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12.01.00
15:02 Uhr
SPD

Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Lothar Hay zur Festveranstaltung 50. Jahrestag der Landesverfassung

Sozialdemokratischer Informationsbrief Kiel, 12.01.2000



Lothar Hay
Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion



Rede zur Veranstaltung „Festakt zum 50. Jahrestag des Inkrafttretens der Landessatzung“ am 12.01.2000



Sperrfrist: Redebeginn Es gilt das gesprochene Wort


Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion und SPD-Landesvorstand Verantwortlich: Sven-Hauke Kaerkes Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1309 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



50 Jahre Landessatzung Schleswig-Holstein ist aus Sicht der sozialdemokratische Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag ein Anlaß zum Rückblick auf einen wichtigen Baustein, wenn nicht sogar den Grundstein der demokratischen Entwicklung in unserem Land, an des- sen Gestaltung wir über die Jahrzehnte in der parlamentarischen Arbeit mitwirken durften.

Die Entstehung der Landessatzung in den Jahren 1948 bis 1949 unter den sozialdemokrati- schen Landesregierungen der Ministerpräsidenten Hermann Lüdemann und Bruno Diekmann war bestimmt von den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit und den Anforderungen der wieder entstandenen Demokratie in einem Land, dessen Lebensfähigkeit und Zukunft als ei- genständiges Mitglied der Bundesrepublik Deutschland damals mehr als zweifelhaft war.

Die Erinnerung an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft war noch gegenwärtig, viele der an dem Gesetzeswerk beteiligten Parlamentarier hatten selbst unter ihr gelitten.

Stellvertretend für viele sei hier der damalige sozialdemokratische Innenminister Wilhelm Kä- ber genannt, aus dessen Feder der Regierungsentwurf der Landessatzung stammte.

Wilhelm Käber hatte die tiefgreifenden politischen Veränderungen in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg vom Ende des Kaiserreiches über die Gründung der Weimarer Republik bis zur Beseitigung der Demokratie durch die Nationalsozialisten selbst erlebt.

Ebenso wie das nahezu gleichzeitig entstandene Grundgesetz war auch der Entwurf der Lan- dessatzung von diesen geschichtlichen Erfahrungen geprägt.

So sollte die starke Stellung des Ministerpräsidenten in den Artikeln 21 und 24 sowie die Ein- führung eines konstruktiven Mißtrauensvotums in Artikel 30 eine Destabilisierung der Regie- rung wie in der Weimarer Republik verhindern. Elemente einer unmittelbaren Demokratie wa- ren wegen der Möglichkeit des demagogischen Mißbrauches nicht vorgesehen. Die Einfüh- rung eines Notverordnungsrechtes wurde ebenfalls wegen der Mißbrauchsgefahr abgelehnt. Zu deutlich waren noch die Erinnerungen an die sog. „Reichstagsbrandverordnung“, mit der Hitler 1933 die Weimarer Reichsverfassung außer Kraft setzte und damit den Beginn der sy- stematischen politischen Verfolgung in Deutschland einleitete. -3-



Die Rahmenbedingungen für den demokratischen Neuanfang in Schleswig-Holstein waren denkbar schwierig. Das Land war überfüllt mit Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten. Die Integrationskraft der notleidenden Bevölkerung war weit überfordert. Im nördlichen Lan- desteil setzte eine Orientierung der Bevölkerung zur dänischen Volksgruppe ein, die zu erheb- lichen Spannungen im Grenzland führte.

Anläßlich der ersten Lesung des Regierungsentwurfes zur Landessatzung am 24. Oktober 1949 beschrieb Wilhelm Käber die Situation des Landes wie folgt:

„...Schleswig-Holstein ist in seinem sozialen Gefüge das meist belastete, nach seinem Steueraufkommen das ärmste, nach seiner geographischen Lage das abgelegenste und als Grenzland das von Volks- und kulturpolitischen Auseinandersetzungen am meisten in Mitleidenschaft gezogene Land der Bundesrepublik Deutschland....“

(Plenarprotokoll 1. Wahlperiode 1947-1950 26. Tagung 24./25.10.1949 S. 48)

Der schließlich am 13. Dezember 1949 verabschiedeten Landessatzung fehlte angesichts die- ser Perspektiven für das junge Bundesland Schleswig-Holstein auch jener inhaltliche und stili- stische Glanz, den eine Verfassung oftmals auszeichnet. Sie hatte vielmehr den puristischen Charakter eines an der Gewaltenteilung orientierten Organisationststatuts der Staatsgewalt. Sie beschränkte sich auf das Wesentliche und verzichtete auf jede weiteren Inhalt, der nicht unmittelbar der Definition von Land und Volk, der Festlegung grundsätzlicher demokratischer Prinzipien und der sich hieraus ergebenden Geschäftsverteilung der Macht diente.

Jedoch waren die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes von so existentieller Be- deutung, daß abweichend von der sonst strengen Zurückhaltung des Regelungsinhaltes die politischen Lösungswege für die wesentlichen Aufgaben der damaligen Zeit Eingang in den Text fanden. So sollte in dem Bundesland mit dem höchsten Anteil an Großgrundbesitztümern das Recht der Heimatvertriebenen auf ein Stück Land in Artikel 8 durch eine Bodenreform verwirklicht werden. -4-



Sie konnte jedoch nicht vollendet werden und blieb ein politischer Wunschtraum der damaligen Zeit.



Für das Recht der Jugend auf eine bessere Erziehung und Ausbildung erfolgte eine Schulre- form, die in Artikel 6 neben der allgemeinen Schulpflicht die Befreiung von Schulgeld und Lernmittelfreiheit regelte. Die schwierige Situation der dänischen Volksgruppe im Lande wurde durch den Minderheitenschutz des Artikel 5 deutlich stabilisiert, eine Regelung, die später einmal zum Vorbild für den Minderheitenschutz in den Verfassungen der neuen Bundesländer werden sollte

In der rückschauenden Bewertung kann den Verfassern dieses Werkes nur Anerkennung und auch Dank für die offensichtlich nicht beabsichtigte Weitsicht gezollt werden, mit denen sie die Grundlagen für unser heutiges Gemeinwesen gelegt haben. Die Aufgaben der Flüchtlingsinte- gration, der Verbesserung der Lebensumstände aller Einwohner des Landes, auch der natio- nalen Minderheiten sowie den Aufbau von Staat und Gesellschaft und die Schaffung einer kulturellen Identität konnten gelöst werden.

Die Landessatzung war vielleicht auch wegen ihrer pragmatischen, allein an den Bedürfnissen der Zeit orientierten Inhalte das geeignete Handwerkzeug die politischen und gesellschaftli- chen Aufgaben des Landes bis hin zur Gegenwart zu lösen. Der Spruch „Nichts ist beständiger als das Provisorium“ bewahrheitet sich hier in besonderer Weise.

Auch wenn das demokratische Fundament der Landessatzung im Kern lange Zeit keiner Än- derungen bedurfte, so erforderte doch die Verfassungswirklichkeit, bedingt auch durch politi- sche Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit, Verfassungsreformen.

Die Ereignisse des Jahres 1987 stellten einen, aus unserer Sicht tiefen Einschnitt in die bis dahin bestehenden parlamentarischen Verhältnisse dar, welche durch die Ziel- und Wertvor- stellungen der Landessatzung hinsichtlich des politischen Wettstreites und Diskurses bestimmt wurden. Die Regierungskrise der 11. Wahlperiode des Landtages machte deutlich, daß trotz dem Bemühen der Autoren der Landessatzung um politische Stabilität, diese nicht jede Situa- -5-



tion ausreichend regeln konnte. Die Verfassungswirklichkeit ließ das Regelwerk in manchen Teilen reformbedürftig erscheinen.

Die Stärkung des Parlamentes gegenüber der Regierung, das Bedürfnis der politischen Kon- trolle, Ausbau von Bürgerrechten und die Hervorhebung der Rolle der politischen Opposition waren die wichtigsten Forderungen, mit denen sich die 1988 gebildete Enquete-Kommission zur Verfassungs- und Parlamentsreform auseinanderzusetzen hatte. Die Antworten auf diese Fragen fanden Eingang in die Landessatzung, die nun, den Titel „Verfassung des Landes Schleswig-Holstein“ trug. Hierdurch wurde der Entwicklung des Landes von einem Provisorium zu einem eigenstaatlichen Bundesland mit seiner sozialen und kulturellen Identität Rechnung getragen.

Die seinerzeit sicher nicht unbegründete Gefahr des Mißbrauchs der direkten Einflußmöglich- keiten der Bürgerinnen und Bürger auf politische Entscheidungen ist heute einem Verständnis des Verhältnisses von Bürgern und Staat gewichen, welches den mündigen Staatsbürger in den Mittelpunkt stellt. Auch die, von dem Wort Willi Brandts „Mehr Demokratie wagen“ ge- prägte Entwicklung zur demokratisierten Gesellschaft verlangte nach mehr Mitwirkungs- und Einflußmöglichkeiten der Bürger bei staatlichen Entscheidungen. So wurde in Artikel 2 der Verfassung aufgenommen, daß das Volk seinen Willen nicht nur durch Wahlen, sondern auch unmittelbar durch Abstimmungen bekundet. Die neu geschaffenen Instrumente der Initiative aus dem Volk, des Volksbegehrens und Volksentscheides dienen diesem Zweck und haben, wie wir alle wissen, auch ihre Akzeptanz in der Bevölkerung gefunden.

Die sozialdemokratische Fraktion hat ihre Aufgabe über das politische Tagesgeschehen hin- aus auch stets darin gesehen, Impulse zur Anpassung der Verfassung an die Verfassungs- wirklichkeit zu geben, wenn dies aus unserer Sicht notwendig erschient. Es war und ist uns hierbei bewußt, daß die Änderung der Grundnormen unseres Landes nicht der Beliebigkeit und damit einer Gefahr der Unverbindlichkeit des ganzen Werkes preisgegeben werden darf. Eine Reform der Verfassung steht immer im Spannungsfeld zwischen politischen Notwendig- keiten, gesellschaftlichem Wandel und Normakzeptanz einerseits und dem Grundsatz der Verbindlichkeit und dem Erfordernis der Stabilität andererseits. Diesen Zielkonflikt angemes- sen und verantwortungsvoll zu lösen, ist Aufgabe der politischen Diskussion. -6-



So war aus unserer Sicht in der jüngsten Verfassungsreform die Aufnahme neuer Elemente der Staatszielbestimmung in die Verfassung erforderlich, da auch bei Abwägung der wider- streitenden Interessen die gesellschaftliche Entwicklung eine besondere Verpflichtung der Staatsgewalt zum Schutze und zur Förderung weiterer wichtiger Gemeinschaftsgüter wie z.B. der niederdeutschen Sprache und des Sports erfordert. Die bereits in der Verfassung veran- kerte Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung wurde durch Aufnahme des Konnexi- tätsprinzips weiterentwickelt. Der Minderheitenschutz bedurfte seine Ausweitung auf weiteren Volksgruppen, deren Schutz und Erhaltung nicht zuletzt auch für die Identität unseres Landes von besonderer Bedeutung sind.

Wir konnten uns jedoch nicht immer mit allen unseren Vorstellungen zur Gestaltung der Lan- desverfassung durchsetzen, da deren Änderung mit Recht einen breiten politischen Konsens erfordert. Die Erfahrung lehrt uns jedoch, daß die ständige Diskussion um politische Zielbe- stimmungen und Inhalte letztlich (fast) immer zu einem Kompromiß führt. So sind wir zuver- sichtlich, daß auch solche Inhalte, die heute noch nicht konsensfähig erscheinen, eines Tages vielleicht doch Verfassungsrang erhalten werden.



Nach einer Betrachtung der Vergangenheit möchte ich jedoch auch auf die Aufgaben hinwei- sen, welche uns die Landesverfassung für die Zukunft aufgegeben hat. Die demokratische Entwicklung unseres Landes ist keinesfalls abgeschlossen. Durch gesellschaftlichen und poli- tischen Wandel auch im Bereich unserer Nachbarstaaten wird dieser Prozeß vielmehr nie zum Stillstand kommen, sondern die Verfassung und uns alle stets vor neue Aufgaben stellen. Der Einfluß neuer Technologien auf unser Leben und die Weiterentwicklung der Gemeinschaft eu- ropäischer Staaten werden die nächsten Herausforderungen sein, denen sich unsere Landes- verfassung zu stellen hat.

Schließen möchte ich mit einem Zitat der verstorbenen Landtagspräsidentin Lianne Paulina- Mürl, die in ihrem Geleitwort zum Schlußbericht der Enquete Kommission Verfassungs- und Parlamentsreform 1988 diese Entwicklung wie folgt beschrieb:

„...Es stellt sich die Frage: Was bedeutet den Menschen unsere Demokratie ? -7-



Sie bedeutet: Freiheit zu größtmöglicher politischer und sozialer Selbstverwirklichung, aber auch Mitdenken und Mithandeln bei den Anliegen der Gemeinschaft. Demokratie ist immer auf dem Wege zu sich selbst. Sie ist nicht vollendet, sie muß sich immer wie- der den veränderten Umständen anpassen. Demokratie schließt natürlich die Bereit- schaft zum Konflikt ein, aber auch die Fähigkeit, den Konflikt durch Regelungsmecha- nismen zu lösen. ...“



Die Landesverfassung war und ist einer dieser Regelungsmechanismen, der die Demokratie in unserem Land fest verankert hat. Es liegt an uns sie zu bewahren, zu verteidigen und weiter- zuentwickeln, damit sie diese Aufgabe auch in Zukunft sicher erfüllen kann.