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06.09.00
15:54 Uhr
B 90/Grüne

Irene Fröhlich: GRÜNE legen Landtagsantrag zum Rechtsextremismus vor

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene.ltsh.de

Nr. 193.00 / 06.09.2000


GRÜNE legen eigenen Resolutionsentwurf gegen die Gefahr von Rechts vor: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ächten – das liberale und weltoffene Klima im Land stärken!
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird zur nächsten Tagung des Landtages ei- nen Antrag für eine Resolution gegen die Gefahr von Rechts einbringen. Dies kündigte heute die Stellvertretende Vorsitzende und innenpolitische Sprecherin der Fraktion, Ire- ne Fröhlich, an. Sie betonte, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für Gespräche mit den anderen Landtagsfraktionen über eine gemeinsam Resolution offen seien.
Die GRÜNEN sehen die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr, wenn Men- schen, die anders sind als die Mehrheit der Bevölkerung, sich nicht mehr gefahrlos in Deutschland bewegen können. Dies sei angesichts von mehr als 10.000 rechtsextremis- tisch und rassistisch motivierten Straftaten im Jahr – bei einer hohen Dunkelziffer – der Fall. Rechtsextreme Einstellungen seien heutzutage bis in der Mitte der Gesellschaft zu finden – und nicht nur bei verwirrten Jugendlichen, sondern auch bei vielen Erwachse- nen.
Mitverantwortlich für dieses gesellschaftliche Klima seien die fatalen Signale, die in der Auseinandersetzung um die drastische Einschränkung des Asylrechts 1994 gesetzt wurden. Wer auch heute noch wie der bayerische Ministerpräsident Stoiber eine „natio- nale Politik“ fordere, wer um kurzfristiger politischer Erfolge willen Kampagnen wie ge- gen die „Doppelte Staatsbürgerschaft“ betreibe oder Parolen wie „Kinder statt Inder“ ausgebe, trage die Mitverantwortung für solche rechtsextremistischen Haltungen. Not- wendig sei endlich ein klares Bekenntnis aller politischen Kräfte, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Der Landtag soll sich daher für die schnelle Verabschiedung ei- nes Einwanderungsgesetzes und für eine humanere Asylpolitik aussprechen. Kurzfristig müsse auch durch Verbote von Organisationen und Parteien das Netzwerk rechtsextremer Gewalt zerstört werden; die Landesregierung solle daher ein Verbot des „Bündnis Rechts“ in Lübeck und des „Pinneberger Sturms“ prüfen. Wichtiger noch aber sei es, Menschen, die von der häufigen Schwerfälligkeit und Undurchschaubarkeit de- mokratischer Entscheidungsprozesse enttäuscht sind, für die Demokratie zurückzuge- winnen. Der Antrag der GRÜNEN fordert daher eine Ausweitung der erfolgreichen De- mokratiekampagne für Kinder und Jugendliche, die frühestmögliche Information und Be- teiligung von Betroffenen an Planungen der Kommunen und des Landes sowie eine Vereinfachung und Ausweitung der Kompetenzen für Initiativen aus dem Volk. Auch der Bund, so die Forderung der GRÜNEN, müsse endlich Volksinitiativen und Volksabstim- mungen ermöglichen, wie es Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes seit Gründung der Bun- desrepublik Deutschland vorsieht.
***
Anlage: Landtagsantrag Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gegen die Gefahr von Rechts: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ächten - Das liberale und weltoffene Klima im Land stärken!
Der Landtag wolle beschließen:
1999 wurden in Deutschland mehr als 10.000 rechtsextremistisch und rassistisch motivierte Straftaten begangen. In Schleswig-Holstein wurden im vergangenen Jahr über 400 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund gezählt. Die Dunkelziffer der hier nicht erfassten und etwa als "gewöhnliche Kneipenschlägerei" verharmlosten Gewalttaten ist groß. Die Zahl der Internetseiten mit faschistischem Inhalt hat sprunghaft zugenommen, bis hin zur Veröffentli- chung von direkten Drohungen und sogenannten Todeslisten gegen Menschen, die Neona- zis ein Dorn im Auge sind. Es gibt inzwischen Gegenden, in denen sich diejenigen, die zu den potentiellen Zielgruppen dieser rechten Gewalthetze gehören, nicht mehr frei bewegen können, ohne um ihre Gesundheit oder gar ihr Leben zu fürchten: Alle, die scheinbar nicht- deutscher Herkunft sind, ebenso wie Behinderte, Obdachlose, Punker oder Schwule und Lesben.
Wenn Menschen, die anders sind oder anders wirken, als die Mehrheit der Bevölkerung, sich nicht mehr gefahrlos in Deutschland bewegen können, ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr. Es ist die gemeinsame Aufgabe aller Demokratinnen und Demokra- ten, den Wert der Gleichheit aller Menschen gegen Angriffe auf die persönliche Freiheit zu verteidigen. Der Schutz der Verfassung ist nicht allein die Aufgabe des Staates, sondern der gesamten Gesellschaft. Der Landtag ruft alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes auf, jetzt deutlich zu machen, dass ein Klima von Hass und Gewalt nicht geduldet wird.
Der Landtag begrüßt, dass die Landesregierung die Bekämpfung des Rechtsextremismus zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machen wird und als ersten Schritt am 22. August einen um- fassenden Maßnahmenkatalog verabschiedet hat.
Das gesellschaftliche Klima verändern Rechtsextreme Einstellungen finden wir heute bis in der Mitte der Gesellschaft: Weit über zehn Prozent der Bevölkerung vertreten rechtsextreme Meinungen. Diese sind nicht nur Ein- stellungen von verwirrten Jugendlichen, sondern häufig Folge unreflektierter Äußerungen und Haltungen gerade auch von Erwachsenen.
Bis heute wirken im gesellschaftlichen Klima unseres Landes die fatalen Signale, die in der Auseinandersetzung um die drastische Einschränkung des Asylrechtes 1994 gesetzt wurden. Wer davon spricht, „Ausländerfluten einzudämmen”, „Asylschwindler und Asyltouristen ab- zuwehren” oder dass „das Boot Deutschland voll ist”, wer auch heute noch eine „nationale Politik“ fordert, der schürt Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Wer das gesellschaftliche Klima um kurzfristiger politischer Vorteile willen mit solchen oder ähnlichen Tönen in Wahl- kämpfen – z.B. durch die Instrumentalisierung des Themas „Doppelte Staatsbürgerschaft“ oder die Parole „Kinder statt Inder“ - vergiftet, trägt auch Mitverantwortung für politische Fol- gen.
Um den Rechtsextremismus erfolgreich zu isolieren und zurück zu drängen, muss in Deutschland ein breiter gesellschaftlicher Konsens gegen Rassismus und Fremdenfeindlich- keit hergestellt werden. Der schleswig-holsteinische Landtag wird daher zur Gründung eines “Bündnis für Toleranz und Zivilcourage” einladen, mit dem Fremdenfeindlichkeit und Gewalt dauerhaft entgegen getreten werden soll.
Deutschland ist ein Einwanderungsland Der schleswig-holsteinische Landtag spricht sich für die baldige Beschlussfassung eines Ein- wanderungsgesetzes aus, das Menschen, die in Deutschland leben und arbeiten wollen, eine dauerhafte und sichere Perspektive ermöglicht.
Die Normalität der Einwanderungsgesellschaft muss sich auch in der öffentlichen Verwaltung widerspiegeln. Der Landtag bittet die Landesregierung und die Kommunen in Schleswig- Holstein um verstärkte Anstrengungen, den Anteil von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mern nichtdeutscher Herkunft auf Arbeits- und Ausbildungsstellen im öffentlichen Dienst in den nächsten Jahren kontinuierlich zu steigern.
Der Landtag spricht sich gegen jede weitere Einschränkung des Rechts auf politisches Asyl aus. Er sieht vielmehr humanere Prüfungskriterien für Asylverfahren, eine wirkungsvolle Alt- fallregelung, eine taugliche Härtefallregelung, die Abschaffung des Flughafenverfahrens für unbegleitete Kinderflüchtlinge und die Aufhebung des Arbeitsverbotes für Flüchtlinge im A- sylverfahren als dringend erforderlich an.
Das Netzwerk rechtsextremer Gewalt zerstören Rechtsextreme Einstellungen lassen sich nicht verbieten, sondern nur langfristig durch die gesellschaftliche Auseinandersetzung verändern. Ihnen muss vor allem in der Breite der Ge- sellschaft mit Zivilcourage und der Vermittlung der demokratischen Werte einer toleranten und solidarischen Gesellschaft begegnet werden. Verbote rechtsextremer Organisationen und Parteien können jedoch unter Umständen eine sinnvolle Maßnahme zur Zerstörung or- ganisatorischer Infrastruktur, die der Vorbereitung oder Durchführung von Straftaten dient, darstellen. Der Landtag bittet daher die Landesregierung, alle Fakten, die ein mögliches Ver- bot rechtsextremistischer Vereine wie des „Bündnis Rechts“ in Lübeck, des „Pinneberger Sturms“ und weiterer Organisationen untermauern können, gezielt zu sammeln und auszu- werten, ihr Verbot zu prüfen und dem Landtag darüber Bericht zu erstatten.
Der Landtag begrüßt die Verbotsverfügung der Stadt Neumünster gegen den rechtsextremen „Club 88“ und sichert ihr jede erforderliche Unterstützung bei der anstehenden juristischen Auseinandersetzung zu. Jugendliche für die parlamentarische Demokratie gewinnen Viele der erschreckenden rassistischen Übergriffe werden von jungen Menschen verübt. Jetzt gilt es, die präventive Arbeit gegen den wachsenden Rechtsextremismus auszubauen und bestehende staatlich geförderte Projekte auf ihre inhaltliche Wirksamkeit zu überprüfen. In der Schule, der Jugendarbeit und dem Wehr- und Zivildienst müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, junge Menschen über die Gefahren zu informieren, die von den ultra-rechten Gruppen und Parteien für unsere Demokratie ausgehen. Städte, Länder und Gemeinden sind gefragt, ihre Anstrengungen zu verstärken, damit Jugendliche und junge Erwachsene nicht erst in die Mühlen rechtsextremer Bewegungen abrutschen. Der Kooperation von Jugendhilfe und Schule kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu.
Schleswig-Holstein ist bundesweit Vorreiter bei der Beteiligung von Kindern und Jugendli- chen an kommunalen Entscheidungen. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, diese erfolgreiche Demokratiekampagne auszuweiten.
Zivilgesellschaftliches Engagement fördern Wir müssen anerkennen, dass viele Jugendliche und Erwachsene von der häufigen Schwer- fälligkeit und Undurchschaubarkeit demokratischer Entscheidungsprozesse enttäuscht und abgeschreckt werden und sich deshalb autoritären Konfliktlösungen und Herrschaftsformen zuwenden. Wir, die Abgeordneten des schleswig-holsteinischen Landtages, wollen alle Mög- lichkeiten nutzen, diese Menschen für die parlamentarische Demokratie zurück und für zivil- gesellschaftliches Engagement zu gewinnen. Dies wollen wir u.a. erreichen durch • die frühestmögliche Information und Beteiligung der Betroffenen an Planungen der Kom- munen und des Landes • eine maximale Transparenz behördlicher Entscheidungen und ein umfassendes Akten- einsichtsrecht • eine Vereinfachung und Ausweitung der Kompetenzen für Initiativen aus dem Volk
Der schleswig-holsteinische Landtag spricht sich für die Verabschiedung einer gesetzlichen Grundlage für Initiativen aus dem Volk und Volksabstimmungen auch auf Bundesebene noch in dieser Wahlperiode des Deutschen Bundestages aus.
Wir nehmen die Herausforderung an Die Bundesrepublik ist das freiheitlichste Staatswesen, das es je in Deutschland gegeben hat. Wir nehmen den Kampf gegen diejenigen, die wie bereits 1933 die Demokratie erneut zerstören und durch einen Führerstaat ersetzen wollen, entschlossen auf. Der Landtag spricht sich für die konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze aus, lehnt aber jede Einschränkung von Grundrechten wie das der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ab. Wir sind zutiefst davon überzeugt, den Kampf gegen diejenigen, die Fremdenfeindlichkeit und Hass gegen Andersdenkende schüren, allein mit den Mitteln des Rechtsstaates gewinnen zu können.
Irene Fröhlich und Fraktion