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13.06.01
17:16 Uhr
Landtag

Arens: Die Wichtigkeit des ehrenamtlichen Engagements wird in den kommenden Jahren dramatisch zunehmen

D E R L A N D T A G SCHLESWIG - HOLSTEIN 54/2001 Kiel, 13. Juni 2001 Sperrfrist: 16. Juni 2001, 9:00 Uhr Es gilt das gesprochene Wort!


Landtagspräsident: Die Wichtigkeit des ehrenamtlichen Enga- gements wird in den kommenden Jahren dramatisch zunehmen
Kiel (SHL) – In seiner Rede vor dem Internationalen Städteforum an- lässlich der Kieler Woche zum Thema „Mit Stiftungen bürgerschaftli- ches Engagement fördern“ erklärte Landtagspräsident Heinz-Werner Arens u. a.:

„Ich freue mich sehr, Sie alle im Namens des Landtages und damit des Landes Schleswig-Holstein zu begrüßen. Dem Oberbürgermeister bin ich dankbar, dass ihm die Kieler Woche Anlass zu diesem Städteforum zu diesem Thema war. Eigentlich sind es ja zwei Themen: Ostseekoope- ration und ehrenamtliches Engagement.

Die Ostseekooperation ist für den Landtag schon Thema seit mehr als 25 Jahren. Hiermit meine ich die vielfältigen Kontakte des Landtages zu den verschiedenen Ostseeanrainerstaaten. Deutlicher Ausdruck dieser Kontakte sind die vielen Besucher aus den Parlamenten rund um die Ostsee, vorwiegend aus den nordischen Ländern zur Kieler Woche.

Einen neuen Schwung erfuhren die Kontakte im Zusammenhang mit der von Björn Engholm propagierten Neuen Hanse. Im März 1989 führte die damalige Landtagspräsidentin Lianne Paulina-Mürl das erste Land- tagsforum durch, sein Titel: Mare Balticum, Zusammenarbeit im Ostsee- raum. Einer der Referenten war der Stellvertreter des Umweltministers der DDR, eines Staates, den es wenig später nicht mehr gab. 2



Seit dieser Zeit ist unendlich viel geschehen. Aber: Es bleibt auf der an- deren Seite noch unendlich viel zu tun. Ich möchte zwei ganz konkrete Beispiele nennen. Das eine Beispiel steht für die Zusammenarbeit von Landtag und Nichtregierungsorganisationen, das andere Beispiel steht für das Thema ,Stiftungen’.

Mit dem ersten Beispiel meine ich den Initiativkreis Kaliningrad, der am 8. Mai dieses Jahres im Landtag gegründet worden ist. Der Schleswig- Holsteinische Landtag und die Kaliningrader Gebietsduma haben im vergangenen Jahr ein Memorandum über die Zusammenarbeit unter- zeichnet. Ziel dieses Memorandums ist die Förderung und Entwicklung von zivilgesellschaftlichen Strukturen in Kaliningrad. Uns war von Anfang an klar, dass diese Arbeit ohne die Einbeziehung von Initiativen außer- halb von Parlament und Regierung nicht möglich war.

Gerade die Nichtregierungsorganisationen mit ihren sichtbaren konkre- ten Projekten haben einen hohen Anteil an der schon heute zu beobach- tenden positiven Entwicklung in Kaliningrad. Sie haben als aktive "Brückenbauer" außerdem einen großen Beitrag geleistet, um die Prob- lematik der Bevölkerung des Kaliningrader Gebietes in das Bewusstsein unserer hiesigen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu bringen. So sind die vielen städtischen, sozialen, kirchlichen, wissenschaftlichen und privaten Kontakte gewissermaßen die Grundlage für das Abkommen mit der Ge- bietsduma.

Wörtlich heißt es deshalb in dem Memorandum ,Der Schleswig-Holsteinische Landtag und die Kaliningrader Gebiets- duma beabsichtigen, die Zusammenarbeit der Nichtregierungs- organisationen (NGOs) zu intensivieren und dabei deren Erfahrungen und Wissen für den gesellschaftlichen Übergangsprozess nutzbar zu ma- chen.’ Damit wurde eine der wichtigen Strategien zur Intensivierung der beiderseitigen parlamentarischen Zusammenarbeit deutlich gemacht.

Das große Engagement, das von Schleswig- Holsteinischen Initiativen ausgeht, ist bemerkenswert. Aber damit die Spuren der Vielzahl an Akti- vitäten nicht im Sande verlaufen, haben wir den Initiativkreis Kaliningrad gegründet. Dieses neue Informations- und Kontaktgremium soll den 3

Austausch von Erfahrungen fördern und die schon so positiv wirkenden Kräfte bündeln. So können Parlament, Regierung, und NGOs gemein- sam am Aufbau der Zivilgesellschaft in Kaliningrad mitwirken.

Nun einige Worte zu Stiftungen, und dies am Beispiel der Ostseejugend- stiftung.

Die Idee der Ostseejugendstiftung ist nicht neu, sie ist aber noch nicht Wirklichkeit geworden. Als der damalige Europaminister Gerd Walter im Oktober 1997 den Vorsitz der Ostsee-Subregionenkonferenz BSSSC niederlegte, schlug er in seiner Abschiedsrede vor, eine Ostsee-Jugend- Stiftung zu gründen.

Die Ostseeparlamentarierkonferenz nahm sich dieses Themas in der Schlussresolution im September 2000 in Malmö an. Gefordert wurde, mit einer Ostsee-Jugendstiftung den Jugendaustausch in der Region zu för- dern.

Die Ostsee-Jugendstiftung wäre zum einen eine Möglichkeit, den Mangel an Förderungsmitteln als eines der Hindernisse für Jugendmobilität im Ostseeraum zu beseitigen. Organisationen, insbesondere im östlichen Teil der Ostsee sind oft nicht in der Lage ihren Anteil an den Jugend- austauschmaßnahmen zu finanzieren.

Indem die nordischen Staaten und Deutschland Teile der Kosten der ausländischen Gruppe übernehmen, entsteht eine finanzielle Abhängig- keit. Dies bedeutet – auch psychologisch betrachtet – aufgrund der noch existierenden ,Wohlstandsgrenzen’ eine Benachteiligung vor allem der östlichen Partner; diese befinden sich hierdurch oft in der Bittstellerrolle. Eine gemeinsame Ostsee-Jugendstiftung könnte helfen, gleichberech- tigte Partnerschaften auch in bezug auf die Finanzierung zu schaffen.

Die Ostseejugendstiftung wäre ferner eine Möglichkeit für kleinere Orga- nisationen aus der gesamten Ostseeregion, eine ergänzende Förderung zu bekommen. Oft ist es für diese nicht möglich, Geld für die Durchfüh- rung von Jugendbegegnungen zur Verfügung zu stellen. Viele Program- me, besonders auf europäischer Ebene, beschränken sich auf die Über- nahme von 50 % der Gesamtkosten. 4



Die Ostsee-Jugendstiftung wäre eine flexible und unbürokratische Finan- zierungsquelle. Sie sollte zwar nicht mit bestehender nationaler oder eu- ropäischer Förderung konkurrieren, sie sollte aber in Anspruch genom- men werden können, wenn über die traditionellen Finanzierungs- programme die benötigten Gelder nicht zur Verfügung stehen.

Die Gründung einer Ostsee-Jugendstiftung würde dazu beitragen, die Verbindungen zwischen den mittel- und osteuropäischen Staaten Litau- en, Lettland, Estland, Polen und Kaliningrad und dem westlichen Europa auszubauen.

Es besteht ein dringender Bedarf, das gegenseitige Verständnis zwi- schen Jugendlichen in den EU-Bewerberländern und Jugendlichen in den Mitgliedsstaaten zu fördern. Um innerhalb der Ostseeregion eine regio- nale Identität zu fördern, brauchen wir Einrichtungen, die multilaterale Projekte realisieren, wenn dies auf der Basis von nationalen und euro- päischen Förderrichtlinien nicht möglich ist.

Eine Ostseejugendstiftung wäre eine zusätzliche Finanzierungsquelle für die Ostseejugend-Kooperation. Sie könnte als Möglichkeit genutzt wer- den, um den europäischen Kontext herunterzubrechen auf die Ebene von nächster Nachbarschaft. Junge Menschen stehen der europäischen Idee im allgemeinen positiv gegenüber, haben aber ein eher geringes Inte- resse an der täglichen Europapolitik.

Ein Grund dafür ist die wachsende Komplexität. Mit einer Ostseeregion, die als ,Europa en miniature’ betrachtet wird, können Zusammenhänge wie die notwendige Einbeziehung Russlands einschließlich der prakti- schen Bedürfnisse der künftigen Enklave Kaliningrad in die Politik der sich erweiternden Europäischen Union erklärt werden.

Die Stiftung könnte die Heranführung Russlands und insbesondere Kali- ningrads an ein gemeinsames Europa unterstützen. Gerade solange die meisten der europäischen Förderungsprogramme an der Außengrenze der EU-Bewerberländer enden, kann die Ostsee-Jugendstiftung auf der Basis einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen EU- 5

Mitgliedsstaaten, EFTA-Staaten, den assoziierten Staaten und Russland als Finanzierungsinstrument dienen.

Die Ostseejugendstiftung wäre eine Investition in den Frieden innerhalb der Ostseeregion. Auch wenn die momentane Situation keinen Anlass zur Beunruhigung gibt, können sich viele unterschwellige Probleme zu großen Konflikten entwickeln. Ob es sich um die Situation von Kalinin- grad, die ethnischen Minderheiten in den Baltischen Staaten und Russ- land oder die wirtschaftliche Konkurrenz handelt – es ist wesentlich ef- fektiver jetzt in eine friedliche Region zu investieren, als im nachhinein ei- ne zerstörte Zivilgesellschaft wieder aufzubauen.

Es hat zahlreiche Gespräche gegeben, um die Idee der Ostsee- Jugendstiftung Wirklichkeit werden zu lassen. Die Tatsache, dass diese Idee in dem Resolutionsentwurf der nächsten Ostseeparlamentarierkon- ferenz Anfang September dieses Jahres in Greifswald auftaucht und dort als ein long run-Projekt beschrieben wird, zeigt folgendes:

In Verhandlung mit der Präsidentschaft des Ostseerates konnte die von den Parlamentariern aller Nationen und Regionen rund um die Ostsee gewollte Jugendstiftung noch nicht verwirklicht werden. Einig sind sich die Parlamentarier und die Regierungsseite über die grundlegende Be- deutung des Jugendaustausches im Ostseeraum. Bedenken bestehen seitens des Vorsitzenden des Ostseerates, des deutschen Außenminis- ters Fischer, gegenüber der Einrichtung einer Stiftung. Er neigt eher zum Aufbau eines Ostseejugendwerks und hat seine Mithilfe bei der Verstär- kung des Ostseejugendsekretariats mit Sitz in Kiel zugesagt. Ich habe diese grundlegende Bereitschaft Fischers begrüßt und werde Anfang September der Ostseeparlamentarierkonferenz berichten. Allerdings werde ich der Konferenz im Ergebnis empfehlen, bei der Zielsetzung der Einrichtung einer Ostseejugendstiftung zu bleiben.

Lassen Sie mich abschließend noch einige wenige Worte zur grundle- genden Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements verlieren: Die Wichtigkeit des gesellschaftlichen Engagements wird in den kommen- den Jahren dramatisch zunehmen. Das von mir gewählte Wort Dramatik bitte ich vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die finanziellen Hand- lungsspielräume der öffentlichen Hand faktisch den Rückzug des Staates 6

auf staatliche Gewährsträgerschaften herbeiführen werden. Dennoch wird die Politik sich selbstverständlich nicht völlig zurückziehen, sondern moderierend Prozesse begleiten. Die Gesellschaft wird nichts desto trotz in den kommenden Jahren ver- stärkt aufgefordert sein, sich für die bürgerschaftliche Entwicklung in Deutschland, Skandinavien und Europa einzusetzen. Damit wird die Rolle der Beteiligung der Gesellschaft in der Entwicklung Europas zu- nehmend und entscheidend an Gewicht gewinnen. Ich bin zuversichtlich, dass die vielschichtigen Aufgaben, die damit verbunden sind, durch Po- litik und Gesellschaft erfolgreich bewältigt werden können. Ich wünsche Ihnen allen in Ihrer Arbeit Erfolg und die Gewissheit, etwas Sinnvolles für Ihre Mitmenschen getan zu haben.“


Herausgeber: Pressestelle des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel, Postf. 7121, 24171 Kiel, Tel.: (0431) 988- Durchwahl -1163, -1121, -1120, -1117, -1116, Fax: (0431) 988-1119 V.i.S.d.P.: Dr. Joachim Köhler, E-Mail: Joachim.Koehler@lvn.parlanet.de. Internet: http://www.sh-landtag.de