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24.11.00
13:01 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk: Wir müssen die Debatte um den Rechtsextremismus zu einer Demokratie-Debatte machen!

PRESSEINFORMATION
Kiel, d.24.11.2000
Es gilt das gesprochene Wort


Landtagsforum - Rechtsextreme Gewalt – eine Herausforderung für Staat und Gesellschaf - Anke Spoorendonk: „Wir müssen die Debatte um den Rechtsextremismus zu einer Demokratie-Debatte machen – Finanzen dürfen nicht wichtiger als sozia- ler Frieden sein!“

In einem lesenswürdigen Artikel im „Flensburger Tageblatt“ schrieb Professor Uwe Danker vom Institut für Zeit- und Regionalgeschichte der Uni Flensburg kürzlich über „Möglichkeiten und Grenzen der Schule bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. Er stellt dort eine ganze Reihe von Fragen, die wie folgt zusammengefasst werden könnten: „Schützt Geschichtswis- sen vor dem Abdriften in rechtsextreme Milieus? Seine Antwort lautet: “Geschichtswissen ist kein Maßstab für Rechtsextremismusprävention. Wer meint, man müsse nur mangelndes Wissen über den Nationalsozialismus verbreiten, formuliert eine plakative aber fehlgehende Forderung. Im Kern geht es um anderes: um die Vermittlung und von den Schülerinnen und Schülern selbst erarbeitete Annahme demokratischer, solidarischer und hu- maner Wertesysteme, die Einstellungen und Verhaltensmuster der einzelnen prägen. Das aber ist keineswegs allein Aufgabe des Geschichtsunterrichts“. Es geht also darum, Demokratie zu leben. Wobei es im Umkehrschluss nicht heißen darf, dass es in der Auseinandersetzung um den Rechtsextremismus nicht um den Anspruch geht, aus der Ge- schichte zu lernen. Dieser Anspruch bleibt bestehen. Wie sonst lernen wir, Gesagtes und Gehörtes richtig einzuschätzen? 2

Ich habe dies bewusst an Anfang meiner Ausführungen gestellt, weil ich damit meine Konklusion vorwegnehmen wollte: „Wann immer wir uns mit dem Thema Rechtsextremismus und rechts- extreme Gewalt befassen, dürfen wir nicht vergessen, dass es um die ganz entscheidende Fra- ge geht, wie wir unsere Gesellschaft gestalten wollen, damit so viele wie möglich sich in ihr zu Hause fühlen.“ Wir müssen die Debatte um den Rechtsextremismus zu einer Demokratie-Debatte machen. Im Mit- telpunkt aller Überlegungen muss daher die existentielle Problemstellung stehen: Was können wir tun, um ein gute Gesellschaft zu bekommen? Rechtsextreme Gewalt – in welcher Form auch immer – ist damit nicht nur Ausdrucksform einer Jugendbewegung. Zahlen zu den Ermittlungs- und Strafverfahren mit rechtsextremistischem oder fremdenfeindlichem Hintergrund in Schleswig-Holstein machen deutlich, dass wir glücklicherweise gegenwärtig keinen großen Anstieg zu verzeichnen haben. Über vierhundert pro Jahr sind zwar immer noch über vier- hundert zu viel. Wir können uns aber leisten, einen kühlen Kopf zu bewahren. Damit meine ich nicht zuletzt, dass der Ruf nach härteren Strafen, schärferen Gesetzen und Verboten uns nicht wei- terbringen wird. Selbstverständlich sollen rechtsextreme Taten und rechtsextreme Propaganda streng und vor allem schnell verfolgt werden. Auch wenn wir alle keine Toleranz für Rechtsextreme haben, müssen die Mittel in einem Verhältnis zu den Zielen stehen. Die Forderung, das Demonstrationsrecht für Rechte einzuschränken, ist deshalb falsch. Es wäre ka- tastrophal, wenn die Feinde unserer freiheitlichen Verfassung mit ihrem Wahnsinn erreichen wür- den, dass Grundrechte weiter eingeschränkt werden. Auch ein Parteienverbot der NPD bringt uns nicht wirklich weiter. Es erreicht die angestrebte Wirkung höchstens kurzfristig, bis sich neue Strukturen verfestigen. Die Problemlösung sollte nicht auf die Strukturen zielen, sondern auf das Denken der Menschen. Gerade hier kann ein Verbot aber nichts verändern. Gleichzeitig kann es aber erhebliche Probleme verursachen, weil Aktivisten erst einmal in den Untergrund verdrängt werden und Sympathisanten sich wahrscheinlich eher noch mehr von der Demokratie entfernen. Gerade weil es hier um innere Einstellungen von Menschen geht, wird das Problem nicht von der Politik allein gelöst werden können. Wir können den Rahmen gestalten, innerhalb dessen die Aus- einandersetzung mit Rechtsradikalismus, Ausländerhass und Minderheitenfeindlichkeit stattfinden kann. Es muss ein Klima geschaffen werden, in dem eine Auseinandersetzung mit Argumenten geführt werden kann. Dies kann und muss die Politik leisten. 3

Denn bei aller Bekämpfung des Rechtsextremismus darf nicht in Vergessenheit geraten, dass eine politische Debatte mit Argumenten geführt werden muss. Es ist nicht genug, rechtsextreme Schläger und Agitatoren zu ächten und zu bestrafen. Das reicht nicht aus, denn ein erschreckend großer Teil der Bevölkerung teilt mittlerweile die ausländer- und minderheitenfeindlichen Ansichten. Glaubt man den Umfragen, dann denkt ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland, dass rechtsradikale Gruppen in dem einen oder anderen Punkt Recht haben. Ein solches Problem können wir nicht durch Strafverfolgung oder Parteienverbote lösen, sondern nur durch Argumente. Wir Demokraten haben die besseren Argumente. Die werden aber nur zur Geltung kommen, wenn wir uns einer in- haltlichen Auseinandersetzung mit rechtsextremer Politik stellen. Wir reden eben nicht nur über junge Straftäter und Ewiggestrige. Das fremdenfeindliche Gift der Rechten ist in die Mitte der Gesellschaft gesickert. Der Konsens der Demokratinnen und Demokraten ist klar: Alle Menschen haben ein Recht auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Das gilt auch für Ausländer und für soziale Minderheiten wie Behinderte, Obdachlose oder Lesben und Schwule. Alle Menschen sind gleich viel Wert. Diese Dinge müssen wir jeder und jedem klar machen. Um diese inhaltliche Auseinandersetzung zu fördern kann die Politik gerade auch dadurch helfen, dass sie politische Argumente gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit bereitstellt. Wir haben im Rahmen des ‚Bündnisses gegen Rechtsextremismus’ auf Landesebene angeregt, dass das Bündnis sich offen mit ausländer- und minderheitenfeindlichen Argumenten auseinandersetzt. Nur wenn wir gemeinsam plausibel vermitteln, dass wir nicht von Ausländern überschwemmt wer- den, dass Ausländer nicht den anderen die Arbeit wegnehmen, dass Asylbewerber auf der Flucht nicht Schmarotzer sind, dass Ausländer nicht krimineller sind als Deutsche, und dass Menschen aus verschiedenen Kulturen respektvoll miteinander zusammenleben können, ohne etwas zu verlieren, nur wenn wir die Menschen davon überzeugen, werden wir den rechten Brandstiftern wirklich das Wasser abgraben können. Das Bündnis gegen Rechts könnte die Argumente der Demokraten gegen die rechten Parolen - zum Beispiel durch die gemeinsame Herausgabe einer Zeitung an alle Haushalte, eine Serie von Zeitungsanzeigen oder durch ähnliche Maßnahmen - vermitteln. Neben der Unterstützung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und der Strafverfolgung beschränkt sich der Handlungsspielraum der Politik vor allem auf Maß- nahmen, die die Ursachen des Rechtsextremismus bei der Wurzel packen. Die Antwort der Landes- regierung auf die Große Anfrage zu Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit in Schleswig- Holstein, die wir in der letzten Landtagstagung debattierten, hat eindrucksvoll die sozialen Ursachen 4

aufgezeigt. Es sind vielfach die Verlierer der Modernisierung, die anfällig sind für solche Gedanken. Nur soziale Sicherheit, Bildung und demokratische Teilhabe werden verhindern können, dass die Anhänger rechtsextremen Gedankenguts mehr werden. Wir brauchen also auch das, was der Juso-Bundesvorsitzende Mikfeld mit einem treffenden Aus- druck als „doppelte Integration“ bezeichnet hat. Wir müssen Einwanderer in unsere Gesellschaft integrieren, aber wir müssen genauso dafür sorgen, dass die sozial Schwachen und gesellschaftlich Ausgegrenzten in unserem Land in die Gesellschaft integriert sind. Das ist die große Herausforde- rung vor der wir stehen. Diese Aufgabe steht leider im Widerspruch zu der Zielsetzung, die Lage der öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Die Finanzen dürfen aber nicht wichtiger sein als der soziale Frieden. Hier hat sich die Politik vielfach in eine selbstverschuldete Handlungsunfä- higkeit begeben, die den ohnehin geringen Spielraum weiter reduziert. Wir werden aber mit noch so vielen Argumenten und Strafen nicht weiterkommen, wenn die soziale Ungleichheit in unserem Land weiter wächst. Soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit müssen wieder ganz oben auf der politischen Tagesordnung stehen. Wenn man den Rechtsradikalismus ver- hindern will, dann muss man den Menschen die Unsicherheit nehmen. Soziale Sicherheit ist eine grundlegende Voraussetzung für die Demokratie. Wer nicht die Ressourcen hat, um den Alltag zu bewältigen, der wird in der Regel kaum die Kräfte haben, sich aktiv in das demokratische Zusam- menleben einbringen. Davon lebt aber eine demokratische Gesellschaft.

Nur eine soziale und bürgernahe Demokratie, die den Menschen Sicherheit und demokrati- sches Bewußtsein gibt, kann verhindern, dass die Menschen sich wieder nach undemokrati- scher Autorität sehnen.