Arens: Bildung ist für den Bereich Minderheiten sehr "wert"-voll
D E R L A N D T A G SCHLESWIG - HOLSTEIN 51/2001 Kiel, 13. Juni 2001 Sperrfrist: 14. Juni 2001, 9:30 Uhr Es gilt das gesprochene Wort!Landtagspräsident: Bildung ist für den Bereich Minderheiten sehr „wert“-vollKiel (SHL) – In seiner Rede auf dem vierten Grenzlandkongress in Sankelmark erklärte Landtagspräsident Heinz-Werner Arens u. a.:„Ich freue mich sehr, Sie hier in der Europäischen Akademie in Sankel- mark zum vierten Grenzlandkongress begrüßen zu können. Der Grenz- landkongress besitzt mittlerweile Tradition, denn der Kongress hat sich als Forum des Meinungsaustauschs für Probleme und Lösungen im Grenzland aus meiner Sicht bewährt.,Bildung und Begegnung in der deutsch-dänischen Grenzregion’, so lautet der Titel des diesjährigen Grenzlandkongresses. Und meine Aufgabe ist es, etwas über die Bildung im deutsch-dänischen Grenzraum zu sagen. Das will ich gerne tun, nicht nur aus Gründen meiner zugege- benermaßen schon etwas länger zurückliegenden Zeit als Pädagoge. Zu zahlreichen Anlässen wurde im Bereich der Minderheitenpolitik fest- gestellt, dass ein maßgeblicher Indikator für die Befindlichkeit einer Ge- sellschaft der Umgang der Mehrheit mit der oder den Minderheiten ist. Woran lässt sich den nun dieser ,Umgang’ festhalten und was zeichnet in dem Zusammenhang die Nachhaltigkeit des Verhaltens einer Mehrheit aus? Ich denke, dass gerade hier dem Bereich Bildung ein besonderer Stellenwert beizumessen ist. Denn gerade über diesen Bereich findet – und das ist gewollt – in mehreren Lebensfeldern eine andauernde Prä- gung der oder des ,Gebildeten’ statt. Das macht die Bildung für den Be- reich Minderheiten nachhaltig unerlässlich und sehr ,wert’-voll, im wahrs- ten Sinn des Wortes. Es geht um Lernen von Kultur, von Sprache, von Zusammenhängen, von Toleranz und es geht aber auch um die Gestal- tung der Zukunft. 2Bildung ist immer eine Investition in die Zukunft und gerade im Grenzland hat und gewinnt sie unter den bereits dargestellten Aspekten, aber auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten an immenser Bedeutung. Bildung hilft Trennendes in Kulturen und Vergangenheit zu erkennen und über die Vermittlung von Verständnis Trennendes überwinden; Bildung ermöglicht gerade im Grenzland, Gemeinsamkeiten und Toleranz schaffen. Das sind alles Schlagworte, die ich im folgenden – ohne mich im Detail zu verlieren – kurz beleuchten möchte.Zu den Fakten. Lassen Sie mich zunächst einen kurzen Blick auf das dä- nische Schulwesen in Südschleswig werfen: Die dänische Minderheit unterhält 58 eigene Kindergärten und 49 Schulen, darunter auch ein Gymnasium für den gesamten Raum Südschleswig. Im Moment regist- riert man einen Boom für Dänisch und das ist für sich gesehen schon einmal erfreulich. Denn damit einher geht auch ein verstärktes Interesse an dänischer Kul- tur im Allgemeinen sowie ein Vergleich des dänischen mit dem deut- schen Schul- und Lernsystem. Inwieweit dieses Interesse von Dauer ist und tatsächlich zu verstärktem Kulturaustausch führt, bleibt abzuwarten. Ich sehe dies aber als gute Basis für die weitere Herstellung von Ver- ständnis und Zusammenarbeit.Die deutsche Minderheit in Nordschleswig hat 15.000 bis 20.000 Mit- glieder, was etwa 6 bis 8 % der Bevölkerung in diesem Teil der Region entspricht. 15 Schulen sind in der Trägerschaft des deutschen Schul- und Sprachvereins für Nordschleswig, ferner 24 Kindergärten. Eine dritte Bevölkerungsgruppe darf hier nicht vergessen werden, näm- lich die friesische Minderheit, an der Westküste des Kreises Nordfries- land und auf der Insel Helgoland, die verwaltungsmäßig ja bekanntlich zu Pinneberg gehört. 20.000 Personen verfügen über passive Friesisch- kenntnisse und etwa 10.000 über aktive Sprachkenntnisse der verschie- denen Dialekte. Wichtig für die Arbeit im Bildungsbereich ist hierbei ins- besondere das Nordfriisk Instituut in Bredstedt. Soweit zu den blanken Zahlen.Von besonderem Interesse ist für mich natürlich die Frage der Zwei- und Mehrsprachigkeit im Grenzland. Zu verstehen, wie der andere denkt, wa- rum er auf eine bestimmte Art und Weise reagiert, ob er aus einem an- deren Land kommt und eine andere Sprache spricht, dies ist ganz wich- tig. Menschen erkennen, dass es von großem Vorteil ist, sich direkt mitein- ander unterhalten zu können. Die meisten Dänen haben zumindest einen passiven deutschen Wortschatz, da öffentliche dänische Schulen den Deutschunterricht ab der 7. Klasse anbieten, aber auch durch Besuche in Deutschland, Einkäufe in Flensburg oder anderen Städten. Mehr Dänen haben deutsch gelernt als Deutsche dänisch. Es muss ja nicht gleich die Fähigkeit sein, die andere Sprache zu sprechen, eine erste Stufe kann sein, die Sprache zu verstehen. 3Nun gibt es ja z. B. im skandinavischen Raum das Phänomen, dass man seine eigene Sprache spricht und die Sprache des Anderen aber durch- aus versteht. So ist es auf Reisen des Landtages für mich immer wieder faszinierend zu sehen, dass die Mitglieder des SSW in unserer Reise- gruppe sich auch in Norwegen oder in Schweden problemlos verständi- gen können. Im deutsch-dänischen Grenzgebiet gibt es dann noch die Besonderheit, über die Dialekte Plattdeutsch und Sønderjysk sich zu verständigen, so- fern man die eine oder andere Regionalsprache beherrscht.Deutsch und Dänisch wie die Muttersprache zu beherrschen und zu ver- stehen, ist natürlich die beste Voraussetzung, sich in beiden Ländern frei bewegen zu können. Das ist ,echte’ Zweisprachigkeit. Menschen, die dieses können, stammen überwiegend aus der deutschen Minderheit nördlich der deutsch-dänischen Grenze oder aus der dänischen Minder- heit südlich dieser Grenze. Ihnen kommt deshalb auch immer öfter eine wichtige Mittlerposition zu. Bei der allgemeinen Schul- und Bildungspoli- tik ist im Grenzbereich daher ein besonderer Wert darauf zu legen, die Zweisprachigkeit zu intensivieren, sie auszuweiten, möglichst auf viele Menschen außerhalb der Minderheiten.Lassen Sie mich den diesjährigen Träger des Karlspreises der Stadt Aachen, den ungarischen Schriftsteller György Konrad zitieren; er sagte in seiner Dankesrede: ,Europas Integration ist in großem Maße eine Sprachenfrage. Wäre ich verantwortlich, würde ich dafür sorgen, dass man die Sprache seiner Nachbarn lernt und neben dem als Lingua fran- ca benutzten Englisch auch andere Sprachen fördert und deshalb junge Gastlehrer über den ganzen Kontinent aussendet’.Die Entwicklung des deutsch-dänischen Grenzraums wird – zu Recht – als ein besonders positives Beispiel für die Entwicklung eines Gebietes gesehen, in dem man ja nicht immer friedlich und freundlich miteinander umgegangen ist. Einem vereinigten und sich ausweitenden Europa kann dieses Gebiet Vorbild und Anregung sein für viele Bereiche. Dies aber bedeutet, dass man sich nicht zurücklehnen darf, nicht zufrieden geben darf mit dem, was man erreicht hat. Das betrifft nicht nur die Vermittlung der Sprache allein, sondern dies ist weitergehender. Das heißt auch, sich immer wieder erneut darum bemühen, die jungen Menschen, die Heranwachsenden mit der eignen Geschichte und mit den Lebensumständen von Menschen aus anderen Kulturen vertraut zu machen. Nur so werden sie resistent gegen Ausländerfeindlichkeit, ge- gen Gewalt und rechtsextreme Parolen. Nur so werden sie fähig für die Demokratie, fähig für ein Europa, das geschaffen ist, Feindschaften der Völker, den Nationalismus zu überwinden und dauerhaft Frieden zu si- chern.Das sollen junge Menschen wissen und wollen. Das ist die Vorausset- zung für eine Anerkennung anderer Sprachen, anderer Kulturen, anderer Hautfarbe. Hierbei geht es mir um eine Anerkennung, die von Herz und 4Verstand getragen ist und mehr ist als nur Toleranz. Toleranz, die manchmal nur die Geste des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren ist, ist kein hinreichendes Zeichen für Anerkennung und Gleichrangigkeit. Erst die Herstellung von Gleichrangigkeit lässt Übereinstimmungen fest- stellen, Unterschiede diskutieren und Konflikte lösen.Dann erst können das Leben des Anderen, seine Lebensart, seine Kul- tur, seine Sprache als Bereicherung des eigenen Lebens empfunden werden. Nirgendwo, so scheint mir, ist die Voraussetzung dafür so gut wie im deutsch-dänischen Grenzraum, denn gemeinsam wurden bereits gute Grundlagen geschaffen, die es im europäischen Sinne auszubauen gilt.Es geht nicht um die Schaffung eines gemeinsamen Kulturraums in der Grenzregion. Lassen Sie mich das an dieser Stelle betonen. Es geht nach wie vor um die Vermittlung der Gleichwertigkeit der Kultu- ren und deren gegenseitige Akzeptanz. Es geht um Abbau von Misstrau- en, von elitärem Denken und den Aufbau von Verständnis und Interesse. Das sind die auf den Menschen bezogen wesentlichen Faktoren, die Bil- dung gerade im Grenzraum vermitteln muss und kann . Hierbei sind wir auf einem guten Weg, der weitergegangen und ausgebaut werden will und muss.Über diese Aspekte hinaus – und ich hatte bereits eingangs schon dar- auf hingewiesen – ist Bildung im Grenzraum aber noch unter noch einem weiteren, nicht unerheblichen Gesichtspunkt zu betrachten: Gute und weitgefächerte Bildung ist immer auch die Grundlage für wirt- schaftliche Betätigung im Grenzraum. Und gerade im Grenzraum unter- liegen wir hier einer besonderen Verantwortung. Es kann uns nur daran gelegen sein, dass der Grenzraum als Wirtschaftsregion attraktiv ist. Nur über diese Attraktivität wird auch der Austausch der Kulturen im Grenz- raum erhalten und forciert werden können. Hier besteht aus meiner Sicht ein Wechselspiel zwischen Wirtschaft und Bildung, welches gerade im Grenzraum aus vorgenanntem Grund von großer Bedeutung ist. Zum ei- nen bedingt dies, dass gut ausgebildete Kräfte zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite müssen gut ausgebildeten Kräften auch berufliche Chancen im Grenzraum eröffnet werden können.In letzter Zeit wurde vermehrt über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum im Grenzland nachgedacht. Ohne mich dabei für oder gegen die Ein- richtung eines solchen Wirtschaftsraums aussprechen zu wollen, un- terstelle ich dabei den Verursachern der Diskussion vergleichbare Inten- tionen. Ich bin gespannt, ob und wie sich die Diskussion entwickeln wird. Im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses mag es sein, dass sie sich de facto aufgrund von europäischen Vorgaben automatisch ein- stellen wird. Wir sind aus meiner Sicht in jedem Fall aufgefordert, über Lösungen für die Wirtschaft nachzudenken. Das betrifft sowohl die Politik als auch die Wirtschaft. Dies gilt auch oder gerade unter dem Aspekt von aktuellen Zahlen, die aufweisen, dass der grenzüberschreitende Ar- 5beitsmarkt im Grenzland durchaus erhebliche Potentiale aufweist, die es auszunutzen gilt.Für den Bereich Bildung – um auf unser heutiges Thema zurückzukom- men – stellt das Anforderungen, die ich in gebotener Kürze darstellen möchte: Ohne die Eigenständigkeit der Länder zu verletzen, macht dies aus meiner Sicht eine weitere Annäherung der Bildungspolitik erforder- lich. Damit sind natürlich fachliche Vorgaben gemeint; es gilt aber auch die den Austausch von Lehrern und Schülern im Grenzbereich weiter zu fördern. Durch die Bereitstellung von Praktikumsplätzen in der Wirtschaft, wie es teilweise bereits praktiziert wird, kann dabei nachhaltig und frühzeitig auf die spezifischen beruflichen Anforderungen in der Grenzregion einge- wirkt werden. Eine möglichst weitgehende Einbindung der Wirtschaft in die Bildungspolitik im Grenzraum ist schon aus letztgenanntem Grund ein nicht zu unterschätzender Faktor. Die Schritte, die jetzt im Bereich Bildung in der Grenzregion getan wer- den, sind unsere gemeinsame Investition in die Integration der Minder- heiten. Und wenn wir uns – wie wir es gerne vernehmen – als Modellre- gion für den Umgang mit Minderheiten in Europa weiterhin wahrnehmen lassen wollen, sind wir aufgefordert, insbesondere im Bildungsbereich wegweisende Schritte zu tun. Möglichkeiten dazu gibt es; einige habe ich bereits dargestellt, weitere werden im Verlauf dieses Kongresses aufgezeigt werden. Ich denke, wir werden im Fortgang dieses Tages viele Anregungen erfahren; wir wer- den uns mit diesen Anregungen auseinander zu setzen haben und wir sind aufgefordert, im Sinne der Fortschreibung einer erfolgreichen Min- derheitenpolitik Verbesserungen und Lösungen für die Bildungspolitik im Grenzbereich zu erarbeiten.Ich freue mich auf den weiteren Verlauf der Veranstaltung, auf die folgen- den Referenten und auf Ihre Beiträge zum Thema.Lassen Sie mich schließen mit einem weiteren Zitat von György Konrad: ,Die europäische Gesellschaft ist im Entstehen und mit ihr das Konzept der mehrgeschossigen Nation, was bedeutet, dass, wer Europäer ist, deshalb nicht weniger Portugiese, Deutscher oder Ungar ist’, – oder, fü- ge ich hinzu: Däne – ,Die europäische Perspektive erinnert uns, dass hier um uns herum auf der Erdkugel die gesamte Menschheit lebt. Unser Feind ist nicht der Andere, sondern die Begrenztheit des eigenen Vers- tandes. Er ist es, der mich behindert, nicht der Andere.’“Herausgeber: Pressestelle des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel, Postf. 7121, 24171 Kiel, Tel.: (0431) 988- Durchwahl -1163, -1121, -1120, -1117, -1116, 6Fax: (0431) 988-1119 V.i.S.d.P.: Dr. Joachim Köhler, E-Mail: Joachim.Koehler@lvn.parlanet.de. Internet: http://www.sh-landtag.de