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18.02.02
15:43 Uhr
Landtag

"Faszination Ostseekooperation"

D E R L A N D T A G SCHLESWIG - HOLSTEIN 26/2002 Kiel, 18. Februar 2002 Sperrfrist 19. Februar 2002, 18:00 Uhr Es gilt das gesprochene Wort!


„Faszination Ostseekooperation“

Kiel (SHL) – Anlässlich des Treffens ehemaliger Mandatsträger der CDU aus Schleswig-Holstein im Nortorfer „Kirchspielkrug“ sagte Landtagspräsident Heinz-Werner Arens in seinem Vortrag „Faszination Ostseekooperation“ unter anderem:
„Gern bin ich Ihrer Einladung gefolgt und freue mich, mit Ihnen die aktu- elle Entwicklung in der Ostseekooperation diskutieren zu können. Claus Ehlers als stellvertretendem Vorsitzenden des Europaausschusses bin ich sowohl persönlich als auch fachlich sehr verbunden. Ihm eine Bitte abzuschlagen, würde mir überaus schwer fallen.
Sie, liebe Zuhörer, möchte ich nach neudeutscher Gepflogenheit bzw. in der Verkehrssprache des Ostseeraumes als ,senior experts’, oder auch als ,one Dollar men’ bezeichnen – ehemalige Mandatsträger, die ein er- folgreiches Berufsleben abgeschlossen haben und anschließend mit großem Engagement ihre Kenntnisse und Erfahrungen weiterhin in den Dienst der Gesellschaft stellen. Ohne diese ehrenamtlichen Funktions- träger wäre unsere Gesellschaft arm dran.
Alle Parteien und Fraktionen in Fragen der Ostseekooperation sind kon- sensorientiert, und nur so kann Schleswig-Holstein im Konzert der Ost- seeanrainer gehört werden. Wenn es um Ostseekooperation geht, zie- hen wir alle an einem Strang, egal ob CDU oder SPD, egal ob Bündnis 90 / Die Grünen oder FDP. Wenn der Strick jemals reißen sollte, dann haben wir etwas falsch gemacht.
Um Ihnen ein wenig von der Faszination der Ostseekooperation zu ver- mitteln, beginne ich zunächst mit einem kurzen historischen Rückblick: 2

In der mittelalterlichen Hansezeit gehörte der Ostseeraum zu den poli- tisch und wirtschaftlich bedeutendsten Regionen Europas und der Welt. Dänemark und Schweden waren lange Zeit Mächte von europäischem Rang. Und St. Petersburg glänzte bis zum Ausbruch des Ersten Welt- kriegs als eine europäische Metropole.
Uns alle fasziniert die Idee, diesen Wirtschafts- und Lebensraum Ostsee wieder zu beleben. Es war Björn Engholm, der im Jahr 1987 – also vor dem Fall von Mauer und Eisernem Vorhang – seine Vision von einer Neuen Hanse verkündete. Vor zehn Jahren wurde der politische Wunsch Wirklichkeit. Der Untergang der kommunistischen Zwangssysteme in Mittel- und Osteuropa, die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die Europäische Union ebenso wie ihre anstehende Erweiterung nach Osten haben den politischen Horizont erweitert. So wie die Geschichtsschrei- bung die Hanse als einen internationalen Städtebund und als Mittlerin zwischen Ost und West interpretiert, sehen wir die Ostsee wieder in ihrer verbindenden und großräumigen Dimension.
Welche Rolle spielt die Ostseeparlamentarierkonferenz in diesem Gefü- ge? Die Idee der Zusammenarbeit im Ostseeraum hat sich aus vielfältigen Kontakten entwickelt. In den vergangenen zehn Jahren hat sich im Ost- seeraum ein Netzwerk von parlamentarischen, staatlichen und nicht- staatlichen Organisationen herausgebildet. Die verschiedenen Akteure haben bei gleicher Zielsetzung jeder einen eigenen Auftrag und ein eige- nes Selbstverständnis.
Nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs schufen die Parlamentarier aller Ostseeanrainerstaaten 1991 auf finnische Initiative zunächst die Ostseeparlamentarierkonferenz als ein Diskussionsforum. Die Konferenz hat sich zum Ziel gesetzt, durch enge politische Zusammenarbeit zu Si- cherheit und Stabilität im Ostseeraum beizutragen. Ihr hervorstechendes Merkmal ist, dass regionale und nationale Parlamente vollkommen gleichberechtigt zusammenwirken. Das ist, soweit ich sehe, in ganz Eu- ropa und wohl auch darüber hinaus ohne Beispiel.
Unter deutschem Vorsitz mit Mecklenburg-Vorpommern als Gastgeber der 10. Ostseeparlamentarierkonferenz in Greifswald im September 2001 ist es gelungen, die Konferenz einen weiteren Schritt voranzubrin- gen. Erstmalig wurde eine Arbeitsgruppe zu dem Thema Schiffssicher- heit eingerichtet, deren Ergebnisse auf der 11. Konferenz unter russi- schem Vorsitz Ende September 2002 in St. Petersburg vorgestellt wer- den. Darüber hinaus haben wir in Greifswald die Homepage der Ost- seeparlamentarierkonferenz eröffnet, wir präsentieren also unsere Arbeit im Internet, und wir haben eine Jubiläumsbroschüre, die die Entwicklung 3

dieser Organisation von den Anfängen bis zur Gegenwart wiedergibt, publiziert.
Es hat mich schon erfreut, dass der Ständige Vertreter Russlands im Ostseerat, dem Kooperationsgremium der Außenministerien der Ost- seeanrainer, der Botschafter Alexey Obukhov, am vergangenen Wo- chenende in Moskau die Ostseeparlamentarierkonferenz als eine der tragenden Säulen der Zusammenarbeit im Ostseeraum genannt hat.
Aus dem ursprünglichen Diskussionsforum ist seit 1999 mit der Verab- schiedung einer unter schleswig-holsteinischer Federführung entworfe- nen Geschäftsordnung eine Arbeitsplattform geworden. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Implementierung der jährlich verabschiedeten Reso- lutionen, für die das politische Leitungsgremium der Konferenz, der Ständige Ausschuss, verantwortlich zeichnet. In diesem Gremium sind je ein Mitglied für den Nordischen Rat, die Baltischen Staaten, Polen, Russland und ich selbst für die Parlamente der norddeutschen Küsten- länder und den Deutschen Bundestag vertreten. Der Ständige Aus- schuss übt die ihm übertragenen Aufgaben in enger Rückkoppelung mit der Arbeitsebene der jeweiligen Parlamente aus.
Wie steht es nun mit der Bedeutung der Ostseekooperation im Vorwege der EU-Erweiterung?
Mit der geplanten gleichzeitigen Aufnahme von bis zu zehn Beitrittskan- didaten vom Jahr 2004 an stehen die EU und der Ostseeraum vor einer grundlegenden Veränderung. Die Ambitionen und die Notwendigkeit, den Beitritt möglichst schnell zu vollziehen, sind groß. Ein Hinauszögern des Erweiterungstermins dürfte die Zahl der EU-Beitrittsgegner in Ost und West erheblich ansteigen lassen. Am deutlichsten sichtbar ist die wachsende Skepsis und Polarisierung in Polen, dem größten und wich- tigsten Kandidatenland. Nachdem in den letzten Jahren zumindest ober- flächlich ein Konsens in der Europapolitik bestanden hatte, sind bei den Parlamentswahlen im vergangenen September erstmals Gruppierungen in den Sejm eingezogen, die sich offen gegen einen EU-Beitritt bzw. ge- gen einen Beitritt zu einer Union in ihrer derzeitigen Form aussprechen. Während die national-konservativen Kreise kulturelle Entfremdung und wirtschaftliche Dominanz Westeuropas, insbesondere Deutschlands, befürchten, sehen die Landwirte sich bei dem zu erwartenden grundle- genden Strukturwandel auf der Verliererseite.
Andererseits warnen Deutschland und andere Nettozahler vor einem zu überstürzten Beitritt: Sie fordern, dass die derzeitigen Mitglieder der Gemeinschaft sich noch vor der Erweiterung auf die Grundzüge einer Reform der Agrar- und Strukturpolitik einigen. Anderenfalls wäre das 4

System nicht mehr zu finanzieren. Zudem dürfte eine wirkliche Reform nach der Aufnahme neuer Mitglieder nur schwer möglich sein.
Vergessen wir aber auch nicht: die EU ist mehr als eine Wirtschafts-, sie ist auch eine Sicherheitsgemeinschaft. Sie übernimmt Schritt für Schritt mehr außen- und verteidigungspolitische Aufgaben. Folglich würde der erfolgte Nato Beitritt Polens, Tschechiens und Ungarns kaum noch Sinn machen, wenn diese Staaten an der von der EU vorangetriebenen euro- päischen Sicherheitsgemeinschaft nicht beteiligt wären.
Und nicht nur das: sollte die EU Erweiterung scheitern, und sollte die Vertiefung der Zusammenarbeit mit Russland nicht gelingen, dann droht der Demokratisierung und der Wirtschaftsreform in Osteuropa ein schwerer Rückschlag, ja, dann stehen Frieden und Stabilität in Europa auf dem Spiel. Dies kann von niemanden ernsthaft gewollt sein.
Den rund 100 Millionen Menschen, die im Ostseeraum leben, auch de- nen und vielleicht gerade den Menschen in den Ländern, die noch nicht zur Europäischen Union gehören, schulden wir eine klare Antwort, nach welchen Leitlinien und Ideen sich die Europäische Union entwickeln soll. Diese Diskussion ist ebenso notwendig wie die aktuellen Herausforde- rungen im Zuge der Osterweiterung – der Demokratisierungsprozess, der Aufbau von Zivilgesellschaften sowie der Abbau des bestehenden West-Ostgefälles hinsichtlich der Wirtschaftskraft und der sozialen Ent- wicklungsmöglichkeiten.
Eine zentrale Frage der Ostseekooperation ist die Einbeziehung Russ- lands in die Ostseekooperation. Seitens der Europäischen Kommission wurde Ende 1997 aufgrund einer finnischen Initiative das Konzept der ,Nördlichen Dimension’ vorgestellt. Die Nördliche Dimension ist inzwi- schen eine offizielle Politiklinie der Europäischen Union. Insbesondere durch die gleichberechtigte Einbeziehung Russlands sowie der Beitritts- länder Polen, Estland, Lettland und Litauen ist die Initiative von gesamt- europäischer Bedeutung. Dabei wird dem Verhältnis der Europäischen Union zu Russland in Zukunft eine Schlüsselrolle eingeräumt. Damit spreche ich die aus meiner Sicht wichtigste Aufgabe der Ostseekoope- ration im Kontext der Osterweiterung an. Im Ostseeraum sind heute vier der Anrainerstaaten Mitglied der Europäischen Union: Deutschland, Dä- nemark, Schweden und Finnland. Polen, Estland, Lettland und Litauen haben Europa-Abkommen mit der EU unterzeichnet und streben die Mit- gliedschaft an. Norwegen ist nicht Mitglied, aber über den Europäischen Wirtschaftsraum mit der EU verbunden. Bei dieser Konstellation wird deutlich: Die Kooperation ist ein Bindeglied zwischen Mitglieds- und Nichtmitgliedstaaten der Europäischen Union, und sie stellt vor allem ei- ne Klammer zwischen Russland und den anderen Ostseestaaten dar. In der noch stärkeren Einbeziehung Russlands liegt die größte Herausfor- 5

derung an die Zusammenarbeit im Ostseeraum. Ohne sie bliebe die Ostseekooperation ein Torso. Die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Russland müssen aber stabil und berechenbar bleiben. Die Zusammenarbeit im Ostseeraum hat in dieser Perspektive eine Di- mension, die über Wirtschafts- und Handelsbeziehungen hinausweist. Sie ist auch eine Grundlage der Vertrauensbildung, die eine größere An- näherung Russlands an seine westlichen und nördlichen Nachbarn er- möglicht. Der immer noch spürbare Hang zur Selbstisolierung in der rus- sischen Politik kann aus meiner Sicht am ehesten im Ostseeraum über- wunden werden: Hier stehen nicht globale und zum Teil gegenläufige In- teressen im Vordergrund, sondern ganz praktische Fragen der Raumko- operation, die die Lebensverhältnisse der Menschen in der Region spür- bar verbessern können.
Diese Verknüpfung, das Denken und Arbeiten in transnationalen Netz- werken, ist die grundlegende Philosophie der Ostseekooperation. Es ist ein ganz pragmatischer Politikansatz, der nur so viel Institutionalisierung anstrebt, wie es zum Funktionieren der internationalen Kooperation er- forderlich ist. Damit sichern wir uns die erforderliche Flexibilität, auftre- tende Probleme schnell und unbürokratisch zu lösen.
Wie überall auf der Welt sind es Menschen, die dahinter stehen. Ohne Kontinuität und Verlässlichkeit, ohne Partner und Freunde, ohne enge zwischenmenschliche Beziehungen wären wir nicht da, wo wir heute sind. Auch wenn im Ostseeraum nicht die gleiche Sprache gesprochen wird, verstehen wir einander und haben Verständnis füreinander. Darin liegt das Geheimnis gutnachbarschaftlicher Beziehungen im Ostseeraum.
Zu Beginn meiner Rede sprach ich von der Faszination der Ostseeko- operation. Ich will dieses Stimmungsbild am Ende meiner Rede auf den Punkt bringen: Der Ostseeraum hat in kürzester Zeit große Veränderun- gen durchlaufen und viele weitere liegen noch vor uns. Dynamik und Wandel begegnen uns hier, verbunden aber auch mit riesigen Proble- men, die durch die unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen, kultu- rellen und sozialen Systeme bestimmt sind. Die Politik steht vor riesigen Chancen und Herausforderungen. Wir können mitgestalten und die Ent- wicklung dieser Region mit prägen. Wer würde da nicht – in dem Be- wusstsein, ein Stück Weltgeschichte zu schreiben – von Faszination sprechen?“

Herausgeber: Pressestelle des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel, Postf. 7121, 24171 Kiel, Tel.: (0431) 988- Durchwahl -1163, -1121, -1120, -1117, -1116, Fax: (0431) 988-1119 V.i.S.d.P.: Dr. Joachim Köhler, Annette Wiese-Krukowska, E-Mail: Joachim.Koehler@landtag.ltsh.de Internet: www.sh-landtag.de – Presseinformationen per E-Mail abonnieren unter www.parlanet.de/presseticker