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1. In Artikel 20 Abs. 1 Satz 2 LV heißt es: „Der Landtag gibt sich eine Geschäftsordnung.“ Diese verfassungsrechtlich verankerte Geschäftsordnungsautonomie gehört seit jeher zu den wesentlichen Bestandteilen der Parlamentsautonomie. Da die Landesverfassung nur wenige Vorschriften über das Verfahren des Landtags bei der Wahrnehmung seiner Funktionen enthält, ist es in erster Linie Aufgabe der Geschäftsordnung, insoweit Regelungen zu treffen.
Die Rechtsnatur der parlamentarischen Geschäftsordnung ist umstritten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 1, 144, 148) hat sie als autonome Satzung qualifiziert. Diese Kennzeichnung entspricht der herrschenden Auffassung (vgl. u. a. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Artikel 40 RN 7; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 9 RN 43 ff.; Pietzcker, in: Schneider/Zeh, aaO., § 10 RN 40). Materiell ist das Geschäftsordnungsrecht ergänzendes Verfassungsverfahrensrecht.
2. Das Geschäftsordnungsrecht besteht nicht nur aus geschriebenem Recht. Es gibt auch Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht, „das nicht durch förmliche Satzung, sondern durch längere tatsächliche Übung entstanden ist, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine sein muß und von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird“ (BVerfGE 22, 114, 121). Hiervon zu unterscheiden ist die parlamentarische Übung, die sich noch nicht zu Gewohnheitsrecht verdichtet hat, die also noch nicht die Rechtsüberzeugung hat entstehen lassen, dass so und nicht anders verfahren werden müsse (vgl. Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, 1977, § 127 GO-BT, RN 5). Dessen ungeachtet beeinflusst die parlamentarische Übung die Anwendung der Geschäftsordnungsvorschriften im Einzelfall (vgl. Kretschmer, aaO., § 9 RN 63).
3. Für die Praxis sind einige Besonderheiten von Bedeutung, durch die sich die Geschäftsordnung eines Parlaments von anderen Normenkategorien abhebt:
3.1 Die Geschäftsordnung regelt nur die inneren Angelegenheiten des Landtags.
Hieraus folgt, dass sie lediglich Rechte und Pflichten der Organe des Landtags und der dem Landtag angehörenden Abgeordneten begründen kann. Dabei ist unerheblich, ob Abgeordnete dem Landtag bereits zur Zeit des Beschlusses über die Geschäftsordnung angehört haben. Bürgerinnen und Bürger, die Landesregierung oder Mitglieder der Landesregierung (in dieser Eigenschaft) können sich daher weder auf die Geschäftsordnung berufen, noch durch sie in Pflicht genommen werden (Magiera, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Artikel 40 RN 22; Waack, in: Becker/Brüning/Ewer/Schliesky, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2021, Art. 20 RN 77; BVerfGE 1, 144, 148).
3.2 Die Geschäftsordnung steht sowohl der Verfassung als auch den Gesetzen im Range nach. Diese beschränkte Geltungskraft folgt aus der Rechtsnatur der Geschäftsordnung (Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 40 RN 74; BVerfGE 1, 144, 148). Im Übrigen hat das Parlament bei der Gestaltung seiner inneren Ordnung eine weitgehende Freiheit (BVerfGE 10, 4, 19; 80, 188, 220).
3.3 Nach unbestrittener Auffassung gilt die Geschäftsordnung nur für die Dauer der Wahlperiode des Parlaments, das die Geschäftsordnung beschlossen hat. Artikel 20 Abs. 1 Satz 2 LV enthält hierzu zwar keine ausdrückliche Regelung. Man ist jedoch seit jeher von einer Bindung der Geltungsdauer der Geschäftsordnung an die Wahlperiode ausgegangen. Hätte der Verfassungsgeber hiervon abweichen wollen, so hätte es eines besonderen Hinweises bedurft. Jeder neu gewählte Landtag kann also über sein Verfahren selbst entscheiden (vgl. Waack, aaO., Art. 20 RN 75; BVerfGE 1, 144, 148).
Die praktischen Auswirkungen der zeitlich begrenzten Geltungsdauer der Geschäftsordnung sind freilich gering. Es entspricht der Regel, dass ein neu gewählter Landtag die Geschäftsordnung des vorhergehenden Landtags ohne oder mit nur unwesentlichen Änderungen übernimmt. Ob die Übernahme, sofern Änderungen nicht in Rede stehen, auch stillschweigend erfolgen könnte, kann dahingestellt bleiben. Es entspricht dem Gebot der Verfahrensklarheit und dem Stellenwert der Geschäftsordnung für die parlamentarische Praxis, wenn die Geltung einer Geschäftsordnung auch für die neue Legislaturperiode durch Beschluss ausdrücklich festgestellt wird. Dies entspricht auch der Praxis des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
Die Übernahme der Geschäftsordnung der vorangegangenen Wahlperiode umfasst neben dem kodifizierten Recht auch das parlamentarische Gewohnheitsrecht und die parlamentarischen Übungen (Troßmann, aaO., § 1 GO-BT, RN 7.7; Schulze-Fielitz, in: Schneider/Zeh, aaO., § 11 RN 8).
3.4 Hinzuweisen ist schließlich auf die – für das ‚normale’ Außenrecht untypische – Möglichkeit, im Einzelfall und ohne Änderung der Geschäftsordnung von einer ihrer Regelungen abzuweichen (vgl. § 75), sowie auf die Besonderheiten, die für die Auslegung der Geschäftsordnung gelten (vgl. § 74).