Thomas Rother zu TOP 5: Gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit sind politische Entscheidungen gefordert
Sozialdemokratischer InformationsbriefLandtag Kiel, 16.11.00aktuell Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: RedebeginnThomas Rother zu TOP 5:Gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit sind politische Entschei- dungen gefordertDaher möchte ich einige Anmerkungen machen zu den Teilen des Berichts, die Fragen offen lassen und politische Entscheidungen erfordern. Wir müssen uns in Sachen Rechtsextremismus auf eine neue Situation einstellen. Ging es dieser Szene früher vor allem um die Verharmlosung und damit die Rehabilitierung der Akteu- re der NS-Zeit und des Zweiten Weltkrieges, so ist mit der immer stärkeren Orientierung an sogenanntem nationalrevolutionärem Gedankengut und dem Zentralthema „Ausländer“ eine neue politische Qualität entstanden. Es ist sogar eine populäre rechtsextreme Kultur entstan- den – mit Musik, Mode, Urlaub in Stonehenge, neuheidnischer Esoterik –, die sich inmitten un- serer Alltagskultur bewegt und jederzeit über das Internet erreichbar ist.Dies zur Kenntnis zu nehmen ist wichtig, vor allem wenn unter dem Punkt „Gegenstrategien“ immer noch mehr auf eine Auseinandersetzung mit dem historischen Faschismus verwiesen wird.Schockermeldungen wie z.B. wie wenig Jugendliche in Brandenburg sich einen jüdischen Freund vorstellen können, sind wohl ein wichtiges Indiz für den Zustand der Gesellschaft, brin- gen die Diskussion aber in der Regel nicht weiter.So stellt sich die Frage, ob wir denn immer mit einem gewissen Prozentsatz von Menschen mit einer solchen Einstellung leben müssen. Und im gleichen Zusammenhang stellt sich die ja auch von Herrn Kubicki aufgeworfene Frage, ob nicht überreagiert wird – denn die Zahl der Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-eingeleiteten Ermittlungs- und Strafverfahren mit einem rechtsextremen oder fremdenfeindli- chen Hintergrund ist ja rückläufig und unsere Demokratie immer noch stabil.Auch hier gibt die Antwort der Landesregierung klare Hinweise: • Die Bereitschaft, rechtsextreme Ansichten öffentlich zu äußern, ist gestiegen. • Der offene Beifall aus der Szene für einzelne Aktivisten – und wenn es ein Polizisten- mörder ist – steigt. • Es ist eine neue, ernste Bedrohungslage entstanden. • Die Grundstimmung in der Szene ist deutlich aggressiver. • Die Wahlbereitschaft zugunsten rechtsextremistischer Parteien wächst mit der Unzu- friedenheit mit der Demokratie – das haben wir in Schleswig-Holstein ja schon erlebt.Daher war unsere Positionsbestimmung in der Septembertagung des Landtages notwendig und richtig. Weitere Konsequenzen bleiben jedoch erforderlich: • Das NPD-Verbot muss auf den Weg gebracht werden. Die Verbotsdiskussion hat die NPD nicht gestärkt, sondern in eine Krise gestürzt. Und wie nachhaltig ein Verbot wir- ken kann, dafür hat Herr Wadephul in seiner Presseerklärung vom 26. Oktober Beispiele genannt. Danke dafür. • Das staatliche Gewaltmonopol muss zur Abwehr extremistischer Gewalt durchgesetzt werden. Wir stehen ganz eindeutig an der Seite der Polizei, die z. B. bei Demonstratio- nen nicht die Faschisten schützt, sondern die Grundlagen unserer Demokratie. Auch Faschisten haben Grund- und Menschenrechte. Wenn sie diese jedoch für ihre men- schenverachtenden Ziele missbrauchen, ist der repressive, wehrhafte Staat gefordert. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind vorhanden. Sie müssen klug – wie z.B. beim NPD-Verbot – und konsequent eingesetzt werden. • Wir stehen auch an der Seite der Stadt Neumünster und ihres Bürgermeisters bei der Durchsetzung der Schließung des Club 88. Und ich habe viel Verständnis für Unmuts- äußerungen darüber, dass dem Szene-Kommerz – in welcher Form er auch immer auf- tritt – nur mit großen Mühen beigekommen werden kann. Genauso ist es unfassbar, dass Jugendliche, die einen Ausländer in Guben zu Tode hetzen, mit einer gerichtli- chen Verwarnung davonkommen. • Die Präventionsarbeit muss fortgeführt und auch stetig fortentwickelt werden. Nur so können wir die Zahl der 10 – 15 % Menschen mit rechtsextremen Weltbild langfristig -3- reduzieren. Ein Abfinden mit dieser Situation darf es nicht geben. Das käme einer Kapi- tulation gleich. • Wir müssen uns als demokratische, solidarische und weltoffene Gesellschaft kenntlich machen. Das betrifft viele Bereiche und reicht vom Abgewöhnen dummer sprachlicher Gewohnheiten bis zur Förderung von Integrationsarbeit – insbesondere für Auslände- rinnen und Ausländer. Für das Beispiel der Sprache ist der Begriff „Deutsche Leitkultur“ ein gutes schlechtes Beispiel. Setzen Sie doch nur einmal den Begriff „Demokratische Leitkultur“ dagegen – vielleicht merken Sie dann bei der CDU endlich, worum es bei der Kritik des Begriffs geht. Und ich möchte gar nicht wissen, was sich so mancher bei einem Begriff wie „Polnische Leitkultur“ denken würde. Wir können die zwölf Jahre faschistischer Herrschaft in Deutschland nicht ignorieren und so tun als trügen wir keine Verantwortung dafür – Schuld ist in diesem Zusam- menhang eine ganz andere Frage. Vor diesem Hintergrund wird vielleicht auch die Be- deutung und die Verpflichtung für Regelungen zur Entschädigung der Zwangsarbeite- rinnen und Zwangsarbeiter deutlich. • Wir als Parlamentarier müssen vor diesem Hintergrund Verantwortung tragen, indem wir dafür sorgen, dass unsere Demokratie funktioniert, Probleme gelöst, die Sorgen der Menschen ernst genommen, Chancen und Perspektiven für alle – wirklich alle – gebo- ten werden. Daher bin ich auch dankbar, dass die Ministerpräsidentin ein „Bündnis gegen Rechts“ initiiert hat. Gemeinsam mit anderen müssen wir auch unsere politischen Maßstäbe überprüfen und Zeichen setzen. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle das Engagement der Wirtschaft. Einzelne Betriebe und ganze Unternehmensverbände haben ganz deutlich Stellung gegen Rechtsaußen bezogen. Das ist nicht alltäglich bei einem Thema, das bislang eher das linke politische Spektrum bewegt hat. • So ein wichtiges Zeichen wurde auch durch die über 300.000 Menschen gesetzt, die am Jahrestag der Reichspogromnacht in diesem Jahr der Opfer der alten und neuen Nazis gedachten. • Genauso ein wichtiges Zeichen werden die Aktionen der Landesschülervertretungen am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, sein. Schülerinnen und Schüler werden im ganzen Land ein Zeichen der Solidarität mit all denen setzen, -4- die wegen ihrer Hautfarbe, Herkunft, Nationalität oder Religion verfolgt oder ausge- grenzt werden. • Die Ansätze des Kultusministeriums sind gut, richtig und wichtig. Zusammenwirken von Schule und Jugendarbeit, Lehrerfortbildung, Projektarbeit, Elternarbeit und verbesserte Unterrichtsmaterialien können als Beispiel genannt werden. Die Tagung des IPTS „Rechtsextremismus – was kann Schule tun?“ hat weitere konkrete Hinweise gegeben. Auf keine andere Weise als über die Schule können so viele Jugendliche mit dem Thema konfrontiert werden, können so viele Konflikte ausgetragen werden. Und die Schule setzt sich nicht nur mit dem historischen Faschismus auseinander, sondern die eingangs von mir genannten Themen „Rassismus“ und „rechtsextreme Kultur“ sind Gegenstand der vielfältigen Aktivitäten. Sie sollten noch stärker in den Vordergrund ge- rückt werden. Es würde mich freuen, wenn den Schulen denn auch nicht nur das Buch „Erzählt es euren Kindern“, sondern auch das Buch „Papa, was ist ein Fremder“ zur Verfügung gestellt würde. • Wichtig bleibt auch die Zivilcourage eines jeden Einzelnen, Gewalt und Extremismus entgegenzutreten, zu handeln und nicht wegzuschauen. Zivilcourage muss gewürdigt und gefördert werden. Vorfälle wie in Braunschweig, wo ein Behinderter vor den Augen hunderter Passanten von Jugendlichen bedroht, beworfen, bespuckt und gedemütigt werden konnte, ohne dass jemand eingriff, ohne dass jemand etwas gesehen haben wollte, sind trauriges Ergebnis einer Einstellung der Gleichgültigkeit und auch der heim- lichen Kumpanei. • Letzten Endes wird es erforderlich bleiben, auch mehr Mittel im Haushalt für das kom- mende Jahr zur Verfügung zu stellen. Meine Fraktion wird gemeinsam mit der Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen zur Dezembertagung Vorschläge dafür vorlegen. Schwerpunkt bei diesen Maßnahmen müssen die Präventionsarbeit und Initiativen zur Integration und wohlgemerkt nicht zur Assimilation der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer sein. Eine regionale Komponente in Bezug auf Brennpunkte ist dabei notwendig.Ich denke, auf diesem Wege werden wir ein Stück weit vorankommen, um die Bedrohung durch die faschistischen Strolche einzudämmen. Es darf in unserem Land nicht nur davon ge- redet werden, dass wir weltoffen und tolerant sind, sondern wir müssen tatsächlich ein weltof- fenes und tolerantes Lebensgefühl mit erzeugen.