Gedenken an die Opfer des Holocaust am Sonnabend, 27.01.2001 im K ieler Schloss
D E R L A N D T A G SCHLESWIG - HOLSTEIN 14/2001 Kiel, 26. Januar 2001 Sperrfrist: 27.01.2001, 9.30 Uhr Es gilt das gesprochene WortLandtagspräsident Heinz-Werner Arens: „Wir sind es uns und unseren Nachkom- men schuldig, dass so etwas niemals wieder geschehen kann.“Kiel (SHL) – Aus Anlass des Gedenkens an die Opfer des Holocaust findet am Sonnabend, 27. Januar 2001, ab 9:30 Uhr, im Kieler Schloss eine ge- meinsame Veranstaltung des Landtages und der Landeszentrale für Politische Bildung statt, zu der nahezu 300 geladene Gäste erwartet werden. Die Ver- anstaltung endet um 11:30 Uhr.Im Mittelpunkt steht die Erinnerung an diejenigen Menschen jüdischen Glau- bens, die in der Zeit des Nationalsozialismus in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurden. Von den dort internierten etwa 141.000 Menschen - dar- unter auch viele aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Dänemark - überlebten nur ungefähr 3.500 die Verschleppung.Zugleich hatte Theresienstadt als sogenanntes Prominenten-Ghetto eine be- sondere Rolle für die nationalsozialistische Propaganda, die in dem von Dr. Ingo Schultz (Musikwissenschaftler, Flensburg) gehaltenen Hauptvortrag zur Sprache kommen wird. Ein Kammerensemble der Musikhochschule Lübeck wird zudem Stücke spielen, die in Theresienstadt komponiert worden sind.Zu einem Grußwort über die Situation der dänischen Juden wird der General- konsul des Königreichs Dänemark, Niels Julius Lassen, aus Hamburg erwar- tet. 2In seiner Begrüßung der Gäste sagt Landtagspräsident Heinz-Werner A- rens folgendes:„Der 27. Januar ist in jedem Jahr dem Gedenken an die Befreiung des Konzent- rationslagers Auschwitz gewidmet. Auschwitz - der Name steht für die bestiali- schen und menschenverachtenden Verbrechen des Nationalsozialismus. Diese Maschinerie des Bösen hat noch an vielen weiteren Orten in Europa stattgefun- den. Das Konzentrationslager Theresienstadt, in das auch viele Menschen jüdi- schen Glaubens aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Dänemark interniert wurden, ist einer davon. Theresienstadt ist ein besonders plastisches Beispiel für die Kaltblütigkeit, mit der die Nazis die Vernichtung des jüdischen Volkes betrieben haben.Diese Verbrechen an der Menschlichkeit sind mit nichts vergleichbar, auch wenn immer wieder Parallelen zu anderen historischen Situationen gezogen werden. Die Sozialwissenschaftlerin Hannah Arendt hat den Grund dafür auf den Punkt gebracht, als sie 1945 schrieb: „Niemals, weder im Altertum, noch im Mittelalter noch in der Neuzeit, war Vernichtung ein ausformuliertes Programm und deren Durchführung ein hochorganisierter, bürokratischer und systemati- sierter Prozess.“Und es ist auch heute - mehr als ein halbes Jahrhundert später - noch richtig, was der amerikanische Hauptankläger beim Nürnberger Kriegsverbrecher- prozess, Robert H. Jackson, sagte: „Diese Verbrechen haben wegen der scho- ckierenden Anzahl ihrer Opfer kein Gegenstück. Was sie noch schockierender und unvergleichlicher macht, ist die große Zahl von Menschen, die sich zusam- mentaten, um sie zu begehen, sie entwickelten einen Wettbewerb in Grausam- keit und Verbrechen.“ Wenn wir uns heute an dieses blutige Kapitel deutscher Geschichte erinnern, dann hat das zwei wesentliche Beweggründe: Zum einen sind wir es allen Op- fern dieser im Namen Deutschlands begangenen Verbrechen mehr als schul- dig, uns dem Geschehenen zu stellen und Verantwortung zu übernehmen, selbst wenn niemand von uns eine persönliche Schuld auf sich geladen hat. Ganz praktisch bedeutet das übrigens, dass die Entschädigung der NS- Zwangsarbeiter in diesem Jahr endlich abgeschlossen werden muss, wohlge- merkt: Im Jahr 56 nach Kriegsende! In Schleswig-Holstein waren während der nationalsozialistischen Diktatur mehr als 225.000 Menschen zur Zwangsarbeit 3verpflichtet, und zwar nicht nur in Firmen, sondern auch in landwirtschaftlichen Betrieben. Es ist ausgesprochen bedauerlich, dass dieses Kapitel der Wieder- gutmachung - oder besser gesagt: der tätigen Reue - so zähflüssig vonstatten geht. Die Zahlungsmoral der deutschen Wirtschaft in diesem Zusammenhang ist absolut verbesserungsfähig. Es stehen noch 1,4 Milliarden DM aus, die er- bracht werden müssen, damit die Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft erfüllt ist. Deshalb appelliere ich von dieser Stelle an alle Betriebe unseres Lan- des - seien sie nun selbst an der Ausbeutung von Zwangsarbeitern beteiligt ge- wesen oder nicht - ihren Beitrag zum Entschädigungsfonds zu leisten: Beken- nen Sie sich zu Ihrer Verantwortung!Das zweite Motiv für unser Gedenken und Erinnern ist, dass wir es uns und un- seren Nachkommen schuldig sind, dafür zu sorgen, dass so etwas niemals wieder geschehen kann. „Unser Erbe heißt Verantwortung“, so hat es Alt- Bundespräsident Roman Herzog formuliert, als er vor 5 Jahren den 27. Januar zum Gedenktag an die Opfer des Holocaust erklärte. Das heißt für unsere Demokratie, dass sie durch verschiedene Akteure - vom Staat bis hin zu den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern - geschützt und vertei- digt werden muss. In den vergangenen Monaten ist uns schmerzlich vor Augen geführt worden, dass dies durchaus kein Selbstgänger ist. Es gibt Menschen in unserer Gesellschaft, die den Nationalsozialismus auch heute noch für eine gute Idee halten - laut Umfragen ist das rund ein Sechstel der Bevölkerung. Das ist der Nährboden, auf dem jugendliche Rechtsextremisten Gewalttaten gegen Menschen begehen, die nach ihrer Ideologie nicht zu uns gehören - Angehörige von Minderheiten und Randgruppen unserer Gesellschaft. Zu Recht ist das fa- schistoide Wort von den „national befreiten Zonen“ in diesen Tagen zum Unwort des Jahres 2000 gekürt worden! Angesichts dieser Tatsachen ist die Bekämpfung des Rechtsextremismus eine aktuelle und zugleich auf Dauer angelegte Aufgabe von Politik und Gesellschaft. Dabei kann und wird das beantragte Verbot der NPD nur ein Baustein sein. Schutz von Minderheitenrechten, politische Bildung und Aufklärung als feste Größe unseres Bildungssystems, Unterstützung historischer Ursachenforschung und nicht zuletzt gelebte Demokratie und verbriefte Mitspracherechte auf allen Ebenen der Gesellschaft - das alles sind wichtige Elemente einer wehrhaften und lebendigen Demokratie. Genauso wichtig aber ist es, schleichenden Gefahren wie der um sich greifen- den Gleichgültigkeit, der emotionalen Abstumpfung und ungehemmt hervortre- tender Aggressivität entgegen zu wirken. Hier haben nicht zuletzt die Medien ei- 4ne besondere Verantwortung. Es darf nicht zur Kultur werden, weg zu schauen, wenn Mitmenschen angegriffen und drangsaliert werden. Zivilcourage und Ei- genverantwortlichkeit sind wichtige Grundlagen einer demokratischen Persön- lichkeitsstruktur. Dieses zu lehren und zu vermitteln ist nicht nur Aufgabe der staatlichen Institutionen, sondern auch die ganz persönliche Aufgabe jeder Fa- milie und Lebensgemeinschaft.Wenn wir das beherzigen und jeder an seinem Platz das seinige beiträgt, dann wird es uns gelingen, dem Rechtsextremismus den Boden zu entziehen, da bin ich ganz sicher. Wir dürfen nicht zulassen, dass die rechten Extremisten den Eindruck vermitteln, sie sprächen für eine schweigende Mehrheit. Das ist nicht der Fall und immer mehr Menschen begreifen, dass es wichtig ist, dies auch öffentlich zu dokumentieren. Das haben verschiedene Demonstrationen wie zuletzt die in Elmshorn gezeigt. Am heutigen Tag machen alle Landesschüler- vertretungen mobil gegen Rassismus und rechte Gewalt. Das alles sind gute und wichtige Aktionen, die unserem demokratischen System ein Gesicht geben und es festigen.Wahrscheinlich wird es leider immer Menschen geben, die der rechtsextremis- tischen Ideologie anhängen. Ganz entscheidend ist dann aber, was Willy Brandt einst so formulierte: „Man muss nur darauf achten, dass die nie wieder etwas zu melden haben.“Meine Damen und Herren, lassen Sie uns daran gemeinsam weiter arbeiten!“Herausgeber: Pressestelle des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel, Postf. 7121, 24171 Kiel, Tel.: (0431) 988- Durchwahl -1163, -1121, -1120, -1117, -1116, Fax: (0431) 988-1119 V.i.S.d.P.: Dr. Joachim Köhler, E-Mail: Joachim.Koehler@ltsh.landsh.de. Internet: http://www.sh-landtag.de