Rede des Landtagspräsidenten
D E R L A N D T A G SCHLESWIG HOLSTEIN M I T T E I L U N G E N41/2000 Kiel, 28. März 2000Landtagspräsident Heinz-Werner Arens: Konsensorientierte Politik wird notwendiger denn je Kiel (SHL) – Anlässlich seiner Wiederwahl zum Präsidenten des Schleswig-Holsteini- schen Landtages erklärte Heinz-Werner Arens in seiner Rede vor dem Landtag u.a.: Dieses Wahlergebnis kommt nicht ganz unerwartet. In seiner Deutlichkeit ist es aber keine Selbstverständlichkeit. Umso mehr habe ich Anlass, mich bei Ihnen für diesen Ausdruck der In-die-Pflichtnahme und des Vertrauens zu bedanken. Es ehrt mich auch deshalb, weil die meisten von Ihnen bereits aus der abgelaufenen Legislaturperiode wissen, was sie sich mit meiner Wiederwahl einbrocken. Ich sichere Ihnen allen zu, dass ich mich auch in den kommenden Jahren um eine Amtsführung bemühen werde, die im Auftreten und Wir- ken dem Anspruch aller Fraktionen voll Rechnung trägt, ohne je zu leugnen, in welchem politischen Lager ich selbst zu Hause bin. Ich freue mich, um noch einmal auf den 27. Feb- ruar zu blicken, dass Gottseidank – oder besser: den Wählerinnen und Wählern sei es ge- dankt – unserem Parlament keine rechtsextremistische Gruppierung angehört, und ich deshalb meine Zusicherung, alle Fraktionen in diesem Haus nach innen und außen zu ver- treten, auch mit keinerlei Einschränkung versehen muss. Unser Parlament hat 89 statt 75 Abgeordnete. Und in der neuen Legislaturperiode wird es umfangreiche Baumaßnahmen geben. Dies wird Ihre Arbeit nicht erleichtern. Dies bedeu- tet zwangsläufig Zusammenrücken. Nach dem guten organisatorischen Start in den ersten Wochen bin ich aber ganz zuversichtlich, dass wir das gemeinsam schaffen werden. Herausgegeben von der Pressestelle des Schleswig- Holsteinischen Landtages in 24105 Kiel, Landeshaus; 24171 Kiel, Postfach 7121; Tel. (0431) 988 Durchwahl App. 1120 bis 1125 und 1116 bis 1118 Fax (0431) 988 1119 V.i.S.d.P. Dr. Joachim Köhler Internet:http//www.sh-landtag.de Über den Presseticker können die Pressemitteilungen auch per E-Mail direkt abonniert werden. e Mail:Joachim.Koehler@ltsh.landsh.de -2-Ich will den fairen Umgang miteinander aber nicht nur organisatorisch, ich will ihn auch inhaltlich verstehen. Dabei denke ich, dass wir angesichts der gewaltigen politischen Herausforderungen, die vor allem durch ein enormes Tempo von Veränderungen und Entwicklungen geprägt sind, an der Ver- besserung des Debattenstils arbeiten müssen.Die parlamentarische Kunst des Zwischenrufs ist in diesem Haus weit entwickelt, die Kul- tur des Zuhörens, der inhaltlichen Auseinandersetzung ist auf jeden Fall noch verbesse- rungsfähig. Hierbei bitte ich um Ihrer aller Unterstützung. Dieses ist natürlich auch ein Sig- nal nach außen: Das Signal, dass wir – bei aller Anerkenntnis der Notwendigkeit des poli- tischen Wettbewerbs – wirklich um die besten Lösungen ringen. Jedes der an den Besuch einer Landtagssitzung anschließenden Gespräche mit Abgeordneten, für deren Bereit- schaft ich Ihnen danke, hatte in der vergangenen Legislaturperiode immer ein zentrales Thema: das Verhalten der Abgeordneten während der Plenardebatten. Mit einer Verbes- serung unserer Debattenkultur könnten wir auch eine Veränderung in der Prioritätenliste der Themen in unseren Besuchergesprächen bewirken!Eines ist gewiss: Wenn wir zeigen, dass wir einander ernst nehmen, dann werden wir auch von den Bürgerinnen und Bürgern, die uns sozusagen bei der Arbeit zusehen, ernst ge- nommen. Politikverdrossenheit ist, das müssen wir zur Kenntnis nehmen, in ihrem Kern auch ein ganzes Stück Politikerverdrossenheit. Wir haben unsere eigene Verantwortung für dieses Phänomen zu erkennen und anzunehmen. Zugleich aber muss sich auch jede Bürgerin und jeder Bürger dieses Landes die leider etwas aus der Mode gekommene Frage stellen: In welchem Maße bin ich selbst bereit, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen? Worin besteht mein Engagement für die Gemeinschaft?Ich bin der festen Überzeugung, dass die Politik nicht die alleinige Verantwortung für unser Gemeinwesen tragen kann. Funktionieren kann die demokratische Gesellschaft vielmehr nur dann, wenn alle ihr Stück beitragen. Es wird zu häufig vergessen, dass Demokratie ein Prozess und eine Vision zugleich ist, die wir ständig anzustreben haben, deren idealtypi- sches Ergebnis wir möglicherweise nie ganz erreichen werden, dem wir uns mit Aussicht auf Erfolg nur in dem Maße nähern können, in dem sich alle Bürgerinnen und Bürger als aktive Teile dieses Prozesses verstehen.Dabei, das gestehe ich gerne zu, haben diejenigen, die Politik als Beruf betreiben, eine erhöhte Verantwortung zu tragen und entsprechend vorbildlich zu agieren. Als Berufspoliti- kerinnen und -politiker müssen wir uns bewusst sein, das für uns die „Big-Brother- Bedingungen“ in gewissem Sinn schon lange gelten: für uns ist das Stehen im Blickpunkt der Öffentlichkeit, das heißt in öffentlicher Beobachtung, selbstverständlicher Teil unseres Berufes, der öffentlicher Auftrag ist.Erschwerend kommt hinzu, dass unser Berufsbild durchaus nicht klar umrissen ist. Auf- grund meiner langjährigen Erfahrung als Abgeordneter kann ich aber einwandfrei feststel- len: Es wird von uns viel verlangt - und dieser Erwartung können wir nur gerecht werden, -3-wenn wir uns einem harten Arbeitsprozess unterziehen. Das gilt es festzustellen, nicht zu beklagen, denn wir haben uns dieser Verpflichtung freiwillig gestellt. Zugleich aber ist die Problemlösungskompetenz in dieser hochkomplexen Gesellschaft nicht allein bei der Politik angesiedelt. „Politik ist viel, aber nicht alles“ - das wusste bereits Theodor Fontane. Oft genug hat der politische Sektor eher eine moderierende Funktion, gibt Anstöße, setzt Initialzündungen in Gang. Ohne die Bereitschaft in Wirtschaft und Ge- sellschaft aber, notwendige Veränderungen auch durchzuführen, kann das alles nicht funk- tionieren. In den Fällen des Misslingens wird gerne mit dem Finger auf die Politik gezeigt. Wir werden sozusagen dafür bezahlt, die Schuld an Fehlentwicklungen zu übernehmen. Das bringt uns aber allesamt nicht weiter.Als Mitglieder verschiedener und konkurrierender politischer Parteien unterliegen wir selbst oft genug der Vorstellung, nur der eigene politische Plan sei der geniale, während alle anderen sich zweifelsfrei auf dem Holzweg befänden. In Wahrheit wissen wir aber zugleich aus der parlamentarischen Praxis, dass uns die politische Diskussion oft genug auch zu einem Konsens in der Sache führt. Ein Beispiel dafür, dass dies mitunter sogar in Wahlkampfzeiten gelingt, ist das Datenschutzgesetz gewesen, das wir noch im Januar einstimmig im Landtag beschlossen haben. Dies ist nach meiner Auffassung der Idealfall der demokratischen Meinungsbildung, den wir in Zukunft eher öfter als in der Vergangen- heit brauchen und anstreben müssen, auch wenn das in der öffentlichen Berichterstattung kaum Anerkennung finden wird. Das mag mit daran liegen, dass in der Medienberichter- stattung politische Harmonie als geballte Langeweile, Streit dagegen als interessant und seitenfüllend rüberkommt. Und das, obwohl die Bürgerinnen und Bürger nachweislich ge- nervt sind von dauernden Streitigkeiten in der Politik.Aber: Politische Realität ist in der Gegenwartsgesellschaft zu einer Medienrealität gewor- den. Sie unterliegt damit zunehmend auch den Gesetzen der Unterhaltungsindustrie. Wer heute Aufmerksamkeit erheischen will, muss sich den Bedingungen der „Eventgesellschaft“ stellen. Das war wohl auch der Grund, warum sich in Lübeck Pastoren von der Kirche abseilten: Sie wollten die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine gute Sache ziehen, was ihnen wohl auch gelungen ist.Aber ich frage mich und ich frage Sie: Was, um Bürgers willen, sollen wir denn bloß bieten, damit die Menschen in politische Versammlungen gehen, statt sich mit der Fernsehbe- richterstattung zu begnügen? Ja, gut, es gab auch politische Events wie das demonstrative Baden in verschmutzten Gewässern oder das kollektive Verzehren britischen Rindflei- sches. Aber im Großen und Ganzen sollte sich die Politik ihres sachlichen und ernsthaften Charakters nicht selbst berauben.Bei aller Inszenierung darf der Kern unserer Arbeit nicht in Vergessenheit geraten, sonst geraten wir in allzu enge Konkurrenz mit Schauspielern und Entertainern. Daran kann uns nicht gelegen sein. Damit appelliere ich zugleich an die Medien - und ich bitte zu beachten: ich appelliere, Politik hat hier nicht zu fordern - , sich ihrer Verantwortung für die Gesell- schaft bewusst zu sein. Es ist jedenfalls nicht glaubwürdig, ein gesunkenes Niveau in der Politik zu beklagen, wenn man durchaus auch selbst Anteil an dieser Senkung hat. -4-Nun aber noch einmal zurück zu unseren gemeinsamen politischen Aufgaben. Als Parla- mentspräsident tut man gut daran, sich insbesondere in den Bereichen zu engagieren, die im Parlament auf hochgradigen Konsens stoßen. Dies ist zweifellos der Fall bei der Ost- seekooperation und in den Fragen der Minderheitenpolitik. Auf diesen Feldern werde ich mich also mit Ihrem Einverständnis besonders engagieren, um in den kommenden fünf Jahren wieder ein gutes Stück voran zu kommen.Wir werden uns als Bundesland im europäischen Einigungsprozess nur dann wirksam be- haupten können, wenn wir durch enge Kooperation mit den Ostsee-Anrainern eigene Ak- zente setzen. Die parlamentarische Zusammenarbeit hat dabei einen besonderen Stellen- wert. Ich meine, wir sind allesamt gut beraten, wenn wir aktiv die Kooperation stärken. Hier können wir als Landesparlament Akzente setzen und Projekte in Gang bringen, die den Standort Schleswig-Holstein stärken werden.Wir sind gewählt worden, um in Verantwortung für das Land und seine Menschen Politik zu machen. Wir haben durch unsere Arbeit einen wichtigen Anteil daran, wie der schleswig- holsteinische Teil der Welt morgen aussieht. Wie wir unsere politische Arbeit gestalten und vermitteln trägt erheblich dazu bei, dass Bürgerinnen und Bürger sich ermuntert fühlen wer- den, sich aktiv am politischen Geschehen zu beteiligen. Wir wollen gemeinsam Politik nicht nur für die Menschen, sondern vor allem auch mit den Menschen machen. Ich habe mich in den letzten Jahren insbesondere darum bemüht, Jugendliche und Ihre Probleme anzuspre- chen, dort wo sie sind, in Schulen, Jugendzentren etc., oder hier im Landeshaus durch ver- schiedene Veranstaltungen und Veranstaltungsformen. Ich will in den kommenden Jahren in diesem Bemühen nicht nachlassen. Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, den Fa- den zwischen Jugend und Politik wieder stärker zu knüpfen!Als Präsident dieses Landtages sehe ich mich in der Pflicht, einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung der Landtagsarbeit nach draußen zu leisten. Ich hoffe und weiß zugleich, dass Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mich darin unterstützen werden. Dafür bedan- ke ich mich schon jetzt bei Ihnen!