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29.01.01
12:42 Uhr
B 90/Grüne

Angelika Birk und Karl-Martin Hentschel: Aktionsplan - Neue LehrerInnen für Schleswig-Holstein

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Angelika Birk Bildungspolitische Sprecherin Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Karl-Martin Hentschel Mobil: 0172/541 83 53 Fraktionsvorsitzender E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de

Nr. 026.01 / 29.01.2001


Neue LehrerInnen braucht das Land!
In den kommenden fünf Jahren wird in Schleswig-Holstein jede fünfte LehrerIn aus dem Schuldienst ausscheiden. Deshalb werden erheblich mehr LehrerInnen benötigt, als an den Hochschulen studieren.
Zugleich befinden sich die Schulen in einem rapiden Wandel und müssen sich mehr der Gesellschaft und ihrem Umfeld öffnen.
Diese beiden Entwicklungen stellen die Politik vor eine schwierige Aufgabe, bieten aber auch eine große Chance. Deshalb fordert die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Aktionsprogramm zur Sicherung des Lehrernachwuchses mit den Zielen:
!"Beseitigung des LehrerInnenengpasses !"Öffnung der Schulen
Die wesentlichen Punkte in diesem Aktionsprogramm sind:
!"Werbung und Information verbessern !" Ausbildung reformieren und verkürzen die !"Chancen für Quereinsteiger schaffen !"Erhöhung der Flexibilität im Personalmanagement
Wir stellen fest, dass die Ministerin bereits eine Reihe Aktivitäten in Angriff genommen und eine Kommission zur Reform der LehrerInnenbildung berufen hat.
Uns geht es darum, diesen Prozess voranzutreiben, die Flexibilität im Personalmana- gement zu erhöhen und die Chancen zu nutzen, die aus einem erweiterten Bild der Schule der Zukunft als Bildungs- und Lebenszentrum im Stadtteil oder der Gemeinde entstehen. Aktionsplan:
„Neue Lehrerinnen und Lehrer für Schleswig Holsteins Schulen“

Der Engpass In den kommenden Jahren werden die besonders stark vertretenen Jahrgänge der Leh- rerInnen in Pension gehen, so dass in den nächsten Jahren wesentlich mehr LehrerIn- nen ausscheiden werden, als neu an den Hochschulen des Landes ausgebildet werden. Dies wird ohne Gegenmaßnahmen zu erheblichen Engpässen an den Schulen führen, so dass ein Teil der Stellen auf Jahre hinaus nicht besetzt werden kann.
Dieses Problem gibt es in allen Bundesländern, deswegen hat sich die Kultusminister- konferenz auf eine Reform der Lehrerbildung und weitere Maßnahmen verständigt. Die Bildungsministerin Schleswig Holsteins hat darüber hinaus ein bundesweit beachtetes Personalentwicklungskonzept für den Leitungsnachwuchs an Schulen entwickelt und ei- ne Reformkommission für die Lehrerbildung in Schleswig Holstein berufen, die am 12. März ein neues Konzept vorlegen wird.
All diese Maßnahmen werden mittelfristig greifen, aber wir brauchen einen Aktionsplan, der jetzt beginnt und dessen erste Früchte wir zu Anfang des nächsten Schuljahres im Herbst schon ernten können.

Neue Aufgaben für die Schulen Die Schulen befinden sich in einem notwendigen Veränderungsprozess, der noch kei- neswegs abgeschlossen ist. So hat in den letzten Jahren eine positive Entwicklung für größere Autonomie in den Schulen durch das neue Schulgesetz begonnen. Dieser Pro- zess muss fortgesetzt werden mit folgenden Zielen: Die Entwicklung von Schulprofilen, die Ausweitung von Schulen mit Ganztagsunterricht und Mittagessen bzw. von Grund- schulen mit Halbtagsunterricht und die Öffnung der Schulen als Stadtteilzentren mit Ganztagsbetrieb. Dazu gehören auch die stärkere Integration von Jugendarbeit, Volks- hochschulen, Bibliotheken, kulturellen und sportlichen Aktivitäten.
Dies sind Entwicklungsziele, die von unserer Fraktion gefordert und gefördert werden und die zum Teil auch schon in die Landesregierungspolitik Eingang gefunden haben.
Zugleich steht die Schule vor der Aufgabe, sich stärker zu öffnen. Der Austausch von Lehrkräften mit Schule, Wirtschaft, Verbänden, Kultur usw. ist ebenso gewünscht wie die Einbeziehung von externen Angeboten durch Lehrbeauftragte, durch Einladung zu Diskussionsrunden, durch Besuche und Praktika außerhalb der Schule. Chancen Wie jede Herausforderung bieten diese beiden parallelen Entwicklungen auch die Chan- ce, Bestehendes zu überprüfen und zu neuen Lösungen zu kommen. So gibt es heute im wesentlichen nur einen pädagogischen „Typ“, die LehrerIn in der Schule. Die neuen Aufgaben werden aber dazu führen, dass in Zukunft verstärkt auch SozialarbeiterInnen, ErzieherInnen, FachlehrerInnen, Lehrbeauftragte, Verwaltungs- und technische Ange- stellte an der Schule tätig sind.
Diese können je nach Qualifikation unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen: Vom Unter- richt über Aufsicht bis hin zur Schulaufgabenbetreuung, von der Organisation und Be- gleitung von kulturellen und sportlichen Aktivitäten bis hin zur Betreuung von Arbeitsge- meinschaften, vom organisatorischen, personalpolitischen und finanziellen Management der Schule bis hin zur technischen Betreuung von Geräten und Einrichtungen.
Deshalb sollten dann auch Möglichkeiten der Weiterqualifizierung geschaffen werden, um Übergänge zwischen verschiedenen Berufsfeldern zu erleichtern. Zugleich könnten so Wege gefunden werden, wie LehrerInnen, die nicht mehr oder nur noch begrenzt in der Lage sind, Unterricht zu geben, anders eingesetzt werden können, um Frühpensio- nierungen zu vermeiden.
Schon seit Jahren wird gefordert, die Durchlässigkeit zwischen dem Lehrberuf und an- deren Tätigkeiten herzustellen, ohne dass bisher neue Regelwerke entstanden. Auch die Integration von pädagogischen Fachkräften, die nach Deutschland eingewandert sind, ist bisher kaum gelungen.
All diese Anforderungen relativieren allerdings das Modell eines Beamten auf Lebens- zeit nach herkömmlichem Muster - müssen es zumindest um andere Vertragsformen er- gänzen und demzufolge müssen auch beamtenrechtliche Veränderungen erneut auf die Tagesordnung der Kultusminister-Konferenz gesetzt werden.
Für kaum eine Berufsgruppe ist in den letzten zwanzig Jahren die Vergütungen der Ausbildung bei steigenden inhaltlichen Anforderungen so stark reduziert worden, wie im Referendariat. ReferendarInnen, die eine Familie gründen, müssen oft Schulden ma- chen, um die Ausbildung durchzustehen.

Der Aktionsplan Wir schlagen deshalb einen Aktionsplan zur Vermeidung des Lehrermangels vor, mit dessen Umsetzung sofort begonnen werden sollte.

1. Werbung
• Verstärkte Werbung - insbesondere mit zielgerechten Informationen über die Man- gelfächer. • Einen öffentlichen, vierteljährlich zu aktualisierenden, regionalen, nach Schul- und Fächertypen geordneten Überblick über freie Stellen und baldige freie Stellen, so- wie für Bereiche, für die Wartelisten existieren. • Gezielte Ansprache und Werbung bei den aus früherem Stellenmangel abgewiese- nen ausgebildeten LehrerInnen der vergangenen Jahre; Angebote von Teilzeitstel- lungen insbesondere für LehrerInnen mit Kindern; Angebot der Fortbildung für an- dere Fächer oder Schultypen. • Anwerbung von LehrerInnen aus anderen EU-Staaten (insbesondere als Sprachleh- rerInnen) und aus den neuen Bundesländern.

2. Finanzielle Unterstützung der zweiten Ausbildungsphase
• Finanzierung des Studiums von BerufsschullehrerInnen durch Landesstipendien über einen Stipendienfonds mit der Wirtschaft. • Erhöhung des Gehalts für ReferendarInnen, gegebenenfalls auch als Landeszula- ge. • Gewährung von Fahrtkostenzuschüssen für ReferendarInnen, deren Seminar, Schule und Wohnort weite Wege erfordern.

3. Studium und Referendariat
• Einführung eines Praxissemesters im Studium nach Bremer Konzept; Stärkung der Pädagogik und Fachdidaktik. • Kürzung der Gesamtstudienzeiten durch Reduzierung des wissenschaftlichen Fach- studiums, insbesondere bei Grund-, Haupt- und SonderschullehrerInnen. • Verkürzung des Referendariats dauerhaft auf eineinhalb Jahre, gleichzeitig Aufbau eines gezielten Coachingsystems für die ersten Berufsjahre (letzteres u.a. Konzept der Bremer Lehreraus- und fortbildung). • Für diejenigen angehenden LehrerInnen, die ohne Referendarsausbildung befristete Vertretungsstellen wahrnehmen, muss eine pädagogische Begleitung angeboten werden. Die so gewonnene Unterrichtserfahrung soll zu einer Verkürzung des Refe- rendariats führen können. • Vorrangig sollten Vertretungsangebote denjenigen angeboten werden, die das Refe- rendariat erfolgreich abgeschlossen haben, denen aber in ihrem Fach oder in ihrem Schultyp noch keine Stelle angeboten werden kann.

4. Lehrbeauftragte und Quereinsteiger
• Vorübergehende Öffnung des Referendariats für MagisterabsolventInnen. • Es müssen für qualifizierte Fachleute, die entweder einen fachlich verwandten Hoch- schulabschluss haben (z.B. IngenieurIn für das Fach Physik) oder vergleichbare praktische Qualifikationen nachweisen können (ProgrammiererIn für Informatik, Mu- sikerIn für Musik) durch eine maßgeschneiderte Weiterbildung der Quereinstieg in den Lehrerberuf ermöglicht werden. • Qualifizierungsprogramme für Fachkräfte und MeisterInnen als FachlehrerInnen in Berufsschulen mit der Möglichkeit der Weiterqualifizierung durch ein berufsbeglei- tendes Aufbaustudium. • Fachleuten aus geeigneten Berufen sollen bei entsprechender Befähigung und Wei- terbildung auch stundenweise Lehraufträge angeboten werden. Für dafür notwendi- ge Freistellungen bzw. Stundenreduzierungen sollte von der Landesregierung bei den jeweiligen ArbeitgeberInnen geworben werden. • Insbesondere ist die Möglichkeit zu erleichtern, dass SozialpädagogInnen und Erzie- herInnen durch eine Weiterbildung bzw. Kurzstudium in das Lehramt wechseln. Ge- rade für Berufsschulen, Grund- und Haupt- sowie Förderschulen ist dies eine Per- spektive, weil Fachleute in diesen Berufen oft die Ausbildungsphase von Jugendli- chen begleiten oder ihre pädagogische Laufbahn über den zweiten Bildungsweg er- worben haben und so über Berufserfahrungen in einem weiteren Berufsfeld verfü- gen. • Schulen mit nicht besetzten Stellen sollten im Rahmen der Budgetierung Geld erhal- ten, um Lehrbeauftragte für Mängelfächer zu engagieren. Damit soll erreicht werden, dass alle Schulen einen bestimmten Anteil ihres Personals nach der Formel „Geld statt Stellen“ selbst besetzen können. • Erleichterte Anerkennung von ausländischen Abschlüssen, sowie weitere gezielte Maßnahmen um PädagogInnen mit Migrationserfahrung für die Schule zu gewinnen.

5. Wechsel des Faches und des Schultyps
• Umschulung fachfremder LehrerInnen aus Fächern mit Überangebot. • Ermöglichung des vorübergehenden oder dauerhaften Schulartwechsels durch eine Weiterbildung (auch berufsbegleitend) bei entsprechender Empfehlung. • Erleichterte Möglichkeiten des Wechsels zwischen Lehramt an der Schule, Hoch- schule und auf dem Weiterbildungssektor, sowie gerade auch im Bereich der Super- vision und des Coachung, sowie anderen fachlich oder pädagogisch verwandten Be- rufen. Dieses Ziel ist mittelfristig nur über eine Reform der gesamten Studien- und Berufsausbildung im Bereich der pädagogischen Berufe zu erreichen, sollte aber mit Pilotprojekten begonnen werden.

6. Erweiterte Tätigkeitsfelder an den Schulen
• Einsatz von Schulassistenten und Hilfskräften (z.B. StudentInnen) zur Schularbei- tenhilfe, Mittagspausenbetreuung, Betreuung von Arbeitsgruppen und Gruppenei- genarbeit, sowie zur technischen Unterstützung bei der Betreuung von Geräten, zur Betreuung von Praktika usw.. Gerade auch für diese Dienstleistungen sind Fachleute mit Migrationshintergrund gezielt zu werben und in den pädagogischen Gesamtpro- zess der Schule einzubeziehen.

7. Besseres Personalmanagement • Frühzeitigere Personalplanung, so dass in der Regel bereits mehrere Monate im voraus feste Zusagen für Einstellungen und/oder Versetzungen erfolgen können. Dies muss möglich sein, wenn die akuten Personalengpässe nach dem Modell „Geld statt Stellen“ von den Schulen selbst geregelt werden. • Nach und nach sollen zukünftig Schulen selbst über ein eigenes Budget aus Kom- munal und Landesmitteln verfügen, um ein bestimmtes Kontingent an pädagogischer oder organisatorischer Dienstleistung nach Bedarf und Profil für sich einzuwerben und auch Serviceverträge mit entsprechenden Dienstleistungsberufen im Auftrag des Landes (Pädagogischer Etat) oder der Kommune als Schulträger (technischer und Verwaltungsetat) abschließen zu können.

FAZIT Wir stellen fest, dass eine Reihe dieser Maßnahmen bereits von der Ministerin in ihre Überlegungen einbezogen wurden oder sogar bereits vom Ministerium praktiziert wer- den.
Wir wollen diese Entwicklung vorantreiben, um die damit verbundenen Möglichkeiten zu befördern. Deshalb legen wir hiermit der Bildungsministerin, der von ihr berufenen Kommission für die Reform für Lehrerbildung in Schleswig Holstein und der Öffentlich- keit unsere Vorschläge vor.
Wir betrachten diese Maßnahmen nicht als vorübergehende Notmaßnahmen, sondern als Schritte im Rahmen des notwendigen Prozesses der Öffnung der Schulen, der Stär- kung ihrer Autonomie und der Ausweitung ihrer inhaltlichen Kompetenzen. Wir sehen sie als Beitrag zur Reform der Lehrer- und Erwachsenenbildung.
Wir appellieren an SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern, Kommunen, Hochschulen, Arbeit- geber und Gewerkschaften, ihren Beitrag dazu zu leisten, damit der Generationenwech- sel an den Schulen gut gelingt.
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