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§ 51c

Zusammentritt des Notausschusses als Notparlament

Die Präsidentin oder der Präsident beruft den Notausschuss unverzüglich als Notparlament ein, wenn eine Notlage vorliegt und eine hybride Sitzung des Landtages nicht zulässig ist. Sie oder er macht die Einberufung und ihre Begründung in geeigneter Weise bekannt.

Kommentar

§ 51c entspricht nahezu wortgleich der Verfassungsregelung in Artikel 22a Abs. 6 Satz 1 LV.

1. Einberufung des Notausschusses (Satz 1)

1.1  Wegen der hohen Anforderungen an das Vorliegen einer Notlage, die auch eine zeitliche Komponente aufweisen, beruft die Landtagspräsidentin oder der Landtagspräsident unter den in Satz 1 genannten Voraussetzungen unverzüglich den Notausschuss als Notparlament ein (Drs. 19/3653, S. 7). Der Notausschuss darf nur einberufen werden, wenn zwei Bedingungen kumulativ erfüllt sind: Es muss erstens eine Notlage im Sinne des Artikel 22a Abs. 4 LV gegeben sein, zweitens darf eine hybride Sitzung des Landtages nach Artikel 22a Abs. 5 LV nicht zulässig sein. Die Prüfung dieser Voraussetzungen obliegt der Präsidentin oder dem Präsidenten.

Eine Notlage liegt nach Artikel 22a Abs. 4 LV vor, wenn aufgrund einer außerordentlich schweren Katastrophe oder einer epidemischen Lage von überregionaler Tragweite im Land dem unaufschiebbaren Zusammentritt des Landtages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder seine Beschlussfähigkeit nicht hergestellt werden kann.

Eine außerordentlich schwere Katastrophe liegt nach der Entwurfsbegründung zu Artikel 22a Abs. 4 LV (Drs. 19/2777, S. 4) unabhängig davon vor, ob diese infolge eines Naturereignisses oder aufgrund menschlichen Verhaltens oder technischen Versagens eingetreten ist. Der Katastrophenbegriff verweist auf § 1 Abs. 1 des Landeskatastrophenschutzgesetzes. Danach umfasst der Begriff der Katastrophe Ereignisse, die das Leben, die Gesundheit oder die lebensnotwendige Versorgung zahlreicher Menschen, bedeutende Sachgüter oder in erheblicher Weise die Umwelt in außergewöhnlichem Maße gefährden oder schädigen. Im vorliegenden Zusammenhang wird darüber hinaus eine „außerordentlich schwere“ Katastrophe gefordert. Darunter fallen „Jahrhundertkatastrophen“, wie etwa die sog. „Schneekatastrophe“ zum Jahreswechsel 1978/1979. Der Begriff der außerordentlich schweren Katastrophe umfasst auch besonders schwere Unglücksfälle. Vom Katastrophenbegriff sind – nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers – militärische Gefahren von außen oder innere Unruhen nicht umfasst; dies folgt daraus, dass auf die Nennung von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung des Landes bewusst verzichtet wird.

Ein Indiz für das Vorliegen einer epidemischen Lage von überregionaler Tragweite ist gegeben, wenn der Deutsche Bundestag, wie während der Corona-Pandemie geschehen, eine epidemische Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz durch Beschluss feststellt (Drs. 19/2777, S. 4). Die Feststellung des Bundestages ersetzt angesichts der ihr lediglich zukommenden Indizwirkung nicht die notwendige eigenständige Prüfung durch die Präsidentin oder den Präsidenten, entfaltet also keine Imperativwirkung (LVerfG, Urteil vom 25. März 2022, LVerfG 4/21, juris, RN 86). Eine überregionale Tragweite ist anzunehmen, wenn eine epidemische Lage mindestens über das Gebiet eines Kreises hinausgeht (Drs. 19/2777, S. 4).

Eine Notlage ist auch beim Vorliegen der äußeren Rahmenbedingungen nur dann gegeben, wenn auf Grund dieser dem unaufschiebbaren Zusammentritt des Landtages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder seine Beschlussfähigkeit nicht hergestellt werden kann. Der Zusammentritt des Landtages ist unaufschiebbar, wenn zwingend eine kurzfristige Beschlussfassung durch ihn objektiv erforderlich ist. Ein unüberwindliches Hindernis für den Zusammentritt liegt nicht vor, wenn lediglich das Landeshaus für eine Tagung nicht zur Verfügung steht; in einem solchen Fall ist nach einem alternativen Tagungsort im Land zu suchen. Falls Abgeordnete durch allgemeine Bekämpfungsmaßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz, wie beispielsweise umfangreiche Quarantäneanordnungen oder Ausgangssperren ohne Ausnahme für Amtsträger, betroffen wären, stellte auch dies kein unüberwindliches Hindernis dar, wenn und weil sie dadurch an einer Ausübung ihres Mandats – der Teilnahme an der Landtagssitzung – aufgrund ihrer Abgeordnetenimmunität nicht gehindert werden dürfen (vgl. den Beschluss zu den Grundsätzen für die Behandlung von Immunitätsangelegenheiten, Drs. 19/2129).

Die ausdrückliche Erwähnung fehlender Beschlussfähigkeit des Landtages als Begründungsmerkmal einer Notlage rechtfertigt sich aus dem Ziel, die mit sinkender Teilnehmerzahl an einer Tagung steigende Gefahr von Zufallsmehrheiten zu reduzieren und grundsätzlich die Mehrheitsverhältnisse im Landtag bei parlamentarischen Entscheidungen zu wahren. Wenn die Regierungskoalition etwa infolge asymmetrischer Auswirkungen einer Pandemie auf eine oder mehrere Koalitionsfraktionen ihre ansonsten bestehende Mehrheit im Plenum nicht versammeln kann, ist dieser Umstand als solcher zwar noch kein ausreichender Anlass für die Einberufung des Notparlaments, auch dann nicht, wenn die Koalitionsfraktionen durch Rückzug aus dem Plenum die Beschlussunfähigkeit herbeiführen und dies nach der Geschäftsordnung rügen. Für die Aktivierung des Notparlaments sind hier vielmehr kumulativ mehrere Voraussetzungen erforderlich: Ein Gesetzesvorhaben der Regierung oder der Koalition muss zwingend sehr rasch verabschiedet werden; mit einer Rückkehr zu den normalen Mehrheitsverhältnissen kann bis zu diesem Zeitpunkt nicht gerechnet werden; die Opposition lehnt das Gesetz geschlossen ab; mit den Vertretern der Opposition kann keine Verständigung erzielt werden, dass aus ihren Reihen ebenso viele Abgeordnete nicht teilnehmen oder nicht abstimmen, wie der Regierungskoalition fehlen. Auch die bloße Unterschreitung des Beschlussfähigkeitsquorums im Landtagsplenum nach Artikel 22 Abs. 3 LV reicht als solche nicht aus, wenn und solange etwa aufgrund zuvor getroffener Absprachen die Beschlussfähigkeit nicht angezweifelt wird und deshalb auch mit ggf. deutlich weniger Abgeordneten Beschlüsse gefasst werden können. In all diesen Fällen wäre die Einberufung eines Notparlaments nicht erforderlich, denn die Beschlussfähigkeit kann hergestellt werden (Drs. 19/2777, S. 5).

Nach allem sind die eine Notlage kennzeichnenden Merkmale erst als erfüllt anzusehen, wenn sie trotz intensiver Bemühungen nicht ausgeräumt werden können.

Nach Artikel 22a Abs. 5 Satz 1 LV darf der Notausschuss nicht als Notparlament zusammentreten, wenn zwar eine Notlage im Sinne des Artikel 22a Abs. 4 LV vorliegt, aber während dieser Notlage eine hybride Sitzung des Landtags zulässig ist. Darunter versteht die Landesverfassung eine Sitzung in Anwesenheit und durch Zuschaltung mittels Bild- und Tonübertragung (Artikel 22a Abs. 5 Satz 1 LV). Nach Artikel 22a Abs. 5 Satz 2 LV ist eine Sitzung des Landtages in hybridem Format zulässig, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden und der zugeschalteten Abgeordneten – also ebenfalls in hybrider Form – feststellt, dass eine Notlage vorliegt und die Anwesenheit oder Zuschaltung durch Bild- und Tonübertragung allen Abgeordneten sowie den Mitgliedern und Beauftragten der Landesregierung ermöglicht und eine sichere elektronische Kommunikation gewährleistet ist. Eine Zuschaltung der Abgeordneten soll einer physischen Teilnahme an einer Landtagssitzung möglichst nahekommen. Aus diesem Grunde ist eine zweiseitige visuelle und akustische Kommunikationsverbindung zwischen dem Sitzungssaal und den zugeschalteten Abgeordneten und Regierungsvertretern erforderlich. Für den virtuellen Teil der hybriden Sitzung ist ein System erforderlich, das die authentifizierte, sichere Teilnahme und Stimmabgabe der Abgeordneten sicherstellt (Drs. 19/2777, S. 6). Das Nähere, insbesondere die Zulässigkeit und der Ablauf einer hybriden Sitzung des Landtages, ist nach Artikel 22a Abs. 5 Satz 6 LV durch die Geschäftsordnung zu regeln. Da eine den Anforderungen des Artikel 22a Abs. 5 Satz 2 LV genügende technische Infrastruktur derzeit noch nicht vollständig eingerichtet ist, steht auch die nähere Regelung der hybriden Sitzung in der Geschäftsordnung noch aus.

1.2  Liegen die in Satz 1 genannten Voraussetzungen vor, hat die Präsidentin oder der Präsident den Notausschuss nach Satz 2 unverzüglich, das heißt, ohne schuldhaftes Zögern, einzuberufen. Da der Notausschuss zwingend in Präsenz zusammentreten muss (Artikel 22a Abs. 6 Satz 2 LV, § 51d Abs. 1), muss sich auch die Einberufung auf eine Präsenzsitzung richten.

2. Bekanntmachung der Einberufung und ihrer Begründung (Satz 2)

Die Landtagspräsidentin oder der Landtagspräsident muss die Einberufung und ihre Begründung dafür in geeigneter Weise bekannt machen. Dies ermöglicht auch den Abgeordneten, die nicht an den Sitzungen des Notausschusses teilnehmen können, die Einberufung des Notausschusses nachzuvollziehen und gegebenenfalls dagegen das Landesverfassungsgericht anzurufen (Drs. 19/2777, S. 7). So eröffnet Artikel 22a Abs. 6 Satz 3 und 4 LV in Verbindung mit § 38a LVerfGG jeder und jedem Abgeordneten die Möglichkeit, gegen den Zusammentritt des Notausschusses als Notparlament oder, nach bereits erfolgtem Zusammentritt, gegen dessen Beschlüsse einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. In einem solchen Verfahren kommt der Begründung nach Satz 2 wesentliche Bedeutung zu: So bestimmt § 38a Abs. 3 LVerfGG, dass der Anforderung an die Pflicht zur Begründung des verfahrenseinleitenden Antrags nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 LVerfGG genügt ist, wenn der Sach- und Rechtsvortrag der Antragstellerin oder des Antragstellers unter Heranziehung der Begründung der Landtagspräsidentin oder des Landtagspräsidenten nach Artikel 22a Abs. 6 Satz 1 LV dem Landesverfassungsgericht eine Sachentscheidung ermöglicht.

Soweit es die Anforderung angeht, die Einberufung und Begründung „in geeigneter Weise“ bekannt zu machen, kommen etwa, entsprechend einer Ersatzverkündung im Sinne des § 60 Abs. 3 LVwG, die Bekanntmachung in Tageszeitungen, im Hörfunk, im Fernsehen, durch Lautsprecher oder in anderer, ortsüblicher Art in Betracht (Drs. 19/3653, S. 7; s. auch Becker, in: Becker/Brüning/Ewer/Schliesky, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2021, Artikel 47a [Entwurf], RN 23).

Kommentar zur Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Stand: 21. Mai 2024

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