Karl-Martin Hentschel zum Haushalt 2001: Der Gipfel des Berges ist noch nicht erreicht
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Sperrfrist: Redebeginn Landeshaus Es gilt das gesprochene Wort! Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Zu TOP 7 - Haushaltsgesetz 2001 - Mobil: 0172/541 83 53 erklärt der Fraktionsvorsitzende von E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Karl-Martin Hentschel: Nr. 291.00 / 13.12.2000Der Gipfel ist noch nicht erreichtVier Jahre Sparpolitik unter grüner Mitverantwortung haben wir hinter uns. Und trotzdem müssen wir feststellen - noch immer beträgt die Neuverschuldung Jahr für Jahr etwa ei- ne Milliarde. Ein Ende der Sparhaushalte ist nicht abzusehen.Vier Jahre Sparen - Eine Bilanz Deshalb möchte ich zunächst eine Zwischenbilanz der bisherigen Sparbemühungen ziehen und daraus Konsequenzen für die Haushaltspolitik in den nächsten Jahren ablei- ten.Auf dem Weg zu dem angestrebten Sparziel haben wir zunächst die Programme gestri- chen, die offensichtlich verzichtbar waren. Dann kamen Programme dran, deren Effekt mindestens zweifelhaft war.Zugleich wurden alle Landesbehörden von Unternehmensberatungen daraufhin geprüft, welche Arbeiten eingespart, welche mit anderen zusammengelegt, welche umorganisiert werden sollen. Hunderte von Stellen wurden so eingespart, in der Landesbauverwaltung und der Straßenbauverwaltung, in den Umweltämtern und in der Landwirtschaftskam- mer, um nur vier Beispiele zu nennen.In diesem Jahr sind wir noch einen Schritt weiter gegangen. Wir haben nicht mehr nur nach verzichtbaren Programmen gesucht, wir haben begonnen auch da zu streichen oder zu kürzen, wo wir die Programme für notwendig und wichtig erachten. Das bringt uns in die schwierige Situation, Kürzungen vor den Betroffenen vertreten zu müssen, obwohl wir zugeben müssen, dass sie gute Arbeit geleistet haben. Das fällt schwer. Opposition: Mehr Ausgaben durch Verkäufe von Landesbesitz Das Einmaleins der Kostenreduzierung, das kann Ihnen jeder Unternehmensberater herunter beten, besteht in der Einsparung von Personal. Hier muss der Staat seine Bi- lanz verbessern. Wenn wir weniger Personal brauchen, dann sparen wir auch Bleistifte, Computer, Diensträume, Dienstfahrzeuge, Telefonkosten usw..Der Bund der Steuerzahler hat dies übrigens verstanden und schlägt uns vor, die Zahl der Landesbehörden zu halbieren, die Zahl der LehrerInnen, der HochschullehrerInnen, und der Stellen bei der Polizei, der Justiz und der Finanzverwaltung zu reduzieren.Von Seiten der Opposition ist keiner dieser Vorschläge aufgegriffen worden. Stattdessen fordern Sie in allen Bereichen Personalerhöhungen, insgesamt netto 46,7 Mio. DM Mehrausgaben, die Sie allein durch 100 Mio. DM zusätzliche globale Minderausgaben und durch mehr Verkäufe als der Finanzminister sie vorschlägt decken wollen. So geht es natürlich nicht.Natürlich kann es sinnvoll sein, Verkäufe zu tätigen, aber Landeseigentum zu verkaufen, um damit neue Stellen zu schaffen, das ist schlicht unseriös. Dann sagen Sie den Leu- ten doch auch ehrlicherweise, dass Sie sie im nächsten Jahr, wenn alles verkauft ist, wieder auf die Straße setzen wollen.Der Gipfel des Berges ist noch nicht erreicht Lassen wir diese Oppositionsspielereien und kehren zum Ernst zurück. Trotz unserer Anstrengungen wissen wir, dass der Gipfel des Berges auch 2001 noch nicht erreicht ist. Das Jahr 2002 wird noch schwieriger. Wenn wir unser Ziel ernst meinen, bis 2008 ausgeglichene Haushalte vorzulegen, dann müssen wir in unseren Anstrengungen noch mal zulegen.Deshalb müssen wir heute schon prüfen, welche Schritte im kommenden Jahr zu tun sind, um zu erneuten Einsparungen zu kommen. Dazu gehören folgende Punkte:1. Die Rationalisierung aller Behörden des Landes ist ein ständiger Prozess, der uns auch in den kommenden Jahren begleiten muss. Hierbei muss es in erster Linie dar- um gehen, Personaleinsparungen zu realisieren, die dann auch Einsparungen bei Sachmitteln, Mieten usw. zur Folge haben.2. Die Funktionalreform und die Strukturreform müssen fortgesetzt werden. Dazu ge- hört die Überprüfung aller möglichen Synergien, die sich aus der Zusammenarbeit mit den benachbarten Bundesländern ergeben können. Dazu gehört auch, dass wir überprüfen müssen, in wie weit das Land sich Schritt für Schritt weiter aus der Flä- che zurückziehen kann. In Zeiten hoher Mobilität und elektronischer Kommunikation hat die örtliche Präsenz an Bedeutung verloren.3. Wir werden erneut alle Programme des Landes kritisch unter die Lupe nehmen müs- sen. Dabei fallen insbesondere die großen Förderprogramme des Landes, die aus EU- und Bundesmitteln kofinanziert werden, ins Auge. Das erstaunlichste Ergebnis der Haushaltsberatungen in diesem Jahr bestand für mich darin, dass durch diese Programme ganze Bereiche des Landeshaushaltes der kriti- schen Begutachtung durch das Parlament praktisch entzogen sind.Wenn das Land kaum noch eigene freie Mittel für Förderprogramme und Investitions- programme hat, und statt dessen fast alle verfügbaren Landesmittel zur Ko- Finanzierung von ZIEL und ZAL und anderen Bundesprogrammen benötigt werden, dann müssen diese Programme in stärkerem Maße als bisher Gegenstand der politi- schen Beratung werden.Ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, dass es bei allen Übereinstimmungen in der Koalition einen Bereich im Haushalt gibt, mit dem wir aus grüner Sicht nicht zufrieden sein können. Das ist die Förderung der ökologischen Landwirtschaft. Vielleicht ist die Debatte über Gesundheit und Verbraucherschutz, die in den letzten Wochen durch die BSE-Thematik angestoßen wurde, Anlass dafür, im kommenden Jahr etwas in dieser Frage zu bewegen.Wachsende Aufgaben - Kinder, Jugend, Bildung Sparen ist kein Selbstzweck. Die BürgerInnen zahlen keine Steuern, um mehr Beamte zu haben. Aber sie wollen Sicherheit auf den Straßen, eine gesunde Umwelt, gesunde Nahrungsmittel, eine blühende Wirtschaft, Arbeitsplätze, gute Krankenhäuser usw..In jedem einzelnen Fall muss die Regierung und müssen die regierenden Parteien im- mer wieder prüfen, ob diese Dienstleistungen auch wirklich effizient genug erwirtschaftet werden. Es gibt aber einen Bereich der Landespolitik, der dabei aus dem Rahmen fällt: Das ist der Bereich Jugend und Bildung.Seit 1988 hat sich die Zahl der LehrerInnen in Schleswig-Holstein um 1200 Stellen er- höht, die Zahl der Stellen an den Hochschulen ist von 3100 auf 4230 um mehr als ein Drittel gestiegen, an den Universitätskliniken sind 1500 zusätzliche Stellen entstanden. Und keine dieser Stellen ist gegen den Widerstand der Opposition geschaffen worden. Im Gegenteil, es war eher so, dass die Opposition regelmäßig sogar noch mehr gefor- dert hat.Allein die Zuschüsse für die Kindertagesstätten an die Kommunen und Träger, die es vor zwölf Jahren noch gar nicht gab, betragen heute 100 Mio. DM im Jahr.Ich bin überzeugt davon, dass diese Gelder gut angelegt sind. Unsere Zukunft liegt in der guten Ausbildung unserer Kinder. Aber das hat seinen Preis.Internationale Vergleiche zeigen uns, dass wir noch keineswegs am Ende des Weges angelangt sind. In den Schulen müssen wir nicht nur die pädagogische Qualität des Un- terrichts weiterentwickeln. Wir stehen auch vor den Herausforderungen der Informati- onstechnologie.Aber genauso wichtig ist in einer Zeit, in der in der Regel beide Eltern berufstätig sind, dass wir mehr Ganztagsschulen, mehr Schulen mit Mittagessen und mehr Schulen mit außerschulischen Freizeitangeboten und Betreuung bereitstellen. Deswegen haben wir für ein Programm gekämpft, damit in Zukunft die präventive Ju- gendhilfe verstärkt an die Schulen verlagert wird. Dort sind die Probleme bekannt, dort können Freizeitangebote und Betreuung direkt auf die Bedürfnisse zugeschnitten wer- den. Wir sind stolz, das es uns gelungen ist, dafür in zwei Haushaltstiteln insgesamt ca. 3 Mio. DM bereitzustellen.Im Hochschulbereich liegen wir mit unseren StudentInnenzahlen im internationalen Ver- gleich hinter vielen OECD-Ländern zurück. Deshalb wird der Ausbau unserer Hochschu- len fortgesetzt werden müssen. Allein mit den nötigen Strukturreformen wird der nicht zu bewältigen sein. Es wird auch darüber zu reden sein, ob und welche neuen Finanzie- rungsinstrumente wir benötigen.Kindertagesstätten sind der Grundstein des Bildungssystems Zu den Aufgaben, die wir lösen müssen, um unsere Kinder mit dem nötigen Rüstzeug für ihr Leben auszustatten, gehört auch die Qualität der Kindertagesstätten. Und des- halb freue ich mich besonders, dass sich diese Koalition in dieser Frage seit gestern wieder einig ist.Die Grundlagen für einen erfolgreichen Universitätsbesuch, Schulbesuch, eine Lehre, für Sozialverhalten und Konzentrationsfähigkeit werden bereits in den ersten sechs Le- bensjahren gelegt. Deshalb sind die Kindertagesstätten die erste Stufe, sie sind der Grundstein unseres Bildungssystems. Und deshalb erinnere ich immer wieder gerne daran, dass unsere Ministerpräsidentin in ihrer Regierungserklärung unmissverständlich klar gemacht hat: Schleswig-Holstein ist ein Land für Kinder!Wir brauchen eine neue Debatte über die Länderfinanzierung Die wachsenden Aufgaben in der Bildungs- und Jugendpolitik einerseits und die Not- wendigkeit drastischer Sparmaßnahmen andererseits bilden eine Schere, die nach mei- ner Einschätzung das Land Schleswig-Holstein nicht alleine wird bewältigen können.Wir brauchen für die Jugend- und Bildungspolitik neue Finanzierungsmodelle. Die Ver- suche der Bundesregierung, die Sanierung der Bundesfinanzen auch zu Lasten der Bundesländer fortzusetzen, kann von uns nicht länger akzeptiert werden. Wir unterstüt- zen die Steuerreform der Bundesregierung, aber wir sagen "Nein", wenn über die bishe- rigen Belastungen hinaus weitere Lasten den Ländern aufgedrückt werden sollen.Der Staat - Dienstleister für die BürgerInnen Dieser Haushalt ist ein Sparhaushalt. Aber er ist trotzdem ein Haushalt, der deutliche Nuancen setzt: In der Bildungspolitik, in der Sozialpolitik, in der Technologieförderung , in der Umweltpolitik und auch in der Innen- und Rechtspolitik.In den letzten Jahren hat der Ruf nach schrankenloser Liberalisierung breiten Raum eingenommen. Wer die Stellungnahme des Bundes der Steuerzahler zu unserem Haus- halt liest, bekommt den Eindruck vermittelt, dass große Teile dessen, was dieses Land für seine BürgerInnen tut, überflüssig sein muss. Bei vielen Menschen aber, die nicht auf ein gut gepolstertes Aktiendepots gebettet sind, lösen diese Debatten Angst und Unsicherheit aus. Und ich denke, dass diese Befürch- tungen durchaus ihre Berechtigung haben.Ein liberaler Rechtsstaat besteht nicht darin, dass jeder seine Privatarmee hält, sondern er erfordert eine gut ausgerüstete und ausgebildete Polizei und eine unabhängige Jus- tiz, die ein friedliches Zusammenleben gewährleisten.Ein liberale Wirtschaftsstaat bedarf aber aus den gleichen Gründen ein effektives und gerecht gestaltetes soziales Netz, in das alle BürgerInnen dieses Staates einzahlen müssen. Wer das übersieht, der propagiert das Recht des wirtschaftlich Starken, der zerstört mutwillig den sozialen Frieden auf dem nicht unwesentlich der Wohlstand unse- res Landes aufbaut.Und, liebe KollegInnen, was einige immer wieder zu vergessen scheinen: Auch eine li- berale Umweltpolitik bedarf klarer Regeln für die Nutzung der Umwelt, für die erlaubten Grenzwerte und für die zu erreichenden Ziele. Gerade die aktuelle Debatte über Verbraucherschutz macht das deutlich. Wer das übersieht, der propagiert Ökodumping auf Kosten der Natur, der Gesundheit und unserer Zukunft.Deshalb, weil wir Sicherheit und Gerechtigkeit für unsere BürgerInnen und Vorsorge für die Zukunft gleichermaßen im Auge haben, deswegen haben wir uns in Schleswig- Holstein für eine rot-grüne Koalition entschieden. Deshalb ist es nicht das Ziel unserer Sparpolitik, den Staat abzuschaffen, sondern es ist das Ziel, mit einem Minimum an Mit- teln ein Maximum an Sicherheit, Dienstleistungen und Infrastruktur für unsere Bürger zu produzieren.Wir haben es uns dabei nicht leicht gemacht und ich bin stolz auf das, was haushaltspo- litisch in den vergangenen sieben Monaten, die seit der Diskussion der Eckdaten ver- gangen sind, erreicht wurde. Deshalb wird meine Fraktion dem Haushalt zustimmen. ***