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12.07.00
15:16 Uhr
SPD

Gisela Böhrk zu TOP 16, 19 u. 29: Ostseekooperation

Sozialdemokratischer Informationsbrief


Landtag Kiel, 12.07.00
aktuell Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn



Gisela Böhrk zu TOP 16, 19 und 29:

Ostseekooperation


Die Ostseekooperation ist von Beginn an eine Erfolgsgeschichte. Sie ist ein Beispiel dafür, wie aus einer Vision durch praktische Politik eine neue Zu- kunft entsteht.

Björn Engholm hat die Idee einer gemeinsamen Ostseeregion in den 80er Jahren ent- wickelt und Schleswig-Holstein geostrategisch positioniert als der „Süden des Nor- dens“, als Tor zu einer neuen, wirtschaftlich und kulturell prosperierenden Region mit unendlichen Wachstumspotentialen im Norden wie im Osten im neuen Informations- technologiezeitalter und erste praktische Schritte eingeleitet:

Die A20 als Teil einer baltischen Magistrale. Die Einrichtung von Ostseebüros. Kulturelle Kooperation durch Ars Baltica und Jazz Baltica.

Heide Simonis und Gerd Walter haben - unterstützt von allen Fraktionen - Schritt für Schritt Konzepte und Kooperationsprojekte in Gang gesetzt:

Dies ist eindrucksvoll in dem exzellenten Ostseebericht dargelegt.
Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion und SPD-Landesvorstand Verantwortlich: Manfred Schröder Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



Die verschiedensten Verbände und Institutionen einschließlich der Hochschulen des Landes - haben Kooperationsnetzwerke geknüpft und damit Kontakte und Unterstüt- zungsprojekte vorangetrieben. Den NGO’s verdankt Schleswig Holstein wesentlich seinen Ruf als „Motor der Ostseekooperation“.

Und last not least hat das Parlament über die Ostseeparlamentarierkonferenz begon- nen, Regierungshandeln zu begleiten und aktiv mit zu gestalten. Ostseekooperation ist ein großes gemeinsames Anliegen in unserem Land.

Aber es gibt auch Defizite - weniger bei den Konzepten , als bei der Umsetzung be- schlossener Konzepte.

Bei der A20 gibt es derzeit keine Entscheidung über die Weiterführung Richtung Os- ten. Polen scheint eher geneigt, der Südanbindung nach Berlin den Vorrang zu geben. Die Umsetzung der Vereinbarungen zur Grenzabfertigung „haken“ Den verschiedenen Aktivitäten mangelt es nicht selten an Koordination. Prioritäten- setzungen sind schwer auszumachen. Das kleine Sekretariat des Ostseerates in Stockholm ist mit den übertragenen Aufga- ben überfordert und nicht genügend verzahnt mit den „NGO’s“, die die Kooperation wesentlich tragen. Die Versammlung unter einem Dach würde die Arbeit effektivieren.

Es gibt auch strategische Mängel:

In Brüssel fühlt sich kein Kommissar für die Ostseeregion zuständig. Die Vertretung von Ostseeinteressen geschieht eher individuell über die Einzelstaaten als abgestimmt mit dem Gewicht der ganzen Region.

Es ist derzeit nicht klar, ob die Ostseeanrainerstaaten, die skandinavischen wie die baltischen, aber auch die Bundesregierung, Ostseekooperation wirklich als strategi- sche Orientierung im größer werdenden Europa verstehen, als „Region Bildung“, als Entwicklung eines Raumes, einer Region, die Einflußfaktor im wachsenden Europa ist. -3-



Ostseekooperation ist mehr ist als historische Wiedergutmachung oder der Aufbau bi- oder multilateraler Wirtschaftsbeziehungen. Sie ist keine historische Reminiszenz. Es geht vielmehr um den Aufbau einer konkurrenzstarken , wettbewerbsfähigen Region, deren Stimme im größer werdenden Europa gehört wird.

In den nächsten 10 Jahren fallen die Entscheidungen über die Neuverteilung von Wa- ren und Handelsströmen. Die Ostseeregion kann - gestützt auf das dichte Netz von Universitäten und Hochschulen und einem relativ hohen Bildungsniveau seiner Bürge- rinnen und Bürger - eine Spitzenregion in der europäischen Informationsgesellschaft werden.

Die einzelnen Teilstaaten werden dies allein schwer schaffen können. Sie werden in der wachsenden Konkurrenz der Märkte und im Kampf um - auch europäische - Chan- cen nur so stark sein können, wie sie zu gemeinsamen Aktionen, zu einer gemeinsa- men Stimme in fähig sind.

Die Ostseekooperation ist auch nicht mit der Osterweiterung der Europäischen Union erledigt. Im Gegenteil: Je größer die Konkurrenz , je mehr Märkte, desto bedeutender wird die Ostseekooperation, wenn die Ostseeanrainer sich als gemeinsame Region in Gesamteuropa positionieren wollen.

Der Ostseerat kann zum weiteren Voranschreiten eine politische Führungsrolle über- nehmen:

Der Bundesregierung in der Führung des Ostseerates hat dabei eine Schlüsselfunkti- on: Zum 1. Mal hat man den Eindruck, daß in Berlin die Bedeutung des Ostseeraumes verstanden worden ist.

Der Testfall für die Frage, ob Region Bildung von der Bundesregierung verstanden und aufgegriffen wird, ist die Brücke über den Fehmarnbelt. -4-



Sie ist, ein Schlüsselprojekt der Ostseekooperation, ein nationales Projekt, nicht ir- gendeine Brücke, die lokale Beschäftigung verdrängen kann. Sie ist ein Symbol für den Aufbruch, für das Annehmen der Herausforderungen und Chancen, die durch das größere Europa für die Ostseeanrainer entstehen.

Schleswig-Holstein, die Landesregierung und alle Fraktionen in diesem Landtag wer- den dieses Zukunftsprojekt stützen und auf seine Verwirklichung drängen.

Wo findet sich unser Land nun im Wettbewerb innerhalb der Ostseeregion? Unser Land hat damit begonnen, seine Position in der Ostseeregion zu stärken. Unsere Einbindung und die konkreten Kontakte in mit dem südlichen Skandinavien, unsere wirtschaftliche und technologiepolitische Ausrichtung auf IT-Technologien und die Informationsgesellschaft schaffen die Voraussetzung, an der boomenden Öresund- region mitzuwirken und teilzuhaben. Es macht Sinn, die Achse nach Berlin und Ham- burg fortzuführen und Sönderjylland und das südliche Norwegen einzubeziehen.

Risiken

Die Ostseepolitik ist ein konkreter politischer Ansatz zur Einbeziehung Rußlands in- nerhalb der regionalen Kooperationsnetze. Insbesondere der Aktionsplan zur Nördli- chen Dimension eröffnet Chancen der praktischen Erprobung der Zusammenarbeit Rußlands bzw. einzelner Regionen mit der EU.

Es ist aber derzeit nicht ausgemacht, wie die EU ihr Verhältnis zu zu Rußland praktisch gestalten will.

Die zweifellos notwendigen Reform der Europäischen Institutionen und Verfahrens- weisen können zu einer Dynamik im sogenannten Kerneuropa führen, mit dem die Bei- trittskandidaten nicht Schritt halten können. Die Osterweiterung darf aber nicht jahr- zehntelang aufgeschoben werden, weil die Entwicklungsrückstände nicht kleiner, son- dern größer werden. -5-



Eine Nachrangigkeit der Osterweiterung hinter der Reform der Institutionen würde neue Trennlinien aufbauen, die sich in sozialen Spannungen und wirtschaftlichen Problemen insbesondere an der deutschen resp. europäischen Ostgrenze nieder- schlagen könnten.

Reformprozeß und Osterweiterung müssen Zug um Zug verwirklicht werden, damit nicht die unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten von Kerneuropa und Bei- trittskandidaten deren Kandidatenstaates zum Nimmerleinstag verlängert.

Ich halte es für die Bundesrepublik Deutschland für entscheidend, daß sie in der Eu- ropäischen Union - gegen die traditionelle Westorientierung - die Interessen der osteu- ropäische Staaten vertritt. Auch und gerade bei der Entscheidung über die Schrittfolge im Reformprozeß der EU. Das ist auch von Bedeutung für die Politik gegenüber Ruß- land.

Ob Rußland sich geostrategisch eher westlich orientiert oder östlich, kann uns nicht egal sein. Kaliningrad und der Aufbau von Kooperationsbeziehungen zu den russi- schen Regionen ist eine konkrete praktische Chance. Sie muss durch nationale und europäische Politik gestützt werden.

Ich glaube, es ist Zeit für die eine neuen Ostpolitik. Wer, wenn nicht die deutsche Bundesregierung, sollte sie formulieren? Ich würde mir wünschen, daß die Bundesre- gierung den Vorsitz im Ostseerat auch für solche Überlegungen nutzt.