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Die Präsidentin oder der Präsident kann Rednerinnen oder Redner, die vom Beratungsgegenstand abschweifen, „zur Sache“ rufen.
Der Sachruf kann gegen eine Rednerin oder einen Redner gerichtet werden. Adressatin oder Adressat kann also nach dem Wortlaut der Vorschrift jede Sitzungsteilnehmerin und jeder Sitzungsteilnehmer sein, der oder dem das Wort erteilt ist. Das Rederecht steht nicht nur Abgeordneten, sondern auch den Mitgliedern der Landesregierung zu (Artikel 27 Abs. 3 LV).
Zu beachten ist jedoch, dass die Regelungen der Geschäftsordnung als autonomes Satzungsrecht nur die Mitglieder des Landtags verpflichten und dass den Mitgliedern der Landesregierung gemäß Artikel 27 Abs. 3 LV auf Wunsch das Wort zu erteilen ist. Hieraus ergibt sich: Nur wenn ein Mitglied der Landesregierung ausdrücklich in ihrer oder seiner Eigenschaft als Abgeordnete oder Abgeordneter das Wort ergreift, kann die amtierende Präsidentin oder der amtierende Präsident § 65 als Grundlage für einen Sachruf heranziehen. Diese Möglichkeit besteht nicht, wenn eine Ministerin oder ein Minister erkennbar von ihrem oder seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Rederecht als Mitglied der Landesregierung Gebrauch macht. Auch dieses Rederecht ist freilich nicht schrankenlos. Da das Wort nach Artikel 27 Abs. 3 LV „auf Wunsch“ – und nicht mehr wie nach Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 LS „auf Verlangen jederzeit“ – zu erteilen ist, wird man davon auszugehen haben, dass die Ausführungen einer Ministerin oder eines Ministers, der oder dem das Wort im Rahmen der Beratung eines Tagesordnungspunkts erteilt wird, sich genauso wie die von Abgeordneten auf den jeweiligen Beratungsgegenstand beziehen müssen. Des Weiteren wird dem Rederecht eine Schranke durch das Missbrauchsverbot bzw. das Gebot interorganfreundlichen Verhaltens gesetzt, das nicht nur für die Redezeit, sondern auch für die Beachtung der vom Parlament autonom beschlossenen Strukturierung der Debatten von Bedeutung ist. Aus alledem folgt, dass auch gegenüber einer Ministerin oder einem Minister ein dem förmlichen Sachruf entsprechender Hinweis zulässig ist, solange dadurch das Rederecht nach Artikel 27 Abs. 3 LV unangetastet bleibt (vgl. Blum, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 21 RN 29).
Sachliche Voraussetzung für einen Sachruf ist, dass eine Rednerin oder ein Redner „vom Beratungsgegenstand abschweift“. Beratungsgegenstand ist ein auf der Tagesordnung stehender Gegenstand, über den die Präsidentin oder der Präsident die Beratung eröffnet und zu dem sie oder er das Wort erteilt hat (§ 50 Abs. 3, § 52 Abs. 1).
„Abschweifend“ sind alle Beiträge, die sich weder unmittelbar noch mittelbar auf den Beratungsgegenstand beziehen. Weitschweifigkeit allein genügt nicht. Diese Voraussetzung ist an sich auch nicht erfüllt, wenn eine Rednerin oder ein Redner sich dauernd wiederholt; in Betracht kommt insoweit aber eine entsprechende Anwendung des § 65, wenn der zügige und gründliche Ablauf der Beratungen durch die Wiederholungen – bzw. durch „Filibustern“ – empfindlich gestört wird (vgl. Versteyl, in: NJW 1983, S. 379, 380). Exakte Grenzen für die Berechtigung eines Sachrufs können im Übrigen nicht festgelegt werden. Die Präsidentin oder der Präsident hat bei der Prüfung, ob im konkreten Einzelfall ein „Abschweifen“ vorliegt, einen Beurteilungsspielraum.
Der Sachruf muss, wenn er seinen Zweck erfüllen soll, sofort erfolgen; er ist also bei einem Abschweifen vom Beratungsgegenstand unmittelbar auszusprechen (Ritzel/Bücker/Schreiner, aaO., § 36 GO-BT, Erl. 2 d). Ein nachträglicher Sachruf kommt nicht in Betracht. Hinsichtlich der Form ist davon auszugehen, dass die Rednerin oder der Redner ausdrücklich „zur Sache“ gerufen und nicht lediglich gebeten oder ermahnt werden darf, zum Beratungsgegenstand zurückzukehren. Derartige Bitten oder Ermahnungen („Kommen Sie bitte zum Thema“) sind zwar unbestritten zulässig, können allerdings die in § 67 umschriebenen Rechtsfolgen nicht auslösen.
Die Präsidentin oder der Präsident kann gem. § 65 eine Rednerin oder einen Redner zur Sache rufen. Die Entscheidung ist also in ihr oder sein pflichtgemäßes Ermessen gestellt. Anträge auf Erteilung eines Sachrufs sind unzulässig. Entsprechende Anregungen – etwa durch Zwischenruf – begegnen dagegen keinen Bedenken, sofern in ihnen nicht eine zu beanstandende Kritik an der Verhandlungsführung der Präsidentin oder des Präsidenten liegt.
Ist ein Sachruf erteilt worden, so ist diese in der ausschließlichen Zuständigkeit der Präsidentin oder des Präsidenten stehende Entscheidung endgültig; ein Einspruch i. S. d. § 66 Abs. 2 ist hiergegen nicht möglich. Die Frage, ob ein Sachruf zum Gegenstand eines Organstreitverfahrens vor dem Landesverfassungsgericht gemacht werden kann, ist bisher von ausschließlich akademischem Interesse. Vor dem Hintergrund, dass Sachrufe letztlich zur Wortentziehung gem. § 67 führen können, dürfte das zum Abgeordnetenstatus gehörende Rederecht allerdings berührt sein.