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09.11.00
13:02 Uhr
Landtag

Festvortrag von Landtagspräsident Heinz-Werner Arens zum 10. Jahrestag der Deutschen Einheit in Heide

D E R L A N D T A G SCHLESWIG - HOLSTEIN 142/2000 Kiel, 09. November 2000 Es gilt das gesprochene Wort


Landtagspräsident Heinz-Werner Arens: „Städepartnerschaft ist ein vorbildlicher Beitrag zum Zusammenwachsen Deutschlands“
Kiel (SHL) – Heute findet im Konzert- und Ballhaus Tivoli in Heide um 20:00 Uhr eine gemeinsame Sitzung der Stadtvertretung der Stadt Anklam und der Ratsversamrmlung der Stadt Heide statt. Anlass ist der zehnte Jahrestag der Deutschen Einheit. Den Festvortrag hält Land- tagspräsident Heinz-Werner Arens. Wir veröffentlichen im folgenden den Wortlaut:

„Die 10-Jahres-Feiern anlässlich des Bestehens der deutschen Einheit sind gerade vorüber, aber natürlich lässt uns der Vereinigungsprozess nicht los. Der Vereinigungsprozess - und da sind sich heute alle einig - fand und findet auf vielen Ebenen statt.

Anfang der 90er Jahre wurden auf Bundes- beziehungsweise europäi- scher Ebene Leistungen vollbracht, die maßgeblich für die äußeren Strukturen der Vereinigung waren.

Den Streit, wer welche Verdienste daran erworben hat und wer nicht, halte im übrigen auch ich für unwürdig und im Ganzen für unsinnig. Wer soll denn so einen Streit gewinnen? Selbst wenn jemand gewönne, wem hel- fen den die Lorbeeren vergangener Tage, wenn die Lösung dringender politischer Fragen heute mehr denn je erforderlich sind? Die innere Ein- heit wurde mit der Schaffung äußerer Strukturen zudem nicht hergestellt. Oder mit anderen Worten: Die deutsche Einheit ist ein geschichtlicher, ü- ber mehrere Generationen währender Prozess, der nur gelingen kann, 2

wenn sich diese Generationen aktiv in diesen Prozess einbringen. Als ei- nen solchen Beitrag zur Herstellung der inneren Einheit, sehe ich die Städtepartnerschaft zwischen Anklam und Heide.

Sie ist ein konkreter, gelebter Beitrag zur Herstellung der Einheit in Herzen und Köpfen. Kein Solidaritätsbeitrag oder andere bloße finanzielle Hilfe- stellung kann den persönlichen Einsatz und Kontakt ersetzen. Zusam- menfassend: Die erheblichen materiellen Mittel UND der Know-how- Austausch UND der persönliche Einsatz und Kontakt sind erforderlich, um das Ziel der Einheit auch wirklich zu erreichen. Verständnis ist zweifelsoh- ne das Kernwort, welches mit der Herstellung der Deutschen Einheit ver- bunden ist. Über den politischen Prozess, der die Einheit herbeigeführt hat, ist seit der geopolitischen Einheit nun der Prozess der gesellschaftli- chen Einheit weiterhin gefragt - und der kann nur über das gegenseitige Verständnis gehen.

Die gesellschaftliche Einheit umfasst insbesondere das gegenseitige Verständnis über Erwartungen, Hoffnungen der Menschen Deutschlands und der Realität, die mit der Einheit Deutschlands einher gegangen ist. Es waren die Menschen der ehemaligen DDR, die sich einen Wechsel, eine Veränderung ihrer Perspektive gewünscht haben. Es wurde vor einigen Wochen mit anderen schönen Worten gesagt: „Die Mauer wurde von Os- ten eingedrückt!“

Ich möchte hier nochmals den Unterschied zwischen der Herstellung der äußeren Strukturen und dem inneren Zusammenwachsen beleuchten: Ich denke, dass die damaligen Bewohner der DDR schlussendlich aufge- standen sind, um mehr Freiheit und Demokratie zu verlangen und zu er- langen. Der Prozess der Wiedervereinigung - und das soll an dieser Stelle nicht vergessen werden - wurde entscheidend auch durch die Basis ge- tragen.

Diese Aussicht auf Demokratie und Freiheit jedenfalls bestand in den Au- gen der Mehrheit über einen Zusammenschluss mit der BRD. Die Über- nahme des Systems der BRD allein war sicherlich nicht ausschlaggebend für den bisherigen Erfolg, sondern die Menschen in dem System, welche es mit Leben ausgefüllt haben beziehungsweise ausfüllen. Das Zusam- menwachsen in einem System erfordert meiner Ansicht nach maßgeblich, dass die Beteiligten füreinander im Sinne des Systems da sind, also die 3

gesellschaftliche Einheit vollzogen und gelebt wird. Demokratie fordert solch ein Miteinander.

Damit ich aber nun nicht der Gefahr erliege, mich in wohltönenden Formu- lierungen zu verlieren, will ich an dieser Stelle zumindest einmal darauf hinweisen, dass der gesellschaftliche Einigungsprozess auch ein Arbeits- prozess für jeden einzelnen Bürger, jede einzelne Bürgerin sein muss, der mit den Händen in den Taschen nicht zu gestalten ist. Ich will das an einem Beispiel darlegen: Zu viele Bürgerinnen und Bürger in den sogenannten Neuen Bundesländern haben bis heute nicht begriffen, dass die DDR seit dem 3.10.1990 unwiderrufliche der Geschichte angehört. Sie steht als Ganzes, aber auch nicht in Teilen für die Lösung heutiger und morgiger Probleme nicht mehr zur Verfügung.

Genauso aber sei den Bürgerinnen und Bürgern in den sogenannten Alten Bundesländern gesagt, auch die BRD gehört seit dem 3.10.1990 unwider- ruflich der Geschichte an. Es gibt sie so nicht mehr. Der äußere Rahmen der Verfassung von 1949, der für ganz Deutschland geblieben ist, ist mit neuer gesellschaftlicher Realität neu zu füllen. Die Städtepartnerschaft zwischen Heide und Anklam ist ein Ausdruck dieser neu geschaffenen gesellschaftlichen Realität. Und ein Ausdruck von gelebter Demokratie. Durch sie konnte vielen gesellschaftlichen Bereichen, wie zum Beispiel Kommunalpolitik und Kultur, Integration und Zusammenarbeit geschaffen werden kann.

Liebe Anwesende, ich will, da das Thema Demokratie hier nun auch auf den Tisch gekommen ist, auch einen Blick in die Zukunft werfen.

Die deutsche Einheit ist zweifelsohne eine Herausforderung der deut- schen Demokratie gewesen. Sie ist es auch heute noch, wie sich un- schwer aus den rechtsextremen Tendenzen, die sich in Ost- und West- deutschland gebildet haben, ablesen lässt. Gemessen an dieser Aufgabe stehen wir jedoch vor einer noch weit größeren demokratischen Bewäh- rungsprobe, deren Ausläufer uns bereits heute treffen. Ich meine die Er- weiterung der Europäischen Union. Ich bin mir durchaus im klaren dar- über, dass die Europäische Union von der Mehrheit der Bevölkerung mit Skepsis oder Ablehnung betrachtet wird.

Der Begriff der deutschen Leitkultur, der in letzter Zeit so kontrovers dis- kutiert wird, muss auch, besser insbesondere vor dem Hintergrund des 4

Zusammenwachsens Europas betrachtet werden. Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass in einem Europa dann 12 oder mehr Leitkulturen exis- tieren sollen? Gerade weil vielen Bürgerinnen und Bürgern die Begeiste- rung für Europa aufgrund einer bisher fehlenden europäischen Identität abgeht, kann ein solcher Vorstoß für lediglich eine Nation kein vorwärts gerichteter Schritt für Europa sein. Oder um es noch deutlicher zu sagen: Mit dem Begriff der Leitkultur liefert man für die gesellschaftlichen Aufga- ben des friedlichen Zusammenlebens von heute und morgen ein Instru- ment von gestern, nämlich das der Hegemonie.

Ich will es zu diesem in letzter Zeit aktuellem Stichwort bei diesen knappen Bemerkungen bewenden lassen. Mein Rat: Man sollte versuchen, den Geist schnell wieder in die Flasche zurückzustecken. Ein Vorangehen Eu- ropas und die Einstellung möglichst optimaler Voraussetzungen für ein Zusammenwachsen Europas brauchen wir jedoch dringend, denn Deutschland benötigt Europa. Wir brauchen die europäische Union unter Beteiligung möglichst aller europäischer Staaten!

Die Europäische Union bringt uns - nur um das noch mal ins Gedächtnis zu rufen - nicht nur wirtschaftliche Vorteile; sie bringt uns vor allen Dingen Sicherheit. Sie gewährleistet Sicherheit für die Zukunft. Ein Scheitern des Erweiterungsprozesses der Europäischen Union würde alles bisher Er- reichte und insbesondere den Frieden in Europa in Frage stellen. Darüber muss man sich im Klaren sein, wenn über Europa geredet wird.

Der europäische Integrationsprozess, der bisher stattgefunden hat, ist vergleichsweise bequem und einfach gewesen, gemessen an dem Integ- rationsprozess mit den osteuropäischen Staaten, der vor uns liegt. In ihm liegt das Bekenntnis des Willens zur dauerhaften Stabilität und Sicherheit in Europa. Und das verlangt auch das Zurücktreten nationaler Interessen vor den Notwendigkeiten der gemeinsamen Interessen Europas, was bis- her nur in sehr eingeschränktem Maße notwendig gewesen ist.

Dahinter steht auch wirtschaftliche Anpassung, die ohne Zweifel auch mit persönlichen Opfern verbunden sein wird, da die wirtschaftlichen Struktu- ren, die es anzupassen gilt, auch nicht annähernd vergleichbar sind mit denen, die zwischen den aktuellen Partnern in der Europäischen Union bestehen. Ich bin überzeugt, dass DIES die Nagelprobe für die demokra- tische Tauglichkeit gegenüber nationalistischen Interessen nicht nur für Deutschland ist. Träger des Prozesses des Zusammenwachsens werden 5

nach Herstellung der äußeren Strukturen, deren Gestaltung sich ja schon als schwierig genug erweist, wieder die Menschen Europas sein.

Ich würde mich freuen, wenn sich die Menschen in Anklam und Heide, die zu dem Prozess der deutschen Einheit durch ihre besondere Städtepart- nerschaft ihren Beitrag geleistet haben, bereit finden, an entsprechender Stelle dies auch im Zuge der europäischen Erweiterung zu tun und weitere Verantwortung übernehmen. Denn auch hier sind alle aufgefordert, zur Herstellung der europäischen Einheit gegenseitiges Verständnis für Probleme zu schaffen.

Allen Beteiligten, die die Städtepartnerschaft zwischen Heide und Anklam initiiert und mit Leben gefüllt haben, gilt mein Dank und mein Glückwunsch für 10 Jahre Arbeit und Erfolg.

Mein Wunsch an alle, die im Sinne der Sache gewirkt haben oder noch wirken, ist dieses Engagement jetzt nach Europa zu tragen, damit auch die nächste Vereinigung ein Erfolg für alle Menschen wird.
Herausgeber: Pressestelle des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel, Postf. 7121, 24171 Kiel, Tel.: (0431) 988- Durchwahl -1163, -1121, -1120, -1117, -1116, Fax: (0431) 988-1119 V.i.S.d.P.: Dr. Joachim Köhler, E-Mail:Joachim.Koehler@ltsh.landsh.de. Internet:http://www.sh-landtag.de