Karl-Martin Hentschel: "Es gibt bereits alle guten Vorsätze. Wir brauchen sie nur noch anzuwenden."
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Es gilt das gesprochene Wort! Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel TOP 15, 26 und 27 - Konsequenzen aus der Havarie der Pallas - Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de "Es gibt bereits alle guten Nr. 131.01 / 11.05.2001 Vorsätze. Wir brauchen sie nur noch anzuwenden."*Die Bestandsaufnahme zweieinhalb Jahre nach dem Pallas-Unglück ist ernüchternd: Immer wieder passieren neue Schiffsunglücke, worauf umgehend Konsequenzen gefor- dert werden. Diese Ansätze versanden im Kompetenzgerangel der beteiligten Länder. Verbesserungsvorschläge gibt es, aber keine Einigkeit über die Umsetzung. Dazu sagt der Fraktionsvorsitzende, Karl-Martin Hentschel:"Sehr geehrter Herr Präsident , sehr geehrte Damen und Herren,am 29. März 2001 kollidierte um 20 Minuten nach Mitternacht der Tanker BALTIC CARRIER mit dem Zuckerfrachter TERN 15 Seemeilen nördlich von der Halbinsel Darß. Die BALTIC CARRIER ist kein veralteter Seelenverkäufer, sondern ein nagelneues Dop- pelhüllenschiff, das einer Hamburger Reederei gehört und unter der Flagge der Mar- schall-Inseln fährt.2700 Liter Schweröl sind ausgelaufen und haben vorwiegend die Strände der dänischen Insel Falster verölt. Tausende von Seevögeln kamen ums Leben, die meisten auf hoher See, nur ein Bruchteil wird an Land getrieben. Dass das bedeutende Naturreservat und Vogelschutzgebiet Fischland in Mecklenburg verschont blieb, ist nur den günstigen Um- ständen und Winden zu verdanken.Zweieinhalb Jahre ist es her, seit der Holzfrachter PALLAS vor Amrum gestrandet ist. Fünf Jahre ist es her, das wir hier im Landtag eine Debatte hatten zu den Ölanspülungen vor Amrum.Auch damals haben wir bereits weitreichende Konsequenzen gefordert. Wenn es so wei- ter geht, können wir uns auch in Zukunft alle zweieinhalb Jahre hier versammeln, um entschiedene Maßnahmen zu fordern. Was wir dabei leicht vergessen, ist die Tatsache, dass die Einleitung von Öl in die Nord- und in die Ostsee kein singuläres Ereignis ist, das alle zweieinhalb Jahre auftritt. Nach Schätzungen der staatlichen Luftüberwachung gelangen jährlich mehrere tausend Ton- nen Öl aus Schiffseinleitungen allein in die deutschen Nordseegewässer. Wie viele von diesen Einleitungen legal sind, lässt sich noch schwerer schätzen. Ein mittlerer Rohöl- tanker darf in der Nordsee legal pro Fahrt drei Tonnen Öl ablassen. Diese Menge kann durch die Luftüberwachung nicht gemessen werden. Im Unterschied dazu sind die Einleitungen in die Ostsee zumindest generell illegal. Denn die Ostsee ist bereits als MARPOL-Sondergebiet ausgewiesen und deshalb sind Ölein- leitungen in die Ostsee generell verboten. Trotzdem ist die Situation auch in der Ostsee unbefriedigend, da die Luftüberwachung dazu zu lückenhaft ist. Von der insgesamt eingeleiteten Menge von jährlich geschätzten 150.000 Tonnen sind das aber nur ungefähr 13 Prozent. Die übrigen Quellen sind Ölförderplattformen, die al- leine 47 Prozent des Öls ablassen, die Einträge über die Luft - immerhin 13 Prozent und über die Flüsse: 27 Prozent. Die Debatten über dieses Thema haben verlaufen meist nach dem gleichen Schema: Immer, wenn ein größerer Unfall passiert, wachen die Parlamente auf und fordern von den Regierungen Handlungen. Die Regierungen setzen Arbeitsgruppen ein, die dann erst mal für einige Jahre beschäftigt sind. Die Radikalität der Maßnahmen nimmt ab, je mehr Zeit verstreicht. Das alles folgt der Logik: Die Minister kommen, die Minister gehen, die Bürokratie bleibt bestehen. Täuschen wir uns nicht: Auch hier im Parlament und in der Regierung sind wir uns nicht in allen Fragen einig. Einig sind wir uns seit dem Pallas-Unglück in Schleswig-Holstein im gesamten Parlament lediglich in der Forderung nach einer einheitlichen Küstenwache. Aber darüber, was man darunter versteht, gehen die Meinungen bereits auseinander. Nicht einig sind wir uns aber, wenn es um weiterreichende Maßnahmen geht, die der Vorbeugung von Unfällen und Einleitungen dienen. Zum Beispiel das Thema PSSA oder ‘Prefered sensitive sea area’, also die Erklärung von Seegebieten wie dem Wattenmeer als besonders sensible Meeresregion. Während das dänische Verkehrsministerium mittlerweile vorgeschlagen hat, die gesamte Ostsee als PSSA anzumelden, bringt die CDU hier einen Antrag ein, um die Landesregierung aufzufordern, sie solle auf jeden Fall verhindern, dass auf der Trilateralen Wattenmeer- konferenz im Oktober Beschlüsse gefasst werden. Aber auch in anderen Fragen herrscht keine Einigkeit. So wird jetzt plötzlich die Einfüh- rung der Lotsenpflicht für die gesamte westliche Ostsee diskutiert. Ich erinnere mich noch gut an die Forderungen und Bemühungen der Reedereien und der Wirtschaftsmi- nisterien, die Lotsenpflicht in der Elbe und im Nord-Ostsee-Kanal zu reduzieren, um Kos- ten zu sparen. Wie verträgt sich das miteinander? Mittlerweile sind zahlreiche Schiffe selbst im Kanal von der Lotsenpflicht befreit, trotz massiver Warnungen von Lotsenverbänden und Umweltschützern. Ähnlich sieht es mit den Regelungen für Schiffsbesatzungen aus. Nun wird diskutiert, wie der Ausbildungs- stand der Schiffsbesatzungen verbessert werden kann. Zugleich wurden aber in Deutschland trotz Warnungen die Regelungen für Mindestbesatzungen verschlechtert, um den Reedereien Kosten zu ersparen. Auch die Verlagerung von Schifffahrtslinien weg von der Küste ist ein strittiges Thema. Ich erinnere die CDU hier nur daran, dass dies von Ihnen in einem Antrag vor zwei Jah- ren selbst gefordert wurde - jetzt haben sie offensichtlich Bedenken, wie ich der Debatte um die PSSA entnommen habe. Und welche quälende Entwicklung die schlichte Forderung nach der obligatorische Um- lage der Ölentsorgungskosten in den Häfen genommen hat, davon kann dieser Landtag und die Landesregierung auch ein Lied singen. Nach dem Pallas-Unglück sagte ein Vertreter des BUND damals sarkastisch, das Un- glück ist ein Glück, weil es dazu führt, das endlich etwas passiert. Diese Formulierung ist nicht unberechtigt. Auch das Umglück in der Kadet-Rinne hat einen solche Effekt ausgelöst: Das dänische Ministerium für Handel und Verkehr, das bislang nicht gerade als Vorreiter in Sachen Schiffsicherheit bekannt war, hat für den 10. September zu einer Sonder-Minister- Konferenz des HELCOM-Abkommens eingeladen. Bis dahin soll die Konferenz auf drei Arbeitstreffen vorbereitet werden. Die Liste der Themen, die die dänische Regierung vorgeschlagen hat, liest sich wie ein Wunschkatalog von Umweltschützern. Hier einige dieser Punkte: Ausweisung der ge- samten Ostsee als PSSA-Gebiet, Lotsenpflicht in der westlichen Ostsee, Automatisches Identifizierungssystem für alle Schiffe, Erstellung und verbindliche Nutzung von elektroni- schen Navigationskarten für die Ostsee, gesonderte Kontrolle von Risikoschiffen, Verbot von Tankern ohne Doppelhülle. Bezüglich der Notfallkapazitäten schlägt Dänemark vor, gemeinsame Konzepte für Brandbekämpfung, Notschleppkapazitäten, Sicherheitshäfen, Notfallbergung und Ölbe- kämpfung zu entwickeln. Diese große Chance eines gemeinsamen Vorgehens in der Ostsee muss auf jeden Fall genutzt werden. Allerdings müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es nicht ausreicht, wenn das Thema wieder an Arbeitsgruppen der zuständigen Ministerien delegiert und dort endlos diskutiert wird. Insbesondere bezüglich der einheitlichen Küstenwache ist auf diesem Wege kein wirkli- cher Fortschritt zu erreichen. Bei einem Projekt, von dem sechs Bundesministerien und ungefähr 25 Landesministerien durch Umstrukturierung betroffen sind, wird ohne klare Ziel- und Zeitvorgaben nichts passieren. Deshalb halten wir es für dringend erforderlich, dass die Ministerpräsidenten der nord- deutschen Länder jetzt die Initiative ergreifen. Es müssen gemeinsam mit dem Kanzler zeitliche und sachliche Vorgaben festgelegt werden, die ein rasches und verbindliches Handeln sicherstellen. Zugleich muss die Initiative der dänischen Regierung in Gänze unterstützt und zum Erfolg gebracht werden. Der französische Mathematiker Blaise Pascal sagte vor fast 400 Jahren: „Es gibt bereits alle guten Vorsätze. Wir brauchen sie nur noch anzuwenden.„ Ich finde, das passt heute gut zu unserem Thema. Dieser Zusammenfassung der Situati- on bezüglich der Bemühungen um die Schiffsicherheit kann ich mich in Gänze anschlie- ßen. * Blaise Pascal, französischer Mathematiker, 1623 - 1662 ***