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Abweichungen von der Geschäftsordnung können im Einzelfall durch Beschluß des Landtages zugelassen werden, wenn keine Abgeordnete und kein Abgeordneter widerspricht und Vorschriften der Landesverfassung nicht entgegenstehen.
§ 75 eröffnet die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall von der Geschäftsordnung abzuweichen. Sinn dieser – für das ‘normale’ Außenrecht untypischen – Vorschrift ist es, zu einer effektiven Erledigung parlamentarischer Arbeit beizutragen. Sie gewährleistet das notwendige Maß an Flexibilität, wenn eine strikte Anwendung der Geschäftsordnung, bei deren Normierung ohnehin nicht alle denkbaren Konstellationen vorausgesehen werden können, letztlich zu unbefriedigenden Ergebnissen führen würde. Dass dabei die durch höherrangiges Recht – Landesverfassung und andere Gesetze – gesetzten Grenzen nicht überschritten werden dürfen, versteht sich von selbst.
§ 75 setzt zunächst voraus, dass „von der Geschäftsordnung“ abgewichen werden soll. Geschäftsordnung in diesem Sinne ist das geschriebene Geschäftsordnungsrecht, das Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht sowie eine gemäß § 74 Abs. 2 vom Plenum beschlossene Auslegung (vgl. Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, 1977, § 127 GO-BT, RN 5, § 129 GO-BT, RN 5.2).
Hinzu kommen muss, dass eine Abweichung „im Einzelfall“ beabsichtigt ist. Das ist nur dann der Fall, wenn der generelle Bestand der fraglichen Geschäftsordnungsnorm nicht infrage gestellt werden soll.
Während für den Erlass einer neuen oder die Änderung einer vorhandenen Geschäftsordnung die einfache Mehrheit genügt, lässt § 75 eine Abweichung von der Geschäftsordnung im Einzelfall lediglich zu, wenn keine Abgeordnete und kein Abgeordneter widerspricht. Da diese Anhebung der Schwelle in erster Linie dem Minderheitenschutz dient, sollte die amtierende Präsidentin oder der amtierende Präsident jeweils ausdrücklich darauf hinweisen, dass in Abweichung von der Geschäftsordnung verfahren werden soll. Das gilt auch, wenn sich die Fraktionen zuvor auf ein entsprechendes Verfahren verständigt haben, denn eine solche Absprache ersetzt nicht den Beschluss des Landtages nach § 75. Eine explizite Abstimmung ist allerdings nicht erforderlich, wenn sich offensichtlich kein Widerspruch erhebt (Roll, Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, 2001, § 126 GO-BT, RN 3). Daher ist letztlich auch eine stillschweigende Abweichung von der Geschäftsordnung möglich (vgl. Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, § 126 GO-BT, Erl. d).
Über während einer Sitzung auftauchende Zweifel, ob ein geschäftsordnungsgemäßes Verhalten oder aber eine Abweichung von der Geschäftsordnung vorliegt, entscheidet gegebenenfalls die Präsidentin oder der Präsident (§ 74 Abs. 1).
§ 75 gilt nicht für die Ausschüsse. Die Geschäftsordnungsautonomie aus Artikel 21 Abs. 1 Satz 2 LV steht dem Landtag als Ganzes zu. Daher ist ausgeschlossen, dass „der Landtag einem parlamentarischen Gremium unbestimmt und unbegrenzt die Befugnis einräumt, für seinen Bereich die Geschäftsordnung des Landtages zu ändern“ (LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 31.05.2001, Az.: LVerfG 2/00, S. 19 f.; Ritzel/Bücker/Schreiner, aaO., § 126 GO-BT, Erl. g). Nichts anderes kann für die Ermächtigung zu Abweichungen im Einzelfall gelten.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine Abweichung von der Geschäftsordnung im Sinne des § 75 nur zu einer Durchbrechung der Regel im Einzelfall führt, die rechtssystematisch ohne Einfluss auf die weitere Geltung der betreffenden Vorschrift im Übrigen ist. Hierdurch unterscheidet sich § 75 grundsätzlich von einer Änderung der Geschäftsordnung sowie von einer Auslegung gemäß § 74 Abs. 2. Durch eine ständige, gleichförmige Abweichung in einem bestimmten Bereich kann allerdings die kodifizierte Geschäftsordnung abänderndes Parlamentsgewohnheitsrecht entstehen.