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17.11.99
10:59 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zum Investitionsprogramm des Bundesverkehrsministers: Integrierte Verkehrsplanung statt Wolkenkuckucksheime

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Sperrfrist: Redebeginn Landeshaus Es gilt das gesprochene Wort! Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Zu TOP 10, 11, 12,14, Investitionsprogramm des Bundes- Mobil: 0172/541 83 53 verkehrsministers, erklärt Karl-Martin Hentschel, ver- E-Mail: presse@gruene.ltsh.de kehrspolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Internet: www.gruene.ltsh.de GRÜNEN: Nr. 355.99 / 17.11.99


Integrierte Verkehrsplanung statt Wolkenkuckucksheime!
Die gesamte Diskussion um das Investitionsprogramm und den Bundesverkehrswege- plan, wie sie hier von der Opposition geführt wird, ist eine Diskussion im Wolkenku- ckucksheim ohne jeglichen Bezug zur Realität. Hier wird über Milliardenprojekte geredet, als hänge ihre Realisierung von Lust und Lau- ne ab. Als das Investitionsprogramm im Bundeskabinett zur Kenntnis genommen wurde, gab es ein großes Aufschreien in Schleswig-Holstein. Es hieß, die A20 sei aus dem Bundes- verkehrswegeplan gekippt worden. Und die Bösen, die das getan haben, sind die GRÜNEN - Beelzebub Hentschel hätte angeblich seine Beziehungen in Berlin spielen lassen und den neuen unerfahrenen Verkehrsminister Klimmt übers Ohr gehauen. Die Wahrheit ist: Weil das Geld nur für einen Bruchteil dessen reichte, was die alte Re- gierung vollmundig versprochen hatte, hat die neue Regierung schlicht ein paar Kriterien aufgestellt, nach denen dann entschieden wurde: 1. Es wird weitergebaut, was schon begonnen wurde. 2. Es werden Projekte der deutschen Einheit weitergebaut. Darunter fällt z.B. die A20 von der A1 bis nach Mecklenburg. 3. Es werden Projekte mit privater Vorfinanzierung gebaut, wenn bereits ein Vertrag ge- schlossen wurde. Das gilt zum Beispiel für die Umgehung Kaltenkirchen. 4. Es werden Projekte realisiert, die überwiegend privat finanziert werden. Dazu gehört z.B. der Herrentunnel in Lübeck. 5. Projekte im Zusammenhang mit der Weltausstellung EXPO 2000 und 6. die Flughafenanschlüsse für den neuen Zentralflughafen Berlin-Brandenburg sollen realisiert werden. Das sind die Kriterien - aber das Geld reicht nicht einmal dazu, all das zu finanzieren, was unter diese sechs Punkte fällt. Die A20 ist nicht deswegen aus der Finanzierung rausgefallen, weil ein böser Hentschel heimtückisch gegen Schleswig-Holstein intrigiert hat, sondern schlicht deswegen, weil im Zeitraum 1999 bis 2002 noch niemals Geld für dieses Autobahnstück vorhanden war. Es ist auch nicht etwa weniger Geld für Schleswig-Holstein eingestellt worden, als zu erwarten gewesen wäre. Das Gegenteil ist der Fall! Schleswig-Holstein hat sogar mehr Geld für Straßenbau bekommen, als uns als altes Bundesland zugestanden hätte. Wäre die A20 südlich Lübeck nicht ein „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“, dann hätte Schleswig-Holstein auch dies nicht finanziert bekommen. In Nordrhein-Westfalen gibt es sechsspurige Autobahnen, die von 180.000 Fahrzeugen am Tag befahren werden - das ist die doppelte Belastung wie auf der A1 zwischen Hamburg und Lübeck und für deren Ausbau gibt es auch kein Geld.
Das ist keine grüne Propaganda - das ist die schlichte Wahrheit. Ich will mich aber nicht damit begnügen, Ihr permanentes Geschrei ad absurdum zu füh- ren. Ich will auch in Kürze skizzieren, wie ich mir eine zukünftige Verkehrspolitik in Schleswig-Holstein vorstelle: Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, bis zum Jahre 2005 die CO2-Emissionen gegenüber dem Stand von 1990 um 25% zu senken. Gleichzeitig wird die Rolle des Verkehrs in Bezug zu den Emissionen immer bedeuten- der. Insbesondere der Straßen- und der Luftverkehr verzeichnen dramatische Zuwächse und werden zum Umweltproblem Nummer 1. Zu den Randwerten einer künftigen Verkehrsplanung gehört ebenfalls die bevorstehen- de Verteuerung der Mineralöle spätestens ab dem Jahr 2010 aufgrund der Verknappung der fossilen Vorkommen. Aus diesen Gründen wird es zu einer Verlagerung der Verkehrsströme hin zu emissi- onsarmen Verkehrsmitteln und Energiequellen kommen müssen. Die Wahrheit ist: Wir werden in den kommenden Jahren Milliarden investieren müssen, um zu einem hochgradig effizienten und weitgehend automatischen Güterverkehrssys- tem in Europa zu kommen, mit dem Container energiesparend und zu vergleichsweise geringen Kosten durch ganz Europa per Bahn und Schiff transportiert werden. Interessant ist bei allen Hochrechnungen, dass unser Hauptproblem nicht die mangeln- den Gleise sind, sondern die automatischen und flexiblen Verlade- und Umladeeinrich- tungen an den Knotenpunkten und den Häfen. Immerhin kommen über die Häfen 90 Prozent aller Im- bzw. Exportgüter - die Globalisierung findet eben nicht mit dem LKW - sondern mit dem Schiff statt. Der Personenverkehr wird ebenfalls erhebliche Veränderungen erfahren. Diese Verän- derungen finden allerdings nicht auf dem flachen Land statt. Da kann ich alle, die die Abschaffung des Autos durch die GRÜNEN befürchten, beruhigen. Aber auf dem fla- chen Land wohnt nur ein immer geringer werdender Teil der Weltbevölkerung. Die eigentlichen Verkehrszuwächse finden innerhalb der Städte und Metropolen und zwischen diesen statt. Und hier schlägt die Stunde des Öffentlichen Personenverkehrs - immer schnellere, attraktivere und kostengünstigere Bahnen und Busse - und natürlich auch Flugzeuge, allerdings in Zukunft ohne Steuerprivilegien und mit strengen Emissi- onsvorschriften - werden die Verkehrszuwächse in den Zentren und zwischen den Zent- ren bewältigen. Deswegen bin ich auch der Ansicht, dass die strategischen Verkehrsvorhaben für Schleswig-Holstein für die kommenden 20 Jahre andere sind als die A20: 1. ist es der Bau der Stadtbahnsysteme in Kiel und Lübeck - die jeweils einen Umland- bereich abdecken, der für Kiel z.B. die Städte Neumünster, Rendsburg, Eckernförde und Plön mit einschließt; 2. die Ausweitung des Hamburger Verkehrsverbundes und die Ergänzung um ein City- bahnsystem, das mindestens im Halbstundentakt alle Zentralorte im Zirkel Lübeck, Neumünster, Itzehoe mit einer Fahrzeit von einer halben Stunde an die Hamburger City anschließt; 3. brauchen wir ein Netz von modernen Güterverteilzentren in den Häfen Kiel, Lübeck, Brunsbüttel und in Flensburg; 4. brauchen wir den Ausbau und die Elektrifizierung der Strecken Hamburg-Lübeck, Hamburg-Elmshorn, Neumünster-Bad Oldesloe; 5. brauchen wir den Ausbau und die Beschleunigung des Regionalverkehrs, integrierte Taktfahrpläne für Bus- und Bahn für ganz Schleswig-Holstein und einheitliche Infor- mations- und Fahrkartensysteme und 6. brauchen wir einen gezielten Ausbau des Straßennetzes, der mit den Anforderungen künftiger Verkehrssysteme und Straßenmautsysteme abgestimmt ist. Wir sollten uns auch sehr genau überlegen, wie die Verkehrssysteme der Zukunft finan- ziert werden. Ich bin der Überzeugung, dass grundsätzlich Verkehr ein Wirtschaftszweig ist, der auch privat finanziert werden sollte. Was für die Post, für das Telefon, für den Strom und für die Bahn gilt, das gilt erst recht für den Verkehr insgesamt. Ausnahmen sind immer nur dann erlaubt, wenn der Markt nicht die gewünschten Effekte hervorbringt - wenn sich also Fehlsteuerungen einstellen. Das gilt für den sozialen Woh- nungsbau, und das gilt vermutlich auch für die öffentlichen Verkehrssysteme in den Städten. Aber das muss die Ausnahme bleiben. Mir geht es heute darum, dass diese Haus überhaupt Bereitschaft zeigt, sich mit alter- nativen Visionen zu beschäftigen - WissenschaftlerInnen einzuladen und im Ver- kehrsausschuss gemeinsam eine integrierte Verkehrsplanung für die Zukunft des Lan- des vorzunehmen. Erste isolierte Schritte sind in den vergangenen Jahren mit dem Gü- terverkehrsgutachten, dem Schienenpersonennahverkehrsplan 2010 und dem Pro- gramm „Fahrradfreundliches Schleswig-Holstein“ gemacht worden. Die Aufgabe einer integrierten Verkehrsplanung liegt noch vor uns. Ich lade Sie alle dazu ein, gemeinsam an einem solchen Projekt zu arbeiten.

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