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27.11.01
09:09 Uhr
Landtag

Arens: Landesverband der Sinti und Roma leistet bemerkenswerte Kultur- und Öffentlichkeitsarbeit

D E R L A N D T A G SCHLESWIG - HOLSTEIN 139/2001 Kiel, 26. November 2001 Sperrfrist: 29. Nov. 2001, Redebeginn Es gilt das gesprochene Wort!


Landtagspräsident Heinz-Werner Arens: Landesverband der Sinti und Roma leistet bemerkenswerte Kultur- und Öffentlichkeitsarbeit
Kiel (SHL) – In seinem Diskussionsbeitrag anlässlich der Veranstal- tung „Situation der Sinti und Roma in Schleswig-Holstein und Zu- kunftsperspektiven“ am Donnerstag, 29. November 2001, auf dem Hof Akkerboom in Kiel sagte Landtagspräsident Heinz-Werner Arens unter anderem:
„Mein Amt als Landtagspräsident habe ich von Anbeginn auch in den Dienst der Arbeit für die Minderheiten gestellt. Dahinter steht meine Ü- berzeugung, dass das Demokratieverständnis einer Gesellschaft auch – und keineswegs zuletzt – an dem Umgang mit ihren Minderheiten ables- bar ist. Als Landtagspräsident verstehe ich mich als Repräsentant des obersten Organs der politischen Willensbildung in unserem Land, was das aktive Eintreten für unsere Minderheiten und eine wegweisende Minderheitenpolitik einschließt. Dass diese Verbindung in Schleswig- Holstein nahe liegt, ergibt sich aus der Vielfalt der bei uns beheimateten Minderheiten: die dänische Minderheit, die Nordfriesen, die deutsche Minderheit jenseits der Grenze in Dänemark und last, but not least, die Sinti und Roma.
Es ist auch unseren Minderheiten zu verdanken, dass wir in Schleswig- Holstein auf ein reiches kulturelles Erbe zurückgreifen können: Demokra- tie und Toleranz werden nicht nur als gesellschaftliche Grundlagen gefor- dert, sondern aktiv gelebt: Vielsprachigkeit und Andersartigkeit empfin- den die Schleswig-Holsteiner inzwischen – das war nicht immer so – e- her als Bereicherung denn als Bedrohung. Zumindest ist dies die Ein- stellung der überwältigenden Mehrheit. Ausnahmen gibt es überall. Aus- nahmen, die unseren Mitbürgern in Gestalt von Fremdenfeindlichkeit be- gegnen und paradoxerweise auch und vielleicht sogar in besonderer 2

Weise für diejenigen spürbar sind, deren Familien in unserem Land seit Jahrhunderten leben – ,Einheimische’ gewissermaßen.
Lassen Sie mich mit einigen Anmerkungen zu der Situation der Sinti und Roma beginnen: Die schleswig-holsteinischen Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit sind eine traditionell bei uns beheimatete Minderheit. Die erste urkundliche Erwähnung der Sinti- und Roma- Familien ist aus dem Jahre 1417 in Lübeck überliefert. Folglich gehört die Sprache der Sinti und Roma, das Romanes, seit fast 600 Jahren zur hiesigen Sprachenvielfalt. Sesshaft jedoch sind die Sinti und Roma zum weitaus größten Teil erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Heute leben von den bundesweit geschätzten ca. 70.000 Sinti und Roma mit deut- scher Staatsangehörigkeit ca. 6.000 in Schleswig-Holstein – gerade einmal soviel wie die Einwohner eines Dorfes. Dass sich diese Einwoh- ner in ganz Schleswig-Holstein bemerkbar machen und wahrgenommen werden, ist nicht zuletzt das Verdienst des Landesverbandes der Sinti und Roma.
Im Jahr 1990 hat sich der Landesverband der Sinti und Roma in der heutigen Form konstituiert. Die Verbandsarbeit stützt sich schwerpunkt- mäßig auf drei Bereiche: - Durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit soll das Miteinander von Min- derheit und Mehrheit intensiviert werden, - die Beratung in sozialen Fragen trägt dazu bei, die aktuelle gesell- schaftliche Teilhabe der Sinti und Roma zu verbessern, während - Jugend- und Bildungsprojekte in eigener Trägerschaft auf eine zu- künftige Verbesserung der Lebenssituation abzielen.
In all diesen Bereichen leistet der Landesverband eine bemerkenswerte Arbeit:
Die Öffentlichkeitsarbeit ist deshalb so wichtig, weil durch sie das Bild der Sinti und Roma in unserer Gesellschaft geprägt wird. Es sind die Medien, die für Verständnis und - manchmal auch für Missverständnis sorgen. Die Auflagenhöhe eines Printmediums steigt häufig mit der An- zahl sensationsgeladener Schlagzeilen. Gerade eine zahlenmäßig kleine Gesellschaftsgruppe unterliegt schnell der Gefahr, stigmatisiert und aus- gegrenzt zu werden, wenn das fett Gedruckte dem Leser suggeriert, dass Kriminalität, Sozialhilfemissbrauch und Analphabetismus die We- sensmerkmale einer bestimmten Gesellschaftsgruppe ausmachen. Des- halb ist es wichtig, dass die Sinti und Roma ihre Traditionen, ihre in die- sem Sinne überlieferte und gepflegte Kultur, ihre Sitten und Gebräuche möglichst vielen Menschen in unserer Gesellschaft zugänglich machen.
Die aktuelle Veranstaltungsreihe ist hierfür ein gutes Beispiel, das stell- vertretend für viele andere Projekte steht. Ich erinnere nur an das EXPO 2000 Projekt „Kulturen, Sprachen, Minderheiten“ des Landes Schleswig- Holstein. Auch haben die Sinti und Roma zum Minderheitenhandbuch 3

des ECMI beigetragen und durch breit angelegte Konferenz-, Vortrags- und Pressearbeit immer wieder auf sich aufmerksam gemacht. Der Er- folg lässt sich sehen: Der Volksmund spricht nicht mehr von ,den Zigeu- nern’: Die Menschen interessieren sich für die Sinti und Roma. Dies geht so weit – an dem bekannten Kalauer ist ein Körnchen Wahrheit –, dass das früher populäre und gedankenlos so genannte „Zigeunerschnitzel“ kaum mehr auf den Speiskarten zu finden ist. Was sich hinter diesem Beispiel verbirgt, ist exemplarisch für den eingetretenen Bewusstseins- wandel.
Auch in den Medien ist ein Wandel der Fragestellung zu erkennen. Wur- den früher oftmals Fragen wie „Tragen alle erwachsenen Zigeuner einen Schnurrbart?“ oder „Essen Zigeuner wirklich Igel?“ gestellt, geht es heute um Berichterstattung über gesellschaftspolitische Fragen: Weg von Ste- reotypen, hin zu mehr Toleranz für eine andere Kultur. Zweifelsohne ist das ein Verdienst des Landesverbandes, den ich ausdrücklich ermutigen will, weiterhin an der Öffentlichkeitsarbeit als einem Schwerpunkt seiner Arbeit festzuhalten. Ich bin überzeugt, dass die gesellschaftliche Akzep- tanz der Sinti und Roma vor allem über diesen Weg erreicht werden kann. Das ist eine Zukunftsperspektive, hier liegt ein Stück Zukunft.
Der Schritt in die Zukunft heißt manchmal auch, von liebgewonnenen Traditionen Abschied zu nehmen. Zumindest gilt dies, wenn es um die Teilhabe einer Gesellschaftsgruppe an der allgemeinen Wohlstandsent- wicklung und damit auch um deren berufliche Perspektiven geht. Die Pflege von Traditionen hat unter anderem dazu geführt, dass die jungen Männer lange Zeit Berufe ergriffen, die ihre Väter schon ausgeübt hatten: Scherenschleifer, Möbelrestaurateure, Musiker und Altmetallverwerter sind nur einige Beispiele. Diese Berufsbilder eröffnen in der heutigen Zeit kaum mehr wirtschaftliche Perspektiven. Die Sinti und Roma brau- chen neue berufliche Perspektiven. Auch hier liegt ein Stück Zukunft, eine zukünftige Herausforderung.
Der Landesverband hat die Zeichen der Zeit erkannt und seine Arbeit schwerpunktmäßig darauf ausgerichtet, den Kindern und Jugendlichen eine gute Schul- und Berufsausbildung zu ermöglichen. Das Mediatorin- nenprojekt an den Schulen, das Jugendprojekt des Landesverbandes, bei dem besonders die PC-Nachmittage sehr beliebt sind, und das Be- rufsvorbereitungsprojekt für jugendliche Sinti und Roma sind richtungs- weisende Ansätze. Bei allem steht die Qualifizierung der Jugendli- chen im Vordergrund. Das Land Schleswig-Holstein gibt hierfür Geld, schafft Strukturen im Bildungsbereich und Zugangsmöglichkeiten. Allein die Teilhabe an diesen Qualifizierungsmöglichkeiten entscheidet ein je- der für sich selbst. Wenn es in noch größerem Umfang als bisher gelän- ge, dass die Kulturgemeinschaft der Sinti und Roma – und insbesondere die ältere Generation – Bildung als einen unverzichtbaren Wert verstün- den, dann wird auch dieser Schritt ein Schritt in die Zukunft sein. 4

Ich bin gebeten worden, etwas über die Zukunft der Sinti und Roma zu sagen, und ich hätte gleich eine zentrale Frage angeschlossen: Sind Sie, seid Ihr stolz darauf, Sinti und Roma zu sein? Um das Ganze abzurun- den, stellt sich die Gegenfrage: Sind wir stolz auf unsere deutschen Sinti und Roma? Die Antwort hierauf wurde bereits von namhaften Persön- lichkeiten gegeben: Am 24. September des letzten Jahres hat Herr Mat- thäus Weiß die Schleswig-Holstein-Medaille aus der Hand der Minister- präsidentin Heide Simonis verliehen bekommen. Und es wird nieman- den verwundern, dass Herr Weiß an dem Jahresempfang des Bundes- präsidenten am 18. Januar 2000 in Berlin teilgenommen hat. Ich kann schwerlich diese Auszeichnungen, noch die darin ausgedrückte Wert- schätzung überbieten. Deshalb wünsche ich dem Landesverband der Sinti und Roma und seinen Mitgliedern eine gute Zukunft, die – davon bin ich überzeugt – Ihr Verband und die Sie alle in unserem Land haben werden.“



Herausgeber: Pressestelle des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel, Postf. 7121, 24171 Kiel, Tel.: (0431) 988- Durchwahl -1163, -1121, -1120, -1117, -1116, Fax: (0431) 988-1119 V.i.S.d.P.: Dr. Joachim Köhler, Annette Wiese-Krukowska, E-Mail: Joachim.Koehler@lvn.parlanet.de Internet: www.sh-landtag.de – Presseinformationen per E-Mail abonnieren unter www.parlanet.de/presseticker