCom ca. 100.000 Mahnanträge einzureichen. Wir Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de begrüßen ausdrücklich die Entscheidung des Ministeriums, hier nicht einfach das Problemzunächst auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zukommen zu lassen, sondern gleich eineLösung zu finden. Es ist nach unserer Ansicht im Sinne aller Antragsteller von Mahnver-fahren reagiert worden und nicht nur für die MobilCom. In diesem Sinne habe ich wenigVerständnis für die Kritik der CDU. Denn am Ende wäre doch auch gerade das einzelnekleine Mahnverfahren liegen geblieben.Die Längen der Verfahren sind aufgrund der verschiedenen Zählweisen schwer zu über-schauen. Aber unabhängig davon ist eine Verfahrensdauer von über 24 Monaten nicht erträg-lich. Desto höher die Belastung durch höheren Pensen sind, desto mehr ergeben sich auchVerfahrensverlängerungen. Das leuchtet ein. Bei den Sozialgerichten ist das Ansteigen derüber 24 Monate dauernden Verfahren von 398 Verfahren auf 1253 Verfahren innerhalb desBerichtszeitraumes nicht nachvollziehbar. Hier werden wir im Ausschuss sicherlich nach denGründen fragen müssen.Die Fülle des Materials gestattet es mir auch im Bereich des Justizvollzugs nur auf einzelneAspekte einzugehen: Seit 1996 sind die Widerrufe und Rücknahmen von Freigängen rück-läufig. Erfreulich ist ebenso die Entwicklung der Entweichungen und Ausbrüche sowie dergeringe Prozentanteil von Nichtrückkehrfällen aus Beurlaubungen seit 1991. Dies zeigt, dassdie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug hinsichtlich der Prognoseentscheidun-gen sicher sind, dass die Resozialisierung durch diese Maßnahmen gerechtfertigt ist.Bei den beabsichtigten Investitionen im Justizvollzug ist erfreulich, dass der Neubau für einArbeitsgebäude in Flensburg vorgezogen wird, so der eklatante Mangel an Raum hier endlichbehoben wird. Auch der Neubau in Neumünster wird vorgezogen, kommt aber der Jugend- Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de anstalt nicht gleich vollständig zu gute, da in Neumünster während der Sanierungsmaßnahmein der JVA Kiel Haftplätze für Gasthäftlinge benötigt werden.Für den Bereich der Gerichtshelfer/Bewährungshelfer/Gerichtsvollzieher zeigt der Bericht ei-nen erheblichen Arbeitsanfall und damit hohe Belastungen aller Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter auf. Dabei gibt es nicht nur eine zahlenmäßige, sondern auch eine inhaltsmäßige Stei-gerung der Arbeitsaufgaben in beiden Bereichen. Hier will das Ministerium durch einen Pro-zess der Qualitätssicherung und -entwicklung als Instrument der Straffälligenhilfe reagieren.Ich frage mich aber, ob diese wohlgemeinten Maßnahmen nicht auch dazu beitragen, dieSituation eher zu verschlimmern. Man soll die Haushaltslage berücksichtigen undWirkungsmechanismen nachweisen und dabei auch noch einheitliche und verbindliche Stan-dards entwickeln. Und nebenbei soll man sich auch noch auf moderne Informationstechno-logie umstellen. Ich frage mich, wie man dieses neben den erheblichen Anforderungen derArbeit nebenbei noch machen will. Diese beschriebenen Aufgaben sind notwendig, aber siemüssen auch realistisch bewältigt werden können.Bei den Gerichtsvollzieherinnen und -vollziehern ist es begrüßenswert, dass das Ministeriumauf die Änderung der Aufgaben der Gerichtsvollzieher mit einer Personalerhöhung reagierthat. Die Vollstreckungsaufträge sind zwar zurückgegangen. Aber die Hälfte der Aufträge sindmit dem weiteren Auftrag zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verbunden, was zumehr Arbeit führt. Die Pensen konnten fast gehalten werden.Eine Privatisierung dieser Aufgabe lehnen wir ab, zum einen wegen der im Bericht schonangesprochenen Verteuerung, aber auch weil wir gerade in diesem Bereich die geschulten undausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen, die in der Lage sind, die Recht-mäßigkeit ihres Handelns zu überprüfen und auch Aufträge ablehnen. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Der durchschnittliche Anteil an Frauen im Bereich Justiz ist erfreulich, aber im Bereich derFührungspositionen verbesserungsfähig. Arbeitsgerichte haben hier durch ihren besserenFrauenanteil eine echte Vorbildfunktion. Gerade angesichts der zum Teil hundertprozentigenFrauenquote in diesen Gerichten sollte einmal nachgeforscht werden, ob dieser Bereich imSinne des Gender-Gedankens besondere Vorzüge bietet, die man auch auf andere Bereicheübertragen könnte. Andersherum stellt sich bei den Arbeitsgerichten schon die Frage, wieman die Attraktivität für Männer erhöhen kann. Ein weiterer Bereich, in dem der Gender-Ge-danke weiter verbreitet werden könnte sind die Beurlaubungen und Teilzeitbeschäftigung beiRichterinnen und Staatsanwältinnen. Diese Möglichkeiten werden zur Zeit nur von Frauengenutzt.Bei der Juristenausbildung besteht vor allem das Problem, dass die Wartezeiten für einReferendariat zu lang sind. Schleswig- Holstein nimmt hier ein Mittelfeldplatz ein. Hier wirdbedauerlicherweise die Praxis aus den anderen Bundesländern übernommen, um dieWarteliste zu kürzen und Geld zu sparen. Seit 2002 werden Referendare in der Justiz nichtmehr in das Beamtenverhältnis genommen, sondern erhalten eine Unterhaltsbeihilfe.Gerade an diesem Punkt zeigt sich, dass die angestrebte umfassende Veränderung derJuristenausbildung nun endlich in Gang kommen muss, statt, dass sie nur an kleinen Punktenund insbesondere am Geld durchzuführen. Es wäre doch auch sinnvoller hier zumindest im 2.Teil der Ausbildung über andere Formen zu entscheiden. Ein weiteres erscheint mir noch dieEntlohnung der Leiterinnen und Leiter von Arbeitsgemeinschaften. Der Stundenlohn beträgt14,06 Euro pro Stunde und ich gehe davon aus, dass die Vorbereitungszeit nicht mitangerechnet wird. Diesen Stundenlohn für eine Fachstunde erhalte ich bei keinem Hand-werker, der mir etwas erklärt. Für diesen Stundenlohn hätte ich auch keinen Fachkunde-unterricht Recht gegeben. Auch deshalb halten wir weiterhin eine Reform der Ausbildungauch für notwendig. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de