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28.09.00
11:40 Uhr
SPD

Lothar Hay zu TOP 10, 11, 12: Rechtsextremismus

Sozialdemokratischer Informationsbrief


Landtag Kiel, 28.09.00
aktuell Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn



Lothar Hay zu TOP 10, 11, 12:
Rechtsextremismus

Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Schleswig-Holsteinische Landtag mit dem Thema Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit auseinandersetzt. Ich erinnere an die Debatte als die rechtsextreme DVU dem Parlament angehörte.

Bei der letzten Landtagswahl hat die NPD gerade 1%. Aber damit genug Stimmen erzielt, um Anspruch auf die Wahlkampfkostenerstattung zu haben.

Nicht die Wählerwirksamkeit rechtsradikaler Propaganda macht uns zur Zeit Sorgen – obwohl auch hier Entwarnung nicht angesagt sein kann. Eine neustrukturierte radikale Rechte mit att- raktiveren Führungspersönlichkeiten könnte in Deutschland ebenso Erfolge erzielen wie sie das in anderen europäischen Ländern bereits getan hat – machen wir uns nichts vor!

Wir haben es heute damit zu tun, dass organisierte und nicht organisierte Rechtsextremisten sich immer stärker in der Öffentlichkeit bemerkbar machen. Durch paramilitärische Aufmär- sche, durch Plakataktionen, und vor allem immer wieder durch verbale und körperliche Gewalt gegen Andersdenkende und gegen Menschen, die nach ihrer Auffassung in dem, was sie un- ter “Volksgemeinschaft” verstehen, nichts zu suchen haben: Ausländer, Obdachlose, Behin- derte und... und... und.

Die Strukturen des rechtsextremen Terrors sind anders, als es die des sich als “links” verste- henden Terrors in den 70er Jahren waren. Durch die RAF und andere sind inSchleswig- 80er den 70er, Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion und SPD-Landesvorstand Verantwortlich: Manfred Schröder Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



und 90er Jahren fast 40 Menschen ermordet worden, durch rechtsextreme Gewalt nach vor- sichtigen Zählungen mittlerweile weit über 100. Es hat Politiker aller Parteien, auch der SPD gegeben, die für ihren Verantwortungsbereich immer nur von bedauernswerten Einzelfällen, aber nie von einer rechtsextremen Grundstimmung gesprochen haben.

Das Problem rechtsextremer Gewalt eskaliert besonders stark in den neuen Bundesländern aber die rechten Aktivisten sind auch in den alten Bundesländern aktiv. Deshalb müssen auch alle alten Bundesländer sich damit auseinander setzen.

Die vom Club 88 in Neumünster ausgehenden Aktivitäten und die Treibjagd gegen den Ge- werkschafter Uwe Zabel in Elmshorn sind die spektakulärsten Ereignisse in unserem Land in jüngster Zeit, jedoch nicht die einzigen.

Der Rechtsextremismus, oder genauer die Rechtsextremisten, sind Produkte unserer Gesell- schaft, und so muss es Aufgabe der Gesellschaft - und als erstes der politisch Verantwortli- chen - sein, sich dieser Herausforderung zu stellen. Rechtsextreme Auffassungen entstehen sowohl durch Verhalten als auch durch Verhältnisse, aber auch durch Ängste von Menschen, die wir durchaus ernst nehmen müssen. Natürlich ist es richtig, dass nationalistische und aus- länderfeindliche Gewalt auch in anderen westeuropäischen Ländern, gefestigten Demokratien also, vorkommen. Doch die jüngere Vergangenheit Deutschlands erlegt uns hier eine beson- dere Verantwortung auf. Wir wissen, mit welcher Sensibilität die Weltöffentlichkeit gerade jetzt auf Deutschland schaut.

Die Fraktionen dieses Hauses sind sich darüber einig, dass es einer Vielzahl von Maßnahmen bedarf, um dem Rechtsextremismus wirkungsvoll entgegenzutreten. Dazu gehören auch Re- pressionen. Ich möchte diese Gelegenheit daher nutzen, denjenigen zu danken, die in den letzten Wochen in Neumünster für eine Schließung des Neonazi-Zentrums Club 88 demonst- riert haben. Ich danke auch den Polizisten und Polizistinnen, die dafür gesorgt haben, dass Demonstrationen und Gegendemonstrationen einigermaßen friedlich abgelaufen sind. -3-



Wir wissen aus zahlreichen Gesprächen, dass es für viele Polizeibeamten eine schmerzliche Zumutung ist, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und auf Demonstration zu schützen und durchzusetzen. Wer dazu nichts weiter zu sagen hat, als den ständig wiederholten Sprechchor: “Deutsche Polizisten schützen die Faschisten!”, hat das Grundprinzip der Demo- kratie nicht verstanden, dass nämlich verfassungsmäßig verbriefte Rechte für alle gelten müs- sen. Es ist die Aufgabe des Staates und seiner Organe, diesen Grundrechten Geltung zu ver- schaffen – und zwar für alle Bürgerinnen und Bürger, egal welcher Gesinnung sie sind. Der Polizei hier Kumpanei mit den Neonazis zu unterstellen, das weise ich aufs Schärfste zurück.

Der Mythos der 50er und 60er Jahre ist seit langer Zeit widerlegt: dass nämlich Rechtsextre- mismus auf die Generation beschränkt sei , die unter dem Nationalsozialismus groß wurde Es sind heute junge Erwachsene und Jugendliche, die als Rechtsextremisten aufmarschieren. Und jeder einzelne Jugendliche, der sich für rechtsextremes Denken geöffnet hat und der sich in rechtsextreme Strukturen hat einbinden lassen, bescheinigt der demokratischen Gesell- schaft ihr Versagen.

Die Gründe dafür, dass ein junger Mensch in Kategorien der “Rassereinheit”, der “Überlegen- heit des deutschen Volkes”, der “Rückkehr zu großdeutschen Grenzen” usw. zu denken be- ginnt, sind vielfältig. Mal spielt das Klima im Elternhaus die entscheidende Rolle, in anderen Fällen überhaupt nicht. Mal ist es das materielle Elend in der Familie und Umgebung, dann wieder begegnen wir in der rechtsextremen Szene Kindern wohlsituierter Eltern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich beruflich etabliert haben.

Wenn es nach unserer Rechtsordnung eine Möglichkeit gibt, die NPD und gleichgerichtete Parteien und Organisationen von der politischen Bühne verschwinden zu lassen, dann sollten wir diese Möglichkeit nutzen. Ein Antrag auf Verbot der NPD ist allerdings nur dann hilfreich, wenn die hierfür vorliegenden Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden diesen Schritt rechtfertigen. Eine Niederlage vor dem Verfassungsgericht würde zu einer Aufwertung der NPD führen. Wir sollten uns aber nicht der Illusion hingeben, dass die Rechtsextremisten da- mit aufhören würden, Rechtsextremisten zu sein oder dass es dadurch weniger rechtsextreme Aktivisten geben würde. -4-



Wir brauchen nicht so sehr neue Maßnahmen, was wir brauchen, ist eine konsequentere Handhabung der rechtlichen Mittel, die es bereits gibt. Es ist zu prüfen, ob Erlasse, Verwal- tungsvorschriften und Ausführungsbestimmungen ergänzt oder geändert werden sollten, damit die Ordnungsbehörden eine noch bessere Handlungsgrundlage für die Bekämpfung von rechtsextremer Gewalt, Gewaltverherrlichung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit haben.

Wir Sozialdemokraten werden aber nicht den populistischen Forderungen nach einer Ver- schärfung von Gesetzen und dem Abbau von demokratischen Grundrechten nachgeben. Dem Ziel der Rechtsextremen, die freiheitlich-demokratische Gesellschaft zu beseitigen, darf nicht Vorschub geleistet werden.

Wichtiger als Verbotsdiskussionen, sind Maßnahmen, die den Rechtsextremen und ihrer Pro- paganda von vornherein den Wind aus den Segeln nehmen. Wir brauchen nicht mehr Angebote der Landeszentrale für politische Bildung. Denn Schüler und Jugendliche, die anfällig für rechtsextremes Gedankengut sind, werden durch politische Bildung gar nicht erreicht. Wichtigstes Feld ist hier die Jugendarbeit, besonders in der Ver- knüpfung von Jugendhilfe und Schule.

Selbstverständliche Dinge vergessen wir zu häufig. Zu oft werden die Opfer rechtsextremer Gewalt oder deren Hinterbliebene mit den Folgen alleingelassen. Manchmal werden sie sogar Gegenstand von behördlicher Schikane. Wenn die Traumatisierung von nicht-deutschen Op- fern als Indiz dafür genommen wird, dass sie nicht in der Lage sind, ihr Leben in Deutschland in den Griff zu kriegen, und sie dann zur Ausreise aufgefordert werden, dann ist etwas faul im Staate Deutschland. Oder wenn die Aufenthaltsgenehmigung für einen Ausländer widerrufen wird, weil sie an den Betrieb einer Gaststätte geknüpft war, die dem Betreiber über den Kopf angezündet wurde, so kann ich verstehen, wenn der Spiegel von einer “einmaligen Arbeitstei- lung von Rechtsextremisten und Behörden” spricht.

Es muss nicht nur staatliche Programme geben, die solchen Opfern helfen. Hier ist die Hilfe der Gesellschaft und das heißt des Einzelnen gefordert. -5-



“Gesicht zeigen” ist eine Aufforderung an uns alle. Das heißt, ausländerfeindlichen Äußerun- gen zu widersprechen, das heißt, friedlich zu demonstrieren und den Rechtsextremen zu zei- gen, dass sie gesellschaftlich ausgegrenzt sind, das heißt, sich mit den Opfern öffentlich und privat zu solidarisieren. Das heißt auch, überall in Städten und Gemeinden Initiativen gegen Rechtsextremisten zu ergreifen und sich gegen ihre Aktivitäten zur Wehr zu setzen. Der Landtag kann und muss Initiativen anregen, aber er kann sie nicht ersetzen. Ich freue mich, dass wir fraktionsübergreifend zu einer gemeinsamen Resolution gekommen sind.

Wir hoffen sicher gemeinsam, dass das breite Engagement für Toleranz gegen Rechtsextre- mismus und Ausländerhass kein Strohfeuer ist. Wir müssen und werden das unsere dazu tun.